Die weibliche Brust (Mamma) gehört zu den deutlichsten sekundären Geschlechtsmerkmalen der Frau. Für viele Frauen ist sie ein wichtiger Bestandteil ihrer Identität. Die Diagnose Brustkrebs stellt für jede Betroffene ein einschneidendes Ereignis dar und leitet zahlreiche Veränderungen in ihrem Leben ein: Neben der Angst vor dem Krebs als solchem befürchten viele Betroffene, an Attraktivität und Selbstwert zu verlieren und „danach“ nicht mehr als vollwertige Frau akzeptiert zu werden 1.
Das Mammakarzinom
Die Gründe, die eine orthopädietechnische Versorgung der weiblichen Brust erforderlich machen können, sind vielfältig: So gibt es beispielsweise neben angeborenen Anomalien wie dem Fehlen einer Brust (Amastie) oder unterschiedlich großen Brüsten (Anisomastie) 2 erworbene Veränderungen, bei denen man zwischen benignen, also gutartigen Veränderungen wie Zysten oder Fibromen und malignen, also bösartigen Erkrankungen unterscheidet. Mit rund 71.600 Neuerkrankungen pro Jahr bleibt das Mammakarzinom nach wie vor die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau in Deutschland 3. Heute können etwa drei Viertel (ca. 70 bis 75 %) der von Brustkrebs betroffenen Frauen brusterhaltend (BET) operiert werden; bei rund 30 % wird das Brustgewebe komplett entfernt, dabei spricht man von einer Mastektomie oder Ablatio mammae 4. Ein Teil dieser Frauen entscheidet sich im Laufe der Therapie für einen Wiederaufbau der Brust mit Implantaten oder körpereigenem Gewebe, wohingegen der größere Teil der Patientinnen die Versorgung mit einer Brustepithese wählt.
Empfehlungen für den Umgang mit Patientinnen nach Brust-OP
Vor jeder Versorgung sollte man sich bewusst sein, dass das eigene Verhalten gegenüber der Patientin von elementarer Bedeutung ist; in etlichen Fällen sind Versorgerinnen auch Seelentrösterin und Ansprechpartnerin. Mitgefühl, Sensibilität, Empathie und Verständnis für die betroffene Frau sind in dieser Situation für Orthopädietechnikerinnen und Sanitätshausfachverkäuferinnen in besonderem Maße erforderlich. Dennoch sollte man auch in solchen Fällen eine gewisse Distanz einhalten: Dies hilft dabei, sachlich zu bleiben und die Sicherheit auszustrahlen, die viele betroffenen Frauen in dieser Situation benötigen.
Erstversorgung
Die orthopädietechnische Anpassung spezieller Miederwaren und Epithesen kann bereits im Krankenhaus erfolgen. Unabhängig davon, ob man als dauerhafter Versorger in einer Klinik etabliert ist oder ob sich die Patientin selbst im Vorfeld bei einem externen Versorger über die anschließenden Versorgungsmöglichkeiten informiert hat – in jedem Fall ist es von Vorteil, sich persönlich bei den behandelnden Ärzten und dem Klinikpersonal auf der entsprechenden Station vorzustellen. Dies ermöglicht einen reibungslosen, zeitnahen Ablauf der Versorgung, der im Idealfall unter ärztlicher Rücksprache begonnen werden kann. Dazu sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Redon-Schlauch sollte gezogen sein;
- die Schwellungen sollten weitest gehend abgeklungen sein;
- die Nähte sollten verheilt oder mit Pflastern abgeklebt sein.
Falls die Patientin noch unbekannt ist, sollten vorab – beispielsweise beim Klinikpersonal, das über das Vorliegen einer Verordnung informiert – wesentliche Informationen über die Anwenderin eingeholt werden, die für die Versorgung benötigt werden. Dabei sollten die folgenden Fragen beantwortet werden:
- Welche Seite ist betroffen?
- Wie wurde operiert? Liegt eine BET oder eine Mastektomie vor?
- Welche BH-Größe hatte die Patientin vorher (Patientenbeschreibung)?
- Liegt ein Rezept vor?
Je mehr Informationen über die Patientin vorliegen, desto enger lässt sich die Auswahl an Hilfsmitteln eingrenzen, die der Patientin auf der Station vorgestellt werden können. Ein zu großes Repertoire an Miederwaren kann gerade zu Beginn für einige Patientinnen überfordernd sein. Es bietet sich an, stattdessen auf Faltblätter und Prospekte der Hersteller zurückzugreifen und die Betroffene in Ruhe über weitere Möglichkeiten aufzuklären.
Bewährte Mittel zur Erstversorgung
Die Erstversorgung nach Mammakarzinom ist von elementarer Bedeutung und leistet im Anschluss an die Operation einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Frau. Ob die Erstversorgung mit einer Fiberfill- oder Silikonepithese durchgeführt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Bei langwieriger Heilung oder einer Strahlentherapie im Anschluss an die Operation haben sich Fiberfill-Epithesen bewährt, da diese durchgehend während der Therapie getragen werden können. Diese Interimsepithesen bestehen aus einem hautfreundlichen Material, sind leicht, individuell auffüllbar und gerade zu Beginn eine große Hilfe für die Patientin. Aber auch Silikonepithesen finden heutzutage Einsatz bei Erstversorgungen und werden i. d. R. gut vertragen. Leichtepithesen mit unterschiedlichen Silikonschichten eignen sich beispielsweise gut für empfindliches Narbengewebe. Häufig auftretende Probleme wie beispielsweise übermäßiger Druck resultieren meist eher aus dem BH und dessen Trägern.
Die geeignete Epithese
Indikation und wesentliches Auswahlkriterium für die individuell geeignete Epithese ist die Operationstechnik. Durch verbesserte Früherkennung gehört die brusterhaltende Operation (BET) heute zum Standard. Allerdings ist auch hier ein epithetischer Brustausgleich notwendig – nicht nur aus psychologischen, sondern auch aus medizinischen Gründen. Denn auch bei einer BET-Operation wird der Brust Gewebe entnommen – je nach entnommenem Volumen kann dies deutlich zu sehen sein. Der epithetische Ausgleich kann zudem Fehl- und Schonhaltungen oder Verspannungen der Muskulatur von Schulter, Rücken und Nacken entgegenwirken. Die aus dieser Operationstechnik entstehenden Defekte führen zu unterschiedlichen Brustgrößen und können bei der Ermittlung der geeigneten Größe eine Herausforderung sein. Schalen oder Ausgleichsepithesen bilden hier das Mittel der Wahl. Diese gibt es in verschiedenen Ausführungen, beispielsweise in Dreiecks- oder Tropfenform zum Ausgleich im gesamten Brustbereich oder zum Teil individuell befüllbar mit Spezialwatte (Abb. 1). Versehen mit einer Haftfläche verrutschen Ausgleichsepithesen nicht im BH und haften somit sicher an der Thoraxwand (Abb. 2).
Bei der Entfernung der ganzen Brust (Mastektomie) unterscheidet man neben der Fiberfill- und der Silikonepithese noch zwischen symmetrischer und asymmetrischer Form. Beide gibt es als sogenannte Vollepithese oder als Leichtepithese, wobei Letztere mit einer Gewichtsersparnis von bis zu 42 % 5 (Abb. 3) eine nicht unerhebliche Entlastung von Nacken, Rücken und Schultergürtel bietet.
Asymmetrische Epithesen werden in rechte und linke Epithesen unterteilt und haben einen Ausläufer nach lateral, um beispielsweise Gewebedefekte nach einer radikalen Mastektomie (dabei werden zusätzlich zum Brustgewebe auch Lymphgewebe, Lymphknoten sowie Teile des großen Brustmuskels entfernt) abzudecken (Abb. 4). Diese Epithesenform kann patientinnenabhängig die Bewegung des Armes einschränken. In solchen Fällen ist die Optik allein nicht immer ausschlaggebend, und es sollte mit der Patientin besprochen werden, worauf der Fokus der Versorgung gelegt werden soll. Aus Sicht des Versorgers ergibt sich durch die Asymmetrie zusätzlich der Nachteil hoher Lagerhaltungskosten.
Neben diesen „Grundformen“ gibt es Epithesen mit unterschiedlichen Materialeigenschaften, deren Einsatz grundsätzlich individuell auf die Patientin abzustimmen ist. So gibt es z. B. Epithesen mit einer atmungsaktiven Mikrofaserbeschichtung, die klimatische und körperbedingte Einflüsse ausgleicht und dadurch für ein angenehmes Hautklima sorgt. Haftepithesen eignen sich besonders für doppelseitig betroffene Patientinnen, da „normale“ Epithesen aufgrund der fehlenden Unterbrustfalte häufig keinen Halt im BH finden. Haftepithesen werden an der Thoraxwand befestigt und haben zudem den Vorteil, dass das Gewicht der Epithese nicht vom BH getragen wird. Wichtig zu erwähnen ist, dass diese erst nach der Narbenheilung eingesetzt werden sollten. Spezielle „Schwimmepithesen“ (keine Kassenleistung) sind meist aus klarsichtigem chlor- und salzwasserresistentem Silikon gefertigt und haben Stege auf der Rückseite, damit das Wasser ablaufen kann (Abb. 5). Eine weitere Sonderform sind sogenannte Mamillen, die ebenfalls keine Kassenleistung sind. Diese werden vor allem dann eingesetzt, wenn die erhaltene Brustwarze besonders präsent ist.
Die individuell korrekt ausgewählte Epithese orientiert sich somit an OP-Technik, Unterbrustumfang und Cupgröße der erhaltenen Brust sowie der Formbestimmung der Epithese. Jeder Hersteller bietet zudem Listen an, die eine Hilfestellung zur Ermittlung der geeigneten Größe bieten. Grundsätzlich sollte man bei der Anpassung auf seine Erfahrung vertrauen, denn je nach Größe und Körperbau der Patientin weicht die Größenempfehlung ab. Eine bewährte Methode zur Überprüfung der Anpassung ist die sogenannte T‑Shirt-Probe. Dabei sollte man darauf achten, dass das T‑Shirt, das die Patientin zur Anprobe erhält, möglichst einfarbig und anliegend ist, um Größenunterschiede besser feststellen zu können.
Spezielle Miederwaren
Neben der Epithese gehört auch die Versorgung mit speziellen Miederwaren zur Betreuung nach Mammakarzinom. Auch hier gibt es verschiedene Versorgungsmöglichkeiten: Wird brusterhaltend operiert oder entscheidet sich eine Frau nach Brust-OP zum Wiederaufbau der Brust mit Implantaten oder körpereigenem Gewebe, so kommen Kompressions-BHs (Abb. 6) zum Einsatz. Diese bestehen aus einem festen Gestrick und dienen neben der Ruhigstellung auch der Formstabilisierung der operierten Brust. Gezielte Kompression im Narbenbereich unterstützt den Heilungsprozess und entlastet die Lymphabflusswege, wodurch einem Lymphödem vorgebeugt werden kann. Bei viel und sehr weichem Gewebe kann sich dieses an den Seiten des BHs allerdings schnell herausdrücken und zu Scheuerstellen führen.
Nach Brustrekonstruktion durch Implantateinlage gibt es zusätzlich Spezialgurte, die das Hochrutschen („Dislokation“) der Implantate verhindern. Sogenannte Lymph-BHs verfügen über eine Noppenstruktur und erzielen so einen Drainageeffekt auf die Unterhaut und die kleinen Lymphgefäße, um einen besseren Lymphabfluss zu ermöglichen. Zusätzlich kann dieser Massageeffekt dabei helfen, die Narbenrückbildung zu unterstützen. Gängige Epithesen-BHs zeichnen sich meist durch ein hohes Dekolleté und breite Seitenteile aus, um eventuelle Narben abdecken zu können. Breite Träger, ein breites, zugiges Unterbrustband sowie bereits eingearbeitete Taschen sind weitere Merkmale. In der klinischen Erstversorgung kommen des Weiteren häufig Erstversorgungs-BHs mit Vorderverschluss zum Einsatz. Diese sollen für die Patientin leichter in der Handhabung sein, aber auch hier gibt es kein allgemeingültiges Versorgungsmittel. So kommen viele Patientinnen auch unmittelbar nach dem medizinischen Eingriff mit dem Rückenverschluss von BHs zurecht. Grundsätzlich gibt es zudem die Möglichkeit, vorhandene BHs nachzuarbeiten und beispielsweise Epithesentaschen einzunähen.
Um den geeigneten BH für jede Frau zu ermitteln, ist ein Beratungsgespräch unabdingbar, um auf individuelle Vorstellungen der einzelnen Patientinnen Rücksicht nehmen zu können. Schließlich sind Epithesen-BHs heutzutage kaum mehr von normalen Miederwaren zu unterscheiden, sodass die von Brustkrebs betroffene Frau auf fast nichts mehr verzichten muss, um sich in ihrer Wäsche möglichst wohl zu fühlen.
Ermittlung der Größe
Die korrekte Größe wird ermittelt, indem Unterbrustweite und Brustweite gerade um den Körper der Patientin herum gemessen werden. Nach Ablatio wird von der Körpermitte (Sternum) über die Mitte der erhaltenen Brust bis zur Mitte der Dornfortsätze der Wirbelsäule gemessen und dieses Maß verdoppelt. Wie auch bei den Epithesen bieten die Hersteller geeignete Listen, die Hilfe bei der korrekten Größenermittlung bieten. Auch hierbei sollten Erfahrungen mit diversen Modellen und Herstellern in die Versorgung mit einfließen; die ausgewählte Ware sollte anschließend von der Anwenderin anprobiert werden. Wichtige Faktoren, die dabei helfen zu entscheiden, ob der BH richtig sitzt, sind die folgenden:
- Liegt der BH waagerecht um den Körper an?
- Füllt die Brust das Körbchen gut aus?
- Wenn ein Bügel-BH verwendet wird – umschließt der Bügel die Brust komplett?
- Liegt das Unterbrustband gut an? Rutscht der BH im Rücken hoch?
- Sind die Träger zu lang oder zu kurz? Schneiden sie ein?
Ausschlaggebend ist auch hierbei wiederum die Patientin und ihr individuelles Empfinden, das das wesentliche Entscheidungskriterium für das ideale Modell sein wird.
Auch hinsichtlich Bademode wird ein umfangreiches Sortiment für brustoperierte Frauen angeboten: spezielle Badeanzüge, sogenannte Tankinis, oder Bikinis mit eingearbeiteten Taschen, hohem Dekolleté, Armausschnitt und wattierten Körbchen gibt es mittlerweile von nahezu jedem Hersteller in unterschiedlichen modischen Designs.
Erstattungsfähige Hilfsmittel
Hilfsmittel zur Versorgung nach Mammakarzinom (Brustprothesen, Kompressions-BH, Prothesenhalterung) gehören zu den Hilfsmitteln, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse von einem Arzt verordnet werden können. Eine solche Verordnung belastet das Arznei- und Heilmittelbudget des Arztes daher nicht. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernehmen folgende Kosten:
- alle 2 Jahre die Kosten einer Silikonprothese bzw. eines Ausgleichsteils zu 100 %,
- zweimal jährlich eine Bezuschussung für einen Spezial-BH,
- die Teilbezuschussung eines Badeanzugs sowie
- eine komplette Neuversorgung bei Gewichtsverlagerung (muss vom Arzt bestätigt sein).
Die Höhe der Zuschüsse, die die Krankenkassen bei Miederwaren und Bademode leisten, ist von Kasse zu Kasse unterschiedlich.
Fazit
Die Hersteller von Brustepithesen und der dazugehörigen Spezialwäsche haben ihre Produkte in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt, um den Patientinnen hochwertige Versorgungsmöglichkeiten bieten zu können. Die Aufgabe, für jede Patientin eine angemessene Versorgung zu ermitteln, die individuell zu ihrer jeweiligen Lebenssituation passt, liegt bei den Orthopädietechnikerinnen bzw. den Sanitätshausfachverkäuferinnen. Dabei sollte mit Empathie, aber auch mit der nötigen Distanz vorgegangen werden, um der schwierigen Situation von Patientinnen nach Brust-OP mit einer adäquaten Versorgung gerecht zu werden.
Die Autorin:
Carolin Ortmann, OTM
Sanitätshaus Bahr
Steenbeker Weg 25
24106 Kiel
carolin.ortmann@bahr-gmbh.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Ortmann C. Epithetische Versorgungsmöglichkeiten und Umgang mit Patientinnen nach Mammakarzinom. Orthopädie Technik, 2018; 69 (11): 54–57
- Der Verlag OT wünscht frohe Weihnachten! — 23. Dezember 2024
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Bredin M. Mastectomy, body image and therapeutic massage: a qualitative study of women’s experience. Journal of Advanced Nursing, 1999; 29 (5): 1113– 1120
- Kaufmann M, Costa S‑D, ScharlA. Die Gynäkologie. 3. Auflage. Heidelberg: Springer-Verlag, 2013: 236
- Robert Koch-Institut. Krebsgeschehen in Deutschland. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krebs/Krebsgeschehen_RKI.pdf (Zugriff am 29.08.2018)
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- Anita Dr. Helbig GmbH. Prothesen für die Vollversorgung. https://www.anita.com/de_global/produktwelten/breast-care/brustprothesen/vollversorgung.html (Zugriff am 07.09.2018)