Nach­ruf: Sepp Heim: 1934 – 2019

Am 23. April verstarb Sepp Heim im Alter von 84 Jahren. Aus diesem Anlass ehren drei seiner langjährigen Weggefährten den ehemaligen Leiter der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) und der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO) in einem persönlichen Nachruf.

Sepp Heim wur­de am 24. April 1934 in die bestehen­de, ers­te Gene­ra­ti­on der deut­schen Ortho­pä­die­tech­ni­ker Fami­lie Heim gebo­ren. Hier­durch ent­stand eine frü­he per­sön­li­che und inten­si­ve Ver­bin­dung zur Ortho­pä­die-Tech­nik. Schon in Sepps jün­ge­ren Jah­ren ver­ging kein Tag, an dem Infor­ma­tio­nen, Erfah­run­gen, Ereig­nis­se und wich­ti­ge Kon­tak­te zu den Akteu­ren der Ortho­pä­die-Tech­nik ent­stan­den. Spä­ter traf dies auch auf der Ebe­ne der Kon­sul­ta­ti­on der deut­schen und ande­rer glo­ba­ler Regie­run­gen und inter­na­tio­na­ler Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen zu – ins­be­son­de­re bei der Ent­wick­lung von Pro­gram­men für die all­ge­mei­ne und fach­li­che Bil­dung, Fort­bil­dung und prak­ti­sche Aus­bil­dung in der Ortho­pä­die-Tech­nik. Kein ande­rer hat­te das Ver­trau­en und erhielt die Ver­ant­wor­tung und die Mit­tel, um welt­weit so vie­le OT-Schu­len in Län­dern mit drin­gen­dem Bedarf an ortho­pä­die-tech­ni­scher Ver­sor­gung ins Leben zu rufen.

Anzei­ge

eben der OT-Kon­ti­nui­tät inner­halb der Fami­lie (auch die nächs­te Gene­ra­ti­on ist wie­der in das Hand­werk invol­viert), kann­te Sepp vie­le Ein­zel­per­so­nen in sei­nem Leben, die ihn jeweils ein Stück auf einem Weg beglei­te­ten. Per­so­nen, die die glei­chen Zie­le mit ähn­li­chen Mit­teln verfolgten.

Alle Mei­nun­gen waren ihm will­kom­men. Sowohl über­ein­stim­men­de Mei­nun­gen für das sofor­ti­ge, gemein­sa­me „Auf­rol­len der Hemds­är­mel“, als auch anders fokus­sier­te Posi­tio­nen für die aus­führ­li­che Dis­kus­si­on auf der Suche nach der Wahr­heit. Immer in Tole­ranz gegen­über der Viel­falt von Mei­nun­gen und Erfah­run­gen der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner. Sepp Heim ver­stand sich selbst und sein Gegen­über stets als Gewin­ner einer Fach­dis­kus­si­on, ganz gleich ob er Zustim­mung fand oder Unter­schie­de bestehen blieben.

Sepp Heims enor­mer Arbeits­ei­fer und die Ergeb­nis­se der Ent­wick­lung und Eta­blie­rung von Aus­bil­dung und OT-Ver­sor­gung in wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lungs­län­dern wer­den immer in Erin­ne­rung blei­ben. Unter ande­rem war Sepp Heim für eine Pha­se sei­nes Lebens – im Auf­trag der Bun­des­re­gie­rung – der Grün­dungs­lei­ter des Tan­z­a­nia Trai­ning Cen­ters für Ortho­pä­die-Tech­nik (TATCOT). Sein Enga­ge­ment lös­te nicht nur das Bewusst­sein der Bun­des­re­gie­rung für die Not­wen­dig­keit der Instal­la­ti­on von OT-Werk­stät­ten und Ver­sor­gungs­zen­tren aus, son­dern auch die Inte­gra­ti­on sol­cher Diens­te durch poli­ti­sche Ent­schei­dungs­pro­zes­se in vie­len inter­na­tio­na­len Gesund­heits­sys­te­men, die vor­her mit dem Begriff Ortho­pä­die-Tech­nik fast nichts anzu­fan­gen wussten.

Wir drei hat­ten die Ehre sehr eng mit Sepp Heim, zum Teil über Jahr­zehn­te, an der inter­na­tio­na­len Ent­wick­lung der P&O‑Ausbildung und Berufs­po­li­tik auf zahl­rei­chen Kon­ti­nen­ten und Län­dern zusam­men­ge­ar­bei­tet zu haben.

Unse­re Erin­ne­rung an Sepp Heim

Sepp war ein „Anfüh­rer“, der selbst (lei­se) geführt wer­den woll­te, ein Leh­rer, der auch ler­nen konn­te und woll­te, ein Vor­bild mit eige­nen Vor­bil­dern, ein Sti­mu­la­tor, der sich leicht selbst begeis­tern konn­te und ande­re mit auf den Weg nahm – ein Kri­ti­ker und Wert­schöp­fer. Er war ein Quell neu­er Ideen, eine krea­ti­ve Per­son, die in einem Monat mehr funk­tio­na­le Ideen ent­wi­ckeln konn­te als ande­re in einem Jahr. Kurz gesagt: Sepp war ein star­ker Füh­rer, aber kei­nes­wegs eine ein­fa­che oder völ­lig feh­ler­lo­se Per­sön­lich­keit. Das hät­te er auch nie für sich bean­sprucht. Sein Mot­to lau­te­te im Gegen­teil: „Nur wer nichts tut, macht kei­ne Feh­ler.” Und nichts zu tun war ihm unvorstellbar.

Sein Lebens­werk, die Aus­bil­dung von Ortho­pä­die-Tech­ni­kern, war in Sepps eige­ner Vor­stel­lungs­kraft eine unend­li­che (posi­ti­ve) Her­aus­for­de­rung und die Früch­te sei­ner glo­ba­len Arbeit deu­ten dar­auf hin, dass er vie­les auf den Weg gebracht hat. Sei­ne Arbeit hat ortho­pä­die­tech­ni­schen Ent­wick­lungs-Still­stand in zahl­rei­chen Län­dern in fort­schritt­li­che Bewe­gung ver­setzt. Die­se wird nun von jeder neu­en Gene­ra­ti­on jun­ger Ortho­pä­die-Tech­ni­ker auf zahl­rei­chen Kon­ti­nen­ten kon­ti­nu­ier­lich fortgesetzt.

Sepp war eine Per­sön­lich­keit und ein Mann, der die Stär­ke sei­ner fach­li­chen Kon­tra­hen­ten rich­tig ein­schät­zen konn­te und kei­ne Angst vor einer inhalt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung kann­te. Eben­so war er jemand, der die spe­zi­fi­schen Stär­ken sei­ner Mit­ar­bei­ter erkann­te und als Füh­rungs­kraft zum Nut­zen eines jeden Pro­jekts maxi­mal ein­zu­set­zen wuss­te. Unter vie­len sei­ner Stu­den­ten ist noch heu­te als „Papa Heim“ bekannt.

Wie­land Kaphingst: Dipl.-Ing; BMT; OMM; CPO; inter­na­tio­na­ler Fach­leh­rer für Ortho­pä­die-Tech­nik (u. a. Tan­sa­nia); Ehe­ma­li­ger Lei­ter der BUFA; seit 1994 in den USA tätig in füh­ren­den Positionen.

 Wil­fried Raab: OMM; inter­na­tio­na­ler Fach­leh­rer für Ortho­pä­die-Tech­nik; ver­ant­wort­li­cher, lei­ten­der Pro­jekt­ma­na­ger in zahl­rei­chen glo­ba­len Ortho­pä­die-Tech­nik Pro­jek­ten der GTZ; Leh­rer und Koor­di­na­tor am TATCOT und der TUMAI­NI-Uni­ver­si­tät in Moshi, Tansania.

 Harold G. Shanga­li: M.Sc.; OMM; ehe­ma­li­ger Lei­ter des TATCOT, von 2004 bis 2007 Vor­sit­zen­der der ISPO, von 2012 bis 2019 Dekan der Fakul­tät für Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin am KCMU Col­lege Tansania.

Vita (Aus­zug)

Sepp Heim begann in frü­hen Jah­ren sei­nes Wir­kens mit der „Garan­tie- und Abwick­lungs­ge­sell­schaft“ (GAWI), der Vor­läu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung sowie der heu­ti­gen Gesell­schaft für Inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit (GIZ) sei­ne Tätig­keit als OT-Exper­te in Tune­si­en. Die damals haupt­säch­lich in armen Län­dern herr­schen­de Poli­o­epi­de­mie ver­ur­sach­te vie­le Fol­ge­er­schei­nun­gen nach der Akut­pha­se, die ortho­pä­die­tech­nisch ver­sorgt wer­den muss­ten. Als Exper­te am Cent­re d’Appareillage Ksar Said leis­te­te Heim in engs­ter Zusam­men­ar­beit mit dem füh­ren­den tune­si­schen Ortho­pä­den, Prof. Moha­med Tai­eb Kas­sab, Erst­ver­sor­gun­gen für betrof­fe­ne Kin­der. In die­sem Zusam­men­hang wur­de ihm der Man­gel an ein­hei­mi­schen Ortho­pä­die­fach­kräf­ten deut­lich. Sepp Heim gestal­te­te dar­auf­hin in der Haupt­stadt Tunis die ers­te struk­tu­rier­te Aus­bil­dung nach deut­schem Vor­bild. In enger Zusam­men­ar­beit mit der BUFA wur­den die von ihm in Tune­si­en aus­ge­bil­de­ten Ortho­pä­die­tech­ni­ker in Deutsch­land zum Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter weitergebildet.

Durch den gro­ßen Erfolg sei­ner Akti­vi­tä­ten in Tune­si­en ver­schaff­te sich Heim in der Fach­ab­tei­lung Gesund­heit der dama­li­gen GIZ nach­hal­tig Gehör und Inter­es­se, die inter­na­tio­na­le Berufs­bil­dung mit Bun­des­mit­teln der Ent­wick­lungs­hil­fe zu för­dern. Sepp Heim war pla­ne­risch, häu­fig sogar aktiv, betei­ligt an GIZ-Pro­jek­ten in Guya­na, Tune­si­en, Ägyp­ten, Jor­da­ni­en, Togo, Alge­ri­en, Tan­sa­nia, Zai­re (DR Kon­go), Tür­kei, Paki­stan, Arme­ni­en, Kasach­stan, Marok­ko, Chi­na, Viet­nam und El Sal­va­dor. Von 1974 bis 1978 lei­te­te er z. B. den Auf­bau des Natio­na­len Aus­bil­dungs­zen­trums für Ortho­pä­die­tech­nik CNAO in Lome, Togo. Nach einer Zwi­schen­pha­se in der GTZ-Zen­tra­le, die er nutz­te, um Fort­bil­dungs­se­mi­na­re in vie­len Ent­wick­lungs­län­dern zu orga­ni­sie­ren und durch­zu­füh­ren, führ­te ihn sein Weg von 1981 bis 1986 nach Moshi, Tan­sa­nia. Dort bau­te er zusam­men mit Wie­land Kaphingst, Wil­fried Raab und Harold G. Shanga­li für die GTZ das TATCOT auf. Unter Heims Lei­tung wur­de die Deut­sche Hand­werks­aus­bil­dung uni­ver­si­tär ver­knüpft und die Uni­ver­si­tät ver­gab an die Absol­ven­ten ein Diplom für Orthopädie-Technik.

Nach Been­di­gung sei­ner Pro­jekt­tä­tig­keit in Tan­sa­nia und der Über­ga­be der Lei­tung des Zen­trums an Shanga­li kehr­te er nach Deutsch­land zurück und über­nahm von 1987 bis 1989 die Lei­tung der BUFA. Wäh­rend die­ser Zeit grün­de­te er 1988 die Abtei­lung „BUFA-Con­sul­ting“, 1994 in die E&Z‑Abteilung (Ent­wick­lung und Zusam­men­ar­beit) umbenannt.

Sepp Heims Ver­bin­dung zur Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit führ­te ihn zu sei­nem größ­ten Pro­jekt im Aus­land, die Errich­tung des Chi­na Trai­ning Cent­re for Ortho­pä­dic Tech­no­lo­gists in Wuhan, Chi­na, das er von 1993 – 1996 von Beginn an plan­te und gestal­te­te. Für sei­ne erfolg­rei­che Arbeit bekam er vom zustän­di­gen chi­ne­si­schen Minis­te­ri­um die sel­te­ne Aus­zeich­nung des „Gol­de­nen Büf­fels” ver­lie­hen. Heim war 1996 der ers­te Aus­län­der, der die­se Ehrung erhielt.

Wei­te­re Aus­zeich­nun­gen waren das Bun­des­ver­dienst­kreuz am Ban­de und eine Ehrung vom Arbeits­mi­nis­te­ri­um in Hanoi, Viet­nam, für sei­ne Grün­dungs­ar­beit für das Viet­na­me­se Trai­ning Cent­re for Ortho­pae­dic Tech­no­lo­gists (VIETCOT).

1996 ging Sepp Heim zwar offi­zi­ell in den Ruhe­stand, betä­tig­te sich aber wei­ter­hin in der Berufs­bil­dung. Unter ande­rem in füh­ren­den­der Posi­ti­on bei der ISPO Inter­na­tio­nal, der er von 2001 bis 2004 als Prä­si­dent vor­stand. Dar­über hin­aus grün­de­te er sei­ne pri­va­te Bera­tungs­fir­ma OTC in sei­ner Hei­mat­stadt Öhn­in­gen am Boden­see in Deutschland.

In den letz­ten Jah­ren sei­nes Lebens beschäf­tig­te sich Heim sehr inten­siv mit der Ent­wick­lung neu­er Lehr­me­tho­den für die Qua­li­fi­zie­rung zum Ortho­pä­die­tech­ni­ker. Er wur­de in den ISPO-Auf­sichts­rat von „Human Stu­dy” gewählt, um ein „Blen­ded Lear­ning Pro­gram” für die von der ISPO in Kate­go­rien ein­ge­stuf­te Aus­bil­dungs­qua­li­fi­ka­ti­on zu gestalten.

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