Im Interview erklärt der Leiter Technische Orthopädie am Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie des Universitätsklinikums Heidelberg, auf welche Highlights er sich besonders freut und warum Digitalisierung ein „Gesamtkunstwerk“ ist.
OT: Herr Alimusaj, Sie sind als Chair mehrerer Symposien sowie mit eigenen Vorträgen im Kongress der OTWorld.connect vertreten – welche Highlights heben Sie hervor?
Merkur Alimusaj: Ein Highlight ist das Thema Registerforschung. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) sowie die Uniklinik Heidelberg haben gemeinsam die Podiumsdiskussion „Digitalisierung, Evidenz und ein deutsches medizinisches Register für die Versorgung Amputierter“ vorbereitet. Hierbei geht es um nachhaltige Qualitätssicherung und evidenzbasiertes Arbeiten in der Orthopädie-Technik. Nicht zuletzt durch die gesetzlichen Anforderungen der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) wird das Thema Wirksamkeitsnachweis stark in den Fokus gerückt. Seit sieben Jahren arbeiten wir in Heidelberg an einem internen Register, einem Verzeichnis relevanter orthopädietechnischer Versorgungskonzepte, zunächst für Beinprothetik. Jetzt haben wir zusammen mit Fraunhofer IPA fast eine halbe Million Euro Fördermittel erhalten, um dies modellhaft weiterzuentwickeln. Die Idee ist, das Register in Zukunft bundesweit auszurollen – als Hilfestellung für die Sanitätshäuser und OT-Werkstätten. Insgesamt weisen die auf der OTWorld.connect aufgegriffenen Themen Wege, wie wir unsere wunderbare Arbeit auch künftig sicherstellen.
OT: Worauf legen Sie in dieser Hinsicht im Kongress der OTWorld.connect ein besonderes Augenmerk?
Alimusaj: Sehr spannend ist eine neue Kooperation mit den Kollegen der American Academy of Orthotists & Prosthetists (AAOP) – das Symposium „Transfemorale Schaftgestaltung in den USA und Deutschland: Was ist Stand der Technik?“ Das ist die erste konkrete Kooperation zwischen der hiesigen Orthopädie-Technik und der American Academy, die eine sehr wissenschaftliche Ausrichtung hat und die Evidenz hochhält. Ich bin zuversichtlich, dass daraus ein regelmäßiger Wissenstransfer entsteht. Weitere Säule auf der OTWorld.connect sind Versorgungsaspekte wie Kinderorthopädie, Arm- und Beinprothetik.
„Haudegen“ und „Gameboy-Generation“ vereinen
OT: Wie wird die OTWorld.connect 2020 die Branche voranbringen?
Alimusaj: Ob additive Produktionsverfahren bzw. 3D-Druck, die weitere Professionalisierung unseres Fachs, das Zusammenspiel von Handwerk und Forschung – auf der OTWorld.connect werden erneut wesentliche Zukunftsthemen verhandelt. Das Gesundheitsministerium proklamiert seit Jahren den Begriff „Versorgungsforschung“. Wir sind die Versorger und müssen hier unsere Kompetenz zeigen, uns als Teil des Ganzen sehen. Zu diesem interdisziplinären Austausch trägt die OTWorld.connect bei, denn die OT braucht die enge Verknüpfung mit Medizin und Wissenschaft – auf Augenhöhe.
OT: 3D-Druck und Digitalisierung werden in der Branche intensiv diskutiert – und ebenso wieder auf der OTWorld.connect. Wohin geht der Weg?
Alimusaj: Schritt für Schritt findet in unserem Fach ein Generationswechsel statt – die Zahl der alten „Haudegen“ aus der Handwerksriege nimmt zahlenmäßig ab, die „Gameboy-Generation“ ist im Kommen. Die Hürden für die Digitalisierung werden niedriger. Doch wir müssen aufpassen, dass wir das Wissen der alten Haudegen nicht verlieren. Diese Gefahr sehe ich durchaus. Wir müssen also lernen, wie wir deren Wissen in die digitale Welt transferieren. Der 3D-Druck ist hier sicher eine wichtige Komponente. Doch wir sollten diesen Bereich nicht überstrapazieren und andere wesentliche Elemente dabei vergessen. Wir sollten uns vielmehr mit den dahinterstehenden Prozessen befassen wie beispielsweise der Dokumentation, der optimalen Steuerung komplexer betrieblicher Abläufe und Ressourcen – Stichwort ERP-Software (Enterprise-Ressource-Planning). Die Digitalisierung ist ein Gesamtkunstwerk – das müssen wir dem Handwerk nahebringen. Gerade bei der Prozessoptimierung haben die meisten Firmen Nachholbedarf. Doch das Arbeitsprinzip kleiner Manufakturen wird sich im Trend der Filialisierung nicht halten lassen. Die Digitalisierung hilft dem Handwerk, sein Wissen um Versorgungsqualität umfassend zu nutzen und flächendeckend auszuspielen.
OT: Komplett digital ist die OTWorld.connect – wie bereiten Sie sich darauf vor, allein vor dem Bildschirm zu referieren?
Alimusaj: Vielleicht gelingt es, durch die digitale Präsentation ein noch breiteres Publikum anzusprechen. Zwar ist es einerseits leichter, auf die direkten Stimmungen in einem Vortragssaal einzugehen, andererseits sinkt durch das digitale Format die Schwelle für die Teilnahme enorm. Die Referenten müssen noch stringenter einem „roten Faden“ folgen. Am besten sitzen ein paar Kollegen als Zuhörer hinter der Webcam, deren Reaktionen man einfangen kann. Auf jeden Fall hilft es, sich ein voll besetztes Auditorium vorzustellen. Ich bin gespannt, wie aktiv der Chat während der Sessions sein wird. Diese außergewöhnliche Situation wird aber ein Motor für digitale Veranstaltungsformate sein – und einiges davon werden wir als Ergänzung für die OTWorld 2022 sicherlich mitnehmen.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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