Ent­wick­lung einer indi­vi­du­el­len Vor­fuß­pro­the­se für die Wie­der­ein­glie­de­rung in den All­tags­sport — Eine For­schungs- und Ent­wick­lungs­ko­ope­ra­ti­on zwi­schen Hoch­schu­le und Handwerksbetrieb

F. Capanni, S. Matyssek, M. Gaashan, E. Dötzel
Die Versorgung von Patienten mit einer partiellen Vorfußamputation mit funktionellen, die Biomechanik berücksichtigenden Individualhilfsmitteln ist nur sehr eingeschränkt möglich. Verfügbare Hilfsmittel kompensieren meist nur kosmetische Aspekte, ermöglichen jedoch keine oder nur sehr eingeschränkt sportliche Aktivitäten. Die Konzeption einer patientenindividuellen Prothese für den Alltagssport bedarf der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Orthopädie-Technikern und Ingenieuren, bei der handwerkliche Praxis und Erfahrung, ergänzt um die Fachgebiete des Ingenieurwesens, das gewünschte Ergebnis liefern und darüber hinaus beiden Berufsgruppen neue berufliche Chancen eröffnen. Anhand eines Praxisbeispiels werden im Folgenden die Möglichkeiten einer derartigen Kooperation beschrieben.

Ein­lei­tung

För­der­pro­gram­me sind ein pro­ba­tes Mit­tel zur nach­hal­ti­gen Unter­stüt­zung der Inno­va­ti­ons­kraft und der Wett­be­werbs­fä­hig­keit von Unter­neh­men. Die For­schungs­grup­pe Bio­me­cha­tro­nik der Hoch­schu­le Ulm betreibt wirt­schafts­na­he For­schung in Koope­ra­ti­on mit mit­tel­stän­di­schen Indus­trie­un­ter­neh­men, geför­dert durch das Zen­tra­le Inno­va­ti­ons­pro­gramm Mit­tel­stand (ZIM) des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Wirt­schaft und Ener­gie. Die­ses För­der­pro­gramm wur­de nun erst­ma­lig auch in Zusam­men­ar­beit mit dem loka­len Hand­werks­un­ter­neh­men Häuss­ler Tech­ni­sche Ortho­pä­die GmbH aus Ulm für die Ent­wick­lung einer pati­en­ten­in­di­vi­du­el­len Vor­fuß­pro­the­se genutzt 1. Das Koope­ra­ti­ons­pro­jekt wur­de nach posi­ti­ver Begut­ach­tung durch den Pro­jekt­trä­ger mit einer Lauf­zeit von zwei Jah­ren bewil­ligt. Her­aus­for­dernd an die­ser Kon­stel­la­ti­on war die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen Inge­nieu­ren, Wis­sen­schaft­lern, Ortho­pä­die-Tech­ni­kern und Orthopädie-Techniker-Meistern.

Pro­blem­stel­lung und Motivation

Par­ti­el­le Vor­fuß­am­pu­ta­tio­nen (Abb. 1) wer­den in ers­ter Linie durch Dia­be­tes und Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen ver­ur­sacht, wäh­rend nur eine klei­ne Anzahl trau­ma­ti­schen Ereig­nis­sen zuzu­ord­nen ist: Nach einer beim Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt in Auf­trag gege­be­nen Aus­wer­tung wur­den im Jahr 2015 in Deutsch­land ledig­lich 51 trau­ma­be­ding­te Ampu­ta­tio­nen am Fuß regis­triert 2. Die im Rah­men des Koope­ra­ti­ons­pro­jekts durch­ge­führ­te Pati­en­ten­be­fra­gung zeig­te, dass ver­füg­ba­re Hilfs­mit­tel (Sili­kon­pro­the­se aus Voll­ma­te­ri­al, sie­he Abb. 1) pri­mär kos­me­ti­sche Aspek­te abde­cken 3. Die für ein phy­sio­lo­gi­sches Gang­bild und ins­be­son­de­re für eine sport­li­che Akti­vi­tät not­wen­di­ge Bio­me­cha­nik wird mit den genann­ten Sili­kon­pro­the­sen jedoch nur unzu­rei­chend erfüllt 4 5. Indus­tri­ell ent­wi­ckel­te Hilfs­mit­tel mit ent­spre­chen­der Funk­ti­ons­me­cha­nik ste­hen auf­grund der gerin­gen Fall­zah­len nicht zur Ver­fü­gung. Eine adäqua­te Ver­sor­gung setzt jedoch vor­aus, dass sie die gewünsch­te Akti­vi­tät des Anwen­ders unter Berück­sich­ti­gung der von Dil­lon et al. beschrie­be­nen Fak­to­ren (stei­fer Vor­fuß, Ein­schrän­kung der Dor­sal­ex­ten­si­on) berück­sich­tigt 5.

Bau­for­men und mecha­ni­sche Aus­le­gung der ent­wi­ckel­ten Versorgung

Das funk­tio­nel­le Feder­ele­ment der Pro­the­se besteht aus Pre­preg-Car­bon­schich­ten in unter­schied­li­cher Faser­ori­en­tie­rung und Lagen­zahl, wodurch es auf die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se des Pati­en­ten abge­stimmt wer­den kann. Je nach Ampu­ta­ti­ons­hö­he ste­hen zwei Bau­for­men zur Ver­fü­gung: die Bau­form „Cho­part“ (Abb. 2) mit einem Feder­ver­lauf fron­tal ent­lang der Tibia sowie die Bau­form „Lis­franc“ (Abb. 3) mit einem von fron­tal nach medi­al zur Soh­le über­ge­hen­den Federverlauf.

Für die kon­struk­ti­ve Aus­le­gung der Pro­the­se wur­den Last­kol­lek­ti­ve im Rah­men der im Lite­ra­tur­ver­zeich­nis unter 3 ange­ge­be­nen Stu­die ermit­telt und in ein hier­für ent­wi­ckel­tes Fini­te-Ele­men­te-Modell über­führt. Für die Erstel­lung des Simu­la­ti­ons­mo­dells wur­den fol­gen­de Ein­ga­be­pa­ra­me­ter einbezogen:

  • das Gewicht des Patienten,
  • die Fuß­län­ge des Patienten,
  • die Tibi­al­än­ge des Patienten,
  • die Ampu­ta­ti­ons­li­nie sowie
  • der Anwen­dungs­wunsch des Patienten.

Der auf­ge­bau­te Simu­la­ti­ons­pro­zess (Abb. 4) ist in fol­gen­de Teil­pro­zes­se untergliedert:

CAD-Model­lie­rung der Prothese

Für die kon­struk­ti­ve Anpas­sung der Pro­the­se an den ampu­tier­ten Fuß ist eine exak­te Erfas­sung der anthro­po­me­tri­schen Pati­en­ten­da­ten (Fuß­län­ge, Fuß­brei­te, Tibi­al­än­ge etc.) erfor­der­lich. Die Grund­la­ge hier­für bil­det ein Gips­po­si­tiv des kon­tra­la­te­ra­len Fußes, das mit Hil­fe eines 3D-Scans (Eva, Artec Euro­pe, Luxem­burg) erfasst wird. Dar­auf basie­rend erfolgt die CAD-Model­lie­rung der Vor­fuß­pro­the­se. Das ent­stan­de­ne CAD-Scha­len­mo­dell bil­det dann die Grund­la­ge für die Finite-Elemente-Analyse.

Car­bon-Model­lie­rung

Eine rea­li­täts­na­he Simu­la­ti­on des Pro­the­sen­mo­dells setzt die Kennt­nis kon­struk­ti­ons­re­le­van­ter phy­si­ka­li­scher Eigen­schaf­ten vor­aus. Da Car­bon-Ver­bund­werk­stof­fe rich­tungs­ab­hän­gi­ge Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten auf­wei­sen, wur­de hier­für ein ortho­tro­pes Mate­ri­al­mo­dell für den ver­wen­de­ten Ver­bund­werk­stoff auf­ge­baut. Die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mate­ri­al­spe­zi­fi­ka­tio­nen (SGL Car­bon, Wies­ba­den, Deutsch­land) wur­den in eige­nen Test­rei­hen nach DIN EN ISO 14125 ergän­zend veri­fi­ziert. Die Anzahl der Car­bon­la­gen, die Car­bon­fa­ser­rich­tung sowie die ­Fini­te-Ele­men­te-Berech­nung erfolg­ten mit Hil­fe der Soft­ware ANSYS (ANSYS Inc., USA). Die durch­ge­führ­ten Berech­nun­gen umfass­ten Stei­fig­keits­un­ter­su­chun­gen sowie eine Ver­sa­gens­ana­ly­se wäh­rend der Gang­se­quen­zen „toe off“ und „heel strike“. Basie­rend auf den an der Pro­the­se resul­tie­rend anlie­gen­den Span­nun­gen und auf­tre­ten­den Ver­for­mun­gen kann das Hilfs­mit­tel opti­miert und auf die gewünsch­te Patienten­aktivität abge­stimmt wer­den 6.

Über­prü­fung des Fini­te-Ele­men­te-Modells mit­tels Prüfstand

Da für die Ermitt­lung von Zeit­fes­tig­keit und Ver­schleiß des ent­wi­ckel­ten Hilfs­mit­tels kein stan­dar­di­sier­tes mecha­ni­sches Test­ver­fah­ren (Norm) exis­tiert, wur­de ein auf die Anfor­de­run­gen abge­stimm­ter Prüf­stand (Abb. 5) kon­zi­piert. Die­ser berück­sich­tigt weit­ge­hend phy­sio­lo­gi­sche Belas­tungs­be­din­gun­gen für die mecha­ni­sche Cha­rak­te­ri­sie­rung der vor­ge­stell­ten Vor­fuß­pro­the­se. Der Prüf­ab­lauf ori­en­tiert sich an den Anfor­de­run­gen der DIN EN ISO 22675 (Prü­fung von Knö­chel-Fuß-Pass­tei­len und Fuß­ein­hei­ten) unter Ein­be­zie­hung all­täg­li­cher anwen­der­spe­zi­fi­scher Belas­tungs­si­tua­tio­nen, der Belas­tungs­in­ten­si­tät sowie der Belas­tungs­fre­quenz. Ergän­zend zur ver­ti­ka­len Boden­re­ak­ti­ons­kraft unter der Soh­le, die wäh­rend eines Gang­zy­klus in der Stand­pha­se auf­tritt und durch die „Dop­pel­hö­cker­kur­ve“ cha­rak­te­ri­siert ist, soll der Prüf­stand zusätz­lich die Ein­stel­lung des Hüft- und Knie­win­kels erlau­ben. Ent­spre­chen­de sta­ti­sche und zykli­sche Unter­su­chun­gen ste­hen aller­dings noch aus.

Lagen­plan­ge­ne­ra­tor und Her­stel­lung der Prothese

Das Ergeb­nis der Simu­la­ti­on stellt die Grund­la­ge des Lagen­plan­ge­ne­ra­tors dar. Der Ortho­pä­die-Tech­ni­ker gibt die wäh­rend der Pro­fil­erhe­bung ermit­tel­ten Indi­vi­du­al­da­ten des Pati­en­ten in die Benut­zer­ober­flä­che der Soft­ware ein und erhält eine detail­lier­te Bau­an­lei­tung sowie ein Schnitt­mus­ter des Hilfs­mit­tels (Abb. 6). Für die stan­dar­di­sier­te Her­stel­lung der jewei­li­gen Pro­the­sen­bau­form (Cho­part oder Lis­franc) wer­den im Anschluss grund­le­gend fol­gen­de Fer­ti­gungs­schrit­te (Abb. 7) durchgeführt:

  • Pati­en­ten­er­he­bung und Gipsabnahme
  • Anfer­ti­gen eines Soft­so­ckets mit Federanlagebereichen
  • Abfor­men des Soft­so­ckets (Gips) und Scan­nen des Gipspositivs
  • Hilfs­mit­tel­aus­le­gung und Simu­la­ti­on, Erstel­lung von Lagen­plan und Schnitt­mus­ter mit Hil­fe des Lagenplangenerators
  • Armie­ren und Auto­kla­vie­ren der Carbonfeder

Nach Aus­här­ten der Pro­the­se im Auto­klav und erfolg­rei­cher Anpro­be am Pati­en­ten erfolgt die Anfer­ti­gung der Kos­me­tik (Abb. 8). Im Anschluss wird das Hilfs­mit­tel dem Pati­en­ten übergeben.

Ein­fluss der Ampu­ta­ti­on auf die bio­me­cha­ni­schen Gangparameter

Die Unter­su­chung der Stu­di­en­po­pu­la­ti­on mit Sili­kon­pro­the­se (sie­he Abb. 1) zeigt auf­grund der redu­zier­ten Stand­flä­che des teil­am­pu­tier­ten Fußes ein patho­lo­gi­sches Gang­bild, wor­aus eine Gan­gin­sta­bi­li­tät resul­tiert. Die­se äußert sich unter ande­rem in einer unglei­chen Druck­ver­tei­lung (Abb. 9) sowie in einer Ver­la­ge­rung des Kör­per­schwer­punkts (CoP, Abb. 10) und erlaubt auf­grund des feh­len­den Vor­fuß­he­bels kei­ne bzw. nur eine deut­lich redu­zier­te Absto­ßung (Punkt C, „toe off“, Abb. 11) 1 3. Infol­ge­des­sen kön­nen die Betrof­fe­nen sich meist nur bedingt am All­tags­sport beteiligen.

Bewer­tung der Pro­the­se im Rah­men der Gangstudie

Die bio­me­cha­ni­sche Beur­tei­lung der Pro­the­se fand im Rah­men einer kli­ni­schen Stu­die 3 statt. Dazu wur­den mit­tels des instru­men­tier­ten Lauf­bands „Reha­walk®“ (zebris Medi­cal GmbH, Isny) und des kame­ra­ba­sier­ten 3D-Bewe­gungs­ana­ly­se­sys­tems „Simi Moti­on 3D“ (Simi Rea­li­ty Moti­on Sys­tems GmbH, Unter­schleiß­heim) kine­ma­ti­sche und kine­ti­sche Gang­pa­ra­me­ter von Pati­en­ten mit Sili­kon­pro­the­se und indi­vi­du­ell ange­fer­tig­ter Car­bon­pro­the­se ermit­telt. Für den Ver­gleich stand eine Stu­di­en­po­pu­la­ti­on von fünf Pati­en­ten (Durch­schnitts­al­ter: 44,25 ± 6,75 Jah­re, ‑grö­ße: 1,72 ± 0,08 m,­ ‑gewicht: 74,0 ± 9,22 kg) zur Ver­fü­gung. In vor­lie­gen­dem Pra­xis­bei­spiel konn­ten die von Dil­lon et al. 5 beschrie­be­nen not­wen­di­gen mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten einer erfolg­rei­chen Ver­sor­gung umge­setzt wer­den. Die Gang­bio­me­cha­nik der Stu­di­en­teil­neh­mer konn­te unter Ver­wen­dung der indi­vi­du­ell ange­fer­tig­ten Car­bon­pro­the­se deut­lich ver­bes­sert wer­den. Neben dem wie­der­her­ge­stell­ten Vor­fuß­he­bel wur­den eine gestei­ger­te Gang­geschwindigkeit sowie eine bes­se­re Sym­me­trie in Bezug auf die Schritt­län­ge, die Stand- und Schwung­pha­sen­dau­er sowie die Gelenk­win­kel zwi­schen der betrof­fe­nen und der gesun­den Extre­mi­tät gemes­sen 7.

Fazit

Die in der durch­ge­führ­ten Stu­die erlang­ten Erkennt­nis­se zei­gen eine deut­li­che Ver­bes­se­rung der Gang­qua­li­tät der Pati­en­ten mit Car­bon­pro­the­se. Für eine all­ge­mein­gül­ti­ge Aus­sa­ge sind jedoch Unter­su­chun­gen mit einer grö­ße­ren Pati­en­ten­fall­zahl sowie eine Lang­zeit­be­ob­ach­tung erfor­der­lich. Ent­spre­chen­de Unter­su­chun­gen wur­den bereits begon­nen. Die Beur­tei­lung einer erfolg­rei­chen Wie­der­ein­glie­de­rung in­­ den All­tags­sport erfor­dert – zusätz­lich zur durch­ge­führ­ten Gang­ana­ly­se –­ sport­­physiologische Unter­su­chun­gen. Die­se befin­den sich der­zeit in Pla­nung in Koope­ra­ti­on mit der Abtei­lung Sport- und Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin der Uni­ver­si­tät Ulm.

Das ent­wi­ckel­te Simu­la­ti­ons­mo­dell erlaubt die theo­re­ti­sche Aus­le­gung der Pro­the­se unter Beach­tung pati­en­ten­spe­zi­fi­scher Para­me­ter (Ana­to­mie und Anwen­dungs­wunsch des Pati­en­ten), des­sen Vali­di­tät noch im Rah­men einer mecha­ni­schen Test­rei­he nach­ge­wie­sen wer­den muss. Eben­so steht eine Bewer­tung der Gebrauchs­taug­lich­keit des dar­aus abge­lei­te­ten Lagenplange­nerators aus.

Ergän­zend zu den Erfah­run­gen des Ortho­pä­die-Tech­ni­kers muss­ten inge­nieur­spe­zi­fi­sche Fra­ge­stel­lun­gen bear­bei­tet wer­den, die unter ande­rem fun­dier­te Kennt­nis­se in den Fach­ge­bie­ten Kon­struk­ti­on, Tech­ni­sche Mecha­nik und Simu­la­ti­on erfor­der­ten. Dies stellt das Ortho­pä­die-Hand­werk vor die Auf­ga­be, eta­blier­te Pro­zes­se und Arbeits­wei­sen zu über­den­ken und sinn­voll um aktu­el­le, für sie jedoch teil­wei­se neue digi­ta­le Arbeits­tech­ni­ken zu ergänzen.

Der Ein­satz des beschrie­be­nen Simu­la­ti­ons­werk­zeugs führ­te zwar zu einer indi­vi­du­el­len mecha­ni­schen Aus­le­gung der Pro­the­se und stellt für das Unter­neh­men sicher­lich eine Pro­zess­in­no­va­ti­on dar, jedoch wur­de der hand­werk­li­che Pro­zess zur Erstel­lung des Hilfs­mit­tels kaum ver­än­dert. Die Simu­la­ti­on ist nur als mög­li­cher Bau­stein inner­halb einer digi­ta­len Pro­zess­ket­te zu betrach­ten. Der Ein­satz digi­ta­ler Werk­zeu­ge ist in der Indus­trie bereits in vol­lem Gan­ge und wird auch dem Ortho­pä­die-Hand­werk neue Mög­lich­kei­ten eröff­nen. Neben der drei­di­men­sio­na­len Erfas­sung von Glied­ma­ßen und Kör­per­struk­tu­ren, deren vir­tu­el­ler Nach­be­ar­bei­tung, der Adap­ti­on eines geeig­ne­ten Hilfs­mit­tels und sei­ner mecha­ni­schen Aus­le­gung eröff­net auch der anschlie­ßen­de Fer­ti­gungs­pro­zess neue Möglichkeiten.

Ergän­zend zu bereits bestehenden­ sub­trak­ti­ven und for­ma­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren bie­tet die addi­ti­ve Fer­ti­gung („3D-Druck“) ein enor­mes Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al. Per 3D-Druck kön­nen indi­vi­du­el­le Hilfs­mit­tel kon­stru­iert wer­den, deren Form­ge­bung, Funk­tio­na­li­tät und Erschei­nungs­bild nicht län­ger durch die Art der Fer­ti­gung limi­tiert sind. Die Aus­le­gung die­ser Hilfs­mit­tel, also die Betrach­tung der Belas­tungs­merk­ma­le bei unter­schied­li­chen Bedin­gun­gen (Kör­per­ge­wicht, Akti­vi­tät etc.), könn­te in die indi­vi­du­el­le Ortho­pä­die-Tech­nik mit­ein­be­zo­gen wer­den. Hier­durch kön­nen indi­vi­du­el­le Hilfs­mit­tel nach indus­tri­el­lem Stan­dard ent­ste­hen. Aller­dings stößt der digi­ta­le Pro­zess hier an sei­ne Gren­zen – die Erfas­sung indi­vi­du­el­ler Weich­tei­le oder knö­cher­ner Struk­tu­ren ist der­zeit noch nicht möglich.

Aus­blick: Digi­ta­li­sie­rung im Orthopädie-Handwerk

In einer ers­ten Pilot­ar­beit erstell­ten die Koope­ra­ti­ons­part­ner eine mög­li­che digi­ta­le Pro­zess­ket­te. Als Grund­la­ge dien­te ein 3D-Stumpf­mo­dell (Scan­ner ­Artec Eva , Artec3D, Luxem­burg), mit dem eine indi­vi­du­ell aus­ge­leg­te Pro­the­se mit Hil­fe der Soft­ware Free­form (Geo­ma­gic Free­form Plus, Anto­ni­us Kös­ter GmbH & Co. KG, Mesche­de) kon­stru­iert, anwen­dungs­spe­zi­fisch mecha­nisch aus­ge­legt und anschlie­ßend addi­tiv im 3D-Druck­ver­fah­ren her­ge­stellt wur­de (Abb. 12). Die Arbeit wur­de dazu in fol­gen­de Schrit­te untergliedert:

  1. Scan­nen des Stump­fes (in die­sem Fall eines bereits vor­han­de­nen Gipsmodells)
  2. Model­lie­ren des Stump­fes mit der Soft­ware Freeform
  3. Ent­wick­lung und Kon­struk­ti­on eines Schaft-Liner-Sys­tems für die direk­te Stumpf­an­bin­dung mit der Soft­ware Freeform
  4. Ent­wick­lung und Kon­struk­ti­on einer auf die Belan­ge des Anwen­ders zuge­schnit­te­nen Pro­the­sen­struk­tur mit der Soft­ware Freeform
  5. Unter­su­chung der last­auf­neh­men­den Ele­men­te hin­sicht­lich Belas­tungs­fä­hig­keit und Ver­for­mung mit der Soft­ware ANSYS
  6. Her­stel­lung des Hilfs­mit­tels mit­tels addi­ti­ven Fertigungsverfahrens

Sobald die Grund­struk­tur der Pro­the­se kon­stru­iert wur­de, lässt sich die­se mit über­schau­ba­rem Zeit­auf­wand sowohl geo­me­trisch als auch funk­tio­nell anpas­sen. Damit ent­steht auf lan­ge Sicht eine Art Bau­kas­ten­sys­tem für indi­vi­du­el­le, ska­lier­ba­re Hilfs­mit­tel, die mit Hil­fe des 3D-Druck­ver­fah­rens gefer­tigt wer­den können.

Der Autor:
Prof. Dr. Felix Capanni
Hoch­schu­le Ulm
Fakul­tät Mecha­tro­nik und Medizintechnik
For­schungs­grup­pe Biomechatronik
Albert-Ein­stein-Allee 55, 89081 Ulm
capanni@hs-ulm.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Capan­ni F, Matyssek S, Gaas­han M, Döt­zel E. Ent­wick­lung einer indi­vi­du­el­len Vor­fuß­pro­the­se für die Wie­der­ein­glie­de­rung in den All­tags­sport — Eine For­schungs- und Ent­wick­lungs­ko­ope­ra­ti­on zwi­schen Hoch­schu­le und Hand­werks­be­trieb. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (5): 68–72
  1. Ent­wick­lung eines last­ad­ap­tier­ten Vor­fuß­pro­the­sen­sys­tems zur Indi­vi­du­al­ver­sor­gung von vor­fuß­am­pu­tier­ten Pati­en­ten mit hohem Mobi­li­täts­an­spruch. ZIM-Koope­ra­ti­ons­pro­jekt, För­der­kenn­zei­chen KF2186207AK4
  2. Fall­zahl für trau­ma­be­ding­te Ampu­ta­tio­nen am Fuß. Indi­vi­du­al­aus­wer­tung für das Jahr 2015 des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts vom 22.09.2017
  3. Bio­me­cha­ni­sche Ana­ly­se des mensch­li­chen Gang­bil­des von Vor­fuß­am­pu­tier­ten mit neu­ar­ti­ger Pro­the­sen­ver­sor­gung. Deut­sches Regis­ter Kli­ni­scher Stu­di­en (15. Dezem­ber 2017). http://www.drks.de/drks_web/navigate.do?navigationId=trial.HTML&TRIAL_ID=DRKS00011929 (Zugriff am 18.04.2018)
  4. Bur­ger H, Erz­ar D, Maver T, Olenšek A, Cika­j­lo I. Bio­me­cha­nics of wal­king with sili­co­ne pro­sthe­sis after mid­tar­sal (Cho­part) dis­ar­ti­cu­la­ti­on. Cli­ni­cal Bio­me­cha­nics, 2009; 24; 510–516
  5. Dil­lon MP, Bar­ker TM. Com­pa­ri­son of gait of per­sons with par­ti­al foot ampu­ta­ti­on wea­ring pro­sthe­sis to matched con­trol group: Obser­va­tio­nal stu­dy. Jour­nal of Reha­bi­li­ta­ti­on Rese­arch & Deve­lo­p­ment, 2008; 45 (9): 1317–1334
  6. Gaas­han M, Engle­der T, Capan­ni F. Simu­la­ti­on and deve­lo­p­ment of a pati­ent-spe­ci­fic car­bon fiber fore­foot pro­sthe­sis using fini­te ele­ment method. BMT­Med­Phys 2017. Annu­al Mee­ting of the Ger­man Socie­ty of Bio­me­di­cal Engi­nee­ring and Joint Con­fe­rence in Medi­cal Phy­sics, Dres­den, 2017 Aus­blick: Digi­ta­li­sie­rung im Orthopädie-Handwerk
  7. Döt­zel E, Capan­ni F, Engle­der T, Stein­acker JM. Gait bio­me­cha­nics of pati­ents with fore­foot ampu­ta­ti­on using a cus­to­mi­zed car­bon fiber pro­sthe­sis. BMT­Med­Phys 2017. Annu­al Mee­ting of the Ger­man Socie­ty of Bio­me­di­cal Engi­nee­ring and Joint Con­fe­rence in Medi­cal Phy­sics, Dres­den, 2017
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