Mari­ne Ome­ga-3-Wund­ma­trix („Fisch­haut“) – neu­er Ansatz zur Hei­lung chro­ni­scher Wun­den bei dia­be­ti­schem Fußsyndrom

U. E. M. Werra, T. T. Trinh, E. Tahtaci, B. Dorweiler
Die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms – insbesondere bei langjährig bestehenden „Hard-to-heal“-Läsionen (Läsionen, die trotz optimierter Standardtherapie nicht zur Abheilung gebracht werden können) oder bei freiliegenden Sehnen und/oder Knochen – stellt immer noch eine große Herausforderung für das Behandlungsteam dar. Neben der Behandlung der Grund­erkrankung und einer möglicherweise vorliegenden Durchblutungsstörung oder der orthetischen Behandlung einer Fehlbelastung muss auch die Fehlregulation insbesondere der Entzündungs- und Heilungsprozesse durch die Grunderkrankung selbst beachtet werden, da eine reguläre Wundheilung meist nicht möglich ist. Extrazelluläre Wundmatrices stellen einen neuen Ansatz in der Wundbehandlung dar. Insbesondere sogenannte marine („aus dem Meer stammende“) Matrices zeichnen sich durch einen hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren aus. Diese können zum einen antiinflammatorisch wirken, zum anderen die Wundheilung selbst unterstützen. Im Jahr 2019 startete mit der ODIN-Studie die größte randomisierte Studie zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms. Es handelt sich dabei um eine europäische multinationale (Frankreich, Italien, Deutschland, Schweden) und multi­zentrische randomisierte Studie. Prospektiv, randomisiert und kon­trolliert wird darin die Applikation von Omega-3-Wundmatrices („Kerecis® Omega3 Wound“, Kerecis, Isafjordur, Island) bei diabetischem Fußsyndrom dem aktuellen „standard of care“ in der Wundbehandlung gegenübergestellt. In diesem Artikel werden die Hintergründe der Wirkmechanismen der marinen Wundmatrices dargestellt, ein klinischer Fall präsentiert und die ODIN-Studie vorgestellt. In Deutschland ist die Studie multizentrisch organisiert (Köln, Hamburg, Karlsruhe) mit dem Universitätsklinikum der Universität zu Köln (Klinik für Gefäßchirurgie) als führendem Zentrum.

Ein­lei­tung

In Deutsch­land erkran­ken jedes Jahr  etwa 500.000 Pati­en­ten neu an Dia­be­tes mel­li­tus. Von die­sen ent­wi­ckeln im Lau­fe ihrer Erkran­kung ca. 6 % ein dia­be­ti­sches Fuß­syn­drom. Haupt­risikofaktoren hier­für sind das Vor­lie­gen einer peri­phe­ren arte­ri­el­len Ver­schluss­krank­heit (pAVK) und/oder einer Poly­neu­ro­pa­thie im Rah­men des Dia­be­tes mel­li­tus. Zusätz­lich kön­nen Fehl­stel­lun­gen und Fehl­be­las­tun­gen vor­lie­gen, die eine sol­che Wun­de ver­ur­sa­chen und/oder unter­hal­ten 1.

Auch wenn Majo­ram­pu­ta­tio­nen (ober­halb des Sprung­ge­lenks) in den letz­ten 15 Jah­ren um ca. 30 % zurück­ge­gan­gen sind, wer­den dafür ca. 25 % mehr Minoram­pu­ta­tio­nen vor­ge­nom­men. Im Jahr 2014 wur­den ins­ge­samt etwa 13.000 Majo­ram­pu­ta­tio­nen und ca. 35.000 Minoram­pu­ta­tio­nen in Deutsch­land durch­ge­führt. Rund 70 % der betrof­fe­nen Pati­en­ten wie­sen einen Dia­be­tes mel­li­tus auf 2.

Bei der Behand­lung eines Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom über­prüft das Behand­lungs­team dem­entspre­chend alle der oben genann­ten Risi­ko­fak­to­ren. Eine rele­van­te pAVK wird mit­tels Revas­ku­la­ri­sa­ti­on behan­delt, der Pati­ent erhält ggf. eine ent­spre­chen­de Orthe­se zur Druck­ent­las­tung; eine Infek­ti­on wird gezielt (nach Abstrich) anti­bio­tisch the­ra­piert. Den­noch fin­den sich immer wie­der hart­nä­cki­ge Wun­den, die unter einem sol­chen Behandlungs­regime nicht abhei­len. Dies ist beson­ders pro­ble­ma­tisch, wenn Seh­nen- oder Kno­chen­an­tei­le frei­lie­gen, da in die­sem Fall die Bil­dung von Gra­nu­la­ti­ons­ge­we­be ein­ge­schränkt ist. Auch Ver­fah­ren wie z. B. Spalt­haut­trans­plan­ta­tio­nen kön­nen hier im wei­te­ren Ver­lauf nicht direkt ein­ge­setzt wer­den, womit letzt­lich die Ampu­ta­ti­on dro­hen kann. Die Pro­ble­ma­tik der Wund­hei­lung beim Dia­be­tes mel­li­tus liegt in der Stö­rung der bio­lo­gi­schen Pro­zes­se durch die Grund­er­kran­kung selbst. Durch Fak­to­ren wie Hyper­glyk­ämie, Neu­ro­pa­thie oder chro­ni­sche Ent­zün­dun­gen kommt es zu einem Über­schuss an pro­in­flamm­a­to­ri­schen Zyto­ki­nen und Matrix­me­tall­o­pro­te­in­asen in Kom­bi­na­ti­on mit einer redu­zier­ten Bil­dung von Wachs­tums­fak­to­ren. Angio­ge­ne­se sowie Endo­thel­funk­ti­on sind dabei eben­so ver­min­dert wie die Pro­li­fe­ra­ti­on, Aus­dif­fe­ren­zie­rung und Migra­ti­on von Kera­ti­no­zy­ten und Fibro­blas­ten 3. Ent­spre­chend sucht die Wis­sen­schaft neue Ansät­ze für genau die­se Wun­den. Mehr­fach unge­sät­tig­te Ome­ga-3-Fett­säu­ren, Eico­sapentaensäure sowie Doco­sa­he­xa­en­säu­re redu­zie­ren die über­schie­ßen­de inflamm­a­to­ri­sche Reak­ti­on, indem sie den Über­tritt der pro­in­flamm­a­to­ri­schen Zyto­ki­ne aus dem Blut ins Gewe­be hem­men. Dar­über hin­aus wer­den sie zu Signal­mo­le­kü­len wei­ter­pro­zes­siert (Resol­vi­ne, Pro­tek­ti­ne und Mares­i­ne), die auf der einen Sei­te nega­ti­ve chro­ni­sche Ent­zün­dungs­pro­zes­se wie z. B. die Fibro­sie­rung von Orga­nen hem­men und auf der ande­ren Sei­te die Wund­hei­lung aktiv unter­stüt­zen. Die­se Lipid­me­dia­to­ren fin­den sich in hoher Kon­zen­tra­ti­on in Fisch­haut 4.

Das Pro­dukt und sei­ne Anwendung

Die hier vor­ge­stell­te Wund­ma­trix „Kerecis® Omega3 Wound“ (Kerecis, Isafjor­dur, Island) wird vom Kabel­jau gewon­nen und ent­spre­chend auf­be­rei­tet und dezel­lu­la­ri­siert. Sie ist in vaku­um­ge­trock­ne­ter Form in unter­schied­li­chen Grö­ßen und auch als „Micro­grafts“ (Abb. 1a u. b, Abb. 2) für sehr zer­klüf­te­te Wun­den erhält­lich. Das Pro­dukt ist sowohl CE-zer­ti­fi­ziert als auch von der FDA zuge­las­sen. Da es kei­ne direkt vom Fisch auf den Men­schen über­trag­ba­ren Patho­gene (Kei­me, Viren o. Ä.) gibt, kann die mari­ne Fisch­haut-Matrix im Gegen­satz zu bovi­nen (Rind) oder por­ci­nen (Schwein) Pro­duk­ten in einem sehr gewebe­schonenden Ver­fah­ren behan­delt und kon­ser­viert wer­den. Das führt dazu, dass ins­be­son­de­re der sehr hohe Gehalt an den wich­ti­gen Ome­ga-3-Fett­säu­ren in der Ma­trix erhal­ten bleibt. Zusätz­lich ent­hält sie Kol­la­gen, Fibrin, Pro­teo­gly­ka­ne und Gly­kos­ami­no­gly­ka­ne und ist der mensch­li­chen Haut auch hin­sicht­lich der Gewe­be­struk­tur sehr ähn­lich. Sie dient damit als „Gerüst“, wel­ches das Ein­wach­sen neu­er Zel­len unter­stützt 5. Neben Wun­den beim dia­be­ti­schen Fuß­syn­drom kön­nen die Matri­ces unter ande­rem auch bei Druck-Ulzer­a­tio­nen, trau­ma­ti­schen Wun­den oder Ver­bren­nun­gen ange­wen­det werden.

Vor Beginn einer Behand­lung mit mari­ner Matrix muss das Wund­bett vor­be­rei­tet und Fibrin­be­lä­ge sowie abge­stor­be­nes bzw. avi­ta­les Gewe­be bis in intak­te bzw. vita­le Gewe­be­schich­ten hin­ein ent­fernt wer­den. Dies kann mit Hil­fe des klas­si­schen chir­ur­gi­schen Debri­de­ments oder alter­na­ti­ver Ver­fah­ren wie ultraschall­assistiertem Wund­de­bri­de­ment oder Kalt­plas­maap­pli­ka­ti­on erfol­gen 6. Im Ide­al­fall blu­tet der Wund­grund leicht vor der Appli­ka­ti­on der Matrix. Die Matrix soll­te dann so zuge­schnit­ten wer­den, dass sie die Wun­de ide­al über­deckt, aber nicht über die Wund­rän­der hin­aus­ragt. Im Anschluss wird sie in phy­sio­lo­gi­scher Kochsalz­lösung (NaCl 0,9%) rehy­driert (Abb. 3). Soll­te mehr als eine Matrix genutzt wer­den, um eine Wun­de zu über­de­cken, soll­ten sich die Rän­der der Matri­ces leicht über­lap­pen (Abb. 4). Im Anschluss wird ein sta­di­en­ge­rech­ter Deck­ver­band wie zum Bei­spiel ein Polyurethan-(PU-)Schaumverband auf­ge­bracht. Auch wenn es zum Teil kon­train­tui­tiv erscheint, ist hier ein etwas „über­feuch­tes“ Wund­mi­lieu das Ziel. Im Rah­men der wei­te­ren Ver­band­wech­sel (je nach Wund­be­fund alle 2 bis 7 Tage) wer­den in glei­cher Art und Wei­se neue Matri­ces an jenen Stel­len auf die Wun­de auf­ge­bracht, an denen die vor­her­ge­hen­den Matri­ces bereits voll­stän­dig absor­biert und somit nicht mehr sicht­bar sind. Ein aggres­si­ves Debri­de­ment soll­te hier nicht statt­fin­den, da sonst mög­li­cher­wei­se auch altes Matrix­ma­te­ri­al unbe­ab­sich­tigt mit abge­tra­gen würde.

In den Abbil­dun­gen 5 und 6 wird der Hei­lungs­ver­lauf einer Fersennekro­se mit frei­lie­gen­dem Cal­ca­neus bei pAVK IV auf­ge­zeigt. Zunächst erfolg­te die Revas­ku­la­ri­sa­ti­on mit­tels femo­rocr­ura­lem Venen­by­pass. Im Anschluss erfolg­te das initia­le (und ein­zi­ge) chir­ur­gi­sche Debri­de­ment. Zu Beginn der Behand­lung wur­de hier drei­ma­lig im Abstand von ca. 14 Tagen eine „Kerecis®-Omega3-Wound“-Wundmatrix auf­ge­bracht; danach erfolg­ten rein kon­ser­va­ti­ve Ver­band­wech­sel sowie eine kon­se­quen­te Ent­las­tung mit­tels Ent­las­tungs­or­the­se. Nach etwa drei Mona­ten zeig­te sich die Wun­de voll­stän­dig epi­the­lia­li­siert mit seit­dem sta­bi­lem Befund.

Die­se The­ra­pie kann (nach ggf. not­wen­di­gem initia­lem Debri­de­ment) voll­stän­dig ambu­lant erfol­gen, was nicht nur aus dem wirt­schaft­li­chen Blick­win­kel einen wich­ti­gen Fak­tor dar­stellt. Gera­de bei älte­ren Pati­en­ten birgt ein Kran­ken­haus­auf­ent­halt die Gefahr der Ent­wick­lung eines Delirs mit häu­fig doch lang­fris­tig bestehen­den kogni­ti­ven Dys­funk­tio­nen und erhöh­ter Leta­li­tät 7. Zudem kann die für die Pati­en­ten mit­un­ter durch­aus belas­ten­de Vaku­um­the­ra­pie zur Wund­kon­di­tio­nie­rung in vie­len Fäl­len abge­kürzt oder ganz ver­mie­den werden.

Bis­he­ri­ge Ergebnisse/Evidenz

Im Fol­gen­den wer­den ein­schlä­gi­ge Stu­di­en, wel­che die Anwen­dung von „Kerecis® Omega3 Wound“ (Kerecis, Isafjor­dur, Island) in der Wund­the­ra­pie eva­lu­ie­ren, vor­ge­stellt und die wich­tigs­ten Ergeb­nis­se diskutiert.

Yang et al. konn­ten im Jahr 2016 in einer klei­nen Ver­gleichs­stu­die (N = 18) mit im Durch­schnitt seit 3 Jah­ren bestehen­den „Hard-to-heal“-Läsionen in der behan­del­ten Grup­pe eine signi­fi­kan­te Reduk­ti­on der Wund­flä­chen um 40 % sowie der Wund­tie­fe um 48 % und in 16,67 % der Fäl­le eine Abhei­lung der Läsi­on errei­chen. In der Ver­gleichs­grup­pe zeig­ten sich kei­ne Ver­än­de­run­gen der Läsio­nen 5.

Wood­row et al. (2019) eva­lu­ier­ten die Anwen­dung von Ome­ga-3-Wund­ma­tri­ces bei 8 Dia­be­ti­kern nach ope­ra­ti­ven Ein­grif­fen im Vor­fuß­be­reich. Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen konn­ten einen prin­zi­pi­ell posi­ti­ven Effekt der Wund­ma­tri­ces auf die Wund­hei­lung auf­zei­gen und emp­feh­len ent­spre­chend eine wei­ter­füh­ren­de Eva­lua­ti­on mit­tels grö­ßer ange­leg­ter ran­do­mi­sier­ter Stu­di­en 8.

Micha­el et al. berich­te­ten eben­falls im Jahr 2019 in einer retro­spek­ti­ven Stu­die, die 58 Wun­den ein­schloss, von einer Reduk­ti­on der Wund­flä­che um 87,57 % inner­halb von 16 Wochen sowie von einer voll­stän­di­gen Abhei­lungs­ra­te von 60,34 % 9.

Trinh et al. (2016) zeig­ten anhand einer klei­nen Kohor­te von 5 Pati­en­ten auf, dass 50 % der Wund­flä­chen­re­duk­ti­on im ers­ten Drit­tel der Behand­lungs­dau­er erreicht wur­de. Zusätz­lich sam­mel­ten die Kol­le­gen Hin­wei­se auf eine schmerz­re­du­zie­ren­de Wir­kung der Wund­ma­trix 10.

Ein mul­ti­zen­tri­scher Erfahrungs­bericht von Dor­wei­ler et al. aus dem Jahr 2017 (23 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit ins­ge­samt 25 Wun­den) zeig­te eine Reduk­ti­on der Wund­grö­ße inner­halb von 12 Wochen um bis zu 79 % sowie Abhei­lungs­ra­ten von 50 % inner­halb von 16 Wochen. Auch hier wur­den 50 % der Wund­flä­chen­re­duk­ti­on bereits nach 20 % der Behand­lungs­dau­er erreicht. Eine Limi­ta­ti­on ergab sich bei der Behand­lung von Wun­den, die mit Pseu­do­mo­nas spec. besie­delt waren: Dabei kam es zu einer vor­zei­ti­gen Resorp­ti­on der Matrix ohne posi­ti­ven Effekt, sodass hier vor der Appli­ka­ti­on einer Matrix die Era­di­ka­ti­on der Bak­te­ri­en emp­foh­len wird. Erneut zeig­te sich auch der anal­ge­ti­sche Effekt der Wund­ma­trix, ins­be­son­de­re bei initi­al hohem Schmerz­mit­tel­be­darf. Zusammen­gefasst erga­ben sich in die­ser mul­ti­zen­tri­schen Fall­samm­lung Hin­wei­se dar­auf, dass gera­de bei „Hard-to-heal“-Fußwunden des Dia­be­ti­kers, die häu­fig auch frei­lie­gen­de Kno­chen­an­tei­le oder Seh­nen auf­wei­sen, eine Wund­hei­lung erreicht und eine sekun­dä­re Ampu­ta­ti­on ver­mie­den wer­den konn­te 11.

Die ODIN-Stu­die

Bei den vor­lie­gen­den Berich­ten zu Behand­lungs­er­geb­nis­sen mit mari­ner Wund­ma­trix han­delt es sich um Ein­zel­be­rich­te, Fall­se­ri­en und nicht-kon­trol­lier­te Stu­di­en, die in wis­sen­schaft­li­cher Hin­sicht nur eine begrenz­te Aus­sa­ge­kraft auf­wei­sen. Um eine ver­bes­ser­te Daten­grund­la­ge zu schaf­fen, star­te­te im Jahr 2019 eine gro­ße euro­päi­sche mul­ti­na­tio­na­le (Frank­reich, Ita­li­en, Deutsch­land, Schwe­den) und mul­ti­zen­tri­sche ran­do­mi­sier­te Stu­die. Pro­spek­tiv, ran­do­mi­siert und kon­trol­liert wird dar­in die Appli­ka­ti­on von Ome­ga-3-Wund­ma­tri­ces („Kerecis® Omega3 Wound“) bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom mit dem aktu­el­len „stan­dard of care“ in der Wund­be­hand­lung ver­gli­chen. Es han­delt sich um eine der größ­te ran­do­mi­sier­ten Stu­di­en zur Behand­lung des dia­be­ti­schen Fuß­syn­droms über­haupt. Ein­ge­schlos­sen wur­den Pati­en­ten mit seit min­des­tens 4 Wochen bestehen­den Wun­den am Fuß. Neben nicht-hei­len­den Ampu­ta­ti­ons­wun­den im Fuß­be­reich wur­den tie­fe Wun­den ein­ge­schlos­sen, die min­des­tens auf Faszien‑, Kap­sel- oder Seh­nen-Niveau rei­chen (Wag­ner-Arm­strong-Klas­si­fi­ka­ti­on, Wag­ner-Grad 2–3). Eine Osteo­mye­li­tis muss vor dem Stu­di­en­ein­schluss saniert wer­den, und bei redu­zier­ter Durch­blu­tung muss zunächst eine Revas­ku­la­ri­sa­ti­on durch­ge­führt wer­den. Der Stu­di­en­ein­schluss kann dann 4 Wochen spä­ter erfol­gen. Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die eine sys­te­mi­sche Kor­ti­kos­te­ro­id­ga­be erhal­ten, kön­nen eben­so wie Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit Fisch­all­er­gie oder Auto­im­mun­erkran­kun­gen (wie Lupus oder rheu­ma­to­ider Arthri­tis) nicht in die Stu­die ein­ge­schlos­sen wer­den. Eben­so von der Teil­nah­me aus­ge­schlos­se­nen sind schwan­ge­re Patientinnen.

In Deutsch­land ist die Stu­die multi­zentrisch orga­ni­siert (Köln, Ham­burg, Karls­ru­he) mit dem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum der Uni­ver­si­tät zu Köln (Kli­nik für Gefäß­chir­ur­gie) als füh­ren­dem Zen­trum. Im Juni 2020 wur­de mit der Rekru­tie­rung von Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den in Frank­reich begon­nen; im Juli 2021 konn­te der ers­te deut­sche Pro­band ein­ge­schlos­sen wer­den. Ins­ge­samt liegt das Rekru­tie­rungs­ziel bei 320 Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den, wovon 40 in den deut­schen Zen­tren vor­ge­se­hen sind. Der Patienten­einschluss in die ODIN-Stu­die wird im Lau­fe des Jah­res 2022 been­det; Aus­wer­tung und Ver­öf­fent­li­chung ers­ter Ergeb­nis­se wer­den Ende des­sel­ben Jah­res erwartet.

Die Stu­die wird von der Euro­päi­schen Uni­on im Rah­men des Hori­zon-2020-Pro­gram­mes (H2020-EU 2.1 #878896) geför­dert und ist in der inter­na­tio­na­len Stu­di­en-Daten­bank gelis­tet (­ClinicalTrials.gov iden­ti­fier: NCT04257370).

Dis­kus­si­on

In der moder­nen Wund­the­ra­pie stellt das dia­be­ti­sche Fuß­syn­drom ein spe­zi­el­les Pro­blem dar, da durch die Fehl­re­gu­la­ti­on ins­be­son­de­re der Ent­zün­dungs­pro­zes­se durch die Grund­erkran­kung selbst eine regu­lä­re Wund­hei­lung meist nicht mög­lich ist. Auch „Hard-to-heal“-Wunden, die seit Lan­gem bestehen, oder inner­halb der Wun­de frei­lie­gen­de kri­ti­sche Struk­tu­ren wie Seh­nen oder Kno­chen ber­gen auch heu­te noch das Risi­ko einer (Major-)Amputation 5 11. Extra­zel­lu­lä­re Wund­ma­tri­ces stel­len einen inno­va­ti­ven Ansatz in der Wund­behandlung dar. Die bis­her ver­füg­ba­ren Matri­ces (vom Schwein oder Rind gewon­nen) haben jedoch im Gegen­satz zur mari­nen Wund­ma­trix eine sehr dich­te Struk­tur. Die porö­se Mikro­struk­tur der mari­nen Matri­ces unter­stützt dage­gen wie ein „Klet­ter­ge­rüst“ die Migra­ti­on von Zel­len und das Ein­wach­sen neu­er Blut­ge­fäß­ka­pil­la­ren. Zudem ber­gen mari­ne Wund­ma­tri­ces nicht die Gefahr einer auto­im­mu­nen Reak­ti­on, einer Über­tra­gung von Prio­nen oder ande­rer Infek­tio­nen und kol­li­die­ren nicht mit mög­li­cher­wei­se vor­lie­gen­den reli­giö­sen oder kul­tu­rel­len Wertvorstellungen.

In der heu­ti­gen Zeit steht auch immer das Poten­zi­al zur Kos­ten­re­duk­ti­on im Fokus. Win­ters et al. (USA) unter­such­ten im Jahr 2020 die Kos­ten­ef­fek­ti­vi­tät einer The­ra­pie mit mari­ner Wund­ma­trix bei chro­ni­schen Ulzer­a­tio­nen im Zusam­men­hang mit einem dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom und konn­ten dabei nicht nur eine Kos­ten­re­duk­ti­on, son­dern auch deut­lich höhe­re Wund­hei­lungs­ra­ten (83,2 % vs. 63,4 %) sowie weni­ger Ampu­ta­tio­nen (4,6 % vs. 6,9 %) nach­wei­sen. Auch wenn auf­grund der unter­schied­li­chen Abrech­nungs­sys­te­me eine direk­te Über­tra­gung einer sol­chen ame­ri­ka­ni­schen Stu­die auf Deutsch­land nicht mög­lich ist, so ist hier zumin­dest mit einem gleich­ge­rich­te­ten Effekt zu rech­nen 12.

Dar­über darf jedoch nicht ver­ges­sen wer­den, dass am Anfang der Behand­lung eines dia­be­ti­schen Fuß­syn­droms immer die „klas­si­sche“ Eva­lua­ti­on und Behand­lung der Risi­ko­fak­to­ren ste­hen muss, ins­be­son­de­re bei der in hohem Pro­zent­satz (ca. 29 % bei allen Dia­be­ti­kern, ca. 70 % beim DFS) mit einem Dia­be­tes mel­li­tus ver­ge­sell­schaf­te­ten pAVK. Für eine Wund­hei­lung beim dia­be­ti­schen Fuß­syn­drom wird idea­ler­wei­se immer ein mul­ti­mo­da­ler Ansatz mit Sicher­stel­lung einer suf­fi­zi­en­ten Per­fu­si­on, Druck­ent­las­tung (orthe­ti­sche Ver­sor­gung von Fehl­be­las­tun­gen), The­ra­pie einer etwa­igen Osteo­mye­li­tis bzw. Infek­ti­on sowie der Grund­er­kran­kung, das heißt des Dia­be­tes an sich, umgesetzt.

Fazit

Ins­be­son­de­re bei „Hard-to-heal“-Läsionen bei Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom scheint sich ein Nut­zen aus einer Behand­lung mit mari­ner Ome­ga3-Wund­ma­trix zu erge­ben 5 11. Die Eva­lua­ti­on und Behand­lung der Risi­ko­fak­to­ren der Pati­en­ten und die loka­le Opti­mie­rung des Wund­bet­tes stel­len jedoch immer die Basis der Wund­be­hand­lung dar. Die hier vor­ge­stell­te The­ra­pie bie­tet das Poten­zi­al einer lang­fris­ti­gen Kos­ten­re­duk­ti­on (durch Ver­mei­dung von Major-/Mi­noram­pu­ta­tio­nen und ange­sichts der Reduk­ti­on der benö­tig­ten Schmerz­the­ra­pie) sowie die Mög­lich­keit der (frü­he­ren) ambu­lan­ten Therapie.

Um eine wis­sen­schaft­lich unter­mau­er­te Evi­denz zu schaf­fen und die The­ra­pie von Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom zu eva­lu­ie­ren und zu opti­mie­ren, sind groß­an­ge­leg­te Wund­stu­di­en wie z. B. die ODIN-Stu­die wichtig.

Aktu­ell ist die mari­ne Wund­ma­trix „Kerecis® Omega3 Wound“ zur Wund­be­hand­lung in Deutsch­land zwar zuge­las­sen und erhält­lich, die Kos­ten wer­den aktu­ell jedoch nicht von den gesetz­li­chen Kos­ten­trä­gern über­nom­men (bzw. nur auf Antrag und per Son­der­ver­ein­ba­rung). Auch in die­ser Hin­sicht ist eine fun­dier­te wis­sen­schaft­li­che Eva­lua­ti­on wich­tig, um die Evi­denz zu erzeu­gen, die not­wen­dig ist, um die­se wich­ti­ge The­ra­pie­op­ti­on auch für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in Deutsch­land flächen­deckend anbie­ten zu können.

Für die Autoren:
Dr. med. Ursu­la Werra
Fach­ärz­tin für Gefäß­chir­ur­gie, endo­vaskuläre Chirurgin
Funk­ti­ons­ober­ärz­tin
Kli­nik und Poli­kli­nik für Gefäß­chir­ur­gie, Vas­ku­lä­re und endo­vas­ku­lä­re Chirurgie
Gebäu­de 9 (Haupt­ge­bäu­de Bet­ten­haus), Ebe­ne 5
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Köln
Ker­pe­ner Str. 62
50937 Köln
ursula.werra@uk-koeln.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Wer­ra UEM, Trinh TT, Taht­a­ci E, Dor­wei­ler B. Mari­ne Ome­ga-3-Wund­ma­trix („Fisch­haut“) – neu­er Ansatz zur Hei­lung chro­ni­scher Wun­den bei dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (10): 48–53
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