Die psychischen Herausforderungen für die Mitarbeiter:innen im Umgang mit den Schicksalen der Patient:innen sind enorm. Das erklärt Harald Fischer, seit 1994 Geschäftsführer und Inhaber von „Das Gesundheitshaus Fuchs + Möller“, im Gespräch mit der OT.
„Eine Behinderung ist keine Krankheit. Sie ist nicht heilbar“, erklärt der 59-Jährige. „Insbesondere Eltern plötzlich schwer behinderter Kinder kommen teils mit großen Erwartungen und viel Hoffnung zu uns, dass wir ihnen helfen können. Tatsächlich können wir sie aber nur unterstützen.“ Hier die richtige Ebene zu finden, diese Menschen in ihrer Ausnahmesituation und oft Schockstarre zu erreichen, brauche viel Erfahrung. Zudem seien die Patient:innen zunächst überfordert von der Vielfalt der technischen Unterstützungsmöglichkeiten. Sie müssten emotional abgeholt werden.
Einfühlungsvermögen ist gefragt
„Dafür brauchen sie viel Einfühlungsvermögen. Unsere jungen Mitarbeiter:innen begleiten wir daher Stück für Stück auf diesem Weg. Sie gehen gemeinsam mit älteren Angestellten anfangs zu emotional leichteren Fällen und arbeiten sich dann im Team weiter bis zu besonders schweren Schicksalen“, so Fischer. Im Einzelfall gebe es vorher ein Gespräch, um die jungen Kräfte zu briefen. Hinterher werde über die gemeinsamen Eindrücke oder Gefühle gesprochen. Externe Schulungen oder Supervisionen durch Psychologen seien daher bisher nicht notwendig gewesen.
Als Orthopädietechnik-Meister sei er lange in der Versorgung von Kindern, aber auch bei älteren Menschen tätig gewesen. Seine Strategie im Umgang mit Patient:innenschicksalen: hohe Empathie und gleichzeitig die Fähigkeit, Distanz aufzubauen. „Wenn man sich nicht distanzieren kann, quälen einen die Fälle in der Nacht“, sagt Fischer. „Abgesehen von Einzelfällen gelingt mir das aber ganz gut.“
Schmerzgrenzen spüren
Zur Distanzierung gehöre auch die Fähigkeit zu erkennen, wann die eigenen Grenzen überschritten werden. „Mitarbeiter:innen sollten spüren, wann andere Kolleg:innen geeigneter sind für die Versorgung im jeweiligen Fall.“ Empathie sei daher die wichtigste Grundlage für den direkten Patient:innen- oder Kund:innenkontakt. Vor einer Einstellung würden alle Kandidat:innen ein bis drei Wochen an einem der fünf Standorte des Gesundheitshauses zur Probe arbeiten. Nur so könnten sie feststellen, ob die Arbeit mit ihren vielfältigen Herausforderungen zu ihnen passe, wie Fischer sagt.
Darüber hinaus würden erst während der Ausbildung die besonderen Interessen und Talente sichtbar für die Auszubildenden und die Ausbilder:innen. Manche würden sich dann ganz bewusst für die Versorgung von Kindern entscheiden, anderen liege die Geriatrie mehr. Wieder andere benennen klar ihre „Schmerzgrenzen“, möchten etwa an der Versorgung von Brandverletzungen nicht beteiligt werden. All das berücksichtige Fuchs + Möller mit derzeit 130 Mitarbeiter:innen, davon 20 Auszubildende sowie zwei dual Studierende, sowohl bei der Ausbildung als auch bei der Begleitung der jungen Absolvent:innen in den Berufsalltag.
Soft-Facts kommen zu kurz
Mit Bedauern stellt der Geschäftsführer und Inhaber aber fest, dass in den Berufsschulen – die ohnehin unter großem Lehrer:innenmangel und Unterrichtsausfall leiden – die psychologischen Aspekte der Berufe zu kurz kommen: „Alle ‚Soft-Facts’ nden in der Berufsschule wenig bis gar nicht statt. Die psychologischen Aspekte unserer Berufsbilder im Unterricht aufzugreifen, wäre wünschenswert.“
Grundsätzlich würde sich Fischer darüber freuen, wenn die unterschiedlichen Berufsbilder in der Branche wie zum Beispiel Orthopädie-Technik oder individuelle Reha-Technik in der Öffentlichkeit bekannter wären. „Wir veranstalten Roadshows in Schulen, präsentieren uns auf Messen oder lassen unsere Auszubildenden einen Tag der offenen Tür organisieren. All das dient dazu, die Vielfalt unserer Berufe zu zeigen. Und die Vielfalt ist gewaltig!“ Die Begeisterung der Menschen, die sich mit den Berufen auseinandersetzen, sei riesig. Aber dafür müssten sie eben erst die Gelegenheit haben.
Ruth Justen
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024