Statt sich in Selbstmitleid zu verlieren, ging es für Kaufmann darum, sein Leben unter den neuen Umständen zu leben. Um die Behinderung auszugleichen, entschied er sich für eine Prothesenversorgung. „Die Herstellung der Prothese lief nach meiner Amputation aber super holprig“, erinnert er sich. Erst Andreas Weingart und die Orthopädietechniker:innen vom Wiesbadener Sanitätshaus Achim Kunze, schafften es im interdisziplinären Team die Ansprüche Kaufmanns an seine Versorgung zu erfüllen. Ausgestattet mit dem mikroprozessorgesteuerten Kniegelenk Orion3 von Blatchford, kombiniert mit einem hydraulischen Knöchelgelenksprothesenfuß EchelonER ging Kaufmann sein großes Ziel an: den Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu beschreiten. Auf dem Caminho Portugues da Costa lagen 235 Kilometer Wegstrecke vor ihm. Begleitet wurde er von Dieter Engels. Die beiden Pilger hatten sich in der S‑Bahn kennengelernt. „Wir haben uns dann während der Fahrt intensiv unterhalten über den Jakobsweg und beschlossen, diesen zusammen zu gehen. Immer wieder haben wir uns getroffen, beide haben wir uns auf die gemeinsame Zeit gefreut, mussten wegen Corona allerdings mehrfach unseren Start verschieben“, erinnert sich Engels.
Als Kaufmann Andreas Weingart erstmals von seinen konkreten Plänen berichtete, war der erste Gedanke: „Mach das!“ Gefolgt vom zweiten Gedanken: „Endlich kannst du es machen.“ Denn erst im September 2021 ließen die Bedingungen die Reise zu. Dabei verlangte Kaufmann seiner Prothese einiges ab. Die verschiedenen Untergründe, dazu das hügelige Terrain und die tägliche Wegstrecke von rund 20 Kilometern. Als Vorbereitung auf die Pilgerreise machte Kaufmann kein großes Fitnessprogramm – ein großer Sportler sei er eh nie gewesen, beschreibt sich Kaufmann selbst. Doch genau an diesem Punkt wollte er mit gutem Beispiel voran gehen. Während der Reha hat er Menschen kennengelernt, die ihr Schicksal nicht so positiv verarbeitet haben wie er. Auch für sie wollte sich Kaufmann auf den Weg machen und zeigen, dass man sein Leben nicht trotz, sondern mit Amputation genießen und vor allem auch neue Abenteuer erleben kann. „Da ich sie die Welt nicht durch meine Augen sehen lassen kann, bleibt mir nur die Möglichkeit aufzuzeigen, was man alles für tolle Dinge erleben kann“, beschreibt Kaufmann seine Motivation.
Angetrieben von dieser positiven Einstellung arbeiteten auch die ihn versorgenden Orthopädietechniker:innen hart, um die Reise möglich zu machen. „Da geht ein riesengroßes Dankeschön an das ganze Werkstattteam heraus“, war Weingart beeindruckt, wie das gesamte Team viel Zeit und Energie in die Vorbereitung steckte. Dazu zählten unter anderem eine neue Schaftversorgung für Kaufmann und fortwährende Kontrolle der Prothese. Frank Kaufmann erledigte nämlich in der Vorbereitung seiner Pilgerreise einige Testläufe. „Wir haben dann immer wieder kontrolliert, ob die Prothese richtig sitzt und haben alle Schrauben ordentlich nachgezogen“, so Weingart. Auch für die eigentliche Pilgerreise waren die Techniker gerüstet. „Ursprünglich hatten wir einmal geplant, ungefähr auf der Hälfte des Weges einen Check der Prothese zu machen. Dafür wäre ein Team von uns zu einem vereinbarten Treffpunkt geflogen. Unsere Verpflichtungen in der Werkstatt ließen das aber dann doch nicht zu. Dennoch: Wenn Frank ein Problem gehabt hätte, dann wäre ein Team von uns sofort in den Flieger gestiegen und hätte ihn versorgt. Ein ‚Notfallkoffer‘ stand stets gepackt bei uns in der Werkstatt“, berichtet Weingart von der intensiven Betreuung durch das Sanitätshaus und den eigenen Vorbereitungen für den Ernstfall. Als Überbrückung hatte Weingart bei der Verabschiedung von Kaufmann und Engels am Flughafen noch Carbon-Unterarmstützen mitgebracht. „Damit Frank im Notfall nicht auf seine Walking-Stöcke angewiesen gewesen wäre“, erklärt Weingart. Wie intensiv der Austausch für beide Seiten bei diesem Projekt war, lässt sich daran erkennen, dass das Feedback von Kaufmann im Rahmen der Versorgung dazu geführt hat, dass das Sanitätshaus Achim Kunze nun eine zusätzliche Checkliste für die Prothesenversorgung angefertigt hat, die im täglichen Einsatz ist.
Heiko Cordes
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