Ent­wick­lung eines addi­tiv ­gefer­tig­ten Multifunktions­bauteils für einen Roll­stuhl in Leichtbauweise

T. Gollmer, St. Pluppins
Der Artikel behandelt die Entwicklung eines additiv gefertigten multifunktionellen Bauteils für individuelle Aktivrollstühle in Leichtbauweise. Zunächst werden Grundbegriffe geklärt, um ein grundsätzliches Verständnis über die Technologie der additiven Fertigung zu vermitteln. Anschließend erfolgt die Konzeption des Bauteils. Dazu wird ein erstes Konzept als Grundlage für das Bauteildesign erstellt. In einem weiteren Schritt wird eine sogenannte Topologieoptimierung durchgeführt, um eine Vorstellung von der optimalen Materialverteilung innerhalb des Bauteils zu erhalten. Dies und besondere Richtlinien, die im „Practical Guide to Design for Additive Manufacturing“ von Diegel et al. festgehalten sind, sind essenzielle Aspekte einer adäquaten Entwicklung additiver Bauteile (Quelle: Diegel O, Nordin A, Motte D. A Practical Guide to Design for Additive Manufacturing. Singapore: Springer Nature, 2020). Nachdem ein entsprechendes Bauteildesign entwickelt worden ist, wird das additive Bauteil per CAD konstruiert und anschließend simuliert. Es folgt eine Optimierung und Weiterentwicklung des Bauteils in mehreren Iterationsschleifen. Abschließend wird ein grundlegender Vergleich mit einem CNC-gefertigten Bauteil gezogen, um die Eigenschaften der beiden Fertigungsverfahren einander gegenüberzustellen. Dabei werden geometrische, mechanische und nachhaltige Aspekte miteinander verglichen.

Ein­lei­tung

Die addi­ti­ve Fer­ti­gung (AF) ist eine ver­gleichs­wei­se neue Tech­no­lo­gie und bie­tet gro­ße Vor­tei­le, wenn Pro­duk­te indi­vi­dua­li­siert und in gerin­ger Zahl her­ge­stellt wer­den sol­len. Dar­über hin­aus ermög­licht sie neue Frei­hei­ten in der Gestal­tung von Pro­duk­ten, die bei her­kömm­li­chen Fer­ti­gungs­ver­fah­ren nicht mög­lich oder sehr auf­wen­dig sind. Dadurch erge­ben sich unter ande­rem Chan­cen für den Leicht­bau, da der Werk­stoff genau dort plat­ziert wer­den kann, wo er den größt­mög­li­chen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Fes­tig­keit des Bau­teils aus­übt. Es ver­wun­dert daher nicht, dass die AF bereits bei der Her­stel­lung von Orthe­sen genutzt wird, wo sie einen gro­ßen Mehr­wert für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten bie­ten kann 1 2.

Auch im Bereich der Roll­stuhl­fer­ti­gung sind indi­vi­du­el­le und leich­te Pro­duk­te von ent­schei­den­der Bedeu­tung für die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer, da sie deren Bewe­gungs­ra­di­us und Akti­vi­täts­le­vel maß­geb­lich mit­be­stim­men. So kann ein indi­vi­du­ell ange­pass­ter Roll­stuhl die Lebens­qua­li­tät stei­gern und posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen sowohl auf die psy­chi­sche als auch auf die kör­per­li­che Ver­fas­sung der Nut­ze­rin­nen und Nut­zer haben.

Ziel des hier vor­ge­stell­ten Pro­jekts der Pro Activ Reha-Tech­nik GmbH ist es, mit­tels AF hoch indi­vi­dua­li­sier­te Roll­stüh­le zu ent­wi­ckeln, die opti­mal an den Kör­per­bau der jewei­li­gen Nut­ze­rin­nen und Nut­zer, ihr Krank­heits­bild und ihre per­sön­li­chen Prä­fe­ren­zen ange­passt sind. Um das Gesamt­ge­wicht zu mini­mie­ren und die Kos­ten gering zu hal­ten, ist es zudem not­wen­dig, so vie­le Funk­tio­nen wie mög­lich in die addi­tiv gefer­tig­ten Kom­po­nen­ten zu integrieren.

Die Anwen­dung die­ser neu­en Tech­no­lo­gie bringt jedoch auch neue Her­aus­for­de­run­gen mit sich. So muss z. B. unter einer Viel­zahl ver­schie­de­ner addi­ti­ver Fer­ti­gungs­ver­fah­ren, die lau­fend wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den, das jeweils geeig­nets­te Ver­fah­ren ermit­telt wer­den; jedes die­ser Ver­fah­ren unter­liegt unter­schied­li­chen Ein­schrän­kun­gen, die beim Design des Bau­teils beach­tet wer­den müs­sen. Erschwe­rend kommt hin­zu, dass die Fes­tig­keits­kenn­wer­te der bei der addi­ti­ven Fer­ti­gung ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en noch nicht so genau erforscht sind wie bei her­kömm­li­chen Fer­ti­gungs­ver­fah­ren und dass die Werk­stof­fe i. d. R. „aniso­trop“ sind, was besagt, dass ihre Fes­tig­keit von der jewei­li­gen Druck­rich­tung abhängt.

Schon in der Kon­zep­ti­ons­pha­se muss daher zunächst der adäqua­te Werk­stoff für das Bau­teil und ein geeig­ne­tes addi­ti­ves Fer­ti­gungs­ver­fah­ren bestimmt wer­den. In der dar­auf­fol­gen­den Kon­struk­ti­ons­pha­se wird sodann eine soge­nann­te Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung, also ein com­pu­ter­ba­sier­tes Ver­fah­ren durch­ge­führt, durch das eine güns­ti­ge Grund­ge­stalt für das Bau­teil unter mecha­ni­scher Belas­tung berech­net wer­den kann. Auf die­se Wei­se soll sicht­bar gemacht wer­den, wo genau der Werk­stoff plat­ziert wer­den muss, um eine maxi­ma­le Fes­tig­keit des Bau­teils bei mini­ma­lem Gewicht zu errei­chen. Auf der Grund­la­ge die­ser Ergeb­nis­se kann anschlie­ßend unter design­tech­ni­schen Aspek­ten die eigent­li­che Kon­struk­ti­on der Bau­tei­le im CAD-Sys­tem erfol­gen. Im Zuge des­sen fin­det die soge­nann­te Para­me­tri­sie­rung statt, bei der Kur­ven und Flä­chen mit Para­me­tern beschrie­ben wer­den. Dadurch wird per Ein­ga­be nut­zer­be­ding­ter Para­me­ter eine Geo­me­trie­än­de­rung und somit Indi­vi­dua­li­sie­rung der Bau­tei­le erreicht. Das dadurch ent­ste­hen­de vir­tu­el­le Bau­teil wird einer Simu­la­ti­on nach der Fini­te-Ele­men­te-Metho­de (FEM) unter­zo­gen, um eine aus­rei­chen­de Fes­tig­keit (zumin­dest theo­re­tisch, vor­be­halt­lich einer spä­te­ren prak­ti­schen Prü­fung) sicherzustellen.

Der hier auf­ge­zeig­te Pro­zess wird im Fol­gen­den detail­liert dar­ge­legt. Abschlie­ßend erfolgt eine Gegen­über­stel­lung des addi­tiv gefer­tig­ten Bau­teils mit einer CNC-gefräs­ten Vari­an­te, um die der­zei­ti­gen Vor- und Nach­tei­le der AF – bezo­gen auf die­sen Anwen­dungs­fall – herauszuarbeiten.

Kon­zep­ti­on

Auf der Basis eines Las­ten­hefts, das zuvor erstellt wur­de und in dem die wich­tigs­ten Anfor­de­run­gen an das Bau­teil defi­niert sind, wird ein ers­tes Kon­zept des zu erstel­len­den Bau­teils erar­bei­tet. In Bezug auf den hier vor­ge­stell­ten Fall eines Bau­teils für einen Roll­stuhl stellt sich dies wie folgt dar: In Abbil­dung 1 sind die Rah­men­roh­re einer typi­schen Aktiv­roll­stuhl­geo­me­trie in ver­schie­de­nen Ansich­ten dar­ge­stellt. In Abbil­dung 1a ist ein grü­ner Kreis zu erken­nen, der die Posi­ti­on des addi­ti­ven Bau­teils mar­kiert. Das addi­tiv gefer­tig­te Bau­teil soll als Ver­bin­dung zwi­schen den jewei­li­gen Sitz­roh­ren (blaue Pfei­le) sowie dem quer­lie­gen­den Achs­rohr (oran­ger Pfeil) die­nen. Zusätz­lich soll es eine Befes­ti­gung für die Antriebs­rä­der beinhal­ten, womit Mul­ti­funk­tio­na­li­tät gege­ben ist. Aktu­ell wird die­se kom­pli­zier­te Stel­le mit einer Schweiß­ver­bin­dung gelöst, bei der die ein­zel­nen Rohr­stü­cke in kom­ple­xer Art und Wei­se mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den. Aus die­sem Grund bie­tet es sich an, die­sen Kno­ten­punkt mit Hil­fe eines addi­ti­ven Bau­teils zu ver­ein­fa­chen, um so die zu schwei­ßen­den Stel­len weni­ger kom­plex zu gestalten.

Für das addi­ti­ve Bau­teil ist, wie oben auf­ge­zeigt wur­de, bereits ganz zu Beginn ein geeig­ne­ter Werk­stoff zu wäh­len. Das Mate­ri­al­port­fo­lio im Bereich AF ist aktu­ell über­schau­bar. Grund­sätz­lich kann zwar zwi­schen Kunst­stof­fen und Metal­len aus­ge­wählt wer­den; auf­grund der hohen mecha­ni­schen Belas­tung eines Roll­stuhls kommt hier jedoch nur ein metal­li­scher Werk­stoff in Fra­ge. Dabei ist aller­dings zu beach­ten, dass es sich bei einem Roll­stuhl um ein Medi­zin­pro­dukt han­delt, wor­aus sich beson­de­re Anfor­de­run­gen ans Mate­ri­al erge­ben, die ins­be­son­de­re eine Gesund­heits­ge­fähr­dung aus­schlie­ßen. Da die AF jedoch mitt­ler­wei­le bei Medi­zin­pro­duk­ten viel­fäl­tig Ein­satz fin­det, wur­den bereits eini­ge der Mate­ria­li­en in Bezug auf die medi­zi­ni­schen Anfor­de­run­gen ange­passt oder sogar genau dafür entwickelt.

Da die Aktiv­roll­stüh­le der Pro Activ Reha-Tech­nik GmbH aus Gewichts­grün­den aus­schließ­lich aus leich­ten geschweiß­ten Alu­mi­ni­um­rah­men gefer­tigt wer­den, bie­tet es sich an, beim zu ent­wi­ckeln­den Bau­teil eben­falls einen Alu­mi­ni­um­werk­stoff zu nut­zen. Auf­grund der sehr guten Schweiß­eig­nung fällt die Wahl auf die Legie­rung AlSi10Mg, die zudem rela­tiv hohe Fes­tig­keits­wer­te auf­weist. AlSi10Mg ist eine Alu­mi­ni­um­le­gie­rung aus Alu­mi­ni­um als Grund­werk­stoff mit einem Anteil an Sili­zi­um von 10 Gewichts­pro­zent sowie Tei­len von Magne­si­um. Der Werk­stoff weist gute Fes­tig­keits­ei­gen­schaf­ten auf und ist durch sein gerin­ges Gewicht für eine Leicht­bau­an­wen­dung opti­mal geeignet.

Der zwei­te wich­ti­ge Aspekt ist die Aus­wahl des Her­stel­lungs­ver­fah­rens. Je nach dem gewähl­ten Werk­stoff ste­hen dazu unter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten zur Aus­wahl. Da es sich im Rah­men der hier vor­ge­stell­ten Ent­wick­lung um ein metal­li­sches Bau­teil aus Alu­mi­ni­um han­delt, bie­tet sich das Selek­ti­ve Laser­schmel­zen (SLM) an. Das SLM-Ver­fah­ren arbei­tet mit einer Pul­ver­schicht als Aus­gangs­ma­te­ri­al, das mit Hil­fe eines Lasers auf­ge­schmol­zen und durch die Abküh­lung ver­fes­tigt wird. Mit Hil­fe eines Schie­bers wird sodann eine neue Schicht Pul­ver auf die Bau­platt­form auf­ge­tra­gen, und der Laser beginnt erneut mit dem Auf­schmelz­pro­zess. Auf die­se Wei­se wird das Bau­teil schicht­wei­se auf­ge­baut. Das SLM-Ver­fah­ren zeich­net sich durch eine hohe Fer­ti­gungs­ge­nau­ig­keit aus und ermög­licht gro­ße Frei­hei­ten in der Bauteilgestaltung.

Einen wei­te­ren wich­ti­gen Aspekt bei der Kon­zep­ti­on bil­det die Geo­me­trie des Bau­teils bzw. die Anbin­dung der ein­zel­nen Tei­le unter­ein­an­der. Da das addi­ti­ve Teil als Kno­ten­punkt zwi­schen den ein­zel­nen Roh­ren dient, muss es über eine pas­sen­de Geo­me­trie zur Befes­ti­gung der spä­ter ange­brach­ten Tei­le ver­fü­gen. Die prin­zi­pi­el­le Idee, das Bau­teil so zu gestal­ten, dass die Rohr­stü­cke beim Schwei­ßen unkom­pli­ziert auf das addi­ti­ve Bau­teil auf­ge­steckt oder ‑gelegt wer­den kön­nen, soll den Schweiß­pro­zess vereinfachen.

Bau­teil­de­sign und -konstruktion

Das erar­bei­te­te Grund­kon­zept dient nun der wei­te­ren Ent­wick­lung des Bau­teil­de­signs. Die AF bie­tet ein enor­mes Opti­mie­rungs­po­ten­zi­al bezüg­lich mög­li­cher For­men und Gewichts­einsparung, wofür jedoch ein durch­dach­tes Design essen­zi­ell ist. Um dies zu errei­chen, hat sich das soge­nann­te Design for Addi­ti­ve Manu­fac­tu­ring (DfAM) ent­wi­ckelt. DfAM umfasst geeig­ne­te Richt­li­ni­en, Metho­den und Soft­ware­lö­sun­gen, um per AF zu fer­ti­gen­de Bau­tei­le zu opti­mie­ren und so das vol­le Poten­zi­al der AF aus­zu­nut­zen 3.

Ein essen­zi­el­ler Bestand­teil des DfAM ist die soge­nann­te Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung, wor­un­ter eine Soft­ware­un­ter­stüt­zung zum Design span­nungs­op­ti­mier­ter Geo­me­trien zu ver­ste­hen ist. Bei der Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung wer­den auf einen vor­her fest­ge­leg­ten vir­tu­el­len Bau­raum frei defi­nier­ba­re Kräf­te auf­ge­bracht. Die Kräf­te, die in die­sem Bei­spiel ver­wen­det wer­den, wur­den auf der Basis lang­jäh­ri­ger Erfah­run­gen defi­niert und in einem Las­ten­heft ver­merkt. Die Soft­ware errech­net anschlie­ßend die­je­ni­gen Stel­len inner­halb des Volu­mens des zu fer­ti­gen­den Kör­pers, die im Opti­mal­fall mit wei­te­rem Mate­ri­al gefüllt wer­den soll­ten, oder auch jene, wo Mate­ri­al ent­fal­len kann.

Abbil­dung 2a zeigt den zur Ver­fü­gung ste­hen­den Bau­raum für das zu fer­ti­gen­de Teil. Die­ser wird sodann per Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung unter­sucht, wor­aus sich der in Abbil­dung 2b gezeig­te Kör­per ergibt. Wie zu erken­nen ist, zeich­net sich eine „orga­ni­sche“ Struk­tur ab, die den auf das Bau­teil spä­ter ein­wir­ken­den Kräf­ten am bes­ten standhält.

Die Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung wird für meh­re­re ver­schie­de­ne Last­fäl­le durch­ge­führt, die unter­schied­li­chen Belas­tungs­sze­na­ri­en des Bau­teils ent­spre­chen. Im letz­ten Schritt erfolgt eine Sym­bio­se der ein­zel­nen Ergeb­nis­se, die ins fina­le Bau­teil­de­sign einfließen.

Im DfAM 4 sind zudem Richt­li­ni­en beschrie­ben, die bei der Ent­wick­lung addi­ti­ver Bau­tei­le beach­tet wer­den sol­len, um deren Poten­zi­al mög­lichst weit­ge­hend aus­zu­schöp­fen. Bei­spie­le hier­für sind:

  • Über­hän­ge sol­len ver­mie­den wer­den, da sonst Stütz­struk­tu­ren benö­tigt wer­den, die mit zusätz­li­chem Auf­wand ent­fernt wer­den müs­sen. Über­hän­ge, die grö­ßer als 45° sind, benö­ti­gen Stütz­struk­tu­ren, da die unte­re Schicht die dar­über lie­gen­de nicht genug stüt­zen kann und die Schich­ten zudem schlecht anein­an­der haften.
  • Bau­tei­le sol­len ver­ein­facht, also kom­ple­xe Geo­me­trien ver­mie­den und meh­re­re Funk­tio­nen in einem Bau­teil kom­bi­niert werden.
  • Mini­ma­le Bau­teil­di­cken von 1 mm sol­len nicht unter­schrit­ten wer­den. Grund hier­für sind zum einen fer­ti­gungs­tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten, zum ande­ren eine nur gerin­ge mecha­ni­sche Sta­bi­li­tät bei die­ser gerin­gen Bauteildicke.
  • Die Ori­en­tie­rung der Druck­rich­tung soll beach­tet wer­den, um Stütz­struk­tu­ren zu ver­mei­den und den Bau­raum der SLM-Maschi­ne opti­mal nut­zen zu kön­nen. Je mehr Bau­raum ver­wen­det wird, des­to effi­zi­en­ter und kos­ten­güns­ti­ger kön­nen die Tei­le her­ge­stellt werden.

Um die Sinn­haf­tig­keit die­ser Richt­li­ni­en des DfAM an einem ein­fa­chen Bei­spiel zu ver­deut­li­chen, sind in Abbil­dung 3 eine Hül­se, eine Scha­le und die schließ­lich mit­tels DfAM opti­mier­te Scha­le dargestellt.

Es ist zu erken­nen, dass bei Hül­sen und Scha­len in den Berei­chen mit Über­hän­gen über 45° eine Stütz­struk­tur benö­tigt wird. Opti­miert man nun die Scha­le mit­tels der oben genann­ten DfAM-Prin­zi­pi­en, so ergibt sich die rechts dar­ge­stell­te Geo­me­trie. Dabei wer­den die Über­hän­ge durch 45°-Schrägen ersetzt, was den Ver­zicht auf Stütz­struk­tu­ren erlaubt.

Aus den vor­he­ri­gen Schrit­ten ergibt sich somit ein Bau­teil­de­sign, das nun per CAD-Sys­tem kon­stru­iert wer­den kann (Abb. 4). Das Bau­teil besteht aus meh­re­ren Ele­men­ten mit unter­schied­li­chen Funktionen:

  • Links ist eine Hül­se zu erken­nen, in der sowohl die Antriebs­rä­der als auch die Ach­se auf­ge­nom­men wer­den. Der zu erken­nen­de Knick stellt den Rad­sturz dar.
  • Auf der rech­ten Sei­te erkennt man eine Scha­le, auf der das Sitz­rohr plat­ziert und anschlie­ßend ver­schweißt wird.
  • Die Stre­ben in der Mit­te sind das Ergeb­nis der Topo­lo­gie­op­ti­mie­run­gen, kom­bi­niert mit der For­men­spra­che der Rahmengeometrie.

Mit Hil­fe der Richt­li­ni­en des DfAM wur­de die Struk­tur zusätz­lich gewichts­tech­nisch und fer­ti­gungs­tech­nisch opti­miert. Bei der Her­stel­lung die­ses Bau­teils wer­den kei­ner­lei Stütz­struk­tu­ren benö­tigt; dadurch wird eine kos­ten­in­ten­si­ve Nach­be­ar­bei­tung ver­mie­den. Die rote Linie stellt die Grund­ebe­ne dar, von der aus das Bau­teil auf­ge­baut wird.

Abbil­dung 5 bie­tet eine Drauf­sicht des Bau­teils. Auch hier hat die Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung einen wich­ti­gen Ein­fluss auf das Design der Stre­ben. In die­ser Ansicht ist die Hül­se (links) für die Auf­nah­me des Achs­rohrs sowie der Antriebs­rä­der deut­lich zu erkennen.

Simu­la­ti­on und Spannungsoptimierung

Um die Fes­tig­keit des Bau­teils unter Betriebs­be­las­tun­gen zu unter­su­chen, wird es im CAD-Sys­tem zunächst vir­tu­ell mit den rest­li­chen Rah­men­kom­po­nen­ten ver­bun­den und der gesam­te Roll­stuhl­rah­men einer sta­ti­schen Fes­tig­keits­si­mu­la­ti­on unter­zo­gen. Die Simu­la­ti­on gibt Auf­schluss über die auf­tre­ten­den Span­nun­gen sowie über die elas­ti­schen Ver­for­mun­gen des Bau­teils. Das Ergeb­nis der Simu­la­ti­on darf bezüg­lich der Span­nun­gen bestimm­te Grenz­wer­te nicht über­schrei­ten, damit eine aus­rei­chen­de Sicher­heit gegen plas­ti­sche Ver­for­mung gewähr­leis­tet wer­den kann.

Bevor die Simu­la­ti­on durch­ge­führt wer­den kann, müs­sen die fes­tig­keits­re­le­van­ten Kenn­wer­te des Werk­stoffs und die zu simu­lie­ren­den Belas­tun­gen an das FEM-Pro­gramm über­mit­telt wer­den. Bei der Ein­ga­be der Werk­stoff­kenn­wer­te ist zu beach­ten, dass SLM-Bau­tei­le i. d. R. wär­me­nach­be­han­delt wer­den müs­sen, damit sich die Zähig­keit des Werk­stoffs erhöht. Um die auf den Rah­men ein­wir­ken­den Belas­tun­gen für die FEM-Simu­la­ti­on fest­zu­le­gen, wird ein kom­bi­nier­ter Last­fall bestimmt, der sich an den in DIN EN 12183 vor­ge­schrie­be­nen Prü­fun­gen ori­en­tiert 5.

Das Ergeb­nis der sta­ti­schen FEM-Simu­la­ti­on ist in Abbil­dung 6 dar­ge­stellt. Es zeigt sich eine Span­nungs­kon­zen­tra­ti­on in den oran­ge und blau mar­kier­ten Berei­chen; die maxi­ma­le Span­nung im Bau­teil liegt bei 116,1 MPa, was in etwa der hal­ben Streck­gren­ze von 236 MPa entspricht.

Um im nächs­ten Schritt die auf­tre­ten­den Span­nun­gen zu redu­zie­ren und bes­ser zu ver­tei­len, wird im CAD-Sys­tem vir­tu­ell zusätz­li­ches Mate­ri­al an den hoch belas­te­ten Stel­len ein­ge­bracht, ohne das Design zu sehr zu ver­än­dern. Dazu wird als Ers­tes der in Abbil­dung 7 blau und oran­ge mar­kier­te Bereich wei­ter nach oben ver­scho­ben; das Ergeb­nis ist in Abbil­dung 8 zu sehen.

Dadurch wird erreicht, dass es im äuße­ren Bereich der Stre­ben kei­ne Kni­cke mehr gibt und die Kräf­te auf direk­tem Weg auf­ge­nom­men und über­tra­gen wer­den. Nach­tei­lig ist, dass sich dadurch das Gewicht des Bau­teils leicht erhöht und das ursprüng­li­che Design beein­träch­tigt wird, das nun weni­ger fili­gran wirkt. Zum ande­ren wer­den im Bereich der grün mar­kier­ten Stel­len die Radi­en erhöht, um eben­falls die Sta­bi­li­tät des Bau­teils zu erhö­hen. Trotz der mar­kan­ten Ände­run­gen wird ver­sucht, die übri­gen Geo­me­trien bei­zu­be­hal­ten, um die For­men­spra­che so wenig wie mög­lich zu ver­än­dern. So zeigt etwa die gelb mar­kier­te Kur­ve, inwie­fern die anfangs ver­folg­te For­men­spra­che im opti­mier­ten Bau­teil wie­der auf­ge­grif­fen wird.

Nach der kon­struk­ti­ven Ände­rung des Bau­teils wird die Simu­la­ti­on erneut durch­ge­führt (Abb. 9). Es fällt auf, dass sich die Maxi­mal­span­nung von 116,1 MPa um unge­fähr 10 % auf 105,5 MPa redu­ziert hat und dass sich die Span­nun­gen all­ge­mein bes­ser im Bau­teil verteilen.

Abschlie­ßend sei dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die durch­ge­führ­ten Simu­la­tio­nen nur als Hilfs­mit­tel zu einer span­nungs­op­ti­mier­ten Kon­struk­ti­on die­nen kön­nen. Die Veri­fi­zie­rung der Gesamt­kon­struk­ti­on mit dem addi­tiv gefer­tig­ten Bau­teil kann nur nach real durch­ge­führ­ten Prüf­stand­ver­su­chen nach DIN EN 12183 erfol­gen 6.

Ver­gleich des addi­tiv ­gefer­tig­ten mit einem CNC-gefräs­ten Bauteil

Um die Vor- und Nach­tei­le des addi­tiv gefer­tig­ten Bau­teils genau­er zu cha­rak­te­ri­sie­ren, ist es zweck­mä­ßig, ein CNC-gefräs­tes Bau­teil als Refe­renz zu erstel­len. Dabei wird die Geo­me­trie des per SLM gefer­tig­ten Bau­teils als Vor­la­ge ver­wen­det und nur so weit abge­än­dert, dass es von einer moder­nen CNC-Maschi­ne her­ge­stellt wer­den kann. Die Eigen­schaf­ten der bei­den Bau­tei­le wer­den in Tabel­le 1 ein­an­der gegen­über­ge­stellt. Die Unter­schie­de sind deutlich:

  • Zunächst fällt auf, dass das Mate­ri­al­vo­lu­men und damit auch das Gewicht beim SLM-gefer­tig­ten Bau­teil mit nur 102,24 g um ca. ein Drit­tel gerin­ger ist als beim CNC-gefräs­ten Bau­teil mit 155,53 g. Eine wei­te­re Gewichts­re­duk­ti­on der gefräs­ten Vari­an­te wür­de ent­we­der zu unzweck­mä­ßig dün­nen Wan­dun­gen oder zu unwirt­schaft­lich lan­gen Bear­bei­tungs­zei­ten führen.
  • Ande­rer­seits liegt die Maxi­mal­span­nung im SLM-gefer­tig­ten Bau­teil auf­grund des deut­lich nied­ri­ge­ren Mate­ri­al­vo­lu­mens mit 105,5 MPa deut­lich höher als beim gefräs­ten Bau­teil, bei dem ledig­lich eine Maxi­mal­span­nung von 74,3 MPa vorliegt.
  • Die ein­hei­ten­lo­se Sicher­heit eines Bau­teils gegen plas­ti­sche Ver­for­mung lässt sich aus der Streck­gren­ze des Werk­stoffs geteilt durch die maxi­mal auf­tre­ten­de Span­nung berech­nen. Für das addi­tiv gefer­tig­te Bau­teil ergibt sich dadurch eine Sicher­heit von 2,24; bei der Fräs­teil­va­ri­an­te dage­gen liegt auf­grund der nied­ri­ge­ren Span­nun­gen und der höhe­ren Streck­gren­ze des Werk­stoffs die Sicher­heit bei 5,11, womit es deut­lich robus­ter ist. Es sei jedoch erwähnt, dass in Zukunft mit wei­te­ren Fort­schrit­ten bei der Fes­tig­keit von addi­tiv gefer­tig­ten Alu­mi­ni­um­werk­stof­fen gerech­net wer­den kann, wodurch sich die­ser Unter­schied ver­rin­gern dürfte.
  • Einen wei­te­ren, zuneh­mend wich­ti­gen Fak­tor stellt das bei der Fer­ti­gung aus­ge­sto­ße­ne CO2 dar. Unter­su­chun­gen von Lach­may­er zei­gen, dass bei CNC-gefräs­ten Alu­mi­ni­um­bau­tei­len mit einem Abfall­vo­lu­men von über 73 % mehr CO2 aus­ge­sto­ßen wird, als wenn das Bau­teil addi­tiv gefer­tigt wird 7. Mit einem Abfall­vo­lu­men von über 91 % bei der Fräs­teil­va­ri­an­te stellt in die­sem Ver­gleich das addi­tiv gefer­tig­te Bau­teil die deut­lich nach­hal­ti­ge­re Vari­an­te dar.

Fazit

Im Rah­men die­ser Arbeit wur­de die Ent­wick­lung eines addi­tiv gefer­tig­ten Bau­teils für einen Aktiv­roll­stuhl in Leicht­bau­wei­se vor­ge­stellt. Die Ent­wick­lung des Bau­teils hat dabei gezeigt, wie umfang­reich und viel­fäl­tig die AF im Gegen­satz zu einer her­kömm­li­chen Erstel­lung, z. B. einer Fräs­be­ar­bei­tung, ist, bei der deut­lich weni­ger Opti­mie­rungs­schrit­te benö­tigt werden.

Beson­ders die Ent­wick­lung eines geeig­ne­ten Designs war dabei ein wich­ti­ger Aspekt. Es erwies sich als zweck­mä­ßig, den Vor­ga­ben des DfAM zu fol­gen, die sich stark von der klas­si­schen Kon­struk­ti­on abhe­ben. Durch die kon­se­quen­te Anwen­dung der Prin­zi­pi­en des DfAM war es mög­lich, das Bau­teil so aus­zu­füh­ren, dass für sei­ne Fer­ti­gung kei­ne Stütz­struk­tu­ren not­wen­dig sind.

Dar­über hin­aus stell­ten sich die Topo­lo­gie­op­ti­mie­rung und die FEM-Simu­la­ti­on als wei­te­re grund­le­gen­de Werk­zeu­ge im Ent­wick­lungs­pro­zess her­aus, um das ­Leicht­bau­po­ten­zi­al der AF voll aus­zu­nut­zen. Vor­aus­set­zung für deren erfolg­rei­che Anwen­dung war die genaue Kennt­nis der vor­herr­schen­den Last­fäl­le wäh­rend des Betriebs eines Aktiv­roll­stuhls. All­ge­mein gilt, dass Bau­tei­le umso span­nungs­op­ti­mier­ter kon­stru­iert wer­den kön­nen, je genau­er die im Betrieb wir­ken­den Kräf­te bekannt sind. Dadurch kann über­flüs­si­ges Mate­ri­al ein­ge­spart wer­den, wodurch das Gewicht der Bau­tei­le sinkt.

Das fina­le Bau­teil lässt sich indi­vi­du­ell an die Rohr­geo­me­trie des Roll­stuhl­rah­mens anpas­sen und ver­bin­det die Rah­men­roh­re mit der Rad­auf­nah­me. Das fili­gra­ne Design des addi­tiv gefer­tig­ten Bau­teils inte­griert sich dabei sehr gut ins Gesamt­kon­zept des Leicht­bau-Roll­stuhls (Abb. 10). Dabei wirkt das Bau­teil selbst als inter­es­san­tes Allein­stel­lungs­merk­mal im Gegen­satz zur gän­gi­gen Schweiß­ver­bin­dung der ein­zel­nen Rohre.

Schließ­lich wur­de durch den Ver­gleich mit einem spa­nend gefer­tig­ten Bau­teil ersicht­lich, dass das addi­ti­ve Bau­teil grö­ße­re geo­me­tri­sche Frei­hei­ten erlaubt und mit einem gerin­ge­ren Gewicht über­zeu­gen kann, was essen­zi­ell für einen Leicht­bau-Roll­stuhl ist. Ande­rer­seits stellt die gerin­ge­re mecha­ni­sche Belast­bar­keit der­zeit noch einen Nach­teil gegen­über her­kömm­lich gefräs­ten Bau­tei­len dar. Inso­fern ist sowohl wei­te­re Ent­wick­lungs­ar­beit im Bau­teil­de­sign als auch in der Ent­wick­lung der addi­ti­ven SLM-Maschi­nen not­wen­dig, um die addi­ti­ven Bau­tei­le gegen­über der spa­nen­den Fer­ti­gung wei­ter zu ver­bes­sern und somit einen nach­hal­ti­gen indus­tri­el­len Ein­satz zu ermöglichen.

Die Autoren:
Tobi­as Goll­mer, B. Eng.
Anhau­ser Str. 19
72336 Balin­gen
Tobias.gollmer@web.de

Ste­phan Plup­pins, M. Eng. 
Kon­struk­ti­on und Entwicklung 
Pro Activ Reha-Tech­nik GmbH
Im Hof­stätt 11
72359 Dot­tern­hau­sen
s.pluppins@proactiv-gmbh.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Goll­mer T, Plup­pins St. Ent­wick­lung eines addi­tiv ­gefer­tig­ten Multifunktions­bauteils für einen Roll­stuhl in Leicht­bau­wei­se. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (7): 28–33
  1. Wür­sching SB, Wür­sching A. Das Ver­sor­gungs­spek­trum 3D-gedruck­ter Rumpfor­the­sen, dar­ge­stellt anhand von vier Fall­bei­spie­len. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (1): 22–28
  2. Gebau­er M, Pop­kes J, Dob­rindt O. Ent­wick­lung einer neu­ar­ti­gen 3D-­ge­druck­ten Zer­vi­kal­or­the­se. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (7): 36–39
  3. Die­gel O, Nor­din A, Mot­te D. A Prac­ti­cal Gui­de to Design for Addi­ti­ve Manu­fac­tu­ring. Sin­ga­po­re: Sprin­ger Natu­re, 2020
  4. Die­gel O, Nor­din A, Mot­te D. A Prac­ti­cal Gui­de to Design for Addi­ti­ve Manu­fac­tu­ring. Sin­ga­po­re: Sprin­ger Natu­re, 2020
  5. DIN EN 12183:2014–06. Mus­kel­kraft­be­trie­be­ne Roll­stüh­le – Anfor­de­run­gen und Prüf­ver­fah­ren (Deut­sche Fas­sung EN 12183:2014)
  6. DIN EN 12183:2014–06. Mus­kel­kraft­be­trie­be­ne Roll­stüh­le – Anfor­de­run­gen und Prüf­ver­fah­ren (Deut­sche Fas­sung EN 12183:2014)
  7. Lach­may­er R, Lip­pert RB, Fahl­busch T (Hrsg.). 3D-Druck beleuch­tet. ­Addi­ti­ve Manu­fac­tu­ring auf dem Weg in die Anwen­dung. Ber­lin, Hei­del­berg: Sprin­ger, 2016
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