Wär­me statt Klebstoff

Auf der OTWorld in Leipzig konnte man sich am Stand der Nora Systems GmbH – vormals Freudenberg – eine Innovation in der Einlagenfertigung anschauen. Statt durch Klebstoff wird die Materialverbindung durch Wärme und Druck erzeugt. Wie dies genau funktioniert, hat Mike Jakob (OSM), Anwendungstechniker und Bezirksleiter im Außendienst bei der Nora Systems GmbH in Weinheim, im Gespräch mit der OT-Redaktion erklärt.

OT: Mit „Luna­tec fusi­on“ stell­ten Sie auf der OTWorld eine Neu­heit zur Her­stel­lung von Ein­la­gen vor. Ihr Ver­fah­ren ver­zich­tet auf Kleb­stoff. Kön­nen Sie dies bit­te erläutern?

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Mike Jakob: Bei „Luna­tec fusi­on“ han­delt es sich eher um Mate­ria­li­en mit beson­de­ren Eigen­schaf­ten als um ein Ver­fah­ren. Die­se neu­ar­ti­gen Mate­ria­li­en gehen wäh­rend der ther­mo­plas­ti­schen Ver­for­mung eine unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung ein, die aus­schließ­lich durch die Fak­to­ren Wär­me, Zeit und Druck ent­steht. Wäh­rend der Abkühl­pha­se ver­schmel­zen die Ober­flä­chen förm­lich und fusio­nie­ren zu einer dau­er­haf­ten Ver­bin­dung. Das Prin­zip der „Ver­schmel­zung“ auf EVA-Basis (EVA steht für Ethy­len­vi­nyl­ace­tat, Anm. d. Red.) ist in der Indus­trie und dem Hand­werk auch von löse­mit­tel­frei­en Schmelz­kleb­stof­fen bekannt. Das EVA-Poly­mer gibt Sta­bi­li­tät und sorgt für eine opti­ma­le Ver­bin­dung. Und so ähn­lich funk­tio­niert es auch bei „Luna­tec fusi­on“: Die erwärm­ten EVA-Mate­ria­li­en ver­bin­den sich wäh­rend der Abkühl­pha­se unmit­tel­bar, ohne Kleb­stoff oder auf­ge­brach­te Zwi­schen­schicht, fest mit­ein­an­der. Das „Geheim­nis“ und die genaue Rezep­tur kön­nen wir natür­lich nicht ver­ra­ten, dar­in steckt jah­re­lan­ge Entwicklungsarbeit.

OT: Sie nut­zen Ethy­len­vi­nyl­ace­tat für Ihr Pro­dukt. War­um haben Sie sich dafür ent­schie­den und wie sieht es mit einer anschlie­ßen­den Indi­vi­dua­li­sie­rung der Ver­sor­gung aus – z. B. durch eine Lederschicht?

Jakob: Die Nora Sys­tems GmbH hat sich bereits in den 60er-Jah­ren auf die Her­stel­lung von EVA-Plat­ten spe­zia­li­siert. Auf­grund ihrer geschlos­se­nen Zell­struk­tur sind die­se Mate­ria­li­en hygie­nisch abwasch- und des­in­fi­zier­bar und bie­ten lang­le­bi­ge Eigen­schaf­ten wie Dau­er­elas­ti­zi­tät, hohe Rück­stell­fä­hig­keit und ther­mo­plas­ti­sche Ver­form­bar­keit. Und unser Ziel war es schon immer, vor allem inno­va­ti­ve Mate­ria­li­en zu ent­wi­ckeln, die den Arbeits­all­tag in der Werk­statt erleich­tern und der Indus­trie indi­vi­du­el­le Lösun­gen mit beson­de­rer Sicher­heit bie­ten, Stich­wort: zer­ti­fi­zier­te Mate­ria­li­en, Made in Ger­ma­ny. An unse­rem Pro­duk­ti­ons­stand­ort Wein­heim in Baden-Würt­tem­berg arbei­ten wir per­ma­nent an EVA-Mate­ria­li­en mit neu­en, beson­de­ren Eigen­schaf­ten, Spe­zi­fi­ka­tio­nen und Lösun­gen. Mitt­ler­wei­le haben wir unse­re EVA-Pro­duk­ti­on auch kom­plett auf vega­ne Roh­stof­fe umge­stellt. Der Vor­teil von „Luna­tec fusi­on“ ist, dass sich das Mate­ri­al ohne Kleb­stoff ver­bin­den lässt. Aber wie jedes ande­re EVA unse­res Sor­ti­ments lässt es sich trotz­dem ver­kle­ben, so dass eine Ein­la­ge aus „Luna­tec fusi­on“ jeder­zeit auch mit einer Leder­deck­schicht bezo­gen wer­den kann.

Je nach Ver­sor­gung kann zum Bei­spiel auch ein klas­si­scher ther­mo­plas­ti­scher Ver­stei­fungs­stoff zwi­schen den Schich­ten ein­ge­bracht wer­den, um mehr Sta­bi­li­tät zu errei­chen. Auch wir ken­nen noch nicht alle Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der neu­en Mate­ria­li­en, obwohl wir gemein­sam mit inno­va­ti­ven Ver­ar­bei­tern der Bran­che schon eini­ges aus­pro­biert haben.

OT: Die „fle­xi­ble Aus­wahl der Mate­ria­li­en“ soll – laut eige­ner Aus­sa­gen – „zurück in die Werk­statt ver­la­gert“ wer­den. Wel­che Wahl­frei­heit haben die Orthopädietechniker:innen in der eige­nen Werkstatt?

Jakob: Die Aus­sa­ge bezieht sich vor allem dar­auf, dass wir vor Jah­ren die Ver­bund­plat­ten „Luna­tec com­bi“ ent­wi­ckelt haben, die den Vor­teil auf­wei­sen, dass typi­sche Mate­ri­al­kom­bi­na­tio­nen – also EVA-Plat­ten mit unter­schied­li­chen Shore-Här­ten und Eigen­schaf­ten – bereits wäh­rend der Her­stel­lung ver­bun­den wur­den und in der Werk­statt Zeit und Kos­ten, z. B. für die Ver­kle­bung, gespart wer­den. Mit „Luna­tec fusi­on“ wur­de die­se Vor­auswahl nicht vor­ab getrof­fen, aber die Zeit- und Kos­ten­er­spar­nis ist qua­si die Glei­che, da kein Kleb­stoff benö­tigt wird, um zwei oder mehr Mate­ria­li­en in einem ein­zi­gen Tief­zieh­vor­gang mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Die Ver­ar­bei­ter wäh­len indi­vi­du­ell die benö­tig­ten Shore-Här­ten und Dicken aus, legen sie über­ein­an­der und die Mate­ria­li­en ver­bin­den sich, ganz ohne Kleb­stoff. Die ers­ten Aus­füh­run­gen sind wah­re All­roun­der – mit ca. 30 und 40 Shore A, in ins­ge­samt sechs ver­schie­de­nen Dicken von zwei bis zwölf Mil­li­me­tern, kön­nen vie­le Ein­satz­be­rei­che abge­deckt wer­den, zwei wei­te­re Aus­füh­run­gen in ca. 20 und 50 Shore A ergän­zen in Kür­ze das Sortiment.

OT: Kön­nen Sani­täts­häu­ser und ortho­pä­die­tech­ni­sche Werk­stät­ten ohne Zusatz­aus­rüs­tung das von Ihnen vor­ge­stell­te Ver­fah­ren durchführen?

Jakob: Es wird kei­ne zusätz­li­che Aus­rüs­tung benö­tigt, im Gegen­teil. Die Ein­la­gen oder Fuß­bet­tun­gen wer­den auf her­kömm­li­che Wei­se ange­fer­tigt, mit einem wesent­li­chen Unter­schied: Es wird kein Kleb­stoff benö­tigt und meh­re­re Mate­ri­al­schich­ten kön­nen in einem Arbeits­schritt tief­ge­zo­gen wer­den. Das heißt, es kann schnell, sau­ber, umwelt- und gesund­heits­be­wusst gear­bei­tet wer­den. Die Fer­ti­gung der Ein­la­gen erfolgt wie gewohnt, nur dass die aus­ge­wähl­ten Mate­ria­li­en nicht mit Kleb­stoff ein­ge­stri­chen wer­den müs­sen, es dadurch kei­ne Ablüft- und War­te­zei­ten gibt und die Ein­la­ge sofort nach dem Abküh­len geschlif­fen und ver­wen­det wer­den kann. Es ent­ste­hen kei­ne Ver­här­tun­gen, Ver­fär­bun­gen oder ande­re unschö­ne Stel­len, da ein­fach kein Kleb­stoff benö­tigt und ver­ar­bei­tet wird. Die Mate­ria­li­en wer­den aus­ge­schnit­ten und in den Kon­takt­be­rei­chen ange­raut, bei ca. 130°C im Ofen erwärmt, in einem Schritt auf den Leis­ten auf­ge­legt und unter aus­rei­chend Druck tief­ge­zo­gen. Nach der Abkühl­pha­se in Form schlei­fen und fer­tig ist die Ein­la­ge oder ortho­pä­di­sche Bettung.

OT: Sie sagen, dass Ihr Ver­fah­ren kos­ten­güns­ti­ger ist. Wie errech­nen Sie die­sen Kostenvorteil?

Jakob: Das ist schnell auf den Punkt gebracht: Es wird kein Kleb­stoff benö­tigt. Damit ent­fal­len schon ein­mal gewis­se Mate­ri­al­kos­ten. Außer­dem wird wert­vol­le Arbeits­zeit gespart, da die zuge­schnit­te­nen Mate­ria­li­en nach dem Anrau­en sofort erwärmt und in einem ein­zi­gen Arbeits­schritt tief­ge­zo­gen wer­den. Das Ein­strei­chen mit Kleb­stoff und die Ablüft- und Trock­nungs­zei­ten entfallen.

OT: „Nach­hal­tig“ und „umwelt­be­wusst“ sind zwei Schlag­wör­ter, die Sie im Zusam­men­hang mit der Pro­dukt­vor­stel­lung nann­ten. War­um ist Ihr Ver­fah­ren nach­hal­ti­ger als die bis­her übli­che Methode?

Jakob: Weil kei­ner­lei Kleb­stoff zum Ein­satz kommt, um die Mate­ria­li­en dau­er­haft mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Haben sich die Mate­ria­li­en ein­mal mit­ein­an­der ver­bun­den, wird es beim Tren­nungs­ver­such übri­gens eher zu einem Mate­ri­al­bruch kom­men, als dass sich die abge­kühl­ten Schich­ten von­ein­an­der lösen. Das wur­de auch mit der Prü­fung des Schäl­wi­der­stands nach DIN EN 1392 (Prü­fung der Fes­tig­keit von Kle­bun­gen, Anm. d. Red.) nachgewiesen.

OT: Wie gut wird Ihr Pro­dukt bis­her ange­nom­men und was erwar­ten Sie sich für die Zukunft?

Jakob: Der Markt ist sehr inter­es­siert, aber mit zwei Shore-Här­ten sind die Ein­satz­mög­lich­kei­ten noch etwas begrenzt, hier haben wir aber gute Nach­rich­ten. Das Sor­ti­ment wird in die­sem Som­mer mit „Luna­tec fusi­on 20“ um ein wei­che­res Pols­ter­ma­te­ri­al (ca. 20 Shore A) und mit „Luna­tec fusi­on 50“ um ein här­te­res Auf­bau­ma­te­ri­al (ca. 50 Shore A) ergänzt. Dann kön­nen auch anspruchs­vol­le ortho­pä­di­sche Ver­sor­gun­gen wie eine Dia­be­tes-adap­tier­te Fuß­bet­tung im klas­si­schen drei­schich­ti­gen Sand­wich­ver­fah­ren kleb­stoff­frei gefer­tigt wer­den. Wir arbei­ten kon­ti­nu­ier­lich an Pro­dukt­ent­wick­lun­gen, die Ver­bes­se­run­gen mit sich brin­gen, die vegan, effi­zi­en­ter oder gesund­heits- und umwelt­ver­träg­li­cher sind und wir sind über­zeugt davon, dass „Luna­tec fusi­on“ in vie­len Werk­stät­ten Ver­wen­dung fin­det, da wie üblich gear­bei­tet wer­den kann, nur dass man sich den Arbeits­schritt des Ver­kle­bens und den Kleb­stoff spart. Und die­se Vor­tei­le sind schnell ver­mit­telt und erkannt.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

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