Begrüßt wurden die rund 130 Teilnehmer am 23. Januar zunächst von Rechtsanwalt Jörg Hackstein, der zusammen mit seinen beiden Partnern Peter Hartmann und Dr. Klemens Werner von der Kanzlei Hartmann die Gastgeberrolle übernahm. Hackstein, Fachanwalt für Vergaberecht, gab sogleich erste juristische Einschätzungen an das Publikum weiter. „Das Thema ist nach wie vor da“, erinnerte er zum Einstieg an die besonderen Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) für Unternehmen und warnte gleichfalls: „Der Gesundheitsmarkt darf davor nicht die Augen verschließen.“ Ebenso sei es geboten, die Gefahren von Bestechungsdelikten im Auge zu behalten, nicht zuletzt weil die Strafbehörden hier verstärkte Ermittlungen anstrengten. Das brandheiße Eisen in der Branche, die im Mai 2020 verbindlich anzuwendenden EU-Medizinprodukteverordnung (MDR), ließ Jörg Hartmann erwartungsgemäß nicht unerwähnt: „Ein Teil ist gut vorbereitet. Der andere Teil hofft, dass die MDR an uns vorbeigeht, aber dem wird nicht so sein.“
Als ausgewiesener Kenner der Branche gilt der Bundestagsabgeordneter Dr. Roy Kühne. Im Deutschen Bundestag fungiert der gelernte Physiotherapeut unter anderem als Berichterstatter Heil- und Hilfsmittel im Ausschuss für Gesundheit. Nach einer Video-Schaltung im Vorjahr fand Kühne 2020 die Zeit, um persönlich am Jahresauftakt teilzunehmen und schilderte in Schwerte die aktuellen Herausforderungen einer patientenorientierten Hilfsmittelpolitik. Dr. Kühne war maßgeblich an der Ausarbeitung des 2017 in Kraft getretenen Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) beteiligt, dessen Intention es gewesen sei, das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) zu überarbeiten und fortzuschreiben, sowie Ausschreibungen bei Hilfsmitteln mit einem hohen Dienstleistungsanteil zu untersagen. „Die gesetzgeberische Intention wurde nicht umgesetzt“, stellte Kühne in Bezug auf die Verabschiedung von Ausschreibungsoptionen fest. Dies sei 2019 Anlass gewesen, im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) nachzubessern, Ausschreibungsoptionen aufzuheben und Versorgungen ausschließlich durch Rahmenverträge mit Beitrittsmöglichkeiten zu organisieren. Open-House-Verträge seien nun nach § 127 Abs. 1 SGB V untersagt. Kritisch betrachtet Roy Kühne die Einbeziehung der Hilfsmittelverbände in den Fortschreibungsprozess des HMV durch den GKV-Spitzenverband: „Stellungnahmen der Branche sind nicht zu finden.“ Unter anderem auch der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) hatte sich bereits kritisch über unzureichende Fristen bei den Stellungsnameverfahren sowie fehlender Berücksichtigung zentraler Positionen geäußert.
Präzise und pointiert analysierte im weiteren Verlauf Dr. Johannes Jansen, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht NRW in Essen, die Auswirkungen zum § 127 SGB V, dessen Anpassung im Zuge des TSVG allen Leistungserbringern Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen und ein Beitrittsrecht einräumt. „Für Vergaberechtler ist damit eine Welt zusammengebrochen“, kommentierte Jansen schmunzelnd in Richtung Jörg Hackstein. Dieser nahm die Spitze locker auf, zumal der ausgewiesene Vergaberechtsexperte die Novellierung begrüßt. Anders sah es zuletzt bei der EU-Kommission aus, die in genannter Sache ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte. Dr. Jansen sieht im § 127 unter dem Strich keinen Norm-Verstoß, rechnet aber dennoch mit Verfahren, die das Ausschreibungsverbot anfechten werden. Sein Fazit: „Für die Praktiker ist der § 127 ein Segen, da gerade für die Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil Verhandlungsverträge große Vorteile für alle Beteiligten haben. Denn damit werden die Leistungsansprüche der Versicherten umfassend sichergestellt.“
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung stellte Olaf Meyer, Bereichsleiter bei der Beratungsfirma BEO-Med-Consulting, Strategien für Leistungserbringer bei der künftigen Anwendung der MDR von den generellen Anforderungen über die Rolle des Händlers als Hersteller bis zum Aspekt der Sonderanfertigung vor. Wie schwierig es ist, im Zuge des Preisverfalls im Homecare-Segment die nötige Versorgungsqualität sicherzustellen, schilderte Norbert Bertram. Der Geschäftsführer beim Verband Versorgungsqualität Homecare (VVHC) brach in diesem Zuge eine Lanze für die Mehrheit der Krankenkassen, die an einer einvernehmlichen Lösung zwischen allen Beteiligten im Vertragsdialog interessiert seien: „Einige wenige Krankenkassen versuchen, über Unterschriften kleiner Leistungserbringer den Rest des Marktes unter Druck zu setzen.“ Betram wirbt für mehr Marktsolidarität, fordert aber auch eine größere Studienevidenz bei Versorgungsangeboten.
In der Gesamtbetrachtung bot der Jahresauftakt der Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte vielseitige Einblicke in die aktuellen gesetzlichen Veränderungen im Gesundheitswesen, ohne dass der juristische Laie vor lauter Paragraphen-Bezüge die Übersicht verlor. Eine Neuauflage für 2021 ist bereits in der Planung.
Michael Blatt
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