Einleitung
Die Anwendung unter- und oberschenkellanger Kompressionsstrümpfe ist in der medizinischen Kompressionstherapie der unteren Extremität verbreitet, vor allem bei venöser Insuffizienz. Die Thrombosebehandlung ist ebenfalls eine anerkannte Indikation der Kompressionstherapie 1 2; hierbei kommen jedoch im Gegensatz zur Thromboembolieprophylaxe Kompressionsstrümpfe höherer Kompressionsklassen zur Anwendung. Im Rahmen der Prophylaxe ist die Verwendung von Kompressionsstrümpfen mit niedrigeren Kompressionsdrücken in der S3-Leitlinie hinterlegt 3. Schließlich spielen Narbenkompressionsbandagen in der Therapie hypertropher Narben und bei Narbenkeloiden, oftmals auch hinterlegt mit Silikon-Einlagen, eine zentrale Rolle 4 5. Über eine Kompressionstherapie bei postoperativen Schwellungen wird hin und wieder berichtet, die Studienlage ist allerdings ungenügend.
Die Theorie der Entstehung einer postoperativen Schwellung besagt, dass durch das Trauma über Entzündungen, Blutgefäßverletzungen, Lymphgefäßverletzungen und schmerzgetriggerte Verminderung der Transportleistung der Lymphgefäße ein eiweißreiches Ödem entsteht; dies würde im Gegensatz zu den Stauungsödemen bei venöser Insuffizienz stehen 6. Dennoch betrachten die Protagonisten dieser Theorie die Kompression nach operativen Maßnahmen nicht als generellen Bestandteil der Versorgung – im Gegensatz zu den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung 7.
Darüber hinaus gibt es mittlerweile Fallberichte und Mono-Kohortenstudien, welche die Wirksamkeit der Kompressionsbehandlung in der plastischen Chirurgie belegen 8. Bezüglich der Kompressionstherapie an der oberen Extremität liegen hauptsächlich Einzelberichte vor.
Studienlage zur Kompressionstherapie
Hewitt hat im Jahre 2005 eine Studie veröffentlicht, in der gezeigt wurde, dass im Tierversuch unter pneumatischer Kompressionstherapie eine deutlich vermehrte Knochenneubildung am artifiziellen Frakturspalt stattfindet 9. Unal zeigte 2012, dass nach freiem Lappentransfer die distal des Lappens gelegene postoperative Schwellung durch Kompressionsstrümpfe signifikant verbessert oder sogar behoben werden konnte 8.
Ohayon konnte in einer Studie aus dem Jahr 2013 belegen, dass auch konfektionierte Kompressionsstrümpfe in der Regel tatsächlich passen und somit ihren Zweck in der Kompressionstherapie erfüllen 10.
Ristow wies in seiner Studie (2013) nach, dass elastisches Tapen postoperative Schwellungen und Schmerzen nach der Fixation von Unterkieferfrakturen reduziert 11. Dies zeigt, dass nicht nur im Bereich der Extremitäten, sondern auch im Bereich des Gesichtsschädels elastische Kompression zu einer Abnahme der postoperativen Schwellungszustände führt.
Hong 12 kam 2013 zu dem Ergebnis, dass funktionelles Outcome und Einschränkungen der sportlichen Aktivität bei bimalleolären und trimalleolären Frakturen selbst nach 6 Wochen noch von der posttraumatischen bzw. postoperativen Schwellung abhängig sind.
Konrad hatte in seiner Studie aus dem Jahr 2005 dafür die Verwendung von Blutsperren verantwortlich gemacht 13. Er konnte zeigen, dass bei der operativen Versorgung von Sprunggelenkfrakturen die postoperativen Schwellungen und Schmerzen mit Blutsperre größer waren als ohne. Dies wiederum würde auch die Theorie der Entstehung der postoperativen Schwellungen 6 unterstützen.
Zusammengefasst ist für die Kompressionstherapie nach Verletzungen bzw. postoperativ an den Extremitäten relativ wenig bekannt. In vielen Kliniken gehört sie zwar zum Standard, es gibt Hinweise auf ihre Wirksamkeit sowohl in den Studien als auch in der Empirie, es gibt eine Theorie zur Schwellungsgenese – aber es fehlen hochwertige Studien, die diesen Zusammenhang belegen.
Kompressionstherapie der oberen Extremität – eine prospektiv-randomisierte Studie
Um die alleinige Wirksamkeit der Kompressionsbehandlung an der oberen Extremität zu zeigen, wurden in einer prospektiv-randomisierten Studie Interimskompressionshandschuhe gegen das zurzeit übliche Vorgehen einer elastischen Wicklung mit Langzugbinden bis zum Fadenzug getestet. Als geeignetes Patientengut sahen die Autoren Patienten mit einer distalen Radiusfraktur an, die mit einer frühfunktionell nachbehandelbaren palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthese versorgt wurden. Bei allen Studienteilnehmern wurden weitere entstauende Maßnahmen, wie z. B. die manuelle Lymphdrainage, ausgeschlossen.
Als objektive Prüfparameter wurden Volumen, Umfang, Funktion und visuell analog gemessener Schmerz festgelegt. Im Rahmen der knöchernen Heilung ist eine Handkraftmessung nicht möglich, feinmotorische Tests bringen aufgrund des Betroffenseins von dominanten und nichtdominanten Händen keine verwertbaren Aussagen.
Der Interimskompressionshandschuh ist ein konfektionierter Handschuh, der in 6 Größen vorrätig ist, er wird direkt postoperativ angemessen und angepasst und entspricht in seiner Zugstärke der Kompressionsklasse 2 (Abb. 1).
Die Studienhypothese lautete: „Wie an der unteren Extremität kann die Kompressionsbehandlung auch an der oberen Extremität zu einer rascheren Abschwellung und damit zu einer schnelleren Zunahme der Funktionalität führen.” Da für die oberen Extremitäten keine Studiendaten vorliegen, musste für die Fallzahlschätzung eine Pilotstudie stattfinden.
Im Rahmen dieser Vorstudie 14 zeigte sich eine Abnahme der Schwellung; demnach waren die Unterschiede in der absoluten Abnahme der Schwellung ab dem 10. Tag für die Gruppe mit Handschuh signifikant günstiger (t‑Test für unabhängige Gruppen p = 0,007). Andererseits wurde eine „Normalisierung der Schwellung”, d. h. die Differenz zur unverletzten Hand, nach ca. 10 Tagen bei den Handschuhträgern (sign > 0,05, d. h. keine Signifikanz), ohne Handschuh aber erst nach 14 Tagen erreicht. Hier gab es allerdings nur je 6 Fälle zu beurteilen (Prüfung jeweils mit dem t‑Test für abhängige oder gepaarte Stichproben). Aufgrund dieser Ergebnisse konnte die Fallzahlbestimmung erfolgen; 30 Fälle pro Studienarm waren notwendig (Abb. 2).
Die Altersspanne der Patienten lag zwischen 18 und 80 Jahren. Kinder und Jugendliche waren damit prinzipiell von der Studie ausgeschlossen. Alle Patienten hatten eine operationspflichtige dislozierte distale Radiusfraktur erlitten. Die Fraktur wurde innerhalb von 24 Stunden mit einem winkelstabilen Implantat von palmar übungsstabil versorgt. Supplementäre Osteosynthesen oder externe Stabilisierungen waren verboten. Bereits am ersten postoperativen Tag musste mit der Übungsbehandlung begonnen werden. Die Nachbehandlung unterlag einem streng standardisierten Regime. Eine aktive funktionelle Beübung und Ergotherapie wurde gestattet, lediglich ein Aufstützen war untersagt.
Die Randomisierung wurde entsprechend einer Zufallsgeneration vorgenommen. Eine gerade Endziffer zog eine Handschuhversorgung nach sich, eine ungerade Endziffer sah eine Nachbehandlung mittels elastischer Wicklung vor.
Die Messungen erfolgten in definierten Zeitabständen. Sie wurden jeweils am 2., 4., 6., 8., 10., 12., 14., 17., 21., 24., 28., 35. und 42. Tag nach der Operation durchgeführt. Um eine höhere Trennschärfe in der Darstellung der Untersuchungsergebnisse zu gewährleisten, wurden die Zeitpunkte T1 bis T8 mit dem 2., 4., 6., 10., 14., 21., 32. und 42. Tag festgelegt.
An den jeweiligen Tagen wurden die Volumina der Unterarme mittels Wasserverdrängung (Abb. 3) gemessen. Hierzu wurde ein Wassereimer in eine größere Schüssel gestellt. Der Wassereimer wurde bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Der Patient machte eine Faust und tauchte den Arm senkrecht in den Eimer, bis die Faust den Boden des Eimers berührte. Das übertretende Wasser konnte dann in der Schüssel aufgefangen werden. Durch Umfüllen des Wassers in einen Messzylinder ließ sich das Volumen des Unterarmes bestimmen.
Gleichzeitig wurden die Umfänge am Unterarm, am Handgelenk und an der Mittelhand sowie die Ausmaße der Beweglichkeiten der Unterarmumwendung und des Handgelenkes bestimmt.
In der Hauptstudie 15 wurde auf die Homogenität der Gruppen Wert gelegt. Diese konnte für Randomisierungsgenauigkeit, Seitenverteilung, Geschlechterverteilung, Altersverteilung und Operationsdauer nachgewiesen werden. Alle Studienteilnehmer waren mit einer palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthese versorgt.
Bei den Schmerzen zeigen beide Gruppen einen deutlichen Abfall zum Ende der Untersuchung hin. Es ist jedoch zu erkennen, dass die Patienten in der Handschuhgruppe ein etwas erhöhtes Schmerzniveau haben (Abb. 4). Dies deutet auf die Kompressionswirkung des Handschuhs hin, welche in manchen Fällen als nicht angenehm bezeichnet wurde.
Bei der Volumen- und Umfangsmessung (Abb. 5 u. 6) ergab sich jedoch ein statistisch signifikanter Vorteil der Handschuhträger. Hier zeigt sich eine gleichmäßige Abnahme des Volumens bis zum letzten Untersuchungszeitpunkt, wobei sich nach anfänglichem parallelem Abnehmen des Volumens zum Zeitpunkt T6 eine statistisch deutliche Differenz (p > 0,05) der Volumina und Umfänge der Handschuhgruppegegenüber der Bindengruppe zugunsten der Handschuhgruppe zeigt. Die Zunahme der Umwendungsbewegung (Abb. 7) ist bei der Handschuh- und bei der Bindengruppe ähnlich; zum Zeitpunkt T8 ist eine annähernd freie Umwendung in beiden Gruppen zu bemerken.
Für die Flexions- und Extensionsbewegungen (Abb. 8) ist die Handschuhgruppe zeitlich deutlich schneller als die Bindengruppe, wobei zum Endpunkt hin beide Gruppen wiederum gleichauf sind. Jedoch ist eine deutlich schnellere Bewegungszunahme für die Handschuhgruppe zu verzeichnen.
Zusammengefasst ergab die Studie Folgendes:
- In der Handschuhgruppe klagten die Studienteilnehmer zu Beginn über etwas mehr Schmerzen.
- Die Volumina der operierten Hände verringerten sich signifikant schneller nach dem 10. Tag.
- Die Schwellung der Handgelenke verringerte sich signifikant schneller nach dem 10. Tag.
- Die Funktionalität bei den Patienten in der Handschuhgruppe nahm schneller zu, ohne allerdings signifikant zu sein.
Zusammenfassung
In der Studie konnte gezeigt werden, dass eine alleinige Kompressionstherapie an einer operierten oberen Extremität zu einer rascheren Abnahme von Volumina und Umfängen führt. Diesen signifikant guten Werten kann eine Steigerung der Funktionalität nur in einem begrenzten Maße folgen. Das bedeutet, dass nicht nur die postoperative Schwellung, sondern auch das operative Trauma an den Weichteilen und den funktionellen Strukturen an Gelenken eine entscheidende Rolle bei der Zunahme der Funktionalität im Rahmen einer frühfunktionellen Nachbehandlung spielt.
Die zunächst als unangenehm empfundene Kompressionswirkung des Handschuhs spiegelt sich in einem etwas höheren Schmerzniveau der Handschuhgruppe wider.
Der schnelle Rückgang der Schwellung und der Volumina zeigt aber einen schnelleren Rückgang des postoperativen oder posttraumatischen Ödems der oberen Extremität; dies wird als indirektes Zeichen einer schnelleren, besseren und suffizienteren Konsolidierung der Weichteile gewertet. Allerdings gab es in beiden Gruppen weder Wundheilungsstörungen noch Infekte. Die Kompressionstherapie an der oberen Extremität konnte bei der Abschwellung und der Ödemreduktion überzeugen, nicht aber bei der Funktionszunahme.
Die Autoren verwenden den Interimskompressionshandschuh bei allen Verletzungen und postoperativ an Hand, Handgelenk und Unterarm, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, da sie die Vorteile der schnelleren Abschwellung und Ödemreduktion sehen.
Für die Autoren:
Ina Schmidt
Trauma-and-more
Sachsenstraße 36
16356 Werneuchen
Iuj-schmidt@web.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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