OTWorld: Key­note hin­ter­fragt Stereotype

René Schaar macht sich als stellvertretender Gleichstellungsbeauftragter des Norddeutschen Rundfunks (NDR) für Inklusion in den Medien stark. Durch ihn zog im vergangenen Jahr Elin, die erste Bewohnerin im Rollstuhl, in die „Sesamstraße“ ein. Am Freitag, 17. Mai, steht er nun als Keynote-Speaker auf der Bühne der OTWorld.

In sei­nem Vor­trag „Who cares about repre­sen­ta­ti­on? Behin­der­te Men­schen in den Medi­en“ wird Schaar beleuch­ten, wie Behin­de­run­gen in Film und Fern­se­hen dar­ge­stellt wer­den. Zudem hin­ter­fragt er Ste­reo­ty­pe und zeigt auf, wel­chen Ein­fluss sie auf unser Den­ken haben und wel­che Chan­cen er in Bewegt­bil­dern für Viel­falt und Inklu­si­on sieht. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on schaut er auf die deut­schen und inter­na­tio­na­len Bildschirme.

OT: Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt lag die Zahl der schwer­be­hin­der­ten Men­schen in Deutsch­land 2021 bei 9,4 Pro­zent. Eine Stu­die des Insti­tuts für Medi­en­for­schung an der Uni­ver­si­tät Ros­tock zeigt, dass jedoch ledig­lich 0,4 Pro­zent in der deut­schen TV-Land­schaft eine sicht­bar schwe­re Behin­de­rung haben. Woher rührt die­se Diskrepanz?

René Schaar: Das hat ver­schie­de­ne Grün­de. Hin­ter der Kame­ra liegt das sicher­lich an den Bil­dungs­chan­cen und damit ver­bun­den dem Weg in den Jour­na­lis­mus. Wer kann es sich leis­ten, nicht bezahl­te Prak­ti­ka anzu­neh­men? Wer wird eigent­lich Autor:in oder Redakteur:in, wer wird CvD oder Planer:in? Wer kommt in die­se macht­vol­le­ren Posi­tio­nen und kann dar­über ent­schei­den, was wir im Pro­gramm sehen? Wir müs­sen uns anschau­en, wie das Recrui­ting statt­fin­det, wie der Bil­dungs­weg und das Schul­sys­tem aus­se­hen. Das­sel­be gilt auch vor der Kame­ra. Denn Schau­spiel­schu­len haben einen sehr har­ten Aus­wahl­pro­zess. Die­ses Sys­tem und die dahin­ter lie­gen­den Nor­men zu hin­ter­fra­gen ist eine Auf­ga­be für jede ein­zel­ne Schnitt­stel­le, für jede ein­zel­ne Per­son. Wenn jede und jeder an ihrer bezie­hungs­wei­se sei­ner Stell­schrau­be dreht, dann kom­men wir deut­lich weiter.

Für vie­le Schauspieler:innen stellt sich zudem die Fra­ge: Traue ich mir den Job über­haupt zu? Wenn Vor­bil­der feh­len, kom­men sie viel­leicht gar nicht auf die Idee, dass das ein Weg für sie sein könn­te. Das hat viel mit soge­nann­tem inter­na­li­sier­ten Ableis­mus zu tun, also mit ver­in­ner­lich­ten Ste­reo­ty­pen und Denk­mus­tern. Eine behin­der­te Per­son sieht so und so aus, kann nur die­ses oder jenes und nichts ande­res und ist hilfs­be­dürf­tig. Wenn man das oft genug hört und im direk­ten Umfeld nie­man­den hat, der oder die einen unter­stützt oder einem Selbst­be­wusst­sein gibt, dann blei­ben nur die Medi­en, dann blei­ben nur die Geschich­ten, die wir uns als Gesell­schaft erzäh­len. Genau da knüpft mein Vor­trag auf der OTWorld an.

OT: Sie haben das Merk­mal „hilfs­be­dürf­tig“ ange­spro­chen. ­Wel­che wei­te­ren Ste­reo­ty­pe herr­schen in Film und Fern­se­hen vor?

Schaar: Egal ob die Figu­ren in den Mär­chen der Brü­der Grimm oder die Star-Wars- und James-Bond-Böse­wich­te – das sind Men­schen, die angst­ein­flö­ßend sein sol­len und die – ganz bewusst als Gestal­tungs­mit­tel – eine Behin­de­rung haben. Sie sind ent­stellt, fehl­ge­bil­det, spre­chen komisch, haben viel­leicht einen Akzent, Wort­fin­dungs­stö­run­gen, ein Metall­ge­biss oder sie lis­peln. Es sind immer die­sel­ben Geschich­ten, die wir uns erzäh­len, mit Ste­reo­ty­pen, die wir immer wie­der repro­du­zie­ren. Ent­we­der sind behin­der­te Men­schen angst­ein­flö­ßen­de Mons­ter, bemit­lei­dens­wer­te Wesen oder – wenn sie es dann trotz aller Wid­rig­kei­ten geschafft haben und stark genug waren, sich dem Sys­tem anzu­pas­sen – wer­den sie über­höht und zu Super­hel­den sti­li­siert. Es gibt wenig Grau­stu­fen, nur das eine oder das ande­re Extrem. Die Fra­ge ist: Was hat das eigent­lich mit unse­rer Lebens­rea­li­tät zu tun und in unse­rem All­tag für Konsequenzen?

OT: Wel­che Geschich­ten soll­ten wir uns statt­des­sen erzählen?

Schaar: Um ein Bei­spiel zu nen­nen: Ich war gera­de in Lon­don im Urlaub und habe mir mei­ne ers­te Bar­bie gekauft. Und die Geschich­te, die sie erzählt, fin­de ich super. Sie ist eine schwar­ze Frau und sitzt im Roll­stuhl. Und das ist kein medi­zi­ni­scher Kran­ken­haus­roll­stuhl mit Grif­fen hin­ten dran, son­dern einer, der an sie ange­passt ist. Damit ist sie eigen­stän­dig unter­wegs. Ich war so im Flow, dass ich mir direkt die zwei­te Bar­bie gekauft habe, und zwar aus dem neu­es­ten Dis­ney-Film „Wish“: eine etwas dicke­re Bar­bie, die eine Geh­hil­fe benutzt. Das fin­de ich super­cool. Auch im Bereich Kin­der­li­te­ra­tur bewegt sich etwas, wenn man sich bei­spiels­wei­se das Buch „Als Ela das Welt­all erober­te“ von Raúl Kraut­hau­sen anschaut. Aus Man­gel an rea­lis­ti­schen Geschich­ten sind wir gezwun­gen, sel­ber tätig zu wer­den. Neue Publi­ka­tio­nen set­zen auf Bei­läu­fig­keit und Leich­tig­keit. Sie zei­gen, dass Behin­de­rung nur ein Merk­mal von ganz vie­len ist, das den jewei­li­gen Cha­rak­ter aus­zeich­net. Bei der OTWorld wer­de ich ein Tool vor­stel­len, mit dem über­prüft wer­den kann, ob und wie Geschich­ten Ste­reo­ty­pe reproduzieren.

Bewe­gung in der Branche

OT: Es heißt: Spra­che formt das Den­ken, beein­flusst, wie wir die Welt wahr­neh­men. Haben Bewegt­bil­der Ihrer Mei­nung nach den glei­chen Einfluss?

Schaar: Video-Con­tent – also Media­the­ken, Strea­ming und Social Media – ist das am stärks­ten wach­sen­de Medi­um. Wenn sie gut gemacht sind, kön­nen Video­for­ma­te ein sehr nied­rig­schwel­li­ger Zugang für Men­schen sein und – aus öffent­lich-recht­li­cher Per­spek­ti­ve – den Bil­dungs­auf­trag erfül­len, zum Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl der Gesell­schaft bei­tra­gen, zur Soli­da­ri­tät und letzt­end­lich auch zur Demo­kra­tie. Sie kön­nen aber eben auch schlecht gemacht sein und Ste­reo­ty­pe för­dern. Und das gar nicht unbe­dingt mit bösem Wil­len, son­dern weil die Macher:innen einen blin­den Fleck haben. Inso­fern kommt den Medi­en eine gro­ße Ver­ant­wor­tung zu. Ich neh­me in Bezug auf Inklu­si­on und Viel­falt aber deut­lich mehr Bewe­gung in der Bran­che wahr.

OT: Wor­an liegt das?

Schaar: Zum einen an gesetz­lich ver­än­der­ten Rah­men­be­din­gun­gen. Im Medi­en­staats­ver­trag wird das The­ma Bar­rie­re­frei­heit expli­zit erwähnt und wir als Medi­en­schaf­fen­de sind dazu ver­pflich­tet, es umzu­set­zen. Für Web­sites und Apps gilt das Bar­rie­re­frei­heits­stär­kungs­ge­setz. Dann gibt es natür­lich noch die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on, auf die immer wie­der geprüft wird. Aus unter­neh­me­ri­scher Per­spek­ti­ve haben wir auch den Fach­kräf­te­man­gel im Blick. Wir kön­nen es uns ein­fach nicht leis­ten, behin­der­te Men­schen aus dem Bewer­ber­pool aus­zu­klam­mern und die­ses Poten­zi­al nicht zu schöpfen.

„Ich habe mich sel­ten so gese­hen gefühlt“

OT: Haben Sie Film- und Seri­en­tipps, in denen Viel­falt gut umge­setzt wird?

Schaar: Vie­le Dis­ney- und Pix­ar-Fil­me sind echt gut. Es gibt eine Ari­el­le, die schwarz ist, Nemo, der eine kur­ze Flos­se hat, Lucas Vater, der einen kur­zen Arm hat. Im Film „Red“ trägt Sta­cy ein Glu­ko­se­mess­ge­rät, das ganz bei­läu­fig in einer Sze­ne gezeigt wird. Das ist in der Com­mu­ni­ty total gefei­ert wor­den. Men­schen aus Latein­ame­ri­ka haben sich über die Figu­ren mit krau­sen Haa­ren und dunk­ler Haut­far­be in „Encan­to“ gefreut, weil sie sich hier end­lich reprä­sen­tiert sehen. Oft wird Behin­de­rung nur bei­läu­fig erwähnt bezie­hungs­wei­se gezeigt, oder aber es wird – wie bei Nemo – ein wich­ti­ges The­ma ange­spro­chen. Das, was Nemo im Meer erlebt, fin­det oft in der Gesell­schaft statt. Eltern wol­len ihre behin­der­ten Kin­der am liebs­ten in Wat­te packen und beschüt­zen. Die Kin­der müs­sen sich im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes frei­schwim­men und eman­zi­pie­ren. Für mich per­sön­lich ist das wirk­lich ein sehr schö­ner und gelun­ge­ner Film. Wel­che Rol­le ich am cools­ten fin­de, ist die von Maya Lopez in „Haw­keye“, gespielt von Ala­qua Cox. Auf Dis­ney-Plus hat sie mit „Echo“ jetzt eine eige­ne Spin-off-Serie bekom­men. Sie ist eine Frau, indi­gen, gehör­los und trägt eine Bein­pro­the­se. Was mir auch gefällt: Sie ist erst eine Böse­wicht­in, die dann aber zu einer Ver­trau­ten wird, also ein sehr kom­ple­xer Cha­rak­ter, der eine Ent­wick­lung durch­macht. In der Net­flix-Serie „Sex Edu­ca­ti­on“ sind neben zwei behin­der­ten Haupt­cha­rak­te­ren – eine Figur ist taub, eine ande­re im Roll­stuhl unter­wegs – auch eine Rei­he von behin­der­ten Statist:innen im Hin­ter­grund zu sehen. Das ist nor­mal an immer mehr Regel­schu­len und nor­mal in Seri­en. Doch lei­der ist es noch immer eine Sel­ten­heit, dass behin­der­te Rol­len auch von behin­der­ten Men­schen gespielt werden.

OT: Damit spre­chen Sie ein gro­ßes Dis­kus­si­ons­the­ma an. Dür­fen nicht behin­der­te Men­schen behin­der­te Men­schen spie­len?

Schaar: Ich mache ger­ne den Ver­gleich zu Black­fa­cing. Frü­her haben sich wei­ße Men­schen schwarz ange­malt und so getan, als wären sie schwar­ze Per­so­nen. Kann man machen, ist halt trotz­dem schei­ße. Ich traue Schauspieler:innen viel zu. Aber geleb­te Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen haben einen sehr hohen und nicht zu unter­schät­zen­den Wert. Die kön­nen Men­schen aus eige­ner Betrof­fen­heit in die Rol­le ein­flie­ßen las­sen. Ich habe in Lon­don kürz­lich das Musi­cal „The Litt­le Big Things“ gese­hen, das die Geschich­te des Autors Hen­ry Fraser erzählt. Infol­ge eines Bade­un­falls ist er seit sei­nem 17. Lebens­jahr quer­schnitt­ge­lähmt. Das Musi­cal behan­delt, was der Unfall für die Fami­lie bedeu­tet, wel­chen Ein­fluss er auf Freund­schaf­ten hat und den eige­nen Selbst­wert. Das war ein tol­ler Abend mit gran­dio­ser Musik. Und gleich­zei­tig habe ich mich sel­ten so gese­hen gefühlt. Die behin­der­ten Rol­len wur­den von behin­der­ten Men­schen gespielt und teil­wei­se wur­den die nicht behin­der­ten Rol­len von Men­schen mit Behin­de­rung gespielt. Die Behin­de­rung hat in dem Fall gar kei­ne Bedeu­tung gehabt. Es war eine Mischung aus authen­ti­scher Reprä­sen­ta­ti­on und gleich­zei­ti­ger Bei­läu­fig­keit. Da waren ver­zwei­fel­te, tief­trau­ri­ge, auch teil­wei­se sui­zi­da­le Momen­te dabei, die aber von Humor und Leich­tig­keit unter­bro­chen wur­den. Und die­se Grat­wan­de­rung schafft man nur, wenn Men­schen aus eige­ner Betrof­fen­heit her­aus an dem Dreh­buch mit­schrei­ben und mitspielen.

Betrof­fe­ne ins Boot holen

OT: Kann es auch ein „zu viel“ an Diver­si­tät geben?

Schaar: Eine Sor­ge, die ich von Redak­tio­nen ken­ne, ist, dass wir unse­re Zuschauer:innen nicht über­for­dern dür­fen. Die­se Sor­ge tei­le ich gar nicht, denn Viel­falt spie­gelt doch die Lebens­rea­li­tät wider. Also war­um soll­te ich mich dar­an nicht ori­en­tie­ren und die­se Rea­li­tät dar­stel­len? Und gleich­zei­tig ver­ste­he ich, woher der Wider­stand kommt. Über Jahr­zehn­te haben wir Pro­gramm für einen bestimm­ten Typ Mensch gemacht. Jetzt befin­den wir uns in einem Umge­wöh­nungs­pro­zess. Die ers­te Reak­ti­on ist Ableh­nung und Kri­tik. Man muss aber ver­ste­hen, dass es nicht dar­um geht, etwas weg­zu­neh­men, son­dern dar­um, etwas zu ergän­zen, was bis­her fehlte.

Eine Sache kann hel­fen, um nicht „übers Ziel hin­aus­zu­schie­ßen“: Wenn das Know-how in der bestehen­den Beleg­schaft nicht vor­han­den ist, holt die Leu­te, die es betrifft, mit ins Boot, und zwar zum frü­hest­mög­li­chen Zeit­punkt, also beim Schrei­ben des Dreh­buchs, beim Ent­wi­ckeln eines neu­en Pro­dukts oder beim Pro­gram­mie­ren einer neu­en Inter­net­sei­te. Egal ob in Form von Bera­tungs­un­ter­neh­men, Selbst­ver­tre­tungs­ver­ei­nen oder Influencer:innen.

OT: Wie divers ist die inter­na­tio­na­le Medi­en­land­schaft? Gibt es Vorreiter?

Schaar: Ich stel­le immer wie­der fest, dass wich­ti­ge Impul­se aus dem eng­lisch­spra­chi­gen Raum kommen.

OT: Kön­nen Sie sich erklä­ren, warum?

Schaar: Ich habe eine Theo­rie. Ich glau­be, das Zusam­men­le­ben ist dort selbst­ver­ständ­li­cher. In Deutsch­land hin­ge­gen herr­schen nach wie vor bestimm­te Ste­reo­ty­pe über Men­schen mit Behin­de­run­gen vor. Wir leben in einer Leis­tungs­ge­sell­schaft, machen den Selbst­wert von der indi­vi­du­el­len Pro­duk­ti­vi­tät abhän­gig, und wer angeb­lich nichts bei­tra­gen kann, der hat es nicht oder weni­ger ver­dient, ein Teil die­ser Gesell­schaft zu sein. Die­ses Den­ken hat sich in der Nazi-Zeit mani­fes­tiert. Es wur­de damals ganz offen­siv kom­mu­ni­ziert, dass behin­der­te Men­schen das Erb­gut ver­un­rei­ni­gen wür­den und den Staat viel kos­ten. Des­we­gen müs­se man die­se Men­schen los­wer­den, sie wären „lebens­un­wert“. Ich glau­be, über die­se Pro­pa­gan­da wur­de uns eine Hal­tung nahe­ge­bracht, die wir nie wirk­lich auf­ge­ar­bei­tet haben. Das ist zumin­dest ein Erklärungsansatz.

Diver­si­tät mess­bar machen

OT: 2021 hat Net­flix begon­nen, eine Stu­die bezüg­lich Diver­si­tät auf­zu­set­zen. Gemein­sam mit der Inklu­si­ons­in­itia­ti­ve der Uni­ver­si­ty of Sou­thern Cali­for­nia (USC) Annen­berg unter­sucht der Strea­ming­an­bie­ter die in den USA in Auf­trag gege­be­nen Fil­me und Seri­en im Hin­blick auf meh­re­re Inklu­si­ons­maß­stä­be – dar­un­ter Geschlecht, eth­ni­sche Her­kunft, LGBTQI+ und Behin­de­rung. Net­flix hat sich dazu ver­pflich­tet, die Ergeb­nis­se bis 2026 alle zwei Jah­re zu ver­öf­fent­li­chen. Wie wich­tig sind sol­che Erhebungen?

Schaar: In die­sem Bereich pas­siert gera­de ganz viel und ich bin ein gro­ßer Fan davon, weil wir in der Ver­gan­gen­heit oft aus dem Bauch­ge­fühl her­aus agiert haben. Dabei ist ein daten­ba­sier­ter Ansatz wich­tig. Wir soll­ten Diver­si­tät und Inklu­si­on mess­bar machen. Das ist auch unter­neh­me­risch sinn­voll, weil wir so eine Wirk­sam­keits­mes­sung unse­rer bestehen­den Maß­nah­men eta­blie­ren und gleich­zei­tig Bedar­fe für neue Maß­nah­men erken­nen. Zudem gibt es neue regu­la­to­ri­sche Anfor­de­run­gen wie die EU-Richt­li­nie Cor­po­ra­te Sus­taina­bi­li­ty Report­ing Direc­ti­ve (CSRD), die Unter­neh­men dazu ver­pflich­tet, auch über nicht-finan­zi­el­le, öko­lo­gi­sche und sozia­le Nach­hal­tig­keits­da­ten zu berich­ten. Das begrü­ße ich sehr, weil durch die einheit­lichen KPIs (Key Per­for­mance Indi­ca­tors, dt. Schlüs­sel­kenn­zah­len, Anm. d. Red.), die dort abge­fragt wer­den, ein bran­chen­über­grei­fen­der Ver­gleich mög­lich wird. Damit macht die EU einen sehr gro­ßen Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung, die Wirt­schaft als Gan­zes nach­hal­ti­ger zu gestal­ten, und zwar auch sozial.

OT: Sie selbst haben eine Behin­de­rung. Fin­den Sie sich in der deut­schen Medi­en­land­schaft wie­der? Füh­len Sie sich repräsentiert?

Schaar: Ja. Weil ich ein wei­ßer, blon­der und blau­äu­gi­ger Cis-hete­ro-Dude bin (lacht, Anm. d. Red.). Und davon gibt es ver­dammt vie­le im Fern­se­hen. Was das The­ma Behin­de­rung angeht, fin­de ich mich und mei­ne Com­mu­ni­ty zu wenig reprä­sen­tiert. Das gilt grund­sätz­lich für unsicht­ba­re Merk­ma­le, also auch für psy­chi­sche und chro­ni­sche Erkrankungen.

OT: Schon Klei­nes kann Gro­ßes bewir­ken. Was kann jede:r noch heu­te direkt umset­zen, um die Welt ein biss­chen inklu­si­ver zu machen?

Schaar: Sich umschau­en, Men­schen, die behin­dert oder chro­nisch krank sind, mit ins Team holen. Ein­fach die Tür und das Herz auf­ma­chen. Das kann bedeu­ten, einer alten Frau über die Stra­ße zu hel­fen, aber eben auch, sich am Arbeits­platz zu fra­gen, ob behin­der­te Men­schen reprä­sen­tiert wer­den und ob die Pro­zes­se inklu­siv sind. Es hilft, wacher und sen­si­bler zu sein. Das, was es braucht, und das mer­ken wir immer wie­der: Man kann so vie­le Regeln und Geset­ze auf­stel­len, wie man möch­te. Dar­über wird kei­ne Ver­än­de­rung statt­fin­den. Ver­än­de­rung ent­steht, weil es ein­zel­ne Per­so­nen gibt, die Bock dar­auf haben, die eine posi­ti­ve Grund­hal­tung haben, neu­gie­rig sind und sagen: Lasst es uns mal aus­pro­bie­ren, was soll schon passieren?

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Zur Per­son
René Schaar wur­de 1992 gebo­ren, lebt in Ham­burg und ist gelern­ter Medi­en­ge­stal­ter Bild/Ton sowie zer­ti­fi­zier­ter Diver­si­ty Mana­ger. Aktu­ell lei­tet er stell­ver­tre­tend den Bereich Gleich­stel­lung und Diver­si­ty beim Nord­deut­schen Rund­funk (NDR). 2023 wur­de er mit dem Sena­tor-Neu­mann-Preis für Inklu­si­on aus­ge­zeich­net. Außer­dem erhielt er den Grim­me-Online-Award im Jahr 2020 für die Umset­zung des You­tube-For­mats „STRG_F“. Er enga­giert sich ehren­amt­lich als Wer­te­bot­schaf­ter bei der über­par­tei­li­chen Bildungs­initiative Ger­man-Dream und bei Ahoi e. V., einem Selbst­ver­tre­tungs­ver­ein behin­der­ter Menschen. 

 

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