Höhe­re Prä­va­lenz von MRSA bei Diabetikern

M. Jäger, R.-A.Grünther
Patienten mit Diabetes mellitus haben eine 2,38-fach höhere Prävalenz für eine Besiedelung mit multiresistenten Erregern (MRSA). In einer eigenen Studie und dem Vergleich zu anderen Studien können die Autoren aufzeigen, dass die Annahme, Patienten mit Diabetes mellitus hätten aufgrund eines eventuell nicht immunkompetenten Abwehrsystems eine gesteigerte Bereitschaft, an Keimen zu erkranken, tatsächlich zutrifft.

Ein­lei­tung

Die Baum­rain­kli­nik des Heli­os-Reha­zen­trums Bad Ber­le­burg ist eine Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik mit drei Schwer­punk­ten: kon­ser­va­ti­ve Ortho­pä­die und Trau­ma­to­lo­gie mit tech­ni­scher Ortho­pä­die, Inne­re Medi­zin und Kar­dio­lo­gie sowie Hör­stö­run­gen, Tin­ni­tus, Schwin­del und Reha­bi­li­ta­ti­on nach Cochlea-Implantation.

Anzei­ge

Dr. Chris­toph Gra­be, der Lei­ter des Gesund­heits­am­tes des Krei­ses Sie­gen-Witt­gen­stein, grün­de­te 2003 das MRSA-Netz­werk Sie­gen-Witt­gen­stein. Die­ses Netz­werk ist ein frei­wil­li­ger Zusam­men­schluss der acht Akut­kran­ken­häu­ser der Grund- und Maxi­mal­ver­sor­gung (Gesamt­bet­ten­zahl 2.047) sowie einer Kin­der­kli­nik und neun Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­ni­ken mit unter­schied­li­cher Spe­zia­li­sie­rung (Gesamt­bet­ten­zahl 1.819) im Kreisgebiet.

Ziel war und ist die Ent­wick­lung einer Stra­te­gie, um eine Ver­brei­tung mul­ti­re­sis­ten­ter Erre­ger zu ver­min­dern. Wei­ter­hin soll­te eine Über­tra­gung der Kei­me zwi­schen den Gesund­heits­ein­rich­tun­gen (Kli­ni­ken, Alten­hei­me, Pfle­ge­hei­me, ärzt­li­che Pra­xen, Kran­ken­trans­por­te etc.) ein­ge­dämmt sowie der Weg einer even­tu­el­len Streu­ung zwi­schen den ver­netz­ten Gesund­heits­in­sti­tu­tio­nen fest­ge­stellt werden.

Die­se Stra­te­gie soll­te dis­ku­tiert, erar­bei­tet, eta­bliert und kreis­weit imple­men­tiert sowie in regel­mä­ßi­gen Sit­zun­gen über­ar­bei­tet werden.

Die Baum­rain­kli­nik ist seit 2003 Mit­glied des MRSA-Netz­wer­kes Sie­gen-Witt­gen­stein und betei­ligt sich regel­mä­ßig an kreis­wei­ten Tref­fen und an Eure­gio-wei­ten Stu­di­en unter der Lei­tung des mikro­bio­lo­gi­schen Insti­tuts der Uni­ver­si­tät Müns­ter und der medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le in Gro­nin­gen (NL).

Vor­stu­di­en

Im Jah­re 2008 betei­lig­te sich die Baum­rain­kli­nik an einem ein­mo­na­ti­gen MRSA-Scree­ning (Nasen-Rachen-Abstrich bei Auf­nah­me und Ent­las­sung), an dem alle acht Akut­kran­ken­häu­ser und alle neun Reha­kli­ni­ken des Land­krei­ses Sie­gen-Witt­gen­stein betei­lig waren (Gra­be, Burk­hard). Die MRSA-Last in der Baum­rain­kli­nik lag bei 1,59 %. In der Stu­die wur­den 364 Pati­en­ten im Durch­schnitts­al­ter von 63,7 Jah­ren unter­sucht, es gab 7.379 Behand­lungs­ta­ge, die durch­schnitt­li­che Ver­weil­dau­er lag bei 21,1 Tagen.

Auf­ge­schlüs­selt auf Akut­kli­ni­ken und Reha-Ein­rich­tun­gen war die MRSA-Prä­va­lenz fast ver­dop­pelt: 1,2 % ver­sus 2,1 %. Damals kon­sta­tier­ten Gra­be und Burk­hard: Es bleibt „unklar, wel­che Art von Reha-Behand­lung die höchs­te MRSA-Last birgt und wel­che Hygie­ne­maß­nah­men in der Reha­bi­li­ta­ti­on ange­bracht sind“.

Im Jah­re 2010 führ­te die Baum­rain­kli­nik im Rah­men des Eure­gio-MRSA-net eine Drei-Monats-Stu­die (beid­sei­ti­ger Nasen-Rachen-Abstrich bei Auf­nah­me und Ent­las­sung) über alle drei Reha­bi­li­ta­ti­ons­in­di­ka­tio­nen durch, um die Prä­va­lenz des MRSA in der Reha­bi­li­ta­ti­on festzustellen.

Dabei wur­den 1.006 Pati­en­ten unter­sucht bei einer Scree­ning­ra­te von 99,8 %: 124 Pati­en­ten davon hat­ten einen Dia­be­tes mel­li­tus (12,32 %). Ins­ge­samt wur­den 22.057 Behand­lungs­ta­ge ver­zeich­net, antei­lig dabei die Behand­lungs­ta­ge der Dia­be­ti­ker mit 2.542 Tagen. Durch­schnitt­lich lag die Ver­weil­dau­er aller Pati­en­ten bei 21,92 Tagen, in den Abtei­lun­gen HNO 30,35 Tage, Inne­re Medi­zin 22,42 Tage und Orthopädie/Traumatologie 19,78 Tage. Das durch­schnitt­li­che Alter der Pati­en­ten lag bei 63,49 Jah­ren (HNO 50,62 Jah­re, Inne­re 53,48 Jah­re, Orthopädie/Traumatologie 67,63 Jahre).

Eine MRSA-Besied­lung bei Auf­nah­me wur­de bei elf Pati­en­ten (MRSA-Prä­va­lenz 1,19 %) fest­ge­stellt. Alle elf Pati­en­ten (100 %) wur­den erfolg­reich deko­lo­ni­siert. In der Kli­nik haben fünf Pati­en­ten (0,49 %) einen MRSA erwor­ben, somit waren bei der Ent­las­sung fünf Pati­en­ten (0,49 %) MRSA-positiv.

Aktu­el­le Studie

Auf­grund der immer wie­der geäu­ßer­ten Behaup­tung, Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus hät­ten eine gestei­ger­te Bereit­schaft, an Kei­men zu erkran­ken, da sie ein even­tu­ell nicht immun­kom­pe­ten­tes Abwehr­sys­tem haben, ent­schie­den sich die Autoren 2010/2011, eine pro­spek­ti­ve Ein-Jah­res-Stu­die an Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus durch­zu­füh­ren. Es wur­den alle Dia­be­ti­ker über alle Reha­bi­li­ta­ti­ons-Indi­ka­tio­nen mit einem beid­sei­ti­gen Nasen-Abstrich bei der Auf­nah­me und Ent­las­sung gescre­ent. Die Stu­die begann am 16.8.2010.

Eine ers­te Aus­wer­tung von Teil­ergeb­nis­sen über einen Zeit­raum von sie­ben Mona­ten wur­de im April 2011 auf dem eupre­vent-Kon­gress in Maas­tricht (NL) prä­sen­tiert. Nach Abschluss der Ein-Jah­res-Stu­die wur­den ers­te unvoll­stän­di­ge Ergeb­nis­se in Dezem­ber 2011 auf dem EurSa­fe­ty­He­alth-net Kon­gress in Gro­nin­gen (NL) vor­ge­stellt. Wei­te­re Ergeb­nis­se wur­den auf dem inter­na­tio­na­len Kon­gress für Ortho­pä­die + Reha-Tech­nik im Mai 2012 in Leip­zig in Pos­ter-Form dargestellt.

Ergeb­nis­se

Im Zeit­raum vom 16.8.2010 bis 15.8.2011 wur­den 3.679 Pati­en­ten sta­tio­när auf­ge­nom­men – davon hat­ten 569 Pati­en­ten (15,46 %) einen Dia­be­tes mel­li­tus – bei einem wei­te­ren Pati­en­ten wur­de der Dia­be­tes mel­li­tus erst wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­on neu diagnostiziert.

Die Behand­lungs­ta­ge aller Pati­en­ten betru­gen 80.928, davon 11.870 Behand­lungs­ta­ge bei den Dia­be­ti­kern. Die mitt­le­re Ver­weil­dau­er aller Pati­en­ten lag bei 24,25 Tagen (in den Abtei­lun­gen HNO 26,97 Tage, Inne­re Medi­zin 21,66 Tage, Ortho­pä­die 20,32 Tage). Die mitt­le­re Ver­weil­dau­er der Dia­be­ti­ker betrug 20,92 Tage über alle Indikationen.

Im Durch­schnitt waren die Pati­en­ten 59,12 Jah­re alt, in den Abtei­lun­gen HNO 56,73 Jah­re, Inne­re Medi­zin 63,80 Jah­re und Ortho­pä­die 71,03 Jah­re. Das Durch­schnitts­al­ter der Dia­be­ti­ker lag bei 69,39 Jah­ren über alle Indi­ka­tio­nen. Bei 569 Dia­be­ti­kern erreich­te die Scree­ning­ra­te 100 %. Die Anzahl MRSA kam bei ins­ge­samt 17 Dia­be­ti­kern vor (2,98 % oder 0,46 % der Gesamtpopulation).

Zum Zeit­punkt der Auf­nah­me lag bei 13 Dia­be­ti­kern (2,28 %) eine MRSA-Besied­lung vor, das sind 0,35 % aller sta­tio­när behan­del­ten Reha­bi­li­tan­den. Elf Pati­en­ten (1,93 %) hat­ten eine ortho­pä­di­sche Grund­er­kran­kung – vier Pati­en­ten (0,70 %) wur­den wegen eines Dia­be­ti­schen Fuß­syn­droms an der unte­ren Extre­mi­tät ampu­tiert (zwei Oberschenkel‑, zwei Unter­schen­kel­am­pu­ta­tio­nen). Je ein Pati­ent wur­de wegen Erkran­kun­gen auf dem Gebiet der Inne­ren Medi­zin sowie auf dem Gebiet der HNO rehabilitiert.

Die Behand­lungs­ta­ge die­ser 13 Dia­be­ti­ker betru­gen 271. Die mitt­le­re Ver­weil­dau­er lag bei 20,84 Tagen. Durch­schnitt­lich waren die Pati­en­ten 70,63 Jah­re alt.

Bei allen 13 Pati­en­ten (2,28 %), die den MRSA mit­ge­bracht hat­ten, wur­de die­ser erfolg­reich era­di­ziert (100 %). Bei der Ent­las­sung zeig­ten vier Dia­be­ti­ker (0,70 %) – ent­spre­chend 0,11 % der Gesamt­ko­hor­te – eine in der Kli­nik erwor­be­ne Besied­lung der Nase mit MRSA. Alle vier Per­so­nen waren ortho­pä­di­sche Pati­en­ten, davon zwei (0,35 %) mit einer Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on wegen eines Dia­be­ti­schen Fußsyndroms.

Behan­delt wur­den acht Dia­be­ti­ker an 87 Tagen. Die mitt­le­re Ver­weil­dau­er betrug 21,75 Tage, das durch­schnitt­li­che Alter 62,26 Jahre.

Dis­kus­si­on

Aus­gangs­punkt die­ser Stu­die ist die bis­her nie wis­sen­schaft­lich beleg­te Behaup­tung, Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus hät­ten eine weit­aus höhe­re Prä­va­lenz für eine Besiedlung/Infektion mit Krank­heits­er­re­gern – im Spe­zi­el­len mit MRSA – als Pati­en­ten ohne Zucker­stoff­wech­sel­er­kran­kung. Sta­tis­ti­ken oder exak­te Zah­len sind bis heu­te in der Lite­ra­tur nicht zu finden.

Die Autoren haben sich die­ses The­mas ange­nom­men und sich zu einer pro­spek­ti­ven Ein-Jah­res-Stu­die ent­schlos­sen, da in der von ihnen geführ­ten Kli­nik mit 292 Bet­ten und drei Reha­bi­li­ta­ti­ons-Indi­ka­tio­nen ein aus­rei­chen­des Pati­en­ten­kli­en­tel zur Ver­fü­gung steht, um eine wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­ge zu tref­fen. Fer­ner gilt es zu ver­mer­ken, dass Pati­en­ten in einer Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik weit­aus län­ger sta­tio­när behan­delt wer­den als in einem Akut­kran­ken­haus: In einem Akut­haus beträgt die mitt­le­re Ver­weil­dau­er 7,9 Tage über alle Indi­ka­tio­nen (sie­he www.destatis.de), in der Baum­rain­kli­nik: 24,25. Die Über­tra­gung von MRSA wäre in einer Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik um ein Viel­fa­ches häu­fi­ger anzu­tref­fen. Ein­schrän­kung bei die­ser Stu­die: Eine voll­stän­di­ge Ein-Jah­res-Stu­die mit beid­sei­ti­gem Nasen­ab­strich aller 3.679 zur Reha­bi­li­ta­ti­on auf­ge­nom­me­nen Pati­en­ten bei der Auf­nah­me und Ent­las­sung hät­te den öko­no­mi­schen, zeit­li­chen und per­so­nel­len Rah­men gesprengt.

Die Autoren hal­ten einen Ver­gleich mit der Drei-Monats­stu­die aus dem Jahr 2010 für sta­tis­tisch gerecht­fer­tigt (Tab. 1 u. 2), da in die­se Stu­die alle 1.006 Pati­en­ten unab­hän­gig von der zur Reha­bi­li­ta­ti­on füh­ren­den Dia­gno­se über alle drei Indi­ka­tio­nen ein­ge­schlos­sen wur­den. Von den 16 MRSA-besie­del­ten Pati­en­ten (1,59 %) waren fünf Dia­be­ti­ker, also 0,49 % der Gesamt­ko­hor­te. Vier Dia­be­ti­ker (0,39 %) waren bei der Auf­nah­me MRSA-posi­tiv und wur­den erfolg­reich behan­delt – ein Dia­be­ti­ker (0,10 %) hat­te den MRSA in der Kli­nik erwor­ben. Betrach­tet man ledig­lich die Dia­be­ti­ker, zeigt sich in der Drei-Monats-Stu­die eine Prä­va­lenz für MRSA von 0,49 % in der Gesamt-Unter­su­chungs­grup­pe (Tab. 3).

In der Ein-Jah­res-Stu­die konn­te eine Prä­va­lenz für MRSA bei Dia­be­ti­kern von 2,98 % ermit­telt wer­den. Damit ist das Risi­ko eines Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus für eine MRSA-Besie­de­lung um 2,38-fach höher als bei Nicht-Diabetikern.

Für die Autoren:
Dr. Mat­thi­as Jäger
Chef­arzt der Abtei­lung Inne­re Medizin
Baum­rain­kli­nik – HELIOS Rehazentrum
Bad Ber­le­burg
Ler­chen­weg 8
57319 Bad Berleburg
Matthias.jaeger@helios-kliniken.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Jäger M, Grün­ther R‑A. Höhe­re Prä­va­lenz von MRSA bei Dia­be­ti­kern. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (7): 25–27
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