Mit Pro­the­se den Jakobs­weg beschritten

„Ich lasse mir mein Glück nicht vom Verlust meines Beins nehmen“, erklärt Frank Kaufmann. Der 57-Jährige hat eine Lebensgeschichte zu erzählen, die viele als Leidensgeschichte bezeichnen würden. Nach einem Routineeingriff am Knie ereilten Kaufmann 2017 einige bakterielle Infektionen. Die Folge: Amputation des rechten Beins inklusive Oberschenkel. Dabei wäre der ursprüngliche Eingriff nicht einmal zwingend nötig gewesen. Trotz dieses Wissens gab es für Kaufmann nach der Amputation nur einen Gedanken: „Endlich gesund.“

Statt sich in Selbst­mit­leid zu ver­lie­ren, ging es für Kauf­mann dar­um, sein Leben unter den neu­en Umstän­den zu leben. Um die Behin­de­rung aus­zu­glei­chen, ent­schied er sich für eine Pro­the­sen­ver­sor­gung. „Die Her­stel­lung der Pro­the­se lief nach mei­ner Ampu­ta­ti­on aber super holp­rig“, erin­nert er sich. Erst Andre­as Wein­gart und die Orthopädietechniker:innen vom Wies­ba­de­ner Sani­täts­haus Achim Kun­ze, schaff­ten es im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team die Ansprü­che Kauf­manns an sei­ne Ver­sor­gung zu erfül­len. Aus­ge­stat­tet mit dem mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­lenk Orion3 von Blatch­ford, kom­bi­niert mit einem hydrau­li­schen Knö­chel­ge­lenks­pro­the­sen­fuß Eche­lo­nER ging Kauf­mann sein gro­ßes Ziel an: den Jakobs­weg nach Sant­ia­go de Com­pos­te­la zu beschrei­ten. Auf dem Camin­ho Por­tu­gues da Cos­ta lagen 235 Kilo­me­ter Weg­stre­cke vor ihm. Beglei­tet wur­de er von Die­ter Engels. Die bei­den Pil­ger hat­ten sich in der S‑Bahn ken­nen­ge­lernt. „Wir haben uns dann wäh­rend der Fahrt inten­siv unter­hal­ten über den Jakobs­weg und beschlos­sen, die­sen zusam­men zu gehen. Immer wie­der haben wir uns getrof­fen, bei­de haben wir uns auf die gemein­sa­me Zeit gefreut, muss­ten wegen Coro­na aller­dings mehr­fach unse­ren Start ver­schie­ben“, erin­nert sich Engels.

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Als Kauf­mann Andre­as Wein­gart erst­mals von sei­nen kon­kre­ten Plä­nen berich­te­te, war der ers­te Gedan­ke: „Mach das!“ Gefolgt vom zwei­ten Gedan­ken: „End­lich kannst du es machen.“ Denn erst im Sep­tem­ber 2021 lie­ßen die Bedin­gun­gen die Rei­se zu. Dabei ver­lang­te Kauf­mann sei­ner Pro­the­se eini­ges ab. Die ver­schie­de­nen Unter­grün­de, dazu das hüge­li­ge Ter­rain und die täg­li­che Weg­stre­cke von rund 20 Kilo­me­tern. Als Vor­be­rei­tung auf die Pil­ger­rei­se mach­te Kauf­mann kein gro­ßes Fit­ness­pro­gramm – ein gro­ßer Sport­ler sei er eh nie gewe­sen, beschreibt sich Kauf­mann selbst. Doch genau an die­sem Punkt woll­te er mit gutem Bei­spiel vor­an gehen. Wäh­rend der Reha hat er Men­schen ken­nen­ge­lernt, die ihr Schick­sal nicht so posi­tiv ver­ar­bei­tet haben wie er. Auch für sie woll­te sich Kauf­mann auf den Weg machen und zei­gen, dass man sein Leben nicht trotz, son­dern mit Ampu­ta­ti­on genie­ßen und vor allem auch neue Aben­teu­er erle­ben kann. „Da ich sie die Welt nicht durch mei­ne Augen sehen las­sen kann, bleibt mir nur die Mög­lich­keit auf­zu­zei­gen, was man alles für tol­le Din­ge erle­ben kann“, beschreibt Kauf­mann sei­ne Motivation.

Ange­trie­ben von die­ser posi­ti­ven Ein­stel­lung arbei­te­ten auch die ihn ver­sor­gen­den Orthopädietechniker:innen hart, um die Rei­se mög­lich zu machen. „Da geht ein rie­sen­gro­ßes Dan­ke­schön an das gan­ze Werk­statt­team her­aus“, war Wein­gart beein­druckt, wie das gesam­te Team viel Zeit und Ener­gie in die Vor­be­rei­tung steck­te. Dazu zähl­ten unter ande­rem eine neue Schaft­ver­sor­gung für Kauf­mann und fort­wäh­ren­de Kon­trol­le der Pro­the­se. Frank Kauf­mann erle­dig­te näm­lich in der Vor­be­rei­tung sei­ner Pil­ger­rei­se eini­ge Test­läu­fe. „Wir haben dann immer wie­der kon­trol­liert, ob die Pro­the­se rich­tig sitzt und haben alle Schrau­ben ordent­lich nach­ge­zo­gen“, so Wein­gart. Auch für die eigent­li­che Pil­ger­rei­se waren die Tech­ni­ker gerüs­tet. „Ursprüng­lich hat­ten wir ein­mal geplant, unge­fähr auf der Hälf­te des Weges einen Check der Pro­the­se zu machen. Dafür wäre ein Team von uns zu einem ver­ein­bar­ten Treff­punkt geflo­gen. Unse­re Ver­pflich­tun­gen in der Werk­statt lie­ßen das aber dann doch nicht zu. Den­noch: Wenn Frank ein Pro­blem gehabt hät­te, dann wäre ein Team von uns sofort in den Flie­ger gestie­gen und hät­te ihn ver­sorgt. Ein ‚Not­fall­kof­fer‘ stand stets gepackt bei uns in der Werk­statt“, berich­tet Wein­gart von der inten­si­ven Betreu­ung durch das Sani­täts­haus und den eige­nen Vor­be­rei­tun­gen für den Ernst­fall. Als Über­brü­ckung hat­te Wein­gart bei der Ver­ab­schie­dung von Kauf­mann und Engels am Flug­ha­fen noch Car­bon-Unter­arm­stüt­zen mit­ge­bracht. „Damit Frank im Not­fall nicht auf sei­ne Wal­king-Stö­cke ange­wie­sen gewe­sen wäre“, erklärt Wein­gart. Wie inten­siv der Aus­tausch für bei­de Sei­ten bei die­sem Pro­jekt war, lässt sich dar­an erken­nen, dass das Feed­back von Kauf­mann im Rah­men der Ver­sor­gung dazu geführt hat, dass das Sani­täts­haus Achim Kun­ze nun eine zusätz­li­che Check­lis­te für die Pro­the­sen­ver­sor­gung ange­fer­tigt hat, die im täg­li­chen Ein­satz ist.

Hei­ko Cordes

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