Live aus Duisburg führten Dr. Maria del Pilar Andrino Garcia und Christiana Hennemann für Rehakind, Prof. Dr. Thomas Dreher und Prof. Dr. Rüdiger Krauspe für die Vereinigung für Kinderorthopädie (VKO) sowie Prof. Dr. Volker Mall für die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) und in Vertretung auch für die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) durch die per Stream auf Youtube übertragene Veranstaltung. Das Ziel: gemeinsam Strategien entwickeln und Perspektiven aufzeigen, um junge Menschen mit Bewegungsstörungen und anderen Einschränkungen zu unterstützen und so ihre Selbstständigkeit und Teilhabe zu sichern.
Prof. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) stimmte mit seinem Grußwort bereits auf den Kongress im Februar ein, bei dem er als Festredner vor Ort sein wird. Er sieht Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe und ermahnte das Publikum, sich für benachteiligte Menschen einzusetzen. Einige Gäste konnten im Studio begrüßt werden, andere schalteten sich dazu, um nicht nur ihre Vorträge präsentieren zu können, sondern auch um den Moderator:innen und den rund 500 Zuschauer:innen Rede und Antwort zu stehen. So auch Dr. Nicolai Jung (Sozialpädiatrie), der in seinem Vortrag zum Thema „Personalisierte Neurostimulation“ deutlich machte, warum auch minimalinvasive Methoden in die Rehabilitation einfließen können. Die Operation ist das eine, der weite Weg danach das andere. Das zeigte Dr. Michael Wachowsky (Kinder‑, Jugend- und Neuroorthopädie) auf und präsentierte Möglichkeiten der Rehabilitation im Anschluss an neuroorthopädische Operationen. Dabei stellte er auch die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit zwischen Operateur:innen und Rehakliniken heraus. Wie ist es um die Hilfsmittelversorgung in Sozialpädiatrischen Zentren bestellt? Antworten darauf gab Dr. Mona Dreesmann, Leiterin des SPZ Potsdam. Allein mit Blick auf die Antragsstellung betonte sie: „Die Hilfsmittelversorgung ist ein komplexer Prozess, der Eltern belasten kann.“ Hilfsmittel würden häufig abgelehnt mit teils schwerwiegenden Folgen für die Entwicklung der Kinder. Auch fehlende Transparenz bei der Abstimmung zahlreicher Akteure erschwere den Prozess. Sie sagt: „Schreibkram und Widersprüche“ würden sowohl Eltern als auch Fachleute überfordern. Um das zu ändern, hat sich das „Aktionsbündnis für bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung“ – hervorgegangen aus der Online-Petition der Familie Lechleuthner – gegründet. Gemeinsam haben die Mitglieder Probleme definiert sowie Verbesserungsvorschläge erarbeitet.
Im ständigen Austausch
Wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie Teilhabe in der Versorgung sind, zog sich wie ein roter Faden durch die Beiträge aller Referent:innen. Wie das ganz konkret in der Praxis aussehen kann, zeigte eine Sprechstunden-Runde um Dr. Björn Vehse (Neuroorthopädie), Thomas Becher (Kinder- und Jugendmedizin), Gunnar Kandel (Orthopädie-Technik), Andrea Espei (Ergotherapie) und Claudia Staudt, Journalistin, Fitnesstrainerin und Mutter der neunjährigen Lena. Wer den „Focus-CP-Rehakind-Kongress“ 2019 verfolgt hat, kannte das Mädchen bereits. Seit ihrem neunten Lebensmonat ist sie aufgrund einer bilateralen spastischen Cerebralparese GMFCS-Level IV in Dauerpflege. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Egal ob es um den Wunsch nach dem Schreiben mit der Hand ging, das Schlafen auf der Seite oder die Entscheidung darüber, ob sie stehen oder sitzen will – Lena gibt mittlerweile den Weg und das Tempo vor. „Das einschneidendste Erlebnis war die Hüftkorrektur“, berichtete ihre Mutter. Zwei Operationen in zwei Wochen und lange Aufenthalte auf der Intensivstation. Als der Gips abgenommen wurde, habe sich Lena in ihrem eigenen Körper nicht mehr wiedergefunden. „Es hat sich alles anders angefühlt. Die Angst vor den Schmerzen war so groß“, berichtete Staudt. Lena habe sich kaum noch bewegt, auch nähern durfte sich niemand mehr. „Mehr als panisch zucken, Augen aufreißen und schreien ging nicht mehr. Es war die Hölle“, erinnert sich Staudt. „Das Einzige, was uns einfiel, war Herrn Becher anzurufen und einen Hilferuf abzusetzen.“ Und der stellte fest: „Es zeigt sich, dass Interdisziplinarität manchmal über die gewohnten Wege hinausgehen muss.“ In Abstimmung mit der Kinder- und Jugendpsychiaterin wurde Lena stationär aufgenommen und Diazepam verabreicht. Nach und nach kamen Lenas Mut und Lebensfreude zurück. Physiotherapie ergänzte den gesamten Prozess. „Wir waren im ständigen Austausch. Das war hilfreich für alle Seiten. Wir haben die Familie miteinbezogen und konnten ein gutes Konzept entwickeln“, berichtete Vehse mit Blick auf die Lagerung. Die nächsten Schritte sind bereits angedacht: „Wir planen derzeit eine sehr reduzierte Lagerung, ein angefertigtes Schaumkissen, womit sich Lena besser bewegen kann. Sie kann damit auch in Seitenlagerung gehen. Das ist von der Compliance her ein guter Fortschritt für Lena“, ergänzte Kandel.
E‑Rolli ist gute Alltagshilfe
Lena selbst kam selbstverständlich auch mehrfach zu Wort und wurde mit kurzen Videosequenzen eingespielt. Auf die Frage ihrer Mutter, welches ihr liebstes Hilfsmittel sei, hatte die Neunjährige eine klare Antwort: „Mein Assistenzhund.“ Immerhin auf Platz zwei schafft es der E‑Rolli. „Er ist eine gute Alltagshilfe. Ich kann selber entscheiden, ob ich gerade, mittel oder gar nicht stehen will.“ Auch einen Wunsch für die Zukunft äußerte Lena: „Wenn ich etwas erfinden könnte, dann, dass es nur noch barrierefreie Häuser gibt. Nicht nur für behinderte Menschen, sondern auch für Menschen, die alt werden und nicht gut Treppen laufen können. Man sollte das ganze Land barrierefrei machen.“ Diesem Appell konnten alle Beteiligten vor Ort in Duisburg nur zustimmen – und vermutlich auch die Zuschauer:innen zu Hause vor ihren Bildschirmen.
Pia Engelbrecht
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