OT: Sie bieten gleich einen doppelten Einblick in Ihren Werkstattalltag. Einerseits sind Sie in den sozialen Medien aktiv und posten regelmäßig Eindrücke aus Ihrem Betrieb, anderseits haben Sie Ihre Werkstatt mit einer gläsernen Front ausgestattet und bieten den Menschen im Laden einen Einblick. Warum haben Sie sich für diese Offenheit entschieden?
Sebastian Malzkorn: Die Orthopädie-Technik ist ein traditionsreiches Handwerk, das dennoch absolut modern ist. Es erfordert Fachwissen, Kreativität, handwerkliches Geschick und Präzision. Die Arbeit in der Orthopädie-Technik erfordert eine breite Palette von Fähigkeiten, die von filigranen Tätigkeiten mit viel Fingerspitzengefühl bis hin zu Arbeiten mit großer Kraftanstrengung reichen. Die klassische Bearbeitung von Gipsen gehört ebenso zum Alltag wie moderne Verfahren, wie beispielsweise der 3D-Druck. Diese Kombination gibt es so nur in wenigen anderen Gewerken. Wir möchten diese Vielseitigkeit in unserem Handwerk zeigen und damit verdeutlichen, wie breit gefächert die Möglichkeiten und Anwendungen in der Orthopädie-Technik sind.
OT: Welchen Benefit haben Betriebe davon, einen Einblick hinter die Kulissen zu gewähren?
Malzkorn: Einen Einblick zu gewähren schafft dem Unternehmen die Möglichkeit, sich als innovativ und zukunftsorientiert zu zeigen und so Interesse bei Bewerbern, Neukunden oder auch Ärzten und Therapeuten zu wecken. Transparenz schafft darüber hinaus auch Vertrauen. Unsere Bestandskunden schätzen den neuen Einblick in die Produktion, da sie nun sehen können, wie viel Arbeit dahintersteckt, die individuellen Bedürfnisse zu erfüllen.
OT: Glasfront statt gemauerter Wand – wie kamen Sie auf die Idee?
Malzkorn: Wir haben uns beim Umbau unserer Werkstatt dazu entschieden, einige Veränderungen vorzunehmen. In der vorherigen Werkstatt gab es viele Wände und lange, fast dunkle Flure. Bei Malzkorn spielt die Zusammenarbeit im Team eine wichtige Rolle und wir legen großen Wert auf das Miteinander. Die vielen Wände erschwerten die Zusammenarbeit. Wir wollten daher große und offene Räume schaffen. Im Rahmen des Umbaus haben wir deshalb viele Wände entfernt. Wo Wände nicht gänzlich entfernt werden konnten, haben wir Glas eingesetzt. Dabei kam uns die Idee, gleich auch einen Blick von außen in die Werkstatt und aus dieser heraus zu ermöglichen.
Kreatives Umfeld geschaffen
OT: Wie ist Ihre Werkstatt gestaltet und wo haben Sie Schwerpunkte gesetzt?
Malzkorn: Bei der Gestaltung unserer Werkstatt war es uns ein besonderes Anliegen, großzügige und offene sowie helle Räume zu schaffen, in denen sich jeder Mitarbeiter wohlfühlt und beste Arbeitsbedingungen vorfindet. Wir wollten ein kreatives Umfeld schaffen. Jeder Mitarbeiter, einschließlich der Auszubildenden, verfügt über eine eigene Werkbank, die mit Strom, Druckluft, Werkzeugen und einem Tablet ausgestattet ist. Die Werkbänke sind paarweise angeordnet, um den Austausch unter den Kollegen zu fördern. Darüber hinaus haben wir die Werkstatt mit neuen Maschinen ausgestattet.
OT: Die gläserne Front bietet nicht nur einen Einblick in die Werkstatt, sondern auch einen Ausblick aus ihr heraus. Was bedeutet das für das Verhältnis von Versorger:innen zu Kund:innen?
Malzkorn: Unsere Kunden reagieren positiv und interessiert. Zuzusehen wie die eigene Prothese gefertigt wird, weckt Interesse an der Herstellung und schafft Verständnis für die Arbeit, die hinter der Fertigung steckt. Zudem schafft die Transparenz Vertrauen in unsere Arbeit.
OT: Wie haben Ihre Mitarbeiter:innen auf die gläserne Werkstatt reagiert?
Malzkorn: Durch die veränderten Bedingungen ist die Zusammenarbeit nochmals gestärkt worden. Die offene Gestaltung und die Helligkeit sind gut für die Stimmung. Bei Mitarbeitern aus anderen Abteilungen stärkt der Einblick zusätzlich die Bindung zum Endprodukt sowie zum Unternehmen.
OT: Was können die Kund:innen von der Lounge aus sehen? Und wie ist das Feedback?
Malzkorn: Die Kunden können in die offene Werkstatt schauen. Im Prinzip ermöglicht der Einblick die Sicht auf alle Räumlichkeiten. Direkt vor dem Zuschauer befindet sich die Tiefzieh-Station. Viele Kunden haben gar keine Vorstellung davon, wie viel Handarbeit noch in der Herstellung von Sonderanfertigungen steckt, und sind erstaunt, wenn sie sehen, wie an einer Prothese oder Orthese gearbeitet wird, möglicherweise sogar an der eigenen.
„Unser Fach muss sich definitiv nicht verstecken“
OT: Das Fach hat ein Attraktivitäts- und Fachkräfteproblem. Muss man seine Fähigkeiten und Kompetenzen mehr ins „Schaufenster“ stellen, um auf die Relevanz der Orthopädie-Technik für die Gesellschaft hinzuweisen?
Malzkorn: Unser Fach muss sich definitiv nicht verstecken. Wir haben viel zu bieten und können das auch zeigen. Die Orthopädie-Technik hat eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Dieses Bewusstsein muss öffentlich gesteigert werden, um potenzielle Fachkräfte anzuziehen.
OT: Macht Sie diese Offenheit auch als Arbeitgeber für Berufseinsteiger attraktiver?
Malzkorn: Wir konnten unsere Ausbildungsstellen zuletzt immer vollständig besetzen. Egal für welchen Beruf sich die Auszubildenden beworben haben, alle waren nach einer kurzen Führung begeistert.
OT: Haben sich das Arbeitsverhalten und ‑klima sowie die Kundengewinnung und ‑bindung seit Eröffnung der gläsernen Werkstatt verändert?
Malzkorn: Durch den permanenten Einblick von außen mussten wir auch unsere eigenen Abläufe nochmal hinterfragen. Datenschutzrechtliche Bedenken mussten außerdem ausgeschlossen werden. Dieses Überdenken der eigenen Strukturen und Arbeitsweisen war sehr hilfreich. Die Kunden zeigen sich vom Gesamtbild sehr begeistert. Neben der gläsernen Werkstatt haben wir auch den Kundenwartebereich sowie die Kabinen erneuert. Da wir sehr aktiv im Profisport sind, haben wir auch einige Ecken mit Trikots und Fotos ausgestattet. Beim Stöbern vergeht die Wartezeit schneller.
OT: Können Sie Ihren Kolleg:innen zu einer gläsernen Werkstatt raten?
Malzkorn: Guter Rat ist immer teuer. Generell muss es zum Betrieb passen. Man muss sich fragen, was möchte ich denn gerne zeigen? Kann ich das in meiner Werkstatt auch so zeigen? Das Gesamtbild muss stimmen.
OT: Wenn Sie heute nochmals vor der Entscheidung stehen würden, eine gläserne Werkstatt zu planen, was würden Sie anders machen?
Malzkorn: Wir sind rundum zufrieden.
OT: Noch einmal kurz zum Thema soziale Medien. Wie wichtig ist es, auch digital „gläsern“ zu sein und so einen Einblick in den eigenen Betrieb zu gewähren?
Malzkorn: In der heutigen Zeit ist es wichtig, präsent zu sein. Google oder die sozialen Medien: Die meisten unentschlossenen Kunden machen sich hier ein erstes Bild.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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