Anlässlich dieses besonderen Geburtstags fand am 13. November ein Festakt in Berlin statt, um die Vergangenheit der organisierten Handwerksvertretung Revue passieren zu lassen und um auf aktuelle Herausforderungen der Branche aufmerksam zu machen.
Versorgung von Kriegsversehrten war der Startpunkt
1923 als Verband der Orthopädie-Mechanik in Berlin gegründet, entwickelte sich der deutsche Spitzenverband über den Reichsverband der Orthopädie-Mechaniker und Bandagisten schließlich zum Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik. Anlass für die Gründung des ersten Verbandes war ein Bedarf, der auch heute wieder mehr und mehr in Fokus rückt: die Versorgung von Kriegsversehrten. Davon gab es nach dem Ersten Weltkrieg rund eine halbe Million. „Eine Mammutaufgabe auch angesichts des allgegenwärtigen Mangels und der Hyperinflation“, erklärt Alf Reuter, Präsident des BIV-OT und Gastgeber des Festabends. Spätestens auf dem Höhepunkt der Inflation im Jahr 1923 waren Hilfsmittel zum Zeitpunkt der Fertigstellung nur noch einen Bruchteil der aufgewendeten Kosten wert. „Für unsere Vorgänger stand fest: Wir müssen unsere Kräfte vereinen und mit einer starken Stimme für die Interessen des eigenen Handwerks und der Patienten eintreten, um die Hilfsmittelversorgung abzusichern. Dieser Gedanke führte zur Gründung des ersten deutschlandweiten Verbands vor 100 Jahren“, so Reuter.
Neue Technik, gleicher Anspruch
Im Laufe der vergangenen zehn Dekaden hat sich die Hilfsmittelversorgung in Deutschland verändert. Neue Fertigungstechniken, neue Materialien bis hin zu Mensch-Maschine-Schnittstellen haben dem Handwerk ein neues Gesicht gegeben. Aber auch 100 Jahre nach der Gründung gibt es konstante Bedingungen: „Millionen von Menschen sind auf unsere Hilfe angewiesen“, betont Reuter. „Wir ermöglichen gemeinsam mit den Kollegen aus Medizin und Physiotherapie die Teilhabe an Alltag, Beruf und Sport. Trotz dieses hohen Gewichts für das Gesundheitssystem müssen wir um jede Fachkraft und um jede Versorgung mit Hilfsmitteln kämpfen.“ Daher lautet der Grundsatz des Verbandes auch 100 Jahre nach der Gründung: „Laut sein“. „Wir werden gemeinsam und mit starker Stimme für ein Umdenken in Politik und Gesellschaft streiten – für unsere Patienten, für unser Handwerk“, wie Reuter erklärt. In diesem Sinne lädt der BIV-OT zur Jubiläumsfeier Vertreter:innen aus Politik, Gesellschaft, Ärzteschaft und Handwerk ein. So haben unter anderem Andreas Brandhorst, Referatsleiter für vertragszahnärztliche Versorgung, Heilmittelversorgung, Hilfsmittelversorgung, Rettungsdienst im Bundesministerium für Gesundheit, Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender GKV-Spitzenverband, oder Prof. Hans Georg Näder, Eigentümer und Vorsitzender des Verwaltungsrats der Ottobock SE & Co. KGaA, ihr Kommen angekündigt und werden als Festredner in Berlin zu den Gästen sprechen. „Nur gemeinsam können wir eine nachhaltige Reform der Hilfsmittelversorgung in Deutschland erfolgreich aus- und umsetzen“, setzt Reuter auf den Dialog zwischen allen an der Hilfsmittelversorgung beteiligten Parteien.
100 Jahre Einsatz im Dienst der Patient:innen und Betriebe
Der erste große Erfolg des Verbandes war die „Reichspreisliste für orthopädische Hilfsmittel“. Sie wurde 1936 zwischen dem preußischen Arbeitsministerium und dem 1935 in den „Reichsinnungsverband des Bandagisten- und Orthopädie-Mechaniker-Handwerks“ umbenannten Verband vereinbart. 1942 entstand das erste umfassende Lehrbuch des orthopädietechnischen Handwerks aus der Feder von Walter-Hermann Pfau, Orthopädiemechaniker-Meister und von 1923 bis 1937 erster Obermeister.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten in den beiden deutschen Staaten unterschiedliche Organisationsformen. In der BRD vertrat ab 1946 der „Zentralinnungsverband für Orthopädietechnik“ die Interessen des Handwerks, der 1954 in Bundesinnungsverband umbenannt wurde. In der DDR hingegen war das orthopädietechnische Handwerk der „Arbeitsgemeinschaft für Orthopädiemechaniker und Bandagisten“ der „Deutschen Gesellschaft für Klinische Medizin und ihrer Gesellschaft für Orthopädie der DDR“ angegliedert. Trotz der Unterschiede fand ein regelmäßiger Fachaustausch zwischen Orthopädietechnikern aus der BRD und der DDR statt, dabei spielten die Innungen in West- und Ost-Berlin eine Schlüsselrolle.
Nach 1989 gelang die Vereinigung der orthopädietechnischen Betriebe aus Ost und West, Nord und Süd unter dem Dach des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik. Die 1953 in Frankfurt am Main gegründete und heute in Dortmund ansässige Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) wurde nach der Wiedervereinigung 1990 die zentrale Ausbildungsstätte. Sie gilt als eine der international renommiertesten Bildungseinrichtungen des Fachs. Die hohe Fachkompetenz und Innovationskraft von Handwerk und Industrie im Bereich der Orthopädie-Technik sorgte für immer mehr internationale Aufmerksamkeit. So wurde aus dem jährlichen Jahreskongress des BIV-OT ab 1976 ein alle drei Jahre stattfindender internationaler Kongress, der schließlich seit 2002 im Zwei-Jahres-Turnus am festen Standort Leipzig als Weltkongress und Weltleitmesse OTWorld Expert:innen aus knapp 100 Ländern anzieht.
Versorgung sichern
Aktuell vertritt der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik als Spitzenverband mehr als 4.500 Sanitätshäuser und orthopädie-technische Werkstätten mit über 48.000 Beschäftigten, die mehr als 25 Millionen Hilfsmittelversorgungen pro Jahr in Deutschland in mehr als 30 Bereichen verantworten. Damit vertritt der Verband bundesweit Leistungserbringer, die dauerhaft die höchsten Anforderungen an eine wohnortnahe und flächendeckende Patientenversorgung erfüllen und als Innovationstreiber im deutschen Gesundheitsmarkt wirken. In Kooperation mit Politik und Kostenträgern setzt sich der BIV-OT für die interdisziplinäre, qualitätsgesicherte und wohnortnahe Hilfsmittelversorgung der Patienten in Deutschland ein.