„Eine Amputation sticht ins Auge, Skoliose lässt sich gut verstecken“, sagt Riedel, die sich in der Orthopädie-Werkstatt in Uganda neben Kinder-Orthetik insbesondere der Versorgung von Skoliose-Patient:innen widmete. Schwerpunktthemen, denen sie auch in Deutschland bei der Orthotechnik im Krankenhaus Rummelsberg nachgeht. Bereits im Vorfeld des fünfwöchigen Aufenthalts im vergangenen Herbst konnte sich Katharina Riedel auf einige offene Fälle vorbereiten. Dazu zählte auch ein 18-jähriger Medizinstudent. Seine gekrümmte Wirbelsäule war deutlich zu sehen, die Röntgenbilder bestätigten eine rechtskonvexe Thorakalskoliose. „Das habe ich genutzt und mit den Kollegen eine spontane kleine Schulung gemacht, ihnen gezeigt, wie sie Skoliosetypen anhand bestimmter Merkmale und Tricks erkennen können“, berichtet Riedel. Einen Gipsabdruck zu fertigen, stellte das Team vor eine Herausforderung. Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit hafteten die Binden nicht gut, der Trocknungsprozess nahm rund eine Woche in Anspruch. Doch selbst dann war der Gips nicht stabil genug, um ihn zu keilen und er sackte unter seiner Last ein. „In Deutschland sind so etwas Basics“, sagt Riedel. „Hier in Uganda waren das Probleme, über die denkt man vorher gar nicht nach.“ Die nächste Hürde: Wie kann das Negativ so ausgegossen werden, dass das Positiv später ohne passendes Absaugrohr tiefgezogen werden kann? „An kreativen Lösungen mangelt es in Uganda nie“, stellte Riedel mit Freude fest. Ausgegossen mit einem Abflussrohr in der Mitte, konnte sie den Gips auf ein stabiles Eisenrohr schieben und problemlos modellieren. Zum Tiefziehen bohrte das Team durch das Rohr und sorgte somit für die notwendigen Absauglöcher. „Das Ergebnis war ein schönes aus Polypropylen gezogenes Chêneau-Korsett.“
„Manchmal fehlen die einfachsten Dinge“
An diese „andere Arbeitswelt“ musste sich Katharina Riedel erst einmal gewöhnen. „Ich bin verwöhnt“, gibt sie zu und lacht. „In Deutschland modellieren wir mittlerweile viel mit gefrästen Schaummodellen. Die sind sehr leicht.“ In Uganda musste sie jedoch mit komplett hartem Gips zurechtkommen. „Da habe ich erst einmal geschnauft und gedacht: Am Ende der Modellage habe ich wahrscheinlich Muckis ohne Ende.“ Dass Materialien fehlen, gehörte für die 33-Jährige zu einer der größten Herausforderungen bei der Arbeit in Ostafrika. Und nicht immer reichten kreative Lösungen aus, um eine gute Versorgung zu gewährleisten. „Manchmal fehlen die einfachsten Dinge“, berichtet Riedel. „Zum Beispiel ein Schuh. Der Prothesenfuß ist ohne eben viel schneller ramponiert.“ Auch andere Gegebenheiten erschwerten die Arbeit: Riedel erinnert sich an einen Mann, um die 80 Jahre alt, der eine Versorgung benötigte. Doch die Frage war: Schafft er überhaupt den Transport? Kann er den bezahlen? Ist für ihn vielleicht eher eine Stütze sinnvoll und keine aufwendig gefertigte Orthese? Auch das sind Entscheidungen, die „Pro Uganda“ treffen muss. Trotz der Engpässe ist Riedel von der Ausstattung und Organisation, die der Verein in Uganda auf die Beine gestellt hat, beeindruckt – insbesondere im Hinblick auf vorherige Auslandsaufenthalte. „Man merkt, dass hier viel Arbeit hineingesteckt wird.“
Hinter vielen ihrer ugandischen Patient:innen liegen harte Schicksale. Riedel denkt an eine 85-jährige Frau zurück. Aufgrund eines Rattenbisses musste zunächst ihr Vorfuß amputiert werden, die gegenüberliegende Seite wurde ihr später in Folge eines schlimmen Verkehrsunfalls abgenommen. Nach einem Streit hielt ihr Mann ihr zudem beide Hände in die Glut. Die Frau habe in der Werkstatt lediglich um einen Rollstuhl gebeten, an eine Prothese wagte sie sich nicht mehr heran. Doch das Team konnte sie überzeugen. „Schon die ersten Laufversuche waren beeindruckend“, erzählt Riedel. „Sie verneigte sich und knickste aus Dankbarkeit.“ Und das war kein Einzelfall. „Es ist erstaunlich, wie leicht sich die Patienten oft an neue Hilfsmittel adaptieren“, sagt die OT-Meisterin. Warum, das kann Riedel nur vermuten. „Die Ugander müssen immer fit und aktiv sein.“ Nicht selten seien sie auf Hilfsmittel angewiesen, um zu überleben. „Ein Taxifahrer ohne Prothese bekommt kein Geld.“
Wissen nachhaltig weitergeben
Für Riedel war der Aufenthalt in Uganda ein Erfolg. Sie konnte nicht nur viele Patient:innen versorgen, sondern auch ihr Fachwissen während der Behandlungen und Schulungen an die Kolleg:innen vor Ort weitergeben. Noch könne dort keine Skolioseversorgung durchgeführt werden, doch das Team sei nun so weit geschult, dass es Krankheitsbilder einordnen kann und eine Idee davon hat, wie eine Versorgung aussehen könnte. Daran wird Katharina Riedel anknüpfen, wenn sie im Frühsommer erneut nach Uganda aufbricht. Für die 33-Jährige geht mit der Mitarbeit an dem langfristig angelegten Projekt ein Traum in Erfüllung: Gemäß dem Motto „Train the Trainers“ ist es das Ziel, die Dozent:innen an der Hochschule in der Hauptstadt Ugandas so gut zu unterrichten, dass sie das Wissen nachhaltig weitergeben können. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Andreas Rieppel wird Riedel einen Kurs über Chêneau-Korsetts durchführen. Riedel fiebert aber nicht nur der Arbeit entgegen, sondern auch der Lebensfreude und Herzlichkeit der Ugander. „Das Miteinander hier ist einfach toll“, betont sie. Kulinarische Genüsse wie frische Mango und Ananas sind ihr ebenso in Erinnerung geblieben wie das Spielen mit den Kindern oder zufällig entdeckte gemeinsame Leidenschaften mit Kolleg:innen. „Vor meinem Abschied haben wir einen Line-Dance-Abend veranstaltet und alle haben mitgemacht.“
Orthopädietechniker:innen, die mit dem Gedanken spielen, auch Freiwilligenarbeit im Ausland zu leisten, kann Katharina Riedel folgende Tipps mit auf den Weg geben: „Nehmen Sie so viele Erfahrungen mit wie möglich. Fahren Sie keine starre Linie, sondern seien Sie immer offen.“ Wichtig sei es, sich bereits im Vorfeld gut über die Lage zu informieren, um beurteilen zu können, wo genau Unterstützung und Schulungsbedarf benötigt werden. „So können wir nachhaltig viel bewirken.“
Pia Engelbrecht
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