Die Gesich­ter des Sanitätsfachhandels

Sie prägen den ersten Eindruck der Kundinnen und Kunden der Sanitätshäuser: die Fachverkäuferinnen im Sanitätsfachhandel sowie ihre seltener anzutreffenden männlichen Kollegen. Breit gefächert sind ihre Aufgaben – von der Beratung von Patienten zu konfektionierten Hilfsmitteln und – bei Bedarf – der fachkundigen Weiterleitung an die Fachbereiche in der Werkstatt, über die Beschaffung und kaufmännische Steuerung der Waren bis hin zu umfangreichen Dokumentationspflichten.

Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on schil­dern der Ortho­pä­die­tech­nik­meis­ter (OTM) Harald Fischer (59) aus Mann­heim und die in Mel­le täti­ge Ein­zel­han­dels­kauf­frau Dai­sy Rei­ße (22) ihre Erfah­run­gen mit Wunsch und Wirk­lich­keit bei der Aus­bil­dung zu Fach­ver­käu­fe­rin­nen und Fach­ver­käu­fer im Sanitätsfachhandel.

Anzei­ge

„Im Prin­zip funk­tio­niert die der­zei­ti­ge Aus­bil­dungs­struk­tur ganz gut“, erklärt Harald Fischer, geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Sani­täts­hau­ses Fuchs & Möl­ler (Mann­heim) mit rund 130 Mit­ar­bei­tern an fünf Stand­or­ten in der Rhein-Neckar-Regi­on. Das Unter­neh­men bil­det jähr­lich im Durch­schnitt drei Fach­ver­käu­fe­rin­nen im Sani­täts­fach­han­del aus, jeweils über den drei­jäh­ri­gen Aus­bil­dungs­weg der Ein­zel­han­dels­kauf­frau. „Der zwei­jäh­ri­gen Aus­bil­dung zur Ver­käu­fe­rin folgt in der Regel das drit­te Aus­bil­dungs­jahr zur Ein­zel­han­dels­kauf­frau, falls nicht schon zu Beginn die drei­jäh­ri­ge Aus­bil­dung gewählt wird“, so Fischer. „Bei der Aus­bil­dung zur Ein­zel­han­dels­kauf­frau gibt es zwar eini­ge Berei­che, die an den Berufs­schu­len zu kurz kom­men, die­se ver­mit­teln wir aber durch haus­ei­ge­ne Seminare.“

Haus­in­ter­ne Schu­lun­gen schlie­ßen (Aus-)Bildungslücken

Um die Kun­din­nen und Kun­den fach­kun­dig über die vom Sani­täts­haus ange­bo­te­nen vor­kon­fek­tio­nier­ten Hilfs­mit­tel zu bera­ten, und ihre Wirk­wei­se sowie Bedie­nung zu erklä­ren, brau­che es zum Bei­spiel ver­tief­te Kennt­nis­se der Hilfs­mit­tel bzw. Medi­zin­pro­duk­te wie Ban­da­gen, Orthe­sen oder zum Bei­spiel Geh­hil­fen. Für den Ver­kauf bzw. die Abrech­nung sei jedoch eben­so das Ver­ständ­nis der Struk­tur des Gesund­heits­we­sens not­wen­dig. „Die Aus­zu­bil­den­den ler­nen in den Schu­len und Berufs­schu­len wenig über die viel­fäl­ti­gen Medi­zin­pro­duk­te oder das Kran­ken­kas­sen­sys­tem inklu­si­ve der EU-Medi­zin­pro­duk­te­ver­ord­nung (MDR), die ab Mai 2021 auch in Deutsch­land umge­setzt wer­den muss“, sagt Fischer. Zudem ver­misst er in den Lehr­plä­nen das für den Ver­kauf und die Doku­men­ta­ti­on so wich­ti­ge The­ma der Digi­ta­li­sie­rung sowie die Aus­drucks­fä­hig­keit in Wort und Schrift. „Wir schu­len unse­re Aus­zu­bil­den­den daher auch auf die­sem Gebiet, ver­mit­teln ihnen zusätz­lich den Umgang mit unse­rer Kund­schaft, die ja zumeist mit beson­ders sen­si­blen Fra­gen an uns her­an­tritt“, so der geschäfts­füh­ren­de Gesell­schaf­ter. „Durch haus­ei­ge­ne Schu­lun­gen, teils auch mit Unter­stüt­zung der Indus­trie­part­ner, bie­ten wir Unter­stüt­zung an, wel­che von den Aus­zu­bil­den­den ger­ne ange­nom­men wird.“ Über­dies sei es wich­tig, dass die zukünf­ti­gen Fach­ver­käu­fe­rin­nen erken­nen, wann Kun­den eine indi­vi­du­el­le Ver­sor­gung durch einen Tech­ni­ker oder Tech­ni­ke­rin benö­ti­gen. Damit dies rei­bungs­los klap­pe, durch­lie­fen alle Aus­zu­bil­den­den sämt­li­che Abtei­lun­gen des Hau­ses. Der Umlauf die­ne eben­falls der Team­bil­dung, für die es zusätz­lich jähr­lich Ver­an­stal­tun­gen gebe. Von der seit 2019 an Hand­werks­kam­mern ange­bo­te­nen Fort­bil­dungs­prü­fung Fachberater/in im Sani­täts­haus (HWK) gemäß § 42a HwO habe er zwar schon gehört, so Fischer, ken­ne bis­her aller­dings noch kei­ne Teil­neh­me­rin oder Absol­ven­tin die­ser Fort­bil­dungs­mög­lich­keit. Grund­sätz­lich begrü­ße er die Idee.

Akti­ve Nachwuchssuche

An Fach­kräf­te­nach­wuchs man­ge­le es bis­lang auf­grund zahl­rei­cher Aktio­nen nicht: Klar, die ver­schie­de­nen Beru­fe der OT-Betrie­be sei­en bei Teen­agern weit­ge­hend unbe­kannt, hat Fischer beob­ach­tet. Des­halb stellt das Unter­neh­men in den Schu­len der Regi­on regel­mä­ßig die Viel­falt der Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten vor. Zusätz­lich prä­sen­tiert es sich auf Berufs­mes­sen, über­nimmt Paten­schaf­ten an der Hand­werks­kam­mer und ver­an­stal­tet jähr­lich einen Tag der offe­nen Tür. Jedes Jahr orga­ni­sie­ren die aktu­el­len Aus­zu­bil­den­den extra einen Aus­bil­dungs­ken­nen­lern­tag, zu dem sie ihre Fami­li­en, Freun­de und Bekann­te einladen.

„Unse­re Bewer­be­rin­nen für eine Aus­bil­dung als Fach­ver­käu­fe­rin haben ver­schie­de­ne Bil­dungs­hin­ter­grün­de. Zuneh­mend mel­den sich jun­ge Men­schen mit Abitur bei uns oder Umschü­ler vom ehe­ma­li­gen Kon­di­tor, Metall­ar­bei­ter über Pfle­ger“, erläu­tert Fischer, der seit 1994 die Geschi­cke des Sani­täts­hau­ses Fuchs & Möl­ler lei­tet. „In all den Jah­ren haben wir nur eine ver­schwin­dend gerin­ge Abbruch­ra­te bei den Aus­zu­bil­den­den, weil wir vor der Unter­zeich­nung der Aus­bil­dungs­ver­trä­ge ein zwei­tä­gi­ges Assess­ment-Cen­ter mit den Inter­es­sier­ten machen, in dem wir inten­siv die Berufs­fel­der und ihre Anfor­de­run­gen erläu­tern. Wer nach den zwei Tagen noch Inter­es­se hat, der bleibt in der Regel. Übri­gens auch nach dem Ende der Aus­bil­dung“, betont er. Eine Stun­de Fahr­zeit zur Arbeit und eine wei­te­re wie­der nach Hau­se sei­en nicht sel­ten bei sei­nen Mit­ar­bei­tern. „Alles kön­nen wir nicht falsch machen“, meint Fischer abschlie­ßend schmunzelnd.

Lear­ning by Doing

Ähn­lich wie der Geschäfts­füh­rer beur­teilt die Ein­zel­han­dels­kauf­frau mit Schwer­punkt Sani­täts­han­del, Dai­sy Rei­ße, die Lücken in der Berufs­schul­aus­bil­dung. Die 22-Jäh­ri­ge schloss im letz­ten Som­mer ihre drei­jäh­ri­ge Aus­bil­dung bei der Fir­ma RAS GmbH in Mel­le ab, die 75 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter an vier Stand­or­ten beschäf­tigt. „In der Berufs­schu­le saß ich in einer Klas­se mit Aus­zu­bil­den­den ver­schie­de­ner Han­dels­be­rei­che. Da kann die Berufs­schu­le gar nicht dif­fe­ren­ziert auf die spe­zi­el­le Waren­kun­de ein­ge­hen“, erklärt sie ver­ständ­nis­voll. Auf die kauf­män­ni­schen Aspek­te des Berufs­bil­des sei­en sie sehr gut vor­be­rei­tet wor­den. Selbst­ver­ständ­lich habe ihr Betrieb in haus­in­ter­nen Schu­lun­gen zusätz­lich die spe­zi­el­len Aspek­te im Sani­täts­han­del wie die Pro­dukt­kun­de oder die Abrech­nung mit den Kran­ken­kas­sen ver­mit­telt. „Wirk­lich lernt man es aber erst, wenn man es macht – Lear­ning by Doing“, unter­streicht die jun­ge Frau. Das gel­te aber nur ein­ge­schränkt für ihre Lieb­lings­auf­ga­be – das Kun­den­ge­spräch. „Natür­lich kann man den Umgang mit Men­schen, die eine beson­de­re Geschich­te haben, ler­nen. Aber im Grun­de muss man dafür gebo­ren sein“, ist sie sich sicher. „Jeden Tag tref­fe ich neue Men­schen mit ande­ren Geschich­ten, die mir viel Dank­bar­keit für ihre Ver­sor­gung wider­spie­geln. Das gibt mir unglaub­lich viel und ist mir des­halb das Liebs­te an mei­ner Arbeit.“

Jeden Tag etwas Neues

Nicht nur die Viel­falt der Gesprä­che begeis­tert die jun­ge Frau, son­dern genau­so die der Tätig­kei­ten. Nach ihrem Real­schul­ab­schluss woll­te sie auf kei­nen Fall einem Rou­ti­ne­job nach­ge­hen, schil­dert sie. „Jeden Tag gibt es etwas Neu­es“, beschreibt Dai­sy Rei­ße ihre Arbeit im Sani­täts­haus. Neben der Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln wie Ban­da­gen und Kom­pres­si­ons­strümp­fen oder Orthe­sen, Geh­hil­fen und Ein­la­gen über­nimmt sie unter ande­rem auch logis­ti­sche sowie ver­wal­tungs­tech­ni­sche Tätig­kei­ten. So gehö­ren das Erfas­sen der Kun­den­da­ten, die Bestel­lung der Ware oder die Abrech­nung mit den Kran­ken­kas­sen eben­falls zu ihren Auf­ga­ben. „Gera­de die­se Viel­falt der Auf­ga­ben hat mich nach mei­ner vier­wö­chi­gen Pro­be­ar­beit in einem Sani­täts­haus gereizt, die Aus­bil­dung zu begin­nen“, erin­nert sich die Ein­zel­han­dels­kauf­frau. Inner­halb der Aus­bil­dung könn­ten die Lehr­lin­ge zumin­dest in ihrem Betrieb mit­be­stim­men, auf wel­che Gebie­te sie sich kon­zen­trie­ren woll­ten. „Bei der Suche nach Nach­wuchs kann ich daher nur raten, die­se Viel­falt und die vie­len Mög­lich­kei­ten der Spe­zia­li­sie­rung bei der Prä­sen­ta­ti­on des Berufs in Schu­len oder bei Tagen der offe­nen Tür her­aus­zu­stel­len“, meint Rei­ße. Sie selbst hat sich inner­halb der Aus­bil­dung auf die Berei­che Ban­da­gen und Kompressionstherapie/Phlebologie spezialisiert.

Mit E‑Commerce fit für die Gegen­wart und Zukunft

Seit Janu­ar drückt Dai­sy Rei­ße zusätz­lich erneut die Schul­bank: An der Fern­schu­le ILS absol­viert sie eine ein­jäh­ri­ge Wei­ter­bil­dung im Bereich „E‑Commerce“, die nicht zuletzt ihrem Arbeit­ge­ber zugu­te­kommt. Auf dem Pro­gramm ste­hen Online-Han­del, ‑Waren­be­schaf­fung, ‑Ver­trieb und ‑Mar­ke­ting­in­stru­men­te. „Der Sani­täts­fach­han­del wird auch in Zukunft wach­sen. Den­noch müs­sen wir uns die Fra­ge stel­len, wo wir die Men­schen errei­chen. In unse­rem Sani­täts­haus haben wir Kun­den aller Alters­grup­pen, die jün­ge­ren errei­chen wir zuneh­mend online, nur die älte­re Gene­ra­ti­on lässt sich am bes­ten per Tele­fon errei­chen“, sagt Rei­ße. Das The­ma Digi­ta­li­sie­rung sei auf der Berufs­schu­le wäh­rend der drei Jah­re kaum vorgekommen.

„Im Sani­täts­han­del ist die per­sön­li­che Bera­tung zu den indi­vi­du­el­len Hilfs­mit­teln von ent­schei­den­der Bedeu­tung“, betont Bert Lan­ge, der Geschäfts­füh­rer ihres Arbeit­ge­bers RAS. „Doch wie erfah­ren die Men­schen von unse­ren Leis­tun­gen und Kom­pe­ten­zen? Da kom­men die Online-Medi­en ins Spiel. Sie sind für die Zukunft des Unter­neh­mens wich­tig. Des­halb haben wir uns über Frau Rei­ßes Fort­bil­dungs­in­itia­ti­ve sehr gefreut.“ Die Fir­ma unter­stützt ihre Mit­ar­bei­te­rin und stellt sie bei glei­chem Lohn einen Tag pro Woche für die Wei­ter­bil­dung frei. „Wir freu­en uns dar­auf, dass Frau Rei­ße ihre neu erwor­be­nen Kom­pe­ten­zen nach und nach in unse­ren Betrieb ein­bringt“, kon­sta­tiert Lange.

Ein wei­te­rer Berufs­weg in den Sani­täts­fach­han­del ist die seit 2019 an Hand­werks­kam­mern ange­bo­te­ne Fort­bil­dungs­prü­fung Fachberater/in im Sani­täts­haus (HWK) gemäß § 42a HwO. Wäh­rend des OT-Gesprächs hat sich Dai­sy Rei­ße sofort im Inter­net dar­über infor­miert: „Ich fin­de gut, dass es die­se Fort­bil­dungs­mög­lich­keit für Quer­ein­stei­ger gibt.“ Einer ihrer Kol­le­gin­nen wäre der Umstieg vom Beklei­dungs- in den Sani­täts­han­del mit­hil­fe einer sol­chen Fort­bil­dung sicher noch leich­ter gefallen.

Drei Wege füh­ren in den Ver­kauf im Sanitätshandel

Wer sich für eine Tätig­keit im Sani­täts­haus­ver­kauf inter­es­siert, kann der­zeit zwi­schen drei Aus- bzw. Fort­bil­dungs­va­ri­an­ten wäh­len. An den Indus­trie- und Han­dels­kam­mern (IHK) in Deutsch­land wer­den die bei­den Abschluss­prü­fun­gen zu der zwei­jäh­ri­gen Aus­bil­dung Ver­käu­fer/-in und der drei­jäh­ri­gen Kauf­man­n/-frau im Ein­zel­han­del abge­nom­men. Die Inhal­te und Prü­fun­gen der zwei­jäh­ri­gen Aus­bil­dung über­schnei­den sich mit denen der drei­jäh­ri­gen, sodass sich Ver­käu­fe­rin­nen bei einem Anschluss­ver­trag im Beruf „Kauf­man­n/-frau im Ein­zel­han­del“ ihre abge­schlos­se­ne Aus­bil­dung als Prü­fungs­leis­tung anrech­nen las­sen kön­nen. Im drit­ten Aus­bil­dungs­jahr ste­hen drei Wahl­qua­li­fi­ka­tio­nen aus acht Berei­chen zur Aus­wahl: Bera­tung von Kun­den in kom­ple­xen Situa­tio­nen, Beschaf­fung von Waren, Waren­be­stands­steue­rung, Kauf­män­ni­sche Steue­rung und Kon­trol­le, Mar­ke­ting­maß­nah­men, Online­han­del, Mit­ar­bei­ter­füh­rung und ‑ent­wick­lung und Vor­be­rei­tung unter­neh­me­ri­scher Selbst­stän­dig­keit. Ohne Vor­wis­sen für Quer­ein­stei­ger oder mit abge­schlos­se­ner Aus­bil­dung als Fort­bil­dungs­prü­fung bie­tet sich die seit 2019 ein­ge­führ­te Fort­bil­dungs­prü­fung zum/zur Fach­be­ra­ter/-in im Sani­täts­haus (HWK) nach § 42a HwO an, die aller­dings noch nicht an allen HWKs abge­nom­men wird.

Ruth Jus­ten

 

 

 

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