Online-Ver­sor­gung in der PG 08: Der gro­ße Bluff

Eigentlich sind sich alle einig: Die von GetSteps oder Meevo/Craftsoles in Kooperation mit Krankenkassen angebotene E-Versorgung habe die Versorgung der Patient:innen nur in einer Hinsicht revolutioniert: Sämtliche gesetzliche Mindeststandards sind unterlaufen und Haftungsrisiken für Fehlversorgungen auf den Laien abgeschoben worden. Fragt sich: Wie kann man sowas als „hip und innovativ“ darstellen? Drei Marketingexperten analysieren derzeit die Kampagne und ziehen Konsequenzen für die Branche daraus: Sandra Jansen von der Sanitätshaus Aktuell AG, Patrick Grunau von der Rehavital und Kirsten Abel vom Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT).

Begon­nen hat die Mar­ke­ting-Geschich­te von Get­Steps mit ihrem Auf­tritt bei der „Höh­le des Löwen“. Dabei geht es nicht allein dar­um, Grün­der­geld zu akqui­rie­ren. Der Auf­tritt in der Sen­dung selbst hat einen Wert: Auch wenn man kei­nen „Deal“ macht, so hat man mit sei­nem Kon­zept zur Prime Time mehr als eine Mil­li­on Zuschau­er aus der wer­be­re­le­van­ten Ziel­grup­pe erreicht. Die Ver­schlag­wor­tung durch Key­words bei Goog­le mit „Höh­le der Löwen“, Back­links etc. brin­gen dann noch mal mehr Auf­merk­sam­keit bei Social Media.

Ein wei­te­res medi­en­wirk­sa­mes Tool sind „Awards“ – also Aus­zeich­nun­gen. Eini­ge Medi­en oder Unter­neh­men machen dar­aus ein Geschäfts­mo­dell, sodass man mit PR-Bud­get bei einer Jury gut punk­ten kann. Der „E‑He­alth-Award“, mit dem sich Mee­vo von Noven­ti aus­zeich­nen ließ, ist hoch dotiert. Den Gewinner:innen winkt neben einer der begehr­ten Tro­phä­en, Ruhm und Ehre ein umfas­sen­des Media­bud­get bei Apo­the­ke Adhoc im Gesamt­wert von mehr als 50.000 Euro. Wer vie­le Clicks und Awards mit­bringt, hat die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen für noch mehr Clicks und Awards … Da tritt dann die Leis­tung der Dienst­leis­tung in den Hintergrund.

„Dop­pel­deu­tig­kei­ten nutzen“

Die Anbie­ter von soge­nann­ter „Online-Ein­la­gen­ver­sor­gung“ haben die Ver­sor­gung selbst über­haupt nicht digi­ta­li­siert. Im Gegen­teil: Hier wird ein für die Selbst­ver­mes­sung durch den Lai­en über­haupt nicht zuge­las­se­ne und ca. 200 Jah­re alte Abdruck­tech­nik genutzt. Die Fer­ti­gung und das „Ein­schlei­fen“ der Ein­la­gen erfol­gen dann auf die ein­fachs­te und sim­pels­te Art: mit vor­ge­fer­tig­ten Roh­lin­gen. Das Haupt­au­gen­merk haben die Fir­men auf den Bestell­vor­gang und die Aus­lie­fe­rung an Kund:innen gelegt. Ganz nach dem Mot­to: An ein Rezept, das man abrech­nen kann, kann man nicht schnell und leicht genug kom­men. Mit nur einem Click soll man es „hoch­la­den“ kön­nen. Bei der Aus­lie­fe­rung set­zen die Fir­men auch auf „was weg ist, ist weg“. Der per­sön­li­che Kon­takt zu Patient:innen wird als unnö­tig und zeit­auf­wän­dig dar­ge­stellt. Die eigent­li­che fach­män­ni­sche Ver­sor­gung durch Orthopädietechniker:innen wird nach dem Prin­zip der Gewinn­ma­xi­mie­rung auf das Geschäft des Ver­sand­han­dels redu­ziert. Patient:innen, die damit Pro­ble­me haben, kön­nen sich ja bin­nen der 30-Tage-Rück­ga­be­frist beim Ver­sand­händ­ler melden.

„Mit Glaub­wür­dig­keit und Ver­trau­en punkten“

Auch und gera­de weil die Anbie­ter der „E‑Versorgung“ mit Ein­la­gen in Sachen Ver­sor­gungs­qua­li­tät nicht viel zu bie­ten haben, brau­chen sie gro­ße glaub­wür­di­ge Mar­ken, die die­ses Defi­zit aus­glei­chen: eine Kran­ken­kas­se. Als Kör­per­schaft des öffent­li­chen Rechts und damit als eine Behör­de, die dem Wohl der Patient:innen ver­pflich­tet ist und sich eigent­lich in ganz beson­de­rer Wei­se an die Min­dest­stan­dards der Ver­sor­gung hal­ten müss­te, wird sie zum Kron­zeu­gen, dass hier alles mit rech­ten Din­gen zugeht.

Kein Wun­der also, dass das Logo der Bar­mer Ersatz­kas­se, die als ein­zi­ge Ersatz-Kran­ken­kas­se bis­lang die E‑Versorgung für ihre neun Mil­lio­nen Ver­si­cher­ten umsetzt, fast auf allen Wer­be­ma­te­ria­li­en von Meevo/Craftsoles auf­taucht. Auch wenn Mee­vo kei­ne Ver­trä­ge mit ande­ren Kos­ten­trä­gern vor­wei­sen kann, so erwe­cken sie doch den Schein, dass das nur eine Fra­ge der Zeit ist. Patient:innen, die einen Bestell­vor­gang per Rezept ein­lei­ten wol­len, tref­fen so auf eine gan­ze Rei­he von Kran­ken­kas­sen – ein Click spä­ter heißt es dann „wir haben noch kei­nen Ver­trag mit der Kas­se“. In die­sel­be Logik fällt die Wer­bung mit nicht exis­ten­ten Güte­sie­geln wie z. B. „Kran­ken­kas­sen geprüft“ oder „wir fer­ti­gen nach der Norm des GKV-Spit­zen­ver­ban­des“. Baron von Münch­hau­sen hät­te sei­nen Spaß, und es wäre auch wirk­lich zum Schmun­zeln, wenn damit nicht ernst­lich mit der Gesund­heit von Ver­si­cher­ten gespielt würde.

Daher gilt es, dar­aus auch Schlüs­se und Kon­se­quen­zen zu zie­hen: recht­lich, poli­tisch und öffent­lich­keits­wirk­sam. Ver­si­cher­te müs­sen auf­ge­klärt wer­den, dass hier Schind­lu­der mit ihrer Gesund­heit getrie­ben wird. Daher sind wir nicht nur im Rah­men der „ARGE PG 08 Online-Ver­sor­gung TK/Barmer“* gemein­sa­me Schrit­te in Rich­tung Auf­sichts­be­hör­de und Kla­ge­weg gegan­gen, son­dern haben auch unse­re Mar­ke­ting­ex­per­ten damit beauf­tragt, die Kam­pa­gne der „Online-Ver­sor­ger“ genau zu ana­ly­sie­ren und ent­spre­chen­de Kon­zep­te in der Infor­ma­ti­on der Öffent­lich­keit dar­aus abzuleiten.

Kirs­ten Abel, Patrick Gru­n­au und Stef­fi Jansen 

ARGE
In der „ARGE PG 08 Online-Ein­la­gen TK/Barmer“ haben sich fol­gen­de Ver­bän­de zusam­men­ge­schlos­sen: BIV-OT, Cura-San, Egroh, Deut­sche Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV), IETEC Ortho­pä­di­sche Ein­la­gen, Innungs­ver­band für Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik Nord­rhein-West­fa­len, Lan­des­in­nung Bay­ern für Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik, Lan­des­in­nung Hes­sen für Ortho­pä­die­schuh­tech­nik, Lan­des­in­nung für Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik Nie­der­sach­sen und Bre­men, Ortheg Ein­kaufs­ge­nos­sen­schaft für Ortho­pä­die-Tech­nik, Reha­vi­tal, Sani­täts­haus Aktuell/RSR und Zen­tral­ver­band für Ortho­pä­die­schuh­tech­nik (ZVOS).

 

 

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