Einführung
Elastomer
Elastomere sind elastische aber formfeste Kunststoffe, die nach einer Verformung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren. Das Einsatzgebiet erstreckt sich vom einfachen Haushaltsgummi bis hin zu komplexen Schwingungsdämpfern. Aufgrund der vielfältigen Einstellmöglichkeiten der mechanischen Eigenschaften von Elastomeren lassen sich unterschiedlichste Anforderungen abdecken.
Carbon
Die Verwendung von kohlefaserverstärkten Kunststoffen in der Technik nimmt immer mehr zu, so auch in der Prothetik. Besonders in Bereichen, in denen ein geringes Gewicht, eine hohe Steifigkeit und eine hohe Schwingfestigkeit von Bauteilen erforderlich sind, gewinnt der Werkstoff an Beliebtheit.
Kombination Elastomer und Carbon
Durch den Verbund von Elastomer und Carbon können die Vorteile beider Materialien geschickt in technisch hochwertige Bauteile integriert werden. Zeigt ein Elastomer Schwächen in der Festigkeit, werden diese durch das Carbon kompensiert. Ist ein reines Carbonbauteil zu steif, kann durch die Integration eines Elastomers ein definierter Bereich elastifiziert werden. Die vorliegende Untersuchung zeigt einen weiterführenden Ansatz dieser Verbundtechnologie auf.
Einsatz der Materialien bei Prothesenfüßen
Die Kombination von festen und flexiblen Bereichen ist in nahezu jedem Prothesenfuß zu finden. Es gibt gemäß einer Einteilung der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) eine Vielzahl an unterschiedlichen Lösungen, die über die Konstruktion und Materialkombination die gewünschten Eigenschaften zeigen (Abb. 1).
Grundsätzlich können Prothesenfüße elastische und/oder energieabsorbierende und somit dämpfende Eigenschaften aufweisen. Carbon gilt wegen seiner Fähigkeit, Kräfte aufzunehmen und nahezu verlustfrei dynamisch zurückzugeben, als ein integrativer Bestandteil der Prothesenfüße mit elastischen Eigenschaften. Im Gegensatz dazu sorgen Elastomere, Schäume oder ähnliche Materialien in der Gruppe der energieabsorbierenden Passteile für die notwendige Beweglichkeit und Dämpfung, um eine harmonische und flüssige Abrollbewegung zu gewährleisten. Diese Prinzipien finden sich in den unterschiedlichsten Fußmodellen wieder. In modernen Prothesenfüßen werden Elastomere häufig als dämpfende Komponente für die Carbonfeder verwendet.
Neue Ansätze in der Prothetik
Eine neue Technologie, die in dieser Anwendungsbeobachtung eingesetzt wurde, besteht nun darin, flexible Elastomer-Zonen gezielt in eine Carbonfeder zu integrieren. Das Elastomer hat hier nicht lediglich die Aufgabe, zwei getrennte Carbonfedern zu verbinden, sondern auch seine flexiblen und dämpfenden Vorteile auszuspielen. Die Integration des Elastomers in den Lagenaufbau der Carbonfeder erfolgt während des Herstellungsprozesses und erzeugt so ein neuartiges Hybridmaterial. Durch diese hybride Bauweise ist es möglich, Dämpfung und Federung so abzustimmen, dass jeweils die Vorteile des entsprechenden Materials überwiegen. Ziel dieser neuen Form der Verbindung von Elastomer und Carbon ist also die synergetische Nutzung beider Materialien bei gleichzeitiger Kompensation der materialbedingten Nachteile. Die Bildreihe in Abbildung 2 veranschaulicht nach Angaben des Herstellers den oben beschriebenen Ansatz anhand der Wirkung beider Materialien während der unterschiedlichen Gangphasen.
Auswirkung der Technologie auf die Stabilität
Ein weiterer Aspekt der Konstruktion des Prüfprodukts zielt darauf ab, dass der Träger mehr Stabilität und Sicherheit während des Stehens und Gehens erhält. Dies wird durch die konstruktive Entkopplung der Carbonfederlagen in Form des integrierten Zwischenlagenelastomers erreicht. Die dreidimensionale Beweglichkeit des Hybridmaterials ermöglicht eine multi-axiale Anpassungsfähigkeit an unebene Untergründe (Abb. 3).
Fragestellung
Kann ein neuer Ansatz in der Kombination von Carbon und Elastomer bei einem Prothesenfuß die Vorteile beider Materialkomponenten bieten und deren Nachteile gleichzeitig kompensieren?
Methodik und Zielsetzung
Im Rahmen einer multizentrischen Anwendungsbeobachtung wurden die Auswirkungen des Einsatzes eines Carbonfederfußes mit Zwischenlagenelastomer bei Trägern von Beinprothesen (Z. n. Oberschenkelamputation, Knie- und Hüftexartikulation) beobachtet. Unter „multizentrisch“ wird im Zusammenhang mit dieser Anwendungsbeobachtung die Durchführung der Produkttests an verschiedenen Standorten bzw. in verschiedenen orthopädischen Werkstätten verstanden.
Einschlusskriterien waren:
- eine bereits bestehende Definitiv-Versorgung
- die Zuordnung der Anwender in die Mobilitätsklasse 2 bis Anfang 3 (gemäß Herstellerangaben)
- ein Körpergewicht unter 136 kg
- die Möglichkeit der zerstörungsfreien Entfernung der bestehenden kosmetischen Verkleidung
- die Bereitschaft des Anwenders, zweimal innerhalb von 2 bis 3 Wochen die versorgende orthopädische Werkstatt aufzusuchen.
Die Anwendungsbeobachtung erfolgte in insgesamt 21 versorgenden, bundesweit verteilten Werkstätten. Nach der Auswahl der Anwender, ihrer Versorgung mit dem Prüfprodukt und der Erstbefragung (zum Zeitpunkt tO) erfolgte ein zweiwöchiger Tragetest unter realen Alltagsbedingungen. Nach Ablauf der Tragezeit (Zeitpunkt t1) wurde eine erneute Befragung anhand identischer Fragen durchgeführt. Dabei standen für Techniker und Anwender unterschiedliche Fragenkataloge zur Verfügung (Tab. 1).
Die Fragebögen für Anwender und Techniker sahen bei der Bewertung sämtlicher Fragen (Tab. 1) eine absolute und eine relative Einschätzung vor. Das bedeutet, dass die Eigenschaften des Prüfprodukts sowohl für sich isoliert als auch im Verhältnis zur Vorversorgung durch Anwender und Techniker benotet wurden. Insgesamt kamen in den Vorversorgungen der befragten Anwender 22 unterschiedliche Fußmodelle von sieben Herstellern zum Einsatz.
Die Skalierung der isolierten (= absoluten) Betrachtung erfolgte in Analogie zum VAS-Score 1 von 1 („sehr schlecht“) bis 10 („sehr gut“). Die Skalierung der relativen Betrachtung im Verhältnis zur Vorversorgung umfasste die Werte ‑2 (deutlich schlechter), ‑1 (schlechter), 0 (gleich), +1 (besser) und +2 (deutlich besser). Die visuelle Analogskala (VAS) beschreibt eine Skala zur Messung subjektiver Einstellungen von 0 (sehr schwach) bis 10 (sehr stark). Sie wird beispielsweise im Bereich der Schmerzforschung verwendet.
Die Zielsetzung der Anwendungsbeobachtung ist es, die Konsequenzen des Einsatzes von Carbonfüßen mit Zwischenelastomer-Einheiten bei der Versorgung von Anwendern der Mobilitätsklasse 2 bis Anfang 3, basierend auf den subjektiven Erfahrungen von Anwendern und Technikern, herauszufinden und zu evaluieren. Sie ist im Zusammenhang mit dem Ansatz der Patient-Oriented Evidence that Matters (POEM) zu sehen, der den Erkenntnisgewinn für den Anwender, bzw. die Relevanz für dessen Lebenswirklichkeit in den Vordergrund stellt 2.
Ergebnisse
Im Zuge der Evaluation lassen sich drei Ergebnisse zusammenfassen:
1. Hybridtechnologie besser als Vorversorgung mit dämpfenden Fußpassteilen
Es zeigte sich, dass die neuartige Kombination von Elastomer und Carbon im Prüfprodukt die Anwender, deren ursprüngliche Versorgung aus einem dämpfenden Fußpassteil bestand, überzeugte. Die Probanden bewerteten das Prüfprodukt hinsichtlich der Kriterien „runder Gang“ und „Stoßdämpfung“ im Auftrittsmoment im relativen Vergleich besser als ihre Vorversorgung.
Im Punkt „Komfortgefühl im Schaft“ kam es zu einer minimalen Abwertung von 0,06 Punkten. Im Mittel der komfortrelevanten Parameter kann von einer messbaren Verbesserung gesprochen werden. Die in dieser Aktivitätsklasse zu erwartenden negativen Einflüsse durch die Verwendung von Carbonfedern blieben weitgehend aus (Abb. 4).
Gleichzeitig profitierten die Anwender von den positiven Eigenschaften des Carbons (Kraftrückgabe und Unterstützung bei der Vorwärtsbewegung) beim Zurücklegen längerer Wegstrecken (Abb. 5).
2. Hybridtechnologie besser als Vorversorgung mit klassischen energiespeichernden Fußpassteilen
Träger von klassischen energiespeichernden Fußpassteilen in der Vorversorgung registrierten mit dem Prüfprodukt sogar einen leicht positiven Effekt in Bezug auf das Zurücklegen längerer Wegstrecken und hinsichtlich der Unterstützung in der Vorwärtsbewegung. Somit wurde nachgewiesen, dass die zu erwartenden negativen Einflüsse des Elastomers in Bezug auf die Energierückgabe nicht eintreten (Abb. 6).
Betrachtet man die Bewertung der Komfortparameter innerhalb dieser Probandengruppe, so ist hier eine leichte Erhöhung festzustellen. Besonders fällt hierbei die Verbesserung des Abrollverhaltens mit +0,53 auf (Abb. 7).
3. Auswirkungen der Hybridtechnologie auf die Sicherheit des Prothesenträgers
Die Probanden profitierten mehrheitlich von der multi-axialen Beweglichkeit der Konstruktion in Bezug auf die Stand- und Gangsicherheit sowie bei der Fortbewegung auf unebenem Gelände. In der Gruppe der Prothesenträger mit einer Vorversorgung aus dämpfenden Fußpassteilen konnte eine Veränderung des Sicherheitsniveaus im Mittel um +0,89 festgestellt werden (Einzelergebnisse siehe Abb. 8), bei der Gruppe mit einer energiespeichernden Vorversorgung veränderte sich das Sicherheitsniveau im Mittel um +0,61 (Einzelergebnisse siehe Abb. 9).
4. Beurteilungen der betreuenden Orthopädie-Techniker
Die versorgenden Techniker schätzten vor allem das Gangbild der Probanden und bestätigten deren Ergebnisse. Auf einer Skala von 0 bis 10 vergaben sie durchschnittlich 7,56 Punkte. Auch in der Betrachtung im Vergleich zur Vorversorgung ergab sich ein Wert von +0,69. Dieses Ergebnis wird auch hinsichtlich der Resultate beim Gehen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, dem Phasenwechsel innerhalb der Standphase sowie der Aktivierung der Vorfußfeder bekräftigt (Abb. 10).
Diskussion
In der Anwendungsbeobachtung konnte nachgewiesen werden, dass die konstruktive Integration von Elastomer in den Lagenaufbau der Carbonfeder dem Anwender ermöglicht, von den Vorteilen beider Materialkomponenten zu profitieren. Die minimale Abwertung beim Faktor „Komfortgefühl im Schaft“ durch die Anwendergruppe, die vorher mit einem dämpfenden Fußpassteil versorgt war, kann aufgrund ihrer geringen Ausprägung als vernachlässigbar eingestuft werden.
Darüber hinaus wäre in weiteren Beobachtungen zu überprüfen, inwiefern Länge und Formgebung der Carbonfeder die positiven Ergebnisse dieser Untersuchung beeinflusst haben. Inwieweit die dargestellten Ergebnisse auf die Ansprüche von Anwendern der Mobilitätsklassen Ende 3 und 4 übertragbar sein könnten, konnte mit dem in der vorliegenden Beobachtung verwendeten Fußpassteil nicht untersucht werden. Dies war aufgrund der Einordnung des Prüfprodukts für die Mobilitätsklasse 2 bis Anfang 3 ausgeschlossen.
Fazit
Die hier beschriebene Integration von Elastomeren in die Carbonfeder verhindert, dass die konstruktiven Nachteile von dämpfenden bzw. energiespeichernden Fußpassteilen klassischer Bauart auftreten. Es zeigt sich, dass Anwender der Mobilitätsklassen 2 und Anfang 3 klar von derartigen Fußpassteilen in der beschriebenen Hybridbauweise profitieren – nicht nur im Hinblick auf Komfort und die erreichbare Gehstrecke, sondern auch bezüglich Stand- und Gangsicherheit.
Die Autoren:
Jan Becker
Orthopädie-Techniker-Meister (CPO‑G)
Fachlehrer für Transtibiale Prothetik
Bundesfachschule für Orthopädietechnik
Schliepstraße 6 — 8
44135 Dortmund
Oliver Pape
Technischer Projektmanager Prothetik
medi GmbH & Co. KG
Medicusstraße 1
95448 Bayreuth
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Anmerkung: Bei dem in der Beobachtung getesteten Produkt handelt es sich um den medi panthera CF I Carbonfederfuß mit Zwischenlagenelastomer der Firma medi GmbH & Co. KG.
Becker J, Pape O. Der Einsatz von Carbonfederfüßen mit Zwischenlagenelastomer-Einheiten bei Anwendern der Mobilitätsklassen 2 und Anfang 3 – Ergebnisse einer multizentrischen Anwendungsbeobachtung zum Einsatz von Prothesenfüßen unter Einschluss von 32 Anwendern. Orthopädie Technik, 2013; 64 (3): 28–33
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- Funke, F. Internet-based measurement with visual analogue scales: An experimental investigation (Internetbasierte Messungen mit visuellen Analogskalen: Eine experimentelle Untersuchung). Dissertation im Fach Psychologie an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen, 13. August 2011
- Hague, J: Patient-Oriented Evidence that Matters. POEMs. http://www.essentialevidenceplus.com/articles/EJHP_Feb04p64.pdf