Smarte Quartiere und ihre technischen Grundlagen
Smarte Quartiere sind zukunftsorientierte Wohnviertel 1, die gleichermaßen auf Herausforderungen des demografischen wie des Klimawandels reagieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie umwelt- und sozialpolitische Ziele wie energieeffizientes, bezahlbares oder altengerechtes Wohnen durch eine integrierte Betrachtung verbinden – und zwar im gesamten Quartier und mit langfristiger Perspektive 2.
Wenn Quartiere diesem Anspruch gerecht werden wollen, muss von Beginn an eine vorausschauende, bedarfsorientierte und partizipative Technologieentwicklung erfolgen 1. Das smarte Quartier der Zukunft wird dabei als digitales Lebensumfeld konzipiert. Durch diesen Ansatz besteht die Möglichkeit, dass sowohl die Bewohner sowie die ehrenamtlichen und kommerziellen Dienstleister als auch die dort installierten intelligenten Geräte zu einem innovativen Netzwerk zusammengeschlossen werden. Auf diese Weise entstehen funktional und sozial durchmischte städtische Nahräume, die in allen Lebensphasen und Lebensbereichen ihren Bewohnern ein hohes Maß an individueller Lebensqualität bieten. Höhere Flexibilität, Resilienz und Intelligenz sind die Hauptaspekte, durch die smarte Quartiere sich im Vergleich zu traditionellen Wohnumfeldern auszeichnen. Mieter haben im Verlauf ihres Lebens veränderliche Bedarfe durch veränderte Lebenssituationen (Abb. 1). Smarte Quartiere bzw. ihr Wohn- und Serviceumfeld können an diese Veränderungen angepasst werden. Die intelligente Vernetzung der technischen Infrastruktur, der Bewohner und der beteiligten Akteure zum Zweck einer bedarfsgerechten und individuellen Vermittlung haushaltsspezifischer Dienste macht die Quartiere im Idealfall auch robust gegenüber sozioökonomischen und neuen ökologischen Herausforderungen wie beispielsweise dem demografischen Wandel, steigenden Energiepreisen oder extremen klimatischen Ereignissen (Hitzewellen, Starkregen etc.) 2.
Als Grundlage für smarte Quartiere werden unterschiedliche adaptive Technologien benötigt. Insbesondere zeichnen sich smarte Quartiere durch eine integrierte informationstechnische Infrastruktur aus, die ursprünglich zur Steigerung der Energieeffizienz innerhalb der Wohnräume entwickelt und eingesetzt wurde 1. Diese Technologie besitzt zahlreiche bisher ungenutzte Potenziale. Aufgrund dieser Potenziale kann die Technologie auch zur Vermittlung haushaltsspezifischer Dienstleistungen – beispielsweise aus den Bereichen Pflege und Gesundheit oder Sicherheit und Komfort – genutzt werden 3. Aus diesem Grund ist die Realisierung smarter Quartiere eng mit dem aktuellen Stand der Forschung in den Bereichen „Smart Home“, „Smart Grid“, „Smart City“, „Ambient Assisted Living“ (AAL – Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben) und „Smart Services“ verbunden 2 4 5 6 7 8.
Akzeptanz und Verbreitung der grundlegenden Aspekte smarter Quartiere
Die grundlegenden technischen Aspekte smarter Quartiere unterliegen aktuell einer rapiden Weiterentwicklung. Die meisten dort eingesetzten Technologien und Ansätze stammen direkt aus dem Forschungsumfeld. Das Konzept des „Smart Home“ wird dabei – verglichen mit den anderen genannten Ansätzen – bereits seit Längerem verfolgt. Die Entwicklung der heute eingesetzten Smart-Home-Technologien reicht schon so lange zurück, dass viele Komponenten für Konsumenten bereits direkt am Markt verfügbar sind. „Smart Home“ dient dabei als Oberbegriff für technische Verfahren und Systeme in Wohnräumen, in deren Mittelpunkt eine Erhöhung der Lebensqualität und eine Steigerung der Energieeffizienz 1 auf der Basis intelligenter, vernetzter Geräte und automatisierbarer Abläufe steht. Dabei kommunizieren verschiedene Geräte, Sensoren und Aktoren – beispielsweise Fensterkontakte mit Heizungsventilen – untereinander 2.
Wie bei den Smart-Home-Systemen basieren die meisten Konzepte aus den Bereichen „Ambient Assisted Living“ und „Smart Services“ ebenfalls auf vernetzten und intelligenten Gegenständen, Geräten und Maschinen. Als Erweiterung zu Smart-Home-Anwendungen kommunizieren diese Geräte aber nicht nur untereinander, sondern auch mit den Anwendern bzw. den Bewohnern und deren sozialem Umfeld wie beispielsweise Nachbarn oder Pflegediensten 2.
Diese Form der Mensch-Technik-Interaktion ist in der Lage, bestimmte Bedürfnisse automatisiert zu erfassen und – ebenfalls automatisch – einem passenden Dienst zur Befriedigung des jeweiligen Bedürfnisses zu übermitteln. Hier ist etwa das sogenannte Telenursing (pflegerische Dienstleistungen unter Nutzung moderner Informationstechnologien) als eine Form der netzbasierten Gesundheitsüberwachung und Konsultation zu verorten. Damit zielt AAL darauf ab, das alltägliche Leben älterer oder benachteiligter Menschen, insbesondere von Geriatrikern (älteren Menschen, die unter alterstypischer Multimorbidität leiden), situationsabhängig und unaufdringlich zu unterstützen und so ein längeres eigenständiges Leben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen 2 5 6 7.
Allerdings werden solche Trends bzw. Systeme nicht unbesehen übernommen, sondern auf ihre Zweckdienlichkeit hin überprüft und optimiert. Im Anschluss an aktuelle Untersuchungen 9 10 11 12 13 besteht vor allem bei den folgenden drei Aspekten Handlungs- und Innovationsbedarf:
- Zunächst sind die bestehenden Systeme zumeist nicht untereinander kompatibel. Es sind Insellösungen, die einer integrativen – d. h. einer problemfeldübergreifenden (etwa zwischen Gesundheit und Energetik) – Betrachtung entgegenstehen. Durch die Entwicklung einer integrierenden informationstechnischen Infrastruktur soll es dem Endverbraucher – aber auch den Planern – ermöglicht werden, unterschiedliche Systeme und Dienste zur Nutzung von Synergien und zur Aggregation der so entstehenden einzelnen Mehrwerte bedarfsgerecht miteinander zu kombinieren 2.
- Aktuelle Systeme und Produkte sind in der Regel nur für sehr kurze Lebenszyklen konzipiert. Aufgrund dieser Tatsache sind auch die meisten Geschäftsmodelle der Anbieter nicht nachhaltig, sondern auf kurze Amortisationszeiten sowie schnelle Gewinne und Renditen ausgelegt. Dies ist nicht nur unökologisch, sondern kann auch zu einem systematischen Ausschluss einkommensschwacher Nutzergruppen (bspw. von Altersarmut betroffene Haushalte) und damit zu einer Reproduktion und Verstärkung bestehender sozialer Ungleichheit führen. Zudem ist zu befürchten, dass sich die Kurzlebigkeit der aktuellen Systeme negativ auf die Akzeptanz technisch assistierter Wohnformen auswirkt und einer nachhaltigen Markterschließung entgegenwirkt 2.
- Aus diesen Gründen wird eine Entwicklung von Technologien und Betreibermodellen angestrebt, die sich neben wirtschaftlichen auch an ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien orientiert und den tatsächlichen Bedarf der Nutzer berücksichtigt. So soll die Akzeptanz technisch assistierter Wohnformen erhöht sowie Markteintrittsbarrieren abgebaut werden. Eine bedarfsgerechte Technik- und Serviceentwicklung betrifft insbesondere die Frage, wie Eigen- und Fremdleistungen in bestehende Alltagsroutinen und Abläufe, bspw. in bestimmten Pflegearrangements, sinnvoll miteinander verzahnt werden können. Gerade die oben zitierte Forschung aus den Bereichen Alter, Pflege und Gerontotechnik zeigt, dass bestehende Technologien und Dienste häufig an den Alltagsroutinen und Nutzerkontexten der Zielgruppe vorbeigehen und entsprechend auf Irritation und Ablehnung stoßen 2.
Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung auch, dass sich die Bereiche Energetik und AAL/Smart Services hinsichtlich ihrer Verbreitung deutlich voneinander unterscheiden: Im Bereich der Energetik wird zunehmend der Schritt von der Nische in die Breite unternommen. Der Vorsprung von Smart-Home-Technologien gegenüber AAL und Smart Services macht dies deutlich: Durch die zunehmende Zahl robuster und preiswerter Angebote zur Steigerung von Energieeffizienz und Komfort wird das Prinzip des „Smart Home“ für unterschiedliche Akteure immer interessanter. Die Tatsache, dass diese Entwicklung mittlerweile auch von großen Wohnungsbauunternehmen und deren Verbänden vorangetrieben wird, verdeutlicht, dass es sich bei den aktuellen Smart-Home-Lösungen um weit mehr als nur um Nischenprodukte handelt: Vor allem im Geschosswohnungsbau haben Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz, aber auch zum Erhalt der Gebäudesubstanz vielerorts den Sprung in die Wohnungs- und Immobilienbestände geschafft. Ausschlaggebend ist dabei, dass aktuelle Systeme einen nachweislichen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz in Wohngebäuden leisten und damit die Refinanzierung der Investition ermöglichen 2 14.
Die Betrachtung der Verbreitung von AAL (in Verbindung mit Smart Services) zeigt hingegen ein anderes Bild: Hier existieren vorwiegend hochpreisige Nischenprodukte, die untereinander kaum kompatibel sind und vornehmlich von technikaffinen sogenannten Lead Usern genutzt werden 15. Auf (geförderter) Projektebene entstehen aktuell zwar immer wieder einzelne erfolgversprechende Anwendungen, vor allem in den Bereichen E‑Health und Gesundheitstelematik – allerdings ist ihre Verbreitung zumeist regional begrenzt, und es gelingt überwiegend nicht, sie in eine Regelversorgung bzw. den Massenmarkt zu integrieren, da die aktuelle Forschung und Entwicklung Smart Services in der Wertschöpfungskette „hinter“ den Technologien verortet. Ihre Entwicklung findet deshalb – ebenso wie die Entwicklung nachhaltiger Geschäfts- und Finanzierungsmodelle – zu wenig Beachtung. Mit anderen Worten: Das Pferd wird in diesem Bereich gegenwärtig gewissermaßen von hinten aufgezäumt – nicht der konkrete Bedarf der Nutzer ist beim Design von Smart Services entwicklungsleitend, sondern das technisch Mögliche. Daraus erklärt sich die gegenwärtig zu konstatierende geringe Verbreitung von AAL und Smart Services 2.
Vom Projekt zum Kompetenz- und Beratungszentrum – „ubineum“ Zwickau
Ausgehend von den skizzierten Problemen bei der Umsetzung smarter Quartiere soll in Zukunft die Technikentwicklung konsequent für potenzielle Nutzer und deren konkrete Bedarfe geöffnet werden. Mit dieser frühzeitigen „partizipativen“ Öffnung des Entwicklungsprozesses für potenzielle Nutzer wird eine in der Literatur häufig genannte Forderung erfüllt, die bislang in der Praxis aber nur selten umgesetzt wurde 2.
Ein Ansatz, um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, ist die Forschung in sogenannten Reallaboren. Dabei handelt es sich um eine Form der Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft, bei der das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld im Vordergrund steht. Der Begriff des Labors wird dabei über seine klassische natur- und ingenieurwissenschaftliche Bedeutung hinaus um den sozialen Kontext erweitert 16. Aktuell wird – zumal mit öffentlichen Geldern gefördert – in vielen Projekten dieser Ansatz verfolgt. Nach Ablauf der Projekte können jedoch in aller Regel wegen fehlender Anschlussfinanzierung die geschaffenen Strukturen nicht weiterentwickelt oder im schlechtesten Fall sogar nicht weiter genutzt werden.
In Zwickau wurden und werden bisher auch einige solcher Projekte erfolgreich durchgeführt (siehe Kasten). Mit diesen Projekten ist es gelungen, ein Netzwerk zu etablieren, das sich intensiv mit der Weiterentwicklung und Umsetzung smarter Quartiere beschäftigt (Abb. 2). Bereits im Jahr 2011 konnte die Gesellschaft für intelligente Infrastruktur Zwickau mbH (GIIZ) gegründet werden. Die GIIZ als Zusammenschluss von Unternehmen unterschiedlicher Branchen, insbesondere aus der Wohnungs- und Energiewirtschaft, forciert gemeinsam mit der Westsächsischen Hochschule Zwickau die integrierte Entwicklung von Lösungen für das Wohnen und Leben in der Zukunft. Zur Erreichung dieser Ziele und zur Einbindung weiterer Partner entstand 2017 das Transfer- und Kompetenzzentrum „ubineum“ in Zwickau (Abb. 3).
Das „ubineum“ als Gebäude, als Form der Zusammenarbeit und als Vision bietet den Netzwerkpartnern ideale Voraussetzungen. Das Besondere am „ubineum“ ist die enge Zusammenarbeit aller beteiligten Unternehmen. Die Partner verfolgen den Gedanken des Netzwerkes unter einem Dach und stimmen sich bedarfsgerecht untereinander ab. So greift eine Leistung in die nächste; schwierige Abstimmungsprozesse werden dadurch vereinfacht. Auf einer Fläche von fast 1.200 m² befinden sich Büro- und Beratungsräume der Partner, ein Konferenzraum für Vorträge und Seminare, Ausstellungsflächen für Produkte und Leistungen (Abb. 4) sowie eine 130 m² große Musterwohnung (Abb. 5 u. 6) zur Präsentation und zum Erleben der entwickelten Technologien und Lösungen.
Neben der Möglichkeit des Erlebens der Technologien bietet das „ubineum“ auch die Chance zur Weiterentwicklung von Ansätzen aus dem Reallabor. Dort können die Bewohner als potenzielle spätere Nutzer direkt mit den umsetzenden Dienstleistern sowie mit Forschern und Entwicklern von der ersten Minute an gemeinsam an den Lösungen für die Zukunft arbeiten. Damit wird die in der Literatur geforderte frühzeitige Öffnung des Entwicklungsprozesses für potenzielle Nutzer auch in der Praxis umgesetzt 2. Das „ubineum“ profitiert dabei von seinen Partnern und deren Kompetenzen.
Die oben bereits erwähnte Gesellschaft für intelligente Infrastruktur Zwickau mbH (GIIZ) wurde zum Zweck einer Verzahnung verschiedener eigenständiger Akteure des kommunalen Wohnungsbaus, von Energieversorgern, Energiedienstleistern sowie technischen Dienstleistern gegründet und bildet den formalen Rahmen für das „ubineum“. Innerhalb der GIIZ werden somit die Grundlagen geschaffen, um Unternehmen verschiedener Branchen zusammenzuführen, sodass das Risiko und eine Konkurrenzsituation am Markt, die durch die Übervorteilung einzelner Akteure entstehen könnte, bewusst minimiert wird. Gesellschafter sind die ebenfalls im „ubineum“ ansässige Westsächsische Wohn- und Baugenossenschaft eG Zwickau, die Zwickauer Energieversorgung GmbH, die Smart Facility GmbH und die SEF Energietechnik GmbH. Die enge Zusammenarbeit mit der Westsächsischen Hochschule Zwickau gewährleistet die Realisierung aktueller Forschungsentwicklungen. Ergänzt werden die Partner durch die Alippi GmbH, die Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. aus dem Bereich der sozialen Dienstleistungen sowie durch die Brunata-Metrona-Gruppe aus dem Bereich Messdienstleistungen.
Nahmobilität im Reallabor
Ein Beispiel für die Weiterentwicklung von Ansätzen aus dem Reallabor ist die Nah- bzw. Mikromobilität. Innerhalb dieses Themenfeldes können die potenziellen späteren Nutzer direkt mit den Forschern, Entwicklern und dem Netzwerk aus den umsetzenden Dienstleistern wie bspw. der Johanniter-Unfall-Hilfe, der Wohnungsbaugesellschaft oder insbesondere der Sanitätshaus Alippi GmbH in Kontakt treten und gemeinsam innovative Lösungen erarbeiten. Hier zeigen sich auch die zukünftigen Anforderungen an die entsprechenden Dienstleister, die flexibel und dynamisch reagieren und auch Pfade abseits ihrer gewohnten Geschäftsmodelle beschreiten müssen.
Die künftige Sicherung der Nahmobilität für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen wurde als ein Hauptbaustein einer qualitätsvollen Entwicklung smarter Quartiere identifiziert. In Zusammenarbeit mit dem Sanitätshaus Alippi, der Westsächsischen Hochschule Zwickau, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Stadt Zwickau wurde eine Arbeitsgruppe initiiert, die sich über verschiedene Wege mit der Nah- bzw. Mikromobilität im intelligenten Quartier auseinandersetzen soll. Die Idee ist, eine durch Elektromobilität gestützte alternative Form von Nahmobilität im Quartier zu etablieren. In Kooperation mit den Nutzern soll ermittelt werden, welche Elektrokleinstfahrzeuge einen Mehrwert für die Nahmobilität bieten können, wie Mobilitätsmuster der Quartiersbewohner ergänzt bzw. verändert werden können und welche Geschäftsmodelle einen Einsatz wirtschaftlich nachhaltig unterstützen.
Konkret wurde, ausgehend von der Sanitätshaus Alippi GmbH, die schon einige Jahre Erfahrungen mit E‑Scootern gesammelt und entsprechendes Feedback ihrer Kunden erhalten hat, eine Befragung der Nutzer initiiert. Parallel wurden durch Testfahrten am „ubineum“ und im Reallabor-Quartier erste Erkenntnisse hinsichtlich der Akzeptanz, der Erfahrungen und des Image dieser Fortbewegungsmittel gesammelt. Zur Verifizierung der Ergebnisse und zur weiteren Evaluation wurde eine entsprechende Fokusgruppe mit E‑Scooter-Besitzern aus dem Kundenkreis der Alippi GmbH gebildet. Innerhalb dieser Fokusgruppe wurden dann entsprechende, von Forschern, Dienstleistern und Vertretern der Stadt begleitete Testfahrten im Quartier organisiert. Ziel war, typische Fahrten und Einsatzzwecke zu identifizieren und dabei hinderliche bzw. förderliche Faktoren zu dokumentieren. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass insbesondere für ältere Personen E‑Scooter einen deutlichen Mobilitätsgewinn innerhalb des Quartiers darstellen können. Aus diesen Ergebnissen lassen sich für die einzelnen Netzwerkpartner elementare Erkenntnisse ableiten. Aus Sicht der Ingenieure der Westsächsischen Hochschule ergaben sich interessante Aspekte für die technische Anpassung der E‑Scooter (Lademanagement, Fahrdynamik, Komfort, Traglast etc.). Aus Sicht der Stadt Zwickau wurden viele Standorte identifiziert, die besondere Barrieren darstellen und ggf. angepasst werden müssen. Das Sanitätshaus Alippi kann aus den Ergebnissen neue Anregungen für zukünftige Geschäftsmodelle ableiten, die weit über den reinen Verkauf bzw. die Vermietung von E‑Scootern hinausgehen. Beispielsweise ist ein Engagement als Mobilitätsanbieter in Zusammenarbeit mit der ansässigen Wohnungsbaugesellschaft und der Johanniter-Unfall-Hilfe denkbar.
Fazit
Ein partizipativer Ansatz und entsprechende Kooperationen und Netzwerke, wie sie im „ubineum“ praktiziert werden, sind wichtig, um sich im Interesse der Nutzer untereinander abzustimmen und auf die Veränderungen der Gesellschaft durch Digitalisierung, neue Technologien und den demografischen Wandel reagieren zu können. Bei der (Weiter-)Entwicklung von Lösungen für das intelligente Quartier der Zukunft erbringt der Ansatz des Reallabors zahlreiche Erkenntnisse auf den unterschiedlichen Ebenen der Akteure. Außerdem werden so die umfangreichen, multidimensionalen Anforderungen an das Angebotsspektrum von Dienstleistern sichtbar, die vielfach aktuell noch ein eindimensionales, unflexibles Geschäftsmodell betreiben. Diese für die Umsetzung smarter Quartiere notwendige Flexibilität und Dynamik in den Geschäftsmodellen entsteht durch Synergien, die auf der Basis von Kooperationen und Netzwerken – wie im „ubineum“ – etabliert werden können. Komplettiert werden diese Netzwerke durch das Zusammenspiel zwischen Praxis und Forschung. Aus dieser Zusammenarbeit ergeben sich Innovationen und neue Blickwinkel, von denen sowohl die Unternehmen als auch deren Kunden profitieren. Sanitätshäuser sind beispielsweise in Zukunft angehalten, ihren Kunden ganzheitliche Versorgungskonzepte im Hinblick auf deren jeweilige Erkrankungen und Anforderungen anzubieten. Außerdem werden der Service-Gedanke und der integrative Ansatz immer mehr in den Vordergrund rücken, da diese Aspekte die Händler vor Ort von der wachsenden Konkurrenz durch den Online-Handel unterscheiden. Ein modernes Produktportfolio ist in diesem Zusammenhang ebenso wichtig wie neueste Analysemöglichkeiten, um alle Zielgruppen anzusprechen. Dies wird sich auch in der Erweiterung der Geschäftsmodelle der Sanitätshäuser widerspiegeln und sich auf Trends wie Digitalisierung oder Elektromobilität auswirken, denen sie sich nicht verschließen können, um ein Bestandteil des smarten Quartiers zu werden bzw. zu bleiben.
Für die Autoren:
Sven Leonhardt M. Sc., Projektkoordinator
Stadt Zwickau
Hauptmarkt 1, 08056 Zwickau
sven.leonhardt@zwickau.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
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