Vertreter:innen aus Medizin, Politik, Hilfsmittelversorgung, Rettungsdienst und Forschung sowie der Verwaltung tauschten sich im Sanaa Gebäude auf Zeche Zollverein aus und verrieten dabei einiges Neues.
Das Programm des Zukunftstages bestand aus drei Teilen. Zunächst gab es auf der Hauptbühne ein gemeinsames Programm für alle Teilnehmenden, ehe sich die Anwesenden nach der Mittagspause auf die vier Bereiche Pflege, Heilmittel, Transport- und Rettungsdienste sowie Hilfsmittel aufteilten. Abschließend gab es noch einmal ein gemeinsames Programm, bei dem vor allem das Thema Cybersicherheit im Gesundheitswesen im Mittelpunkt stand.
„Es geht auch wieder abwärts!“
Emotionaler Höhepunkt war das Gespräch zwischen Prof. Dr. Thomas Druyen, Geschäftsführer der Opta-Data-Zukunftsstiftung, und Samuel Koch. Der Schauspieler und Redner, der seit seinem Unfall während der Livesendung von „Wetten, dass…“ im Jahr 2010 Tetraplegiker ist, gab Einblicke in seine Gedanken- und Lebenswelt. Dabei fielen Sätze wie „Ratschläge können auch Schläge sein“ oder „Keine Sorge, es geht auch wieder abwärts“. Letztere Aussage war ein Gedanke, der Koch kam, als ein anderer Patient ihn als Inspiration für seinen eigenen Weg auserkoren hatte. Es zeigt, dass Kochs Geschichte keine Heldengeschichte ist, die nur den Weg nach oben kennt, sondern auch Täler durchschreitet. Während des Gesprächs nahmen Druyen und Koch einige Themen in den Fokus, beispielsweise, wie wichtig eine interdisziplinäre und schnelle Versorgung ist und dass man sein Leben lang auf Pflegepersonal angewiesen ist.
Apropos Pflegepersonal: In der anschließenden Podiumsdiskussion mit den beiden Opta-Data-Geschäftsführern Andreas Fischer und Mark Steinbach sowie Christina Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, kam das Thema Vergütung von Pflegepersonal zur Sprache. Dabei überraschte Druyen mit der Aussage, dass die Bezahlung nicht die primäre Stellschraube sei, um mehr Pflegepersonal zu bekommen. Koch hielt – ehrlich und offen – dagegen: „Ich weiß, dass die Pfleger in meinem Team zu wenig Geld für das, was sie tun, bekommen.“
Antreiber der Digitalisierung
„Wir treiben mit unserem Fach seit Jahren die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran“, erklärte Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), in seinem Vortrag. Scannen, Modellieren oder Drucken – digitale Werkzeuge gehören längst in jede orthopädietechnische Werkstatt. Täglich kommen neue Tools hinzu. Nur die Prozesse mit den Kostenträgern sind noch geprägt von Formularen in Papierform.
„Wir werden dank des demografischen Wandels mehr Menschen mit chronischen und komplexen Krankheitsbildern denn je versorgen müssen. Wir brauchen also mehr Fachleute, die hervorragend ausgebildet sind. Gleichzeitig sind die Kostenträger finanziell stark unter Druck“, konstatierte Alf Reuter. Auf die Gesellschaft käme eine schier unlösbare Aufgabe zu. „Trotzdem leisten wir uns in dieser Lage eine Bürokratie, die Berge an Papier erzeugt, den Hilfsmittelversorgern die Zeit am Patienten nimmt, den Fachkräftemangel verstärkt und komplette Intransparenz im System schafft“, bemängelte der BIV-OT-Präsident. Auf der Agenda des Spitzenverbandes des Handwerks steht daher auf allen Ebenen: „Wir müssen Prozesse wieder darauf zurückführen, was ihr Sinn und Zweck ist: Das Leben von Menschen mit Mobilitätseinschränkung verbessern und Teilhabe zu sichern – qualitätsgesichert, schnell, transparent und wirtschaftlich“, forderte Alf Reuter. Das beginnt mit der Standardisierung der mehr als 1.000 Verträge, der Verwaltung der mehr als 380.000 Beitritte, der Digitalisierung der E‑Verordnung inklusive der abrechnungsbegleitenden Unterlagen über die Vereinheitlichung der Erhebungsbögen und Vereinfachung der Abrechnung. „Das alles muss mit dem Gebot der Therapiefreiheit des Arztes und dem freien Wahlrecht des Patienten und dem Recht auf eine wohnortnahe Regelversorgung nach Stand der Technik verknüpft sein“, so der BIV-OT-Präsident abschließend.
Dies bestätigte auch Kirsten Abel, Sprecherin des Präsidiums des BIV-OT, die zum Zukunftstag das 2021 begonnene Pilotprojekt „E‑Verordnung für orthopädische Hilfsmittel“ unter der Leitung des BIV-OT vorstellte. Es ist Teil des Pilotprojektes E‑Verordnung für Hilfsmittel, das 2021 auf Initiative der Gesundheitshandwerke aufgesetzt wurde.
„Unser Ziel ist es, einen Gesamtprozess für die elektronische Verordnung der orthopädischen Hilfsmittelversorgung zu gestalten und zu erproben. Stufenweise optimieren wir den Prozess für alle Nutzer der E‑Verordnung – Ärzte, Sanitätshäuser, Patienten und Kostenträger“, erläuterte Kirsten Abel. „Die Schnittstellen werden transparent gestaltet und das Pilotprojekt wettbewerbsneutral an der Infrastruktur und den Schnittstellen der Gematik ausgerichtet. Zudem ist jegliche Patientenlenkung über die E‑Verordnung für orthopädische Hilfsmittel ausgeschlossen.“ Derzeit befindet sich das ehemalige Rezept-Muster 16 für Orthopädie(schuh)technik in einer ersten Testphase, in der bereits der Prozess einer digitalen Verordnung von orthopädischen Hilfsmitteln durchgespielt wird.
Markus Jochem aus dem Versorgungsmanagement der Techniker Krankenkasse stellte in Essen das zweite – von Kostenträgern initiierte Projekt zur E‑Verordnung unter dem Namen „eGesundheit“ vor. Die zwei Projekte unterscheiden sich in einigen Punkten, doch Jochem bot an, dass beide Seiten Gespräche führen sollten, beziehungsweise, dass bereits ein Austausch stattfindet. „Ich nehme Ihre Hand, die Sie uns reichen, an“, erklärte daraufhin Jens Sellhorn, Geschäftsführer von Rehavital. Er stellte, ebenso wie Ulf Doster für Sanitätshaus Aktuell, die umfangreichen Digitalisierungsbemühungen der Verbundgruppe vor und erklärte, welche Projekte sich bereits jetzt in der Umsetzung befinden.
„Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen und die dynamischen Veränderungen, die unseren Markt prägen, ist es für uns unerlässlich, im Austausch mit allen wichtigen Vertreter:innen im System zu bleiben und vor allem die Gesundheitsfachberufe unterstützend zu begleiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir gesundheitspolitische Maßnahmen sektorübergreifend planen. Die Digitalisierung eröffnet die Möglichkeit, eine funktionale Verflechtung der verschiedenen Leistungserbringer zu schaffen – von Ärztinnen und Ärzten bis hin zu den zahlreichen gesundheitsfachberuflichen Berufsgruppen –, für mehr Effizienz und eine bessere Versorgung der Patient:innen“, zog Mark Steinbach sein Fazit zum Zukunftstag.
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