Mit­ma­chen statt zuse­hen beim Girls’Day und Boys’Day

Derzeit liegen mehrere Bewerbungen für den Ausbildungsstart 2023 auf Hans Brauners Tisch. Bei einem der Namen klingelt es: Die junge Frau hatte bereits vor vier Jahren im Rahmen des Girls’Day OT-Luft in Heidelberg geschnuppert. Anscheinend so gute, dass sie hier nun ihre berufliche Zukunft sieht. „Einfach machen, es lohnt sich“, ruft Brauner alle Betriebe dazu auf, sich am bundesweiten Aktionstag am 27. April zu beteiligen.

Als Werk­statt­lei­ter und Aus­bil­der beim Hei­del­ber­ger Gesund­heits­un­ter­neh­men Advi­va zeich­net er für die Betreu­ung der jun­gen Teilnehmer:innen ver­ant­wort­lich. Dabei treibt ihn aber nicht nur die Hoff­nung auf poten­zi­el­le Nach­wuchs­kräf­te an.

Anzei­ge

Beim Akti­ons­tag „Girls’Day und Boys’Day“ sol­len Mäd­chen und Jun­gen in ver­schie­de­ne Beru­fe, und das frei von Geschlech­ter­kli­schees, rein­schnup­pern kön­nen. Für Advi­va nicht nur ein schö­ner Ansatz in der Theo­rie, son­dern geleb­te Wirk­lich­keit. Im Betrieb ist das Ver­hält­nis von männ­li­chen und weib­li­chen Mitarbeiter:innen und Aus­zu­bil­den­den mit 50:50 aus­ge­gli­chen. Das war aller­dings nie ein fest­ge­steck­tes Ziel, son­dern viel­mehr eine Fra­ge der Qua­li­fi­zie­rung und Eig­nung. Gleich­heit ist für Brau­ner auch mit Blick auf die Geschich­te des Berufs­bil­des des Orthopädietechnikers/der Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin ein span­nen­des Stich­wort. „Frü­her waren es zwei getrenn­te Beru­fe. Die Ban­da­gis­ten waren in der Regel weib­lich, die Tech­ni­ker männ­lich“, erin­nert er sich. Nach wie vor beklei­den in der OT zumeist Män­ner die Füh­rungs­po­si­tio­nen. Dabei sind Frau­en laut Brau­ner auf dem Vor­marsch. „Die Bewer­be­rin­nen sind die stärks­ten“, berich­tet er und meint damit nicht nur die guten Schul­no­ten. „Sie hören zu, ren­nen nicht ein­fach drauf los. Und: Sie bewei­sen im Augen­blick das hand­werk­li­che­re Geschick.“

Mit dem Roll­stuhl zum Supermarkt

Brau­ner ver­mu­tet, dass die meis­ten Aktionstagsteilnehmer:innen durch Online­platt­for­men auf den Betrieb auf­merk­sam gewor­den sind. Advi­va wirbt auf meh­re­ren mit Aus­bil­dungs- und Prak­ti­kums­stel­len. Zudem kön­nen sich Fir­men im Netz in den offi­zi­el­len Girls’- und Boys’Day-Radar ein­tra­gen las­sen. Wäh­rend die Praktikant:innen meist schon in der neun­ten Klas­se sind, waren die Girls’- und Boys’Day-Teilnehmer:innen bis­lang jün­ger. „In dem Alter dür­fen sie nicht alle Arbei­ten aus­füh­ren“, gibt Brau­ner recht­li­che Bedin­gun­gen zu beden­ken. An dre­hen­den Maschi­nen tätig zu wer­den, kommt dem­nach nicht infra­ge. Statt­des­sen hat sich das Team ande­re Aktio­nen über­legt. Nur dane­ben ste­hen und zuhö­ren, zählt aber nicht dazu. „Mit­ma­chen und Erfah­run­gen sam­meln“ lau­tet die Devi­se, um kei­ne Lan­ge­wei­le auf­kom­men zu las­sen. Von ihren Hän­den oder Füßen machen die Jugend­li­chen einen Schaum­ab­druck, rüh­ren Gips an und gie­ßen aus. Wäh­rend der Gips aus­här­tet, gibt es eine Werk­statt­füh­rung. Im Anschluss geht es wie­der prak­tisch wei­ter – und das außer­halb des Betriebs. In der Ver­gan­gen­heit absol­vier­ten die Teilnehmer:innen einen Par­cours mit Roll­stüh­len oder steu­er­ten damit den unweit ent­fern­ten Super­markt an. In Zwei­er­teams – einer sichert, der ande­re nimmt Platz – soll­ten sie so am eige­nen Leib erfah­ren, wel­che Hür­den Rollstuhlfahrer:innen im All­tag bewäl­ti­gen müs­sen. Für Brau­ner geleb­te Inklu­si­on. Durch sol­che Aktio­nen Nach­wuchs zu akqui­rie­ren, ist zwar der Ide­al­fall, aber nicht sei­ne ein­zi­ge Moti­va­ti­on. Infor­ma­ti­on, Auf­klä­rung und Wis­sens­ver­mitt­lung spie­len eben­falls eine gro­ße Rolle.

Eine Erin­ne­rung für zu Hause

Zurück im Betrieb sind die indi­vi­du­el­len Gips­ab­drü­cke hart gewor­den, wer­den aus­ge­packt, sau­ber gemacht und ver­tü­tet. „Sie haben den Betrieb ken­nen­ge­lernt, konn­ten prak­tisch arbei­ten und ihre Fra­gen stel­len und neh­men auch noch eine Erin­ne­rung mit nach Hau­se“, resü­miert der OTler und emp­fin­det das direk­te und auch indi­rek­te Feed­back der Teilnehmer:innen aus rund zehn Jah­ren Akti­ons­tag als sehr hilf­reich. Was Spaß macht und was nicht, ver­ra­ten nicht nur die Nach­fra­gen, Brau­ner zieht auch aus den Reak­tio­nen der Jugend­li­chen, aus ihrer Ges­tik und Mimik sei­ne Schlüsse.

„Man braucht Zeit, Platz und genü­gend Mit­ar­bei­ter“, gilt es laut Brau­ner mit Blick auf die Vor­be­rei­tung des Akti­ons­ta­ges zu berück­sich­ti­gen. Damit die Kolleg:innen mor­gens Anlauf­zeit haben und sich der Tag für die Jugend­li­chen nicht zu lang hin­zieht, fällt der Start­schuss für sie um 9 Uhr, Ende ist um 14 Uhr. Das mar­kiert zwar das offi­zi­el­le Ende des Tages, die Wer­bung aber geht im Anschluss wei­ter. In den Schu­len tau­schen sich die Jugend­li­chen über ihre Erfah­run­gen aus, stel­len die­se der Klas­se vor und prä­sen­tie­ren ihre selbst­ge­mach­ten Gipsabdrücke.

Inves­ti­ti­on in die Zukunft

In der Ver­gan­gen­heit hat das Team die Jugend­li­chen auch schon mal in der Werk­statt fei­len oder ein Holz­spiel­zeug bau­en las­sen. Auf­wän­di­ge­re Auf­ga­ben, die mehr Betreu­ung erfor­dern. Brau­ner rät des­we­gen dazu, die Grup­pen­grö­ße über­schau­bar zu hal­ten. Für vier bis sechs Teilnehmer:innen sind zusätz­lich zu ihm zwei wei­te­re Mitarbeiter:innen vor Ort. Gern wer­den auch Azu­bis hin­zu­ge­zo­gen. Der Alters­un­ter­schied ist klei­ner und ein Gespräch auf Augen­hö­he des­we­gen bes­ser mög­lich. Infra­ge kämen an dem Tag auch Scan und Druck von Kopf oder Hand, eben­falls als Gim­mick für zu Hau­se – auf­grund der lan­gen Druck­zei­ten geis­tert die­se Akti­on aller­dings bis­lang nur als Idee im Kopf her­um. „Nach den Stun­den ist man platt“, gesteht Brau­ner lachend, emp­fin­det die Pla­nung und Durch­füh­rung aber – auch durch die mitt­ler­wei­le ent­stan­de­ne Rou­ti­ne – als nicht all­zu aufwändig.

„Man kann nichts falsch machen. Und wenn es zu lang­wei­lig ist, merkt man das und kann es beim nächs­ten Mal anders machen“, will Brau­ner Betriebsinhaber:innen mög­li­che Beden­ken neh­men. „Die Jugend­li­chen genie­ßen den Tag und gehen mit einem Lächeln und mit etwas in der Hand nach Hau­se.“ Brau­ner sieht den Tag als eine Inves­ti­ti­on in die Zukunft. Mit der Bewer­bung der ehe­ma­li­gen Teil­neh­me­rin auf dem Tisch, kann der Samen, der vor vier Jah­ren gesät wur­de, nun geern­tet wer­den. „Mir ist es wich­tig auf­zu­klä­ren, unser Wis­sen wei­ter­zu­ge­ben und zu ver­mit­teln, wie viel Spaß der Beruf uns macht. Die wenigs­ten ken­nen den Beruf des Ortho­pä­die­tech­ni­kers“, betont er. Eben­falls spielt der Inklu­si­ons­ge­dan­ke eine gro­ße Rol­le für ihn. „Es gibt vie­le kran­ke Men­schen und wir kön­nen ihnen helfen.“

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zum Girls’Day und Boys’Day gibt es online unter girls-day.de und boys-day.de. Hier­über kön­nen Betrie­be auch ihr Ange­bot ein­tra­gen lassen.

Pia Engel­brecht

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