Einführung
Die Frage, ob eine Kombination aus Carbon und Elastomer bei Prothesenfüßen die Vorteile beider Materialkomponenten vereint und zugleich deren Nachteile kompensieren kann, wurde bereits anhand einer früheren Anwendungsbeobachtung positiv beantwortet. Daran nahmen 32 Testpersonen der Mobilitätsklassen 2 und Anfang 3 teil. Es zeigte sich, dass Anwender, deren ursprüngliche Versorgung aus einem dämpfenden Fußpassteil bestand, das Prüfprodukt nicht nur hinsichtlich der Aspekte „Runder Gang“ und „Stoßdämpfung“ besser bewerteten als ihre vorige Versorgung. Auch profitierten sie von der Kraftrückgabe durch die Carbonfeder und die damit verbundene Vorwärtsbewegung bei längeren Wegstrecken.
Ähnliche Ergebnisse wurden bei Anwendern beobachtet, die vorher ein klassisches energiespeicherndes Fußpassteil trugen. Sie registrierten neben dem verbesserten Tragekomfort sogar einen leicht positiven Effekt in Bezug auf das Zurücklegen längerer Wegstrecken sowie die Unterstützung in der Vorwärtsbewegung. Die erwarteten negativen Einflüsse des Elastomers hinsichtlich der Energierückgabe blieben aus.
Diese Beobachtung zeigte, dass die Anwender in niedrigen Mobilitätsklassen bezüglich Komfort, erreichbarer Gehstrecke sowie Stand- und Gangsicherheit von der Hybridtechnologie profitieren können 1.
Methodik und Zielsetzung
Um diese Frage zu beantworten, erhielten die Prothesenträger und die versorgenden Orthopädie-Techniker einen Fragebogen. Die Anwender mussten das untersuchte Fußpassteil mindestens vier Wochen im Alltag nutzen. So war gewährleistet, dass
- eine bereits vorhandene Definitivversorgung,
- Anwender mit mindestens Mobilitätsklasse 3 oder einer Vorversorgung mit einem klassischen energiespeichernden Prothesenfußpassteil,
- ein Gewichtslimit unter 136 kg,
- die Bereitschaft der Anwender, das getestete Prothesenpassteil mindestens vier Wochen zu tragen und aktiv zu nutzen.
Im Rahmen der Anwendungsbeobachtung, die sich über einen Zeitraum von September 2012 bis April 2013 erstreckte, wurden insgesamt 18 Prothesenträger in 11 Werkstätten befragt. Eckpunkte zur Befragung der Prothesenträger waren:
Zeitpunkt der Befragung
t1 = nach einer Tragezeit von mindestens vier Wochen.
- Methode: quantitative, einmalige Primärbefragung mittels Fragebogen (PAPI = „Paper and Pencil Interview“)
Umfang der Befragung
- 15 Fragen über das Prüfprodukt in der klinischen Anwendung (Tab. 1),
- Die Beantwortung der Fragen erfolgte anhand einer an das Schulnotensystem angelehnten Skalierung von 1 („sehr gut“) bis 6 („ungenügend“),
- Weitere mögliche Angaben: außergewöhnliche Beobachtungen
Die versorgenden Orthopädie-Techniker wurden wie folgt befragt:
- Anzahl der befragten Prothesenträger durch die versorgenden Orthopädie-Techniker im Rahmen von 18 Versorgungen in 11 Werkstätten,
- Zeitpunkt der Befragung: tO = direkt nach der Versorgung und Konfiguration des Fußpassteils,
- Methode: quantitative, einmalige Primärbefragung mittels Fragebogen (PAPI = „Paper and Pencil Interview“)
- Umfang: 11 Fragen über das Prüfprodukt in der klinischen Anwendung (Tab. 1),
- die Beantwortung der Fragen erfolgte auch hier anhand einer am Schulnotensystem orientierten Skalierung von 1 („sehr gut“) bis 6 („ungenügend“) bzw. anhand von Angaben betreffend die Ergebnisse bei der Modifikation des Prüfprodukts mittels Einsteck-Elastomeren („mit“ oder „ohne“, Härtegrad „standard“ oder „comfort“, „ungekürzt“ oder „zugeschnitten“),
- weitere Angaben: Amputationshöhe der Testpersonen, Mobilitätsklasse, vorher verwendetes Fußpassteil, weitere verwendete Prothesenkomponenten sowie außergewöhnliche Beobachtungen.
Bewertung des Prüfprodukts durch die Anwender hinsichtlich Leistungsfähigkeit
In der Untersuchung sollten die versorgten Prothesenträger das Prüfprodukt hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Komfort und Stabilität bewerten. Zudem wurde eine Gesamtbewertung im Vergleich zur Vorversorgung vorgenommen.
Es zeigte sich, dass das Prüfprodukt in der für gehoben bis hochaktive Anwender besonders wichtigen Kategorie „Leistungsfähigkeit“ in sämtlichen Teilbereichen positiv beurteilt wurde.
Besonders auffällig war dabei, dass das Abrollverhalten ausschließlich mit „gut“ bzw. „sehr gut“ bewertet wurde (Abb. 1).
Auch das Verhalten des Fußmoduls beim Gehen mit wechselnden Geschwindigkeiten, d. h. die Reaktionsfähigkeit auf ständig wechselnde Anforderungen, wurde in 89 % der Fälle mit „gut“ oder „sehr gut“ bewertet (Abb. 2).
Die Befragung ergab zudem, dass die Probanden bei subjektiv empfundenen unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten gut bis sehr gut zurechtkamen. Sie waren in der Lage, mit unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten harmonisch und flüssig zu gehen, ohne dass eine Änderung der Einstellung des Prüfprodukts notwendig wurde (Abb. 3).
Die beschriebenen Ergebnisse der Anwendungsbeobachtung bekräftigen die Annahme, dass eine Integration von Elastomeren in Carbonfederfüßen nicht zu Einbußen bei der Leistungsfähigkeit für gehobene bis hohe Mobilitäten führen muss.
Beurteilung der Komfortparameter durch die Anwender
In der zweiten Beurteilungskategorie standen klassische Komfortparameter wie Fersenkontakt, Übergang vom Fersenauftritt zum Vollfußkontakt und das Abrollverhalten im Mittelpunkt. Da aktivere Anwender klassischerweise mit energiespeichernden Fußpassteilen ausgestattet sind, war besonders interessant, wie die dämpfenden Eigenschaften der Elastomere durch die Testpersonen bewertet wurden. Das Verhalten beim Fersenkontakt wurde von 33 % der Probanden mit „sehr gut“ und von 67 % mit „gut“ bewertet (Abb. 4a). Beim Übergang vom Fersenauftritt zum Vollkontakt wurden ebenfalls positive Bewertungen erzielt (Abb. 4b).
Ein ähnliches Ergebnis konnte beim Abrollverhalten beobachtet werden (Abb. 5). Insgesamt zeigte sich, dass die materialbedingten Eigenschaften der Elastomer-Einheiten von den Probanden positiv empfunden wurden und sie von dem daraus resultierenden Gangkomfort profitierten.
Die Stabilitätsparameter
Das untersuchte Fußpassteil besitzt konstruktionsbedingt eine multiaxiale Komponente. Diese kann durch unterschiedliche Konfigurationen beeinflusst werden. Es war wichtig zu ermitteln, inwieweit diese Beweglichkeit von den Anwendern – insbesondere bei unterschiedlichen Untergründen – als angenehm wahrgenommen wurde. Zugleich sollte aber das Stabilitätsgefühl vorhanden sein (Abb. 6 u. 7).
Vergleich zur Vorversorgung
Alle beobachteten Anwender waren bereits vor der Erhebung prothetisch versorgt. Dabei beurteilten sie ihre Vorversorgung überwiegend mit der Note „gut“. Nach Einbau und Einstellung des Prüfprodukts konnte die Gesamtzufriedenheit mit der eigenen Prothesenversorgung nochmals verbessert werden (Abb. 8). Das bedeutet, dass die Hybridtechnologie auch bei aktiven Prothesenträgern, die mit klassischen Carbonfüßen versorgt waren, zu einer höheren Prothesenakzeptanz führen kann.
Einschätzung der versorgenden Orthopädie-Techniker
Beurteilung des Verarbeitungskomforts
Als mögliches nützliches Hilfsmittel zur Optimierung der Prothesenversorgung dienen beim untersuchten Fußpassteil die Einstelloptionen an Ferse und Vorfuß. Hierbei besteht die Möglichkeit, verschiedene Dämpfungsparameter mittels sogenannter Einsteck-Elastomere in den Härtegraden „standard“ (höhere Shore-Härte) und „comfort“ (niedrigere Shore-Härte) unabhängig voneinander einzustellen. Auch ein Verzicht auf das Einsteck-Elastomer war möglich.
Die versorgenden Orthopädie-Techniker bewerteten die beschriebenen Optionen positiv. Wie individuell dabei die unterschiedlichen Einstellungen des Fußes ausfallen können, zeigt der Überblick über die finalen Konfigurationen (Abb. 9a u. b).
Einfluss der Einsteck-Elastomere auf die Federcharakteristik
Die Abbildungen 10 und 11 zeigen die Änderungen bezüglich der Kraftanstiegsrate bei Verwendung unterschiedlicher Elastomer-Konfigurationen.
Leistungsfähigkeit aus Sicht der Orthopädie-Techniker
Bezogen auf die Leistungsfähigkeit schnitt das Prüfprodukt aus Sicht der befragten Techniker ebenfalls positiv ab. Hervorgehoben wurde dabei das flüssige, harmonische Gangbild. Diese Einschätzung der Experten unterstützt den gewonnenen positiven Eindruck hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Prüfprodukts (Abb. 12).
Fazit
Bei den befragten Prothesenträgern konnte mittels des Prüfprodukts die Gesamtbewertung der Prothesenversorgung auf hohem Niveau noch verbessert werden. Verschiedene Parameter wie Leistungsfähigkeit und Sicherheit, aber auch Tragekomfort wurden positiv bewertet.
Damit steht die Hybridbauweise allem Anschein nach anderen Technologien auch im Bereich der höheren Aktivitätsklassen nicht nach. Sie bietet darüber hinaus ein erweitertes Leistungsspektrum bei normalen Alltagsaktivitäten (progressive Dämpfungsparameter).
Als Besonderheit kann die variable Einstellbarkeit des Prüfprodukts gesehen werden. Diese ermöglicht dem Orthopädie-Techniker eine genaue Anpassung an die Anwenderbedürfnisse und trägt damit wahrscheinlich ebenso zur Verbesserung der Gesamtbewertung bei. Bei der Prothesenversorgung wird besonders darauf geachtet, dass der Prothesenschaft genau und individuell an die Stumpfverhältnisse des Anwenders angepasst wird.
Somit lässt sich folgende These aufstellen: Wenn Orthopädie-Techniker durch ein individualisierbares Produkt befähigt werden, sehr exakt zu arbeiten, und so die jeweiligen Anwenderansprüche erfüllen, sollte dies zu einer weiteren Verbesserung der Prothesen-Compliance führen.
Anmerkung
Bei dem getesteten Produkt handelt es sich um den medi panthera CF II Carbonfederfuß mit Einsteck- und Zwischenlagen-Elastomer der Firma medi GmbH & Co. KG.
Der Autor:
Bernhard Kastner
Technischer Projektmanager Prothetik
Medi GmbH & Co. KG
Medicusstraße 1
95448 Bayreuth
b.kastner@medi.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Kastner B. Eignen sich Prothesenfüße in Hybrid-Bauweise für hohe Mobilitätsklassen? – Ergebnisse aus einer Anwendungsbeobachtung mit 18 Prothesenträgern. Orthopädie Technik, 2013; 64 (9): 24–29
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