Als Werkstattleiter und Ausbilder beim Heidelberger Gesundheitsunternehmen Adviva zeichnet er für die Betreuung der jungen Teilnehmer:innen verantwortlich. Dabei treibt ihn aber nicht nur die Hoffnung auf potenzielle Nachwuchskräfte an.
Beim Aktionstag „Girls’Day und Boys’Day“ sollen Mädchen und Jungen in verschiedene Berufe, und das frei von Geschlechterklischees, reinschnuppern können. Für Adviva nicht nur ein schöner Ansatz in der Theorie, sondern gelebte Wirklichkeit. Im Betrieb ist das Verhältnis von männlichen und weiblichen Mitarbeiter:innen und Auszubildenden mit 50:50 ausgeglichen. Das war allerdings nie ein festgestecktes Ziel, sondern vielmehr eine Frage der Qualifizierung und Eignung. Gleichheit ist für Brauner auch mit Blick auf die Geschichte des Berufsbildes des Orthopädietechnikers/der Orthopädietechnikerin ein spannendes Stichwort. „Früher waren es zwei getrennte Berufe. Die Bandagisten waren in der Regel weiblich, die Techniker männlich“, erinnert er sich. Nach wie vor bekleiden in der OT zumeist Männer die Führungspositionen. Dabei sind Frauen laut Brauner auf dem Vormarsch. „Die Bewerberinnen sind die stärksten“, berichtet er und meint damit nicht nur die guten Schulnoten. „Sie hören zu, rennen nicht einfach drauf los. Und: Sie beweisen im Augenblick das handwerklichere Geschick.“
Mit dem Rollstuhl zum Supermarkt
Brauner vermutet, dass die meisten Aktionstagsteilnehmer:innen durch Onlineplattformen auf den Betrieb aufmerksam geworden sind. Adviva wirbt auf mehreren mit Ausbildungs- und Praktikumsstellen. Zudem können sich Firmen im Netz in den offiziellen Girls’- und Boys’Day-Radar eintragen lassen. Während die Praktikant:innen meist schon in der neunten Klasse sind, waren die Girls’- und Boys’Day-Teilnehmer:innen bislang jünger. „In dem Alter dürfen sie nicht alle Arbeiten ausführen“, gibt Brauner rechtliche Bedingungen zu bedenken. An drehenden Maschinen tätig zu werden, kommt demnach nicht infrage. Stattdessen hat sich das Team andere Aktionen überlegt. Nur daneben stehen und zuhören, zählt aber nicht dazu. „Mitmachen und Erfahrungen sammeln“ lautet die Devise, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Von ihren Händen oder Füßen machen die Jugendlichen einen Schaumabdruck, rühren Gips an und gießen aus. Während der Gips aushärtet, gibt es eine Werkstattführung. Im Anschluss geht es wieder praktisch weiter – und das außerhalb des Betriebs. In der Vergangenheit absolvierten die Teilnehmer:innen einen Parcours mit Rollstühlen oder steuerten damit den unweit entfernten Supermarkt an. In Zweierteams – einer sichert, der andere nimmt Platz – sollten sie so am eigenen Leib erfahren, welche Hürden Rollstuhlfahrer:innen im Alltag bewältigen müssen. Für Brauner gelebte Inklusion. Durch solche Aktionen Nachwuchs zu akquirieren, ist zwar der Idealfall, aber nicht seine einzige Motivation. Information, Aufklärung und Wissensvermittlung spielen ebenfalls eine große Rolle.
Eine Erinnerung für zu Hause
Zurück im Betrieb sind die individuellen Gipsabdrücke hart geworden, werden ausgepackt, sauber gemacht und vertütet. „Sie haben den Betrieb kennengelernt, konnten praktisch arbeiten und ihre Fragen stellen und nehmen auch noch eine Erinnerung mit nach Hause“, resümiert der OTler und empfindet das direkte und auch indirekte Feedback der Teilnehmer:innen aus rund zehn Jahren Aktionstag als sehr hilfreich. Was Spaß macht und was nicht, verraten nicht nur die Nachfragen, Brauner zieht auch aus den Reaktionen der Jugendlichen, aus ihrer Gestik und Mimik seine Schlüsse.
„Man braucht Zeit, Platz und genügend Mitarbeiter“, gilt es laut Brauner mit Blick auf die Vorbereitung des Aktionstages zu berücksichtigen. Damit die Kolleg:innen morgens Anlaufzeit haben und sich der Tag für die Jugendlichen nicht zu lang hinzieht, fällt der Startschuss für sie um 9 Uhr, Ende ist um 14 Uhr. Das markiert zwar das offizielle Ende des Tages, die Werbung aber geht im Anschluss weiter. In den Schulen tauschen sich die Jugendlichen über ihre Erfahrungen aus, stellen diese der Klasse vor und präsentieren ihre selbstgemachten Gipsabdrücke.
Investition in die Zukunft
In der Vergangenheit hat das Team die Jugendlichen auch schon mal in der Werkstatt feilen oder ein Holzspielzeug bauen lassen. Aufwändigere Aufgaben, die mehr Betreuung erfordern. Brauner rät deswegen dazu, die Gruppengröße überschaubar zu halten. Für vier bis sechs Teilnehmer:innen sind zusätzlich zu ihm zwei weitere Mitarbeiter:innen vor Ort. Gern werden auch Azubis hinzugezogen. Der Altersunterschied ist kleiner und ein Gespräch auf Augenhöhe deswegen besser möglich. Infrage kämen an dem Tag auch Scan und Druck von Kopf oder Hand, ebenfalls als Gimmick für zu Hause – aufgrund der langen Druckzeiten geistert diese Aktion allerdings bislang nur als Idee im Kopf herum. „Nach den Stunden ist man platt“, gesteht Brauner lachend, empfindet die Planung und Durchführung aber – auch durch die mittlerweile entstandene Routine – als nicht allzu aufwändig.
„Man kann nichts falsch machen. Und wenn es zu langweilig ist, merkt man das und kann es beim nächsten Mal anders machen“, will Brauner Betriebsinhaber:innen mögliche Bedenken nehmen. „Die Jugendlichen genießen den Tag und gehen mit einem Lächeln und mit etwas in der Hand nach Hause.“ Brauner sieht den Tag als eine Investition in die Zukunft. Mit der Bewerbung der ehemaligen Teilnehmerin auf dem Tisch, kann der Samen, der vor vier Jahren gesät wurde, nun geerntet werden. „Mir ist es wichtig aufzuklären, unser Wissen weiterzugeben und zu vermitteln, wie viel Spaß der Beruf uns macht. Die wenigsten kennen den Beruf des Orthopädietechnikers“, betont er. Ebenfalls spielt der Inklusionsgedanke eine große Rolle für ihn. „Es gibt viele kranke Menschen und wir können ihnen helfen.“
Weitere Informationen zum Girls’Day und Boys’Day gibt es online unter girls-day.de und boys-day.de. Hierüber können Betriebe auch ihr Angebot eintragen lassen.
Pia Engelbrecht
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