Mit Mikro­na­deln Lymph­öde­me diagnostizieren

In Deutschland erhalten laut des Berliner Robert-Koch-Instituts jährlich etwa 500.000 Menschen eine Krebsdiagnose. Nach operativer Entfernung des Tumors und ableitender Lymphknoten können Lymphödeme als Langzeitfolge drohen. Hier setzt das im Mai 2018 gegründete Schweizer Start-up „Dicronis“, ein Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich), an.

Im Inter­view erklärt Mit­grün­de­rin und Geschäfts­füh­re­rin Patri­zia Mar­schal­ko­va, wie das Unter­neh­men mit sei­ner Neu­ent­wick­lung „Lym­phit“ Lymph­öde­me dia­gnos­ti­zie­ren und über­wa­chen will.

OT: Was ver­birgt sich hin­ter dem Begriff „Lym­phit“?

Patri­zia Mar­schal­ko­va: Wir woll­ten mit dem Namen die wich­tigs­ten Eigen­schaf­ten des Pro­duk­tes aus­drü­cken. Des­halb spielt „Lymph“ auf „Lympha­ti­sches Sys­tem“ und „phit“ auf „fit“ an. Denn unse­re Ent­wick­lung soll Men­schen mit Lymph­öde­men mit einer früh­zei­ti­gen Dia­gno­se und regel­mä­ßi­gen Über­wa­chung dabei unter­stüt­zen, fit zu blei­ben oder zu werden.

OT: Wie funk­tio­niert das Diagnosegerät? 

Mar­schal­ko­va: Das Dia­gno­se­ge­rät besteht aus einem Mikropflas­ter von einem Qua­drat­zen­ti­me­ter Grö­ße, das sich die Pati­en­ten für eine Minu­te auf die Haut appli­zie­ren, und einem Smar­t­arm­band, das die Pati­en­ten sechs Stun­den lang tra­gen. An dem Pflas­ter sind 100 Mikro­na­deln mit einer Län­ge von 0,4 Mil­li­me­tern ange­bracht. Die­se Mikro­na­deln drin­gen ober­halb der Schmerz­re­zep­to­ren in die Haut ein und set­zen dabei schmerz­frei einen fluo­res­zie­ren­den Farb­stoff frei. Über das dazu­ge­hö­ren­de Arm­band wird aus­ge­le­sen, wie schnell die lympha­ti­schen Gefä­ße den Farb­stoff auf­neh­men. Die gemes­se­nen Daten über­mit­telt das Arm­band über eine App an Pati­en­ten und über ein Ärz­te-Por­tal an die behan­deln­den Ärz­te. Erkennt das „Lym­phit“ eine ab- neh­men­de Lympha­k­ti­vi­tät, for­dert es die Pati­en­ten per App auf, einen Arzt zu kon­tak­tie­ren. Die Ärz­te kön­nen mit­hil­fe der vom Lym­phit gelie­fer­ten Daten zur Lympha­k­ti­vi­tät pass­ge­naue The­ra­pie­ent­schei­dun­gen fäl­len. Die Pati­en­ten­da­ten wer­den streng ver­trau­lich behan­delt, gemäß den bestehen­den Pri­va­cy-Vor­schrif­ten. Vor­teil: Pati­en­ten und Ärz­te wer­den über eine Fehl­funk­ti­on des lympha­ti­schen Sys­tems infor­miert, bevor sie sich in Schwel­lun­gen mani­fes­tiert hat. Bei Pati­en­ten, die bereits eine Lymph­ödem-Dia­gno­se haben, kön­nen Betrof­fe­ne und Ärz­te mit­tels der Daten über­prü­fen, ob die Behand­lung ange­schla­gen hat oder nicht.

OT: Wie kamen Sie auf die Produktidee? 

Mar­schal­ko­va: Die Idee für das „Lym­phit“ ist aus mei­ner For­schungs­ar­beit zur Mikro­na­del­tech­no­lo­gie an der ETH Zürich ent­stan­den. An der Ent­wick­lung war zudem mein Stu­di­en­kol­le­ge Jovan Jancev betei­ligt. Im Mai 2018 wur­de „Dicro­nis“ gegrün­det, der Name kommt von „dia­gno­stic microneedles“.

OT: Wie ist die Auf­ga­ben­ver­tei­lung in Ihrem Start-up? 

Mar­schal­ko­va: Jovan Jancev ist für die For­schung und Ent- wick­lung zustän­dig. Dr. Lau­ra Jabi­net beschäf­tigt sich mit den kli­ni­schen Tests und der Zulas­sung durch Gesund­heits- behör­den. Fabri­zio Espo­si­to wid­met sich der Geschäfts­feld- ent­wick­lung und der Por­tal- und App-Ent­wick­lung. Mei­ne Auf­ga­ben sind die Mit­tel­be­schaf­fung, das Pro­jekt­ma­na­ge- ment und stra­te­gi­sche Fragen.

OT: Wann star­ten sie die kli­ni­schen Studien?

Mar­schal­ko­va: Wir pla­nen die ers­te kli­ni­sche Stu­die mit Lym­phit im Som­mer 2020 anzu­fan­gen, um die Metho­de zu validieren.

OT: Wie wol­len Sie den Markt­ein­stieg finanzieren?

Mar­schal­ko­va: Bevor das Pro­dukt markt­reif ist, brau­chen wir dann neben der kli­ni­schen Vali­die­rung auch die Zu- las­sung der Gesund­heits­be­hör­den. Im Moment gehen wir von einem Start­da­tum Anfang 2023 aus. Um die Finan­zie­rung des Markt­ein­stiegs zu sichern, füh­ren wir der­zeit Gesprä­che mit ver­schie­de­nen Investoren.

OT: Wer­den Sie den Sani­täts­han­del einbeziehen? 

Mar­schal­ko­va: Ganz sicher! Für uns ist der Sani­täts­fach­han- del mit sei­ner gro­ßen Kom­pe­tenz im Bereich Bera­tung und Ver­kauf von Kom­pres­si­ons­pro- duk­ten sehr wich­tig. Gleich­zei- tig ist ein ein­fa­ches und genau­es Sys­tem für die Dia­gno­se und Über­wa­chung von Lymph­öde- men für den Han­del sehr interessant.

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

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