Ein­satz neu­er Trai­nings­for­men in der Reha­bi­li­ta­ti­on – EMS-Training

Teschler, M. Heimer, B. Schmitz, F. Mooren
Der Einsatz lokaler Elektromyostimulation (EMS) durch einzelne, isolierte Elektroden zum prä- oder postoperativen Muskelerhalt ist seit Jahrzehnten bekannt. Mit der kürzlich erfolgten Zulassung evaluierter EMS-Geräte als Medizinprodukt bietet sich jetzt eine neue Option der Trainingstherapie in der Rehabilitation: Die in den vergangenen Jahren vermehrt aufkommende Variante der Ganzkörper-Elektromyostimulation („whole-body electromyostimulation“, WB-EMS) bedient sich des klassischen physiologischen Prinzips der Stromapplikation auf den Muskel, erweitert um die gleichzeitige Stimulation von bis zu 10 Muskelgruppen. Gerade lange Krankenhausaufenthalte, meist assoziiert mit einer krankheitsbedingten Reduktion der Muskelmasse (sekundäre Sarkopenie) sowie mit konsequenter Einschränkung der muskulären Leistungsfähigkeit, stellen für den Therapieerfolg in der Rehabilitation für viele Patienten eine Limitation dar. Ein Pilotprojekt, durchgeführt an der Klinik Königsfeld in Ennepetal, zeigt erste Erfolge und legt nahe, dass die alternative Trainingstechnologie EMS eine zeiteffiziente Möglichkeit zur Verbesserung dieses klinischen Bildes darstellt.

Ein­lei­tung

Elek­tro­myo­sti­mu­la­ti­on (EMS)

Ers­te Erkennt­nis­se zum Strom­fluss und des­sen Ein­fluss auf den Kör­per kön­nen über meh­re­re Jahr­hun­der­te zurück­ver­folgt wer­den. Den­noch dau­er­te es bis zur Mit­te des 20. Jahr­hun­derts, ehe Gerä­te ent­wi­ckelt wur­den, deren Prin­zi­pi­en die Basis für das heu­ti­ge EMS-Trai­ning bil­den. Ers­te Evi­den­zen rus­si­scher Wis­sen­schaft­ler Anfang der 70er Jah­re bele­gen, dass exter­ne elek­tri­sche Sti­mu­la­ti­on zu grö­ße­ren mus­ku­lä­ren Kon­trak­ti­ons­kräf­ten inner­halb der Ske­lett­mus­ku­la­tur füh­ren kann und dass dadurch Trai­nings­rei­ze gene­riert wer­den kön­nen, die Kraft­zu­wäch­se zwi­schen 30 und 40 % pro­vo­zie­ren. Die­se Erkennt­nis­se ebne­ten spä­tes­tens mit Beginn der 90er Jah­re den Weg hin zu einem erwei­ter­ten und pro­fes­sio­nel­le­ren Ein­satz von EMS-Gerä­ten im (neuro-)rehabilitativen The­ra­pie­be­reich, um mit­tels pas­si­ver Sti­mu­la­ti­on Mus­ku­la­tur sowie deren Leis­tungs­fä­hig­keit zu erhal­ten bzw. zu ver­bes­sern. Klas­si­sche EMS bedient sich des Ein­sat­zes exter­ner elek­tri­scher Impul­se, die über mus­kel­nah appli­zier­te Elek­tro­den eine kon­trol­lier­te Kon­trak­ti­on der quer­ge­streif­ten Ske­lett­mus­ku­la­tur erzeu­gen. Im Gegen­satz zur phy­sio­lo­gi­schen Mus­kel­kon­trak­ti­on pro­vo­ziert EMS eine Kon­trak­ti­on des Mus­kels ohne den Ein­fluss des zen­tra­len Ner­ven­sys­tems. Auf­grund ihres hohen Was­ser­an­teils eig­net sich die mensch­li­che Mus­ku­la­tur gut als Lei­ter für elek­tri­sche Rei­ze, die phy­sio­lo­gisch der klas­si­schen Reiz­über­tra­gung fol­gen: Der elek­tri­sche Impuls löst ein Akti­ons­po­ten­zi­al aus, das sich ent­lang des Axons aus­brei­tet (Reiz­wei­ter­lei­tung) und final am Mus­kel zur Kon­trak­ti­on führt. Die Erre­gung ein­zel­ner Mus­kel­fa­sern steht in enger Abhän­gig­keit von einer aus­rei­chen­den, jedoch für den Men­schen unbe­denk­li­chen Schwel­len­strom­stär­ke: Das Opti­mum wird zwi­schen 20 und 40 Mil­li­am­pere defi­niert. Tabel­le 1 zeigt unter­schied­li­che Belas­tungs­pa­ra­me­ter, die beim Ein­satz von EMS zum Ein­satz kom­men. Eine Inner­va­ti­on von Ner­ven und Mus­keln der quer­ge­streif­ten Mus­ku­la­tur wird im nie­der­fre­quen­ten Impuls­be­reich von 50 bis 90 Hertz erreicht. Glat­te Mus­kel­struk­tu­ren wie bei­spiels­wei­se die Herz­mus­kel­zel­len wer­den in die­sem Impuls­be­reich nicht erregt, was eine Irri­ta­ti­on des phy­sio­lo­gi­schen Herz-Kreis­lauf-Sys­tems ausschließt.

Ganz­kör­per-Elek­tro­myo­sti­mu­la­ti­on (WB-EMS)

In den letz­ten Jah­ren erleb­te spe­zi­ell die neue alter­na­ti­ve Trai­nings­tech­no­lo­gie der Ganz­kör­per-Elek­tro­myo­sti­mu­la­ti­on, kurz WB-EMS, einen immensen Auf­schwung: Neben einem ver­mehr­ten Ein­satz im Brei­ten­sport und in der Fit­ness­bran­che wird seit gut einem Jahr­zehnt auch die evi­denz­ba­sier­te For­schung kon­ti­nu­ier­lich vor­an­ge­trie­ben. WB-EMS bedient sich der glei­chen phy­sio­lo­gi­schen Grund­la­gen wie die loka­le EMS, ver­grö­ßert jedoch die Flä­che der trai­nier­ten Mus­ku­la­tur durch die gleich­zei­ti­ge Ansteue­rung von 8 bis 10 Mus­kel­grup­pen auf etwa 3 m². Die Abbil­dun­gen 1a–c zei­gen die unter­schied­li­chen Mus­kel­area­le, die durch das Anle­gen des ent­spre­chen­den Equip­ments (Wes­te, Arm‑, Bein- und Gesäß-Man­schet­te) indi­vi­du­ell und regio­nal über ein Bedien­mo­dul (Abb. 1d) ange­steu­ert wer­den kön­nen. Von der loka­len Sti­mu­la­ti­on, die meist iso­liert und pas­siv (ohne akti­ve dyna­mi­sche Bewe­gungs­aus­füh­rung) auf den Mus­kel appli­ziert wird, unter­schei­det sich die WB-EMS-Anwen­dung durch ein im Stand par­al­lel und aktiv durch­ge­führ­tes funk­tio­nel­les Trai­nings­pro­gramm. Die Übungs­aus­wahl bewegt sich in der Regel in Bewe­gungs­um­fän­gen, die selbst von stark ein­ge­schränk­ten Trai­nie­ren­den pro­blem­los bewäl­tigt wer­den kön­nen. Wis­sen­schaft­li­che Evi­den­zen bele­gen die Effi­zi­enz und Effek­ti­vi­tät von WB-EMS. Eta­blier­te und auch kom­mer­zi­ell umge­setz­te Trai­nings­pro­to­kol­le umfas­sen ledig­lich 20 Minu­ten pro Trai­nings­ein­heit und emp­feh­len 1 bis 1,5 Ein­hei­ten pro Woche. Nach mehr­wö­chi­gen Inter­ven­tio­nen zei­gen Stu­di­en in unter­schied­li­chen Alters­ko­hor­ten signi­fi­kan­te Effek­te auf Kör­per­zu­sam­men­set­zung (Mus­kel­auf­bau, Kör­per­fett­re­duk­ti­on), Kraft und Leis­tungs­fä­hig­keit1. In den letz­ten Jah­ren wur­de in ver­ein­zel­ten Fäl­len von nega­ti­ven gesund­heit­li­chen Aus­wir­kun­gen nach WB-EMS-Trai­ning berich­tet. Ernst­haf­te Kom­pli­ka­tio­nen wie extre­mer Mus­kel­ka­ter mit teils phy­sio­lo­gi­schem Mus­kel­zer­fall (Rhab­do­myo­ly­se) las­sen sich in der Regel jedoch auf eine unfach­män­ni­sche Hand­ha­bung in der Umset­zung des Trai­nings sowie eine zu inten­si­ve Erst­an­wen­dung zurück­füh­ren. Tat­säch­lich kann die Kom­bi­na­ti­on aus groß­flä­chig sti­mu­lier­ter Mus­kel­mas­se in Ver­bin­dung mit zu inten­si­ver Initi­al­be­las­tung ein Risi­ko dar­stel­len: Eine mög­li­che extre­me Erhö­hung der Krea­tin­ki­na­se- Wer­te (CK) und Ver­schie­bun­gen im Elek­tro­lyt­haus­halt kön­nen zu erhöh­ter Leber- und Nie­ren­be­las­tung sowie zu Herz-Kreis­lauf- Irri­ta­tio­nen füh­ren 2. Dem­ge­gen­über bele­gen Stu­di­en, dass ein pro­gres­si­ver Trai­nings­an­satz – ähn­lich der pro­gres­si­ven Belas­tungs­stei­ge­rung im her­kömm­li­chen Kraft­trai­ning – mit suk­zes­si­ven gestei­ger­ten Inten­si­tä­ten eine kon­ti­nu­ier­li­che Adapt­a­ti­on des Kör­pers her­bei­führt: Bereits nach der zwei­ten Anwen­dung zei­gen sich ers­te Adapt­a­ti­ons­zei­chen des WB-EMS-Trai­nings2. In den letz­ten Jah­ren wur­de auch von Sei­ten der Gesetz­ge­bung umfang­reich an der Eta­blie­rung und Durch­set­zung von Sicher­heits­stan­dards (DIN-Norm 33961–5 3), Kon­tra­in­di­ka­tio­nen4 und Emp­feh­lun­gen 5 als Qua­li­täts­kri­te­ri­um gear­bei­tet. Seit Janu­ar 2021 unter­liegt die nicht­me­di­zi­ni­sche EMS-Anwen­dung dem Rah­men der Strah­len­schutz­ver­ord­nung (NiSV, Arti­kel 4; Anwen­dung nich­tio­ni­sie­ren­der Strah­lung am Men­schen); dem­entspre­chend sind kom­mer­zi­el­le Betrei­ber ver­pflich­tet, qua­li­fi­zier­tes und zer­ti­fi­zier­tes Per­so­nal ein­zu­set­zen 6.

Stu­die: (Ganz­kör­per-) Elek­tro­myo­sti­mu­la­ti­on in der sta­tio­nä­ren Reha bei Sarkopenie-Patienten

In einem Pilot­pro­jekt an der Kli­nik Königs­feld der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung in Enne­pe­tal wur­den zwi­schen April 2018 und 2020 erst­mals die addi­ti­ven Effek­te unter­schied­li­cher EMS-Appli­ka­ti­ons­for­men im Rah­men eines vier­wö­chi­gen sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­ons­auf­ent­hal­tes unter­sucht. Haupt­ein­schluss­kri­te­ri­um für die Teil­nah­me am Pro­jekt mit der Bezeich­nung „GERKO“ (Ganz­kör­per- Elek­tro­myo­sti­mu­la­ti­on in der Reha­bi­li­ta­ti­on kar­dio­lo­gi­scher und ortho­pä­di­scher Pati­en­ten) war neben einer­kar­dio­lo­gi­schen und/oder ortho­pä­di­schen Haupt­in­di­ka­ti­on das Vor­han­den­sein einer Sarkopenie.

Krank­heits­bild „Sar­ko­pe­nie“

Das The­ma Sar­ko­pe­nie rückt im Zuge des demo­gra­fi­schen Wan­dels in den letz­ten Jah­ren mehr und mehr ins Blick­feld der For­schung. Die Sar­ko­pe­nie- Defi­ni­ti­on eines alters­be­ding­ten Rück­gangs der Mus­kel­mas­se (pri­mä­re Sar­ko­pe­nie) wur­de kürz­lich um die Kate­go­rie der krank­heits­as­so­zi­ier­ten Reduk­ti­on (sekun­dä­re Sar­ko­pe­nie) erwei­tert und ist ICD-10-codiert (M.62.84) 7. Zwar sind Patho­phy­sio­lo­gie und Ursa­chen die­ser Mus­kel­mas­se-Reduk­ti­on noch nicht voll­stän­dig geklärt, den­noch schei­nen der Lebens­stil sowie hor­mo­nel­le, immu­no­lo­gi­sche (erhöh­te Ent­zün­dungs­pro­zes­se) und neu­ro­mus­ku­lä­re Ver­än­de­run­gen einen beein­flus­sen­den Cha­rak­ter zu besit­zen – Umstän­de, die eine Sar­ko­pe­nie zu einer mul­ti­fak­to­ri­el­len Erkran­kung machen. Die Reduk­ti­on der Mus­kel­mas­se ist stark mit gerin­ge­rer Mus­kel­kraft, ver­min­der­ter mus­ku­lä­rer Funk­tio­na­li­tät und weni­ger Leis­tungs­fä­hig­keit asso­zi­iert. Die­se Abwärts­spi­ra­le setzt sich in einer deut­lich erhöh­ten Wahr­schein­lich­keit des Ver­lus­tes der Selbst­stän­dig­keit und der Lebens­qua­li­tät fort und führt nach­weis­lich zu zuneh­men­der Gebrech­lich­keit mit erhöh­tem Sturz­ri­si­ko, Frak­tu­ren und final zu einer erhöh­ten Mor­ta­li­täts­ra­te 7. Spe­zi­ell län­ge­re Kli­nik­auf­ent­hal­te mit vor­he­ri­ger oder anschlie­ßen­der Immo­bi­li­tät bzw. Inak­ti­vi­tät stel­len für die Anschluss-Reha­bi­li­ta­ti­on ein Pro­blem dar. Mus­ku­lär dekon­di­tio­nier­te Pati­en­ten sind in gewis­sem Maße the­ra­pie­li­mi­tiert, da sie im Rah­men des Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zes­ses meist nur unter­schwel­li­ge Trai­nings­in­ten­si­tä­ten errei­chen, die kei­ne not­wen­di­gen phy­sio­lo­gi­schen Adapt­a­tio­nen mit sich bringen.

Unter­su­chungs­zie­le

Hin­ter dem hier vor­ge­stell­ten Pilot­pro­jekt steckt die grund­le­gen­de Idee, die indi­vi­du­el­le Reiz­schwel­le durch zusätz­li­che exter­ne EMS so zu sti­mu­lie­ren, dass ent­spre­chen­de Adapt­a­tio­nen pro­vo­ziert wer­den. Der Ein­fluss von WB-EMS auf eine Sar­ko­pe­nie wur­de bereits für bei­de Geschlechts­grup­pen nach­ge­wie­sen 8 9 10. Wäh­rend die Pro­ban­den die­ser Stu­di­en aller­dings län­ger­fris­tig über min­des­tens 6 Mona­te trai­nier­ten, zeich­net sich das Pro­jekt der Kli­nik Königs­feld durch das Allein­stel­lungs­merk­mal eines „limi­tier­ten“ 4‑wöchigen Trai­nings­zeit­raums inner­halb des sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­ons­auf­ent­halts mit ledig­lich 6 Trai­nings­ein­hei­ten aus. Zur Über­prü­fung der Anwend­bar­keit und Effek­ti­vi­tät von EMS im Ver­lauf des sta­tio­nä­ren Auf­ent­hal­tes wur­den als Haupt­ziel­pa­ra­me­ter die Ver­än­de­rung der Mus­kel­kraft und der Mus­kel­funk­ti­on defi­niert. Zudem soll­ten Fra­gen zur opti­ma­len Anwen­dungs­mög­lich­keit im Sin­ne des Ver­gleichs einer Ganz­kör­per- und einer Teil­kör­per- EMS-Appli­ka­ti­on (Abb. 2) beant­wor­tet werden.

Metho­dik

Gemäß der Sar­ko­pe­nie-Defi­ni­ti­on der Foun­da­ti­on for the Natio­nal Insti­tu­tes of Health (FNIH) wur­de eine beim Pati­en­ten vor­lie­gen­de Sar­ko­pe­nie nach dem Kri­te­ri­um „redu­zier­te Mus­kel­mas­se“ anhand des ske­letta­len Mus­kel­in­dex (SMI; Berech­nung: Mus­kel­mas­se der Extre­mi­tä­ten [appen­di­ku­lä­re ske­letta­le Muskelmasse]/ Body-Mass-Index [BMI]) iden­ti­fi­ziert und galt als wesent­li­ches Ein­schluss­kri­te­ri­um. Grenz­wer­te für Män­ner lie­gen hier bei < 0,789, für Frau­en bei < 0,512. Zur Erfas­sung der defi­nier­ten pri­mä­ren End­punk­te durch­lie­fen geeig­ne­te Pati­en­ten eine Test­bat­te­rie, bestehend aus den im Fol­gen­den genann­ten Tests: – Auf­steh­test („chair rise test“) sowie 6‑Mi­nu­ten-Geh­test zur Ermitt­lung der Mus­kel­funk­ti­on; – iso­me­tri­sche Bein‑, Arm- und Rumpf­kraft­mes­sun­gen zur Ermitt­lung der Mus­kel­kraft. Sekun­dä­re End­punk­te wur­den mit­tels der fol­gen­den Instru­men­te abge­fragt: – Blut­ent­nah­me (hämo­ly­ti­sche Para­me­ter), – mul­ti­fre­quen­te Bio­im­pe­danz­ana­ly­se (BIA) zur Erhe­bung der Kör­per­zu­sam­men­set­zung sowie – Fra­ge­bö­gen zu Lebens­qua­li­tät und Selbst­wirk­sam­keit. Alle Teil­neh­mer (n = 122) trai­nier­ten im vier­wö­chi­gen Reha­bi­li­ta­ti­ons­ver­lauf jeweils zwei­mal pro Woche für je zusätz­lich 20 Minu­ten ent­spre­chend der Ran­do­mi­sie­rung in einer der 3 fol­gen­den Grup­pen: 1. WB-EMS: Sti­mu­la­ti­on von 8 Mus­kel­grup­pen (s. o.); 2. Teil­kör­per-EMS: Sti­mu­la­ti­on der Ober­schen­kel- und Gesäß­mus­ku­la­tur (s. o.); 3. akti­ve Kon­troll­grup­pe: Bewe­gungs­aus­füh­rung ohne zusätz­li­che EMS-Appli­ka­ti­on. Alle Trai­nings­ein­hei­ten wur­den in einem engen Betreu­ungs­ver­hält­nis von 2:1, also 2 Teil­neh­mer in Anwe­sen­heit eines qua­li­fi­zier­ten Übungs­lei­ters, durch­ge­führt. Jede Trai­nings­ein­heit beinhal­te­te ein dyna­mi­sches Bewe­gungs­pro­gramm im Stand, bestehend aus 2 Sät­zen respek­ti­ve Durch­gän­gen à 7 Übun­gen mit je 8 Wie­der­ho­lun­gen und einer fina­len Übung à 6 Wie­der­ho­lun­gen. Auf­grund des dekon­di­tio­nier­ten Sta­tus der Teil­neh­mer sowie merk­li­cher koor­di­na­ti­ver Defi­zi­te wur­de das Übungs­pro­gramm im Ver­lauf der 6 Trai­nings­ein­hei­ten bewusst nicht ver­än­dert, um eine sau­be­re Bewe­gungs­aus­füh­rung zu ver­fes­ti­gen. Die Übungs­aus­wahl umfass­te unter ande­rem: – ein­fa­che For­men von Knie­beu­gen mit zusätz­li­cher Akti­vie­rung der Arm­mus­ku­la­tur (Knie­beu­ge mit Bizeps­curl respek­ti­ve Arm­stre­ckung), – Aus­fall­schrit­te mit Ruder­be­we­gung oder – Kör­per­sta­bi­li­sa­ti­on über Einbeinstand.

Ergeb­nis­se

Trotz der kur­zen Inter­ven­ti­ons­dau­er zeig­ten sich bereits nach 4 Wochen teils signi­fi­kan­te phy­sio­lo­gi­sche Ver­bes­se­run­gen bei den Pro­ban­den. Hin­sicht­lich der pri­mä­ren End­punk­te konn­ten bei­de EMS-Grup­pen ihre mus­ku­lä­re Leis­tungs­fä­hig­keit im Auf­steh­test („chair rise test“) um durch­schnitt­lich + 28 % stei­gern – bei zeit­gleich 13-pro­zen­ti­ger Ver­bes­se­rung in der akti­ven Kon­troll­grup­pe (p = 0.001). Kor­re­spon­die­rend zeig­ten bei­de EMS-Grup­pen einen signi­fi­kan­ten Kraft­an­stieg der Knie­streck­mus­ku­la­tur von + 22 % (Kon­troll­grup­pe: + 13 %; p = 0.008). Die deckungs­glei­chen Ver­bes­se­run­gen bei­der EMS-Grup­pen las­sen sich auf die iden­ti­sche Elek­tro­den-Appli­ka­ti­on (Ober­schen­kel- und Gesäß­mus­ku­la­tur) in bei­den Grup­pen zurück­füh­ren. Bei einem genaue­ren Blick auf die Kraft­ent­wick­lung der unter­schied­li­chen Mus­kel­re­gio­nen zeigt sich ein deut­li­cher Trend hin­sicht­lich der Ganz­kör­per-Appli­ka­ti­on, also hin zur groß­flä­chi­gen Sti­mu­la­ti­on meh­re­rer Mus­kel­grup­pen. Hier lag die durch­schnitt­li­che pro­zen­tua­le Kraft­zu­nah­me (erho­ben über alle getes­te­ten Mus­kel­grup­pen) nach WB-EMS bei + 29 % und somit signi­fi­kant über den Kraft­an­pas­sun­gen von Teil­kör­per-EMS- und Kon­troll­grup­pe (18 %; p = 0.035). Für den über­wie­gend aero­ben 6‑Mi­nu­ten-Geh­test zeig­ten sich – ver­mut­lich auf­grund des abwei­chen­den phy­sio­lo­gi­schen Anfor­de­rungs­pro­fils – ledig­lich Ten­den­zen hin­sicht­lich einer Ver­bes­se­rung durch addi­ti­ves EMS-Trai­ning. Bei allen sekun­där erho­be­nen Para­me­tern wie hämo­ly­ti­scher Ana­ly­se, Ein­fluss auf die Kör­per­zu­sam­men­set­zung (BIA) sowie Lebens­qua­li­tät und Selbst­wirk­sam­keit konn­ten kei­ne rele­van­ten Ver­än­de­run­gen fest­ge­stellt wer­den. Wäh­rend der gesam­ten Trai­nings­pe­ri­ode wur­den zudem kei­ne kli­nisch rele­van­ten uner­wünsch­ten Ereig­nis­se (z. B. extre­me CK-Erhö­hun­gen; s. o.) ver­zeich­net 11.

Dis­kus­si­on

Bis dato haben sich nur weni­ge Stu­di­en mit dem Effekt von EMS auf Sar­ko­pe­nie befasst; zur ent­spre­chen­den The­ma­tik im Umfeld einer sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on feh­len sie ganz. Die Ergeb­nis­se die­ser Unter­su­chung bele­gen die Effek­ti­vi­tät zusätz­lich appli­zier­ter EMS mit final gestei­ger­ter Kraft- und Leis­tungs­fä­hig­keit bei sar­ko­pe­ni­schen Pati­en­ten. Trai­nings­phy­sio­lo­gisch ermög­licht ein initi­al stark dekon­di­tio­nier­ter Zustand per se einen schnel­len Kraft- und Leis­tungs­an­stieg. Dies zeigt sich in der Ent­wick­lung aller 3 Trai­nings­grup­pen, die ein iden­ti­sches akti­ves Bewe­gungs­pro­gramm durch­führ­ten. Die teils signi­fi­kan­ten Unter­schie­de der Funk­ti­ons- und Kraft­pa­ra­me­ter unter­strei­chen somit den addi­ti­ven Effekt der EMS-Appli­ka­ti­on. Die sekun­där erho­be­nen Para­me­ter zeig­ten, wohl limi­tiert durch den sehr kur­zen Inter­ven­ti­ons­zeit­raum von nur 4 Wochen, kei­ne Ver­än­de­rung. Hin­sicht­lich der Kör­per­zu­sam­men­set­zung (Mus­kel­mas­se, Kör­per­fett) konn­ten kei­ne phy­sio­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen fest­ge­stellt wer­den. Der signi­fi­kan­te Kraft­an­stieg bei gleich­blei­ben­der Mus­kel­mas­se unter­streicht somit die neu­ro­mus­ku­lä­re Wirk­wei­se von EMS. Der in vie­len Stu­di­en als domi­nant beschrie­be­ne Effekt der Kör­per­fett­re­duk­ti­on zeig­te nur ten­den­zi­ell posi­ti­ve­re Effek­te nach WB-EMS-Anwen­dung (- 3,4 %; Teil­kör­per-EMS: — 2,5 %; KG: — 1,9 %). Gene­rell ist die­ser Effekt mit dem erhöh­ten meta­bo­li­schen Anfor­de­rungs­pro­fil nach einer ein­zel­nen WB-EMS-Trai­nings­ein­heit zu erklä­ren, das den Ruhe­grund­um­satz signi­fi­kant für bis zu 72 Stun­den erhöht 12. Auch hier kön­nen der kur­ze Inter­ven­ti­ons­zeit­raum, unter­schied­li­che nicht expli­zit doku­men­tier­te Diät-For­men und eine inkon­sis­ten­te Ein­hal­tung der The­ra­pie­plä­ne limi­tie­rend auf die Stu­di­en­ergeb­nis­se ein­wir­ken. Schließ­lich muss der Sicher­heits­aspekt im Umfeld einer medi­zi­ni­schen Reha­bi­li­ta­ti­on berück­sich­tigt wer­den: Ein inten­si­ve­res Trai­ning hät­te mut­maß­lich zwar grö­ße­re Ent­wick­lungs­sprün­ge bewirkt, doch basie­rend auf Vor­er­fah­run­gen (s. o.) wur­de nach vor­ge­ge­be­nen Qua­li­täts­stan­dards zur siche­ren Umset­zung des Trai­nings mit enger Über­wa­chung trai­niert, um ernst­haf­te Kom­pli­ka­tio­nen zu vermeiden.

Fazit

Ein vier­wö­chi­ger Reha­bi­li­ta­ti­ons­auf­ent­halt mit 6 zusätz­li­chen Trai­nings­ein­hei­ten zeigt nach Durch­füh­rung bei­der EMS-Vari­an­ten teils signi­fi­kan­te Ver­bes­se­run­gen von Mus­kel­funk­ti­on und Mus­kel­kraft ver­gli­chen mit einer akti­ven Kon­troll­grup­pe. Unter ent­spre­chend qua­li­fi­zier­ter Betreu­ung prä­sen­tie­ren sich bei­de EMS-Appli­ka­tio­nen als viel­ver­spre­chen­de, siche­re und effek­ti­ve Trai­nings­me­tho­den zur Ergän­zung der sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on, die sar­ko­pe­ni­schen Pati­en­ten mit ortho­pä­di­scher und/ oder kar­dio­lo­gi­scher Vor­er­kran­kung einen Gesund­heits­mehr­wert lie­fern kön­nen. Die Opti­on der Anwen­dung unter­schied­li­cher Appli­ka­ti­ons­for­men – sowohl der Ganz­kör­per-EMS-Vari­an­te als auch der redu­zier­ten Form von Teil­kör­per-EMS – ermög­licht zudem eine indi­vi­du­el­le Betreu­ung unter­schied­li­cher gesund­heit­li­cher Pro­ble­ma­ti­ken und Krankheitsprofile.

Aus­blick

Basie­rend auf die­sen wert­vol­len Ergeb­nis­sen imple­men­tiert die Kli­nik Königs­feld das EMS-Trai­ning ver­mehrt in die kli­ni­sche Rou­ti­ne. Zudem sol­len anhand von Anschluss­pro­jek­ten zum The­ma EMS fort­lau­fend wei­ter­füh­ren­de, neue Erkennt­nis­se zu unter­schied­li­chen Krank­heits­bil­dern, Ent­zün­dungs- und Rege­ne­ra­ti­ons­pro­zes­sen gewon­nen wer­den, um per­spek­ti­visch neue eva­lu­ier­te Ein­satz­mög­lich­kei­ten für ein EMS-Trai­ning im Reha­bi­li­ta­ti­ons­be­reich prä­sen­tie­ren zu kön­nen. Letzt­lich blei­ben auf­grund der unter­schied­li­chen Appli­ka­ti­ons­for­men und der diver­sen Belas­tungs­pa­ra­me­ter noch zu vie­le Fra­ge­stel­lun­gen hin­sicht­lich der Kine­tik phy­sio­lo­gi­scher Ver­än­de­run­gen offen, um umfas­sen­de und ein­heit­li­che indi­ka­ti­ons­ab­hän­gi­ge Vor­ga­ben for­mu­lie­ren und ablei­ten zu können.

Für die Autoren: 

Dr. Marc Teschler
Pro­jekt­lei­ter Lehr­stuhl für Reha­bi­li­ta­ti­ons­wis­sen­schaf­ten (Prof. Dr. med. Frank C. Mooren)
an der Fakul­tät für Gesund­heit der Uni­ver­si­tät Witten/Herdecke
Kli­nik Königs­feld der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung Westfalen
Holt­hau­ser Tal­stra­ße 2
58256 Ennepetal
marc.teschler@uni-wh.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Tesch­ler M, Hei­mer M, Schmitz B, Moo­ren F. Ein­satz neu­er Trai­nings­for­men in der Reha­bi­li­ta­ti­on – EMS-Trai­ning. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (10): 36–41
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    elec­tro­myo­sti­mu­la­ti­on on ener­gy expen­dit­u­re. A con­tri­bu­ti­on to fat reduc­tion? Appl Phy­si­ol Nutr Metab, 2018; 43 (5): 528–530
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