Die Arthrose ist eine der häufigsten Erkrankungen am Skelettsystem. Etwa 15 Mio. Deutsche leiden jährlich unter den Folgen der Verschleißerkrankung, 9 Mio. sind dauerhafte Arthrose-Patienten. Dies entspricht etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Im Jahre 1999 verursachte die Verschleißerkrankung 10,5 Mrd. Euro direkte Behandlungskosten und 8,5 Mrd. Euro zusätzlich an indirekten Behandlungskosten. Nach den Bandscheibenerkrankungen ist sie die zweithäufigste Ursache für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Das Risiko für eine Arthrose ist bei Übergewichtigkeit besonders hoch. Setzt man das relative Risiko bei einem BMI unter 25 auf eins, so ist das relative Risiko bei einem BMI größer 27,5 um das 3,2‑Fache erhöht. Besonders hoch ist dieses Risiko bei Frauen.
Große Operationen hinauszuschieben und eine akzeptable Lebensqualität zu erreichen – das sind wesentliche Ziele der konservativen Therapie bei Patienten mit Gonarthrose (GA). Ärzten, die sich mit den verschiedenen orthopädietechnischen Hilfsmitteln gut auskennen, gelingt es, diese Ziele zu erreichen. Dabei versteht sich die Versorgung mit Hilfsmitteln als ein Baustein in der breiten Palette konservativer Behandlungsmöglichkeiten. Heute werden die meisten Versorgungen mit konfektionierten Prothesen durchgeführt, dennoch müssen verstärkt Individuallösungen vermittelt werden.
Die symptomatische orthopädietechnische Behandlung von GA-Patienten in frühen oder mittleren Stadien der Erkrankung verfolgt die Absicht, das Gelenk zu entlasten, zu führen und durch Kompression gegebenenfalls eine Ergussbildung zu vermeiden. Ein primäres Ziel ist es, die Last auf den Gelenkflächen während des Gangzyklus umzuverteilen.
Typischerweise ist das mediale Kniegelenkskompartiment häufiger als das laterale von der Arthrose betroffen. Dies resultiert unter anderem aus einem externen Varusmoment während der Standphase des Gangzyklus. Anatomisch steht der Femur bereits in einer Adduktionsstellung. Der Schwerpunkt der Gesamtkörpermasse liegt medial des Kniegelenks. Hinzu kommen adduzierende Momente, verursacht besonders durch die Adduktorenmuskulatur, deren Kraftwirkungen jene der Abduktoren überwiegen. Daher liegt die Wirklinie der Gelenkresultierenden nicht genau in der Mitte des Gelenks, sondern sie ist nach medial verschoben. 60 bis 80 Prozent der Gesamtbelastung durch das Körpergewicht wirken daher in der mittleren Standphase des normalen Gangzyklus über das mediale Kniegelenkskompartiment.
Kompression
Bei rezidivierenden Ergüssen und Synovialitiden hat sich die Verordnung von Kniebandagen bewährt. Es handelt sich meist um Strickgewebe aus elastischem Material, die die Kniegelenksregion flächig komprimieren. Viele Patienten melden als Rückkopplung einen verbesserten „Halt des Kniegelenks“. Dieser biomechanisch nicht zu erklärende Effekt ist durch eine flächige Stimulation der Propriozeption erklärbar. Eingebrachte Silikonpads, Silikonringe oder ähnliche Materialien verbessern die Führung der Kniescheibe. Kniebandagen aus Gestrickkombinationen mit dreidimensionalen querelastischen Gestricken verringern durch elastische Kompression die Ergussbildung. Sie wärmen etwas und geben den Patienten über die Propriozeption das Gefühl einer besseren Gelenkstabilität.
Eine Kontraindikation für die Versorgung stellen höhergradige venöse Insuffizienzen sowie alle Erkrankungen mit einer erhöhten Thromboseneigung dar. Geeignet sind sie vor allem bei Chondromalazien, besonders bei retropatellaren Knorpelschäden, dann allerdings ist ein entlastender Silikonring erforderlich. Weitere Indikationen sind Gonarthrosen ohne oder mit rezidivierenden Gelenkschwellungen, vor allem rezidivierende Synovialitiden und rheumatisch bedingte Arthritiden oder kniegelenknahe Tendomyopathien. Schmerzen, Steifigkeitsgefühl und die physikalische Funktion des Kniegelenks lassen sich subjektiv verbessern. Kniebandagen mit eingearbeiteten seitlichen Führungsgelenken wirken bei unikompartimentellen Arthrosen allenfalls gering stabilisierend und entlastend. Die Fixation der Komponenten im elastischen Gewebe mit ungenauer und wechselnder Lokalisation am Gelenk schränkt den Effekt zusätzlich ein.
Zur Verbesserung der Propriozeption liegen einige Studien vor. Jerosch untersuchte 1997 [1] die Propriozeption bei Patienten mit retropatellarem Knieschmerz und konnte eine bessere sensomotorische Kontrolle der Bewegung durch das Tragen einer elastischen Kniebandage nachweisen.
Auf Patellarsehnenbandagen mit vorderer Pelotte reagieren erfahrungsgemäß einige Patienten mit vorderen Knieschmerzen oder mit Ansatztendinosen des Ligamentum patellae sehr positiv. Probleme können durch einen schmerzhaften Druck an der Patellaspitze oder dorsale Strangulation entstehen. Daher ist auf die richtige Positionierung der Bandage zu achten. Am ehesten sind Patellarsehnenbandagen bei jungen Patienten mit sportlichen Ambitionen angezeigt.
Stabilisierung, Führung und Entlastung
Im Zuge hin zur Entwicklung einer medialen GA wird die progrediente Knorpeldegeneration zunehmend von einer Beugekontraktur im Kniegelenk begleitet. Dies verstärkt wiederum die Belastung, besonders am medialdorsalen Tibiaplateau. Der Teufelskreis aus fortschreitender Degeneration und Fehlhaltung ist in Gang gesetzt.
Mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln soll nun die Gelenkkraftresultierende vom geschädigten auf das noch intakte Kompartiment verlagert werden, um die Schmerzen zu reduzieren und das Fortschreiten der Arthrose zu verlangsamen.
Darüber hinaus sind aber noch weitere Ziele anzustreben:
- Das kranke Gelenk muss mechanisch stabilisiert werden.
- Bewegungen sollen geführt ablaufen.
- Überlastete Gelenkanteile sind zu entlasten.
- Die gelenkführende Muskulatur soll stimuliert und die Propriozeption gefördert werden.
Zu erreichen ist dies mit Orthesen, Schuhzurichtungen und/oder Gehhilfen. Bei den Orthesen lassen sich wesentliche Konzepte unterscheiden:
- Orthesen (meist Hartrahmenorthesen), die bei bestehenden Instabilitäten äußere Krafteinwirkungen neutralisieren sollen;
- Gonarthroseorthesen, die nach dem Drei-Punkt-Prinzip ein Varus- oder Valgusmoment auf das Kniegelenk ausüben, um das jeweils geschädigte Kompartiment zu entlasten.
Allerdings ist dabei die ausgesprochen komplexe Biomechanik des Kniegelenks mit seinem Rollgleitmechanismus zu berücksichtigen, die selbst mit polyzentrischen Gelenkkonstruktionen der Orthesen kaum zu imitieren ist. Zudem ist bei degenerativen Schäden sowohl das Rollgleitverhalten als auch die propriozeptive Steuerung gestört.
Ein weiteres wesentliches Problem ist das Verrutschen von Knieorthesen, wenn sie unzureichend an den Weichteilmantel angepasst sind. Dann muss ständig rejustiert und refixiert werden. Es ist daher unabdingbar, dass der Patient bereits im Vorfeld der Versorgung mit einer Orthese genau über deren Sinn und exakte Positionierung unterrichtet wird.
Hersteller von Orthesen bieten zunehmend Konstruktionen mit elastischem Gestrick an, die flächig und bequem am Kniegelenk sitzen und weniger verrutschen. Bei Hartrahmenorthesen werden darunter gelegte textile Materialien als „Stopper“ benutzt. Beim einzelnen Patienten ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Orthese an keiner Stelle scheuert und in der Kniekehle keine Strangulation stattfindet. Letzteres könnte gerade bei den älteren Patienten die Thrombosegefahr steigern. Die Passform von Orthesen ist also von erheblicher Bedeutung.
Hartrahmenorthesen (Supported Knee Braces) kommen vor allem bei Kreuzband‑, Varus- oder Valgusinstabilitäten in Betracht. In der postoperativen Rehabilitation entfalten sie im Vergleich zu klassischen Gonarthroseorthesen weniger Wirkung auf die Schmerzsymptomatik. Konfektionierte Hartrahmenorthesen werden oft in sehr kurzen Versionen angeboten, weil sie den Patienten weniger beeinträchtigen. Das reduziert jedoch auch die Hebelarme und limitiert somit die biomechanische Wirkung.
Gonarthroseorthesen arbeiten nach dem Drei-Punkt-Prinzip und können entweder varisierende oder valgisierende Effekte auf die Tragachse des Kniegelenkes ausüben. Auch bei den Gonarthroseorthesen mit Dreipunkt-Rahmenkonstruktionen und einstellbaren Winkelpositionen erweisen sich kurze Hebelarme teilweise als problematisch. Es sind aber Langversionen erhältlich, die biomechanisch sinnvoller erscheinen.
Verschiedene klinische Studien mit Ganganalysen haben gezeigt, dass Kniegelenksorthesen bei unikompartimenteller Gonarthrose sowohl die subjektive Stabilität erhöhen als auch deutlich die Beschwerden und damit den Schmerzmittelverbrauch reduzieren können.
Komistek [2] wies in einer Studie mit Kontrastmitteldurchleuchtung nach, dass bei Normalgewichtigen durch das Tragen einer Knieorthese eine Entlastung des Gelenksspalts möglich ist.
Minnich [3] zeigte in einer Ganganalysestudie bei Patienten mit Osteoarthrose und getragener Orthese über zehn Wochen eine erkennbare Verbesserung des Gangbildes und eine subjektive Schmerzreduktion im Lequesne-Score.
Nadaud [4] untersuchte Patienten mit einer Gonarthrose mit und ohne Orthese unter Durchleuchtung und auf dem Laufband. Er führte auch dreidimensionale Rekonstruktionen mittels Computertomographie durch. Dabei konnte er nachweisen, dass Entlastungsprothesen wirksam sind und maximale Wirkung bei eher normalgewichtigen Patienten mit einem normal ausgeprägten Weichteilmantel erzielen. In seiner Untersuchung zeigte er deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten fünf Prothesentypen auf.
In einem Cochrane-Review aus dem Jahre 2005 [5] wurde eine randomisierte Studie über sechs Monate beschrieben, bei der Arthrose-Patienten mit einer valgisierenden Orthese gegen eine Bandagengruppe verglichen wurden. Es konnte eine subjektive Verbesserung des Befindens, der Schmerzen und der Funktion auch in Scores (WOMAC, MACTAR) nachgewiesen werden.
Kutzner [6] untersuchte die Effekte eines valgisierenden Braces auf die Arthrose. Hierbei führte er Kraftmessungen an Patienten durch, die mit einem speziellen Knieimplantat versorgt worden waren, das mit Sensoren bestückt war (Zimmer-Knie-TEP). Er untersuchte zwei Orthesen in Neutralposition, 4° und 8° Valgusposition, im Gehen und beim Treppenheraufsteigen bzw. herabsteigen. Dabei konnte er eine deutliche Verminderung der innenseitigen Gelenkskräfte durch die Orthesen nachweisen.
Als Fazit kann man festhalten, dass Gonarthroseorthesen bei einseitigem Gelenksverschleiß mit Instabilität indiziert sind. Sie vermindern die Beschwerden, reduzieren die Schmerzmitteleinnahme, und können die Mobilität und damit auch die Lebensqualität der Patienten verbessern, aber sie beeinflussen die zu Grunde liegende Erkrankung nicht in ihrer Progredienz.
Schuhzurichtungen
Schuhzurichtungen dämpfen den Auftritt beim Gehen durch Absatzzurichtungen und entlasten das erkrankte Kniegelenkskompartiment durch Innen- oder Außenranderhöhungen am Schuh.
Die Kostenübernahme für Pufferabsätze lehnen einige Krankenkassen gern mit dem Hinweis ab, das „biologische System“ dämpfe besser als solche Absätze oder Dämpfungselemente. Das gilt jedoch für Gesunde oder für Sportler. Bei einem gestörten und nicht mehr oder nur noch eingeschränkt funktionsfähigen biologischen System sind Pufferabsätze sicher geeignet, um die proximalen Gelenke zu entlasten. Der Evidenzgrad für diese Empfehlung ist allerdings in der Tat gering.
Schuhinnen- oder Schuhaußenranderhöhungen müssen immer sowohl an der Sohle als auch am Absatz erfolgen. Die isolierte Erhöhung zieht eine Torsion des Schuhs und damit verstärkten Verschleiß nach sich. Bei medial betonter Gonarthrose erfolgt die Außenranderhöhung, die Innenranderhöhung bei Valgusarthrose. Erfahrungsgemäß empfinden Patienten bereits Erhöhungen von 0,5 cm als zu hoch. Man kann sich mit 0,3 cm einschleichen und gegebenenfalls auf 0,4 cm erhöhen. Die Zurichtungen werden individuell an die Sohle angepasst.
Für die Außenranderhöhungen bei medial betonter GA ist die Studienlage nicht komplett einheitlich. Es existieren Studien, die keinen signifikanten Effekt einer Außenranderhöhung bei der Gonarthrose zeigen [7, 8, 9]. Es gibt allerdings eine deutlich höhere Zahl an Studien, die eine klare Reduktion des Schmerzmittelverbrauchs sowie verminderte Druckspitzen im medialen Kompartiment belegen [10, 11, 12].
In einem Cochrane-Review aus dem Jahre 2007 [13] wurden für Außenranderhöhungen positive Effekte bei medialer Gonarthrose in vier Studien beschrieben, davon ist eine qualitativ hochwertig. In der Zusammenfassung wurde festgestellt, dass „limited evidence“ für die Wirksamkeit von Schuhzurichtungen besteht.
In einer prospektiv blockrandomisierten Studie aus 2009 durch Barrios [14] wurden 66 Patienten mit medialer Gonarthrose untersucht. Es konnte eine deutliche Befindlichkeitsverbesserung und eine Verbesserung der Fähigkeit nachgewiesen werden, Schmerzen und Steifigkeitsgefühl reduzierten sich und die Ergebnisse in Scores (WOMAC, 6‑min. Walk-Test) verbesserten sich ebenfalls.
Auch Rodriguez [15] konnte in einer randomisierten Studie an 30 Frauen einen hoch signifikanten Effekt in der Schmerzreduktion, Bewegungs- und Funktionsverbesserung aufzeigen. Bei fortgeschrittenen Verschleißerscheinungen scheint eine alleinige Außenranderhöhung allerdings nicht ausreichend zu sein.
Segal [16] wies in einem randomisierten Design nach, dass bei höhergradiger symptomatischer Gonarthrose die Versorgung mit einer knöchelübergreifenden zusätzlichen Lösung (Orthese) bessere Ergebnisse in der Schmerzreduktion und der Verbesserung von Alltagsaktivitäten ergab.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass bei der Gonarthrose insbesondere Außenranderhöhungen bei der medialen Gonarthrose wirksam sind. Das Knievarusmoment beim Laufen nimmt deutlich ab, wie Ganganalysen ergeben haben. Es kann aber kein nachweisbarer Effekt auf die Arthroseentwicklung festgestellt werden. Demnach muss man Schuhzurichtungen als rein symptomatische Behandlung zur Schmerzlinderung bezeichnen, die die Mobilität der Patienten verbessern soll.
Gehhilfen
Gehhilfen sind ebenfalls wichtige Hilfsmittel bei unikompartimenteller Arthrose, denn sie erhalten die Mobilität der Patienten trotz der bestehenden Symptomatik. Gehstöcke oder Unterarmgehstützen werden meist einseitig genutzt, um die untere Extremität auf der Gegenseite der hauptbetroffenen Seite zu entlasten. Zu beachten ist dabei, dass die Patienten meist an einer Polyarthrose auch an den oberen Extremitäten leiden. Spezielles Augenmerk sollte dem Daumensattelgelenk gelten, das durch gepolsterte und/oder anatomisch geformte Griffe geschützt respektive entlastet werden kann.
Fazit
Der Gonarthrose liegt ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Die Verordnung orthopädietechnischer Hilfsmittel gilt als rein symptomatische Therapie, die im besten Fall die Progression der Erkrankung verlangsamt und im Einzelfall Operationen vermeidbar macht oder zumindest verzögern kann. Dies sind erstrebenswerte Behandlungsziele. Sie können mit einer differenzierten Auswahl der Hilfsmittel in Kombination mit adäquater Aufklärung und Schulung der Patienten erreicht werden.
Der Autor:
Prof. Dr. Bernhard Greitemann
Rehaklinikum Bad Rothenfelde
Klinik Münsterland
Auf der Stöwwe 11
49214 Bad Rothenfelde
greitemann@klinik-muensterland.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Greitemann B. Orthopädietechnische Versorgung in der konservativen Behandlung der Gonarthrose. Orthopädie Technik, 2013; 64 (4): 20–22
Literatur beim Verfasser
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024