Einleitung
Der Markt für orthopädische Einlagen ist riesig: Schätzungen zufolge leiden ca. 70 Prozent der Weltbevölkerung an einer Fuß- oder Zehenfehlstellung. Allein in Deutschland werden jedes Jahr rund zwölf Millionen Einlagen verkauft.
Die traditionellen Herstellungsmethoden orthopädischer Einlagen stellen die Fachbetriebe immer wieder vor große Probleme, denn sie sind entweder zu starr, zu kompliziert oder zu teuer. Die seit Langem üblichen Trittschaum‑, Blauabdruck- oder Gipsabdruck-Rohlinge versprechen zwar Individualität, basieren aber letztlich auf einer statischen Messung und sind somit zu wenig auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden abgestimmt. In über 90 Prozent der Fachbetriebe kommt immer noch diese „Schubladentechnik“ zur Anwendung, weshalb die Krankenkassen immer mehr damit drohen, die Kosten für auf diese Weise gefertigte Einlagen nicht mehr zu übernehmen. Modernere Herstellungsverfahren mittels 2‑D- oder 3‑D-Scanner, standardisierter Fräsmaschine oder CAD/CAM-Technologie liefern zwar bessere Ergebnisse, sind aber sehr kostenintensiv und erfordern großes Fachwissen, das angesichts des Fachkräftemangels oft nur begrenzt zur Verfügung steht.
Das Modulsohlen-System
Eine individuelle und trotzdem wirtschaftliche Alternative bietet das Modulsohlen-System „OrmoSys“. Das variantenreiche und patentierte System ermöglicht eine hohe Individualität der Versorgungen, ist zugleich aber auch im Alltag der Fachbetriebe praktikabel. Nach der Messung erhält man einen umfassenden Bericht, der den Patienten zur Verfügung gestellt werden kann, aber auch als Unterstützung für Ärzte bei der Erstellung von Therapieplänen dient; deshalb steht einer Zusammenarbeit mit Ärzten mit diesem System trotz § 299a StGB nichts mehr im Wege.
OrmoSys ist ein System mit verschiedenen Komponenten, das die Einlagenfertigung nicht nur vereinfacht, sondern aus Sicht des Autors auch bessere Ergebnisse hervorbringt als eine herkömmliche Fertigung. Nach der manuellen Fußanalyse (Abb. 1 ) werden die Einlagenkomponenten nach einer statischen und dynamischen Analyse (ca. 20 Minuten) mittels Software, Druckmessplatte (Abb. 2), Free4Act-Sensor (Abb. 3) und Brannock-Messsystem (Abb. 4) in Sandwich-Bauweise miteinander verbacken und im Vakuumverfahren zu einer Einlage verpresst. Alle benötigten Komponenten sind im Lieferumfang von OrmoSys enthalten.
Das neuartige Modulsohlen-System arbeitet aus Sicht des Autors genauer und individueller als andere Herstellungsvarianten – insbesondere bezüglich der systematischen Befragung des Patienten (Anamnese) sowie der Berücksichtigung dynamischer Informationen. Das System ist ähnlich einfach zu bedienen wie ein Computer oder ein Smartphone, wodurch auch angelernte Mitarbeiter nach eingehender Einarbeitung etwa 90 Prozent der Versorgungen abdecken können.
Dabei können individuell abgestimmte Einlagenkomponenten miteinander kombiniert werden (Abb. 5a und b). Die eigentliche Herausforderung bei der Entwicklung des Systems bestand darin, eine praktikable und bezahlbare Lösung für die Erstellung der Leistenformen zu ermitteln, über die die Einlagenkomponenten tiefgezogen werden. Vorgefertigt sollten sie sein, um Arbeitsprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen. Dennoch sollten sie eine hohe Individualität und Variabilität ermöglichen. Die Lösung war eine Art Baukastensystem: Es sollte nicht eine Vielzahl von Leisten für unterschiedliche Füße entwickelt werden, sondern eine einzige modulare Form. So entstand eine Leistenform aus einem holzähnlichen Verbundmaterial, die sich wie ein Puzzle aus vier verschiedenen Teilen zusammensetzt: Vorfuß, retrokapitaler Bereich, Mittelfuß und Ferse. Für diese Teile wurde eine Vielzahl von Varianten entwickelt, die je nach den Bedürfnissen des Patienten individuell kombiniert werden können. Das Material bietet den Vorteil, dass Anwender, die ihre eigenen Vorstellungen bezüglich der Einlagen haben, die Elemente einfach in ihrem Sinne verändern können. Auch die Produktion von Badesandalen („Flipflops“) ist Teil des Portfolios, die dem Unternehmen eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen. Des Weiteren stehen für die nächsten Monate Neuerungen an: orthopädische Einlagen für Kinder, sensomotorische und propriozeptive Einlagen sowie Versorgungsmöglichkeiten für Diabetiker.
Nicht nur die Formen, sondern auch die Einlagenmaterialien und ‑komponenten sind Bestandteil des Systems. So wird eine Vielzahl verschiedener Polster‑, Bezugs‑, Versteifungs- und Aufbaumaterialien in unterschiedlichen Shorehärten und verschiedener Steifigkeit zur Verfügung gestellt, die in Sandwich-Bauweise übereinandergelegt und im Vakuumverfahren miteinander verbunden werden können. Dazu werden sie auf einer Heizplatte erwärmt (Abb. 6), die im Gesamtpaket mitgeliefert wird, und mit zwei ebenfalls dazugehörigen, jeweils paarigen Vakuumpressen tiefgezogen (Abb. 7a u. b).
Neue Wege geht das Modulsystem auch bei der Messung. Ob Trittschaum, Blauabdruck, Gipsabdruck oder Scanner: Diese weit verbreiteten Messtechniken haben den Nachteil, nur statische Daten zu erheben. Einlagen müssen aber beim Gehen funktionieren, also ist es nur folgerichtig, auch dynamisch zu messen. Doch ganz verzichtet das System nicht auf statische Messungen: Mit dem Brannock-Fußmesssystem werden Fußlänge und Ballenpunkt ermittelt.
Bestandteil der Messtechnik ist zudem eine Druckmessplatte, mit der sich sowohl eine posturale als auch eine dynamische Druckverteilungsmessung durchführen lässt. Ergänzend zur dynamischen Druckverteilungsmessung gehört zum Gesamtpaket ein „Free4Act-Sensor“. Dabei handelt es sich um einen sogenannten lnertialsensor, der – mit einem Gürtel um die Hüfte getragen – beim Laufen unter Berücksichtigung der Schwerkraft dreidimensional die Hüftbewegungen beziehungsweise die Hüftrotation ermittelt. Stellt man fest, dass die Abweichungen der Hüfte bei einem Patienten nach links und rechts sehr unterschiedlich ausfallen, sollen Einlagen dafür sorgen, hier wieder gleichmäßige Werte zu schaffen. Auch der ungefähre Verlauf der Beinachsen wird berücksichtigt, wobei das System ohne Marker auskommt. Mit Hilfe reflektierender Aufkleber werden relevante Punkte auf dem hinteren Ober- und Unterschenkel markiert; eine kleine Kamera filmt den Patienten von hinten. Die gefilmten Punkte werden dann vom Anwender in der Software angeklickt und verbunden. Auf diese Weise erhält er die Winkel der Bein- und Sprunggelenk-Achsen. Sämtliche Untersuchungsergebnisse und Grafiken lassen sich für den Arzt und den Patienten ausdrucken.
Die Software des Systems verfügt über einen intelligenten Algorithmus: Sind alle relevanten Daten des Patienten erfasst, besteht die Möglichkeit, neben den normalen orthopädischen Einlagen auch Einlagen für verschiedene Einsatzgebiete zu wählen – zum Beispiel für Hallensportarten, Fußball, Ski, Golf, Wandern, Jogging oder Radfahren. Der Anwender erhält nach der Auswertung der Daten genaue Vorgaben, aus welchen Modulen der Leisten zusammenzusetzen ist und welche Einlagenkomponenten und ‑materialien gewählt werden müssen. Ein Schubregal unter der mitgelieferten Werkbank sorgt dafür, dass trotz der knapp 40.000 Varianten, die derzeit pro Schuhgröße zur Verfügung stehen, alles geordnet und übersichtlich bleibt.
Die eigentliche Einlagenfertigung dauert mit etwas Übung dann lediglich noch fünf bis zehn Minuten. Die Einlagenkomponenten werden in Sandwich-Bauweise miteinander verbacken und im Vakuumverfahren zu einer Einlage verpresst. Für die vorangehenden Messungen und Untersuchungen veranschlagt der Entwickler rund zwanzig Minuten. Somit ermöglicht das „OrmoSys“-System, dass auch weniger qualifizierte Mitarbeiter nach einer adäquaten Schulung die Fertigung der Einlagen übernehmen können. Nach Anamnese und Diagnostik mit Hilfe der Messtechnik, die nach wie vor vom Meister durchgeführt werden sollten, unterbreitet die Software einen Vorschlag für die Einlagenfertigung und liefert gleichzeitig die Grafiken aus den Messungen. Dieser Vorschlag darf auch abgeändert oder durch eigene Einlagenkomponenten erweitert werden. Die Qualität ist durch die eingehenden Untersuchungen und die hohe Individualität der Einlagen deutlich höher, als wenn man mit Rohlingen arbeitet.
Das Gesamtpaket bietet den Fachbetrieben noch weit mehr als die notwendigen Geräte, Leistenformen und Materialien für die Einlagenfertigung: Hinzu kommen die dazugehörige Messtechnik und eine Software, die die Daten des Untersuchungsprozesses erfasst und daraus die Beschaffenheit der individuellen Einlage berechnet. Die Oberfläche der Software ist folgerichtig nach den Untersuchungsschritten aufgebaut und fordert die Eingabe der entsprechenden Daten geradezu. Das System lässt es gar nicht erst zu, Untersuchungsschritte einfach wegzulassen. Als zusätzliches Extra bietet die Software ausdruckbare Anleitungen zu passenden Stretching-Übungen an, die dem Patienten mitgegeben werden können.
Fazit
Das „OrmoSys“-Modulsohlensystem ist nach Ansicht des Autors individueller und variantenreicher als andere Herstellungsmethoden, insbesondere hinsichtlich der Anamnese sowie auch der dynamischen Informationen über die einzelnen Patienten. Damit erleichtert es den Fachbetrieben den Alltag und hilft, schnell, kostengünstig und profitabel zu arbeiten.
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie durch das „European Union’s Horizon 2020 Research-and-Innovation“- Programm gefördert.
Der Autor:
Fatmir Langmeier
Schuh- und Sanitätshaus Langmeier
Rosenheimer Straße 42
83064 Raubling
fatmir.langmeier@t‑online.de
Langmeier F. Individuelle Einlagenherstellung nach dynamischer Analyse. Orthopädie Technik, 2017; 67 (1): 44–46
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