Einleitung
Eine der jüngsten Neuerungen im Hinblick auf die Verbesserung des Komforts ist der Milwaukee-TF-Schaft, dessen modifiziertes Design gegenüber der bekannten CAT/CAM- oder MAS-Technik einige wesentliche Änderungen aufweist. Diese Schaftform verzichtet u. a. auf die subtrochantäre, laterale Schaftwand, ebenso auf die knöcherne zugunsten einer muskulären Verblockung.
Der folgende Artikel beschreibt jedoch die herkömmlicheren Varianten wie z. B. die anatomische Schaftform oder den MAS-Schaft, welche sich besonders durch ihre große Bewegungsfreiheit im Hüftgelenk auszeichnen.
Problemstellung
Die genannten Schaftsysteme beruhen auf der Kombination eines optimal gebetteten Volumens und der Einhaltung bestimmter Vektoren, welche im Schaft so exakt wie möglich wiedergegeben werden müssen (Abb. 1). In der Sitzposition verlässt die Klammer/Umgreifung den Ramus ossis ischii. Diese wichtige Anforderung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine physiologische Sitzposition und einen möglichst großen Komfort für den Anwender.
Genau in dieser Situation aber kommt es häufig dazu, dass besonders bei Sitzpositionen kleiner als 90° der laterale, dorsale Schaftrand die Sitzfläche berührt und somit ein Drehmoment auf den Schaft ausübt. Dieser verkantet und rotiert, die Sitzposition wird unangenehm. Auch in der Stand- und Schwungphase bietet die laterale Schaftanlage trotz korrekter Volumeneinstellung nicht immer den gewünschten Formschluss zum Körper. Nicht zuletzt diese Tatsachen führen zu der Überlegung, ob diese Anlage grundsätzlich notwendig ist oder ob im individuellen Fall nicht auch darauf verzichtet werden kann.
Schaftanalyse
Bei genauerer Betrachtung der Schafteintrittsebene wird deutlich, dass sich der Wirkungsbereich aller Vektoren im Niveau der Null-Linie (Tuberhöhe) bis zu ca. 1,5 cm weiter oberhalb (Referenzhöhe für alle Maßnahmen) befindet. Davon ausgenommen ist das diagonale M‑L-Maß. Dieser Vektor steht der Umklammerung parallel ausgearbeitet gegenüber und hält somit die Umgreifung als eine Art Gegenlager in Position. Zur Gewährleistung dieser wichtigen Funktion ist es notwendig, die Anlage ca. 4 bis 10 cm oberhalb der Null-Linie zu fassen (Abb. 2), und zwar im Verlaufsbereich von der Spina iliaca anterior superior (SIAS) bis zum Übergang des vorderen Trochanter-Anteils (Abb. 3).
Das knöcherne M‑L-Maß, welches für die Verblockung zwischen Ramus und Trochanter-Anlage wesentlich ist, befindet sich wie schon beschrieben auf Höhe der Null-Linie bis 1,5 cm nach oben. Das bedeutet, dass sich somit eine Funktionslosigkeit des Bereiches oberhalb dieser Linie im lateralen, dorsalen Schaftbereich ergibt. Auch der Trochanter wird druckfrei eingebettet, was somit ebenfalls eine Funktionslosigkeit mit sich bringt.
Modifizierung
Wie beschrieben weist die subtrochantäre nach hinten verlaufende Anlage keine essenzielle stabilisierende Funktion auf und neigt eher dazu, funktionelle Einschränkungen hervorzurufen. Somit wurde nach ersten Versuchen im Unterricht an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik Dortmund und nach der Konstruktion des Meisterstückes der Zuschnitt in der betrieblichen Versorgung von Patienten durch Reduzierung der Randverläufe abgeändert. Es ergibt sich ein modifizierter lateraler Zuschnitt, bei dem oberhalb der Null-Linie bzw. des Referenzpunktes nur noch die diagonale M‑L-Unterstützung erhalten bleibt (Abb. 4). Da die komplette laterale dorsale Schaftanlage inklusive des Trochanter-Bereiches nicht mehr gefasst ist, zeigt sich gerade auch in deutlich kleineren Sitzwinkeln ein angenehmeres Sitzverhalten, da keine Schaftkante auf der Sitzfläche aufliegt (Abb. 5). Sowohl in der Stand- als auch in der Schwungphase liegt der Schaft optimal am Körper an und führt daher nicht zu vorzeitigem Verschleiß der Kleidung.
Dieser Zuschnitt setzt jedoch voraus, dass sämtliche Vektoren und das Volumen im Schaft exakt eingestellt sind und es nicht zu unerwünschten Fehlbelastungen bzw. ‑bewegungen kommt. Zu bedenken ist dabei, dass der Patient zu Beginn der Änderung Zeit benötigt, sich an diese „neue Freiheit” zu gewöhnen, vor allem dann, wenn gleich der komplette Bereich entfernt wird. Eine schrittweise Anpassung ist daher empfehlenswert.
Bei kurzen Stümpfen ist in der Umsetzung Vorsicht geboten, da diese oft mehr Kontaktfläche benötigen als längere Stümpfe – nicht unbedingt zur Stabilisierung, jedoch zur Fixierung.
Fazit
Diese Überlegungen und die praktischen Erfahrungen zeigen auf, dass mit einem leicht geänderten Schaftzuschnitt bei allen Schaftformen basierend auf dem Wirkprinzip unter Einstellung der Vektoren ein deutlich höherer Tragekomfort erreicht werden kann. Die Akzeptanz bei den Patienten ist sehr positiv, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass kein Rotationsmoment und somit keine unnötige Stumpfbelastung vor allem im Sitzen mehr toleriert werden muss.
Literatur bei den Verfassern
Die Autoren:
Robert Helbing
Dipl.-Orthopädietechnikermeister
Jüttner Orthopädie KG
Behringstraße 1a
99734 Nordhausen
r.helbing@juettner24.de
Bernd Sibbel
Dipl.-Orthopädietechnikermeister
Bundesfachschule für Orthopädie-Technik
Schliepstraße 6–8
44135 Dortmund
b.sibbel@ot-bufa.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Helbing R, Sibbel B. Erhöhter Komfort durch modifizierten Zuschnitt in der Randgestaltung eines TF-Schaftes. Orthopädie Technik, 2014; 65 (11): 32–33
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