Eröffnet wurde die Online-Veranstaltung mit dem Vortrag von Prof. Dr. med. Etelka Földi, Földiklinik Hinterzarten, „Das kindliche Lymphödem – Diagnostik und Therapie“. Prof. Dr. Földi erklärte, dass das primäre, genetisch bedingte Lymphödem das häufigste lymphologische Krankheitsbild im Kindesalter sei und zu Veränderungen im Gewebe, wie z. B. Verhärtungen des Bindegewebes führe. Bezüglich der Kompressionstherapie bei Kindern sollte beachtet werden, dass nicht zu früh mit der Kompression begonnen werden darf, dass Kinder nicht denselben Kompressionsdruck wie Erwachsene vertragen würden. Zudem müsse das Material der Kompressionsversorgung etwas weicher sein, da die Kinderhaut – vor allem in den ersten Lebensjahren – noch sehr empfindlich sei.
Im Anschluss daran stellte Prof. Dr. med. Dieter Blottner, Berlin, in seinem Beitrag „Lymphatisches System: Anatomie und Physiologie“ die wichtigsten Makro- und Mikro-Kreisläufe des lymphatischen Systems vor. Auf den neusten Stand der bildgebenden Diagnostik (Teil I) brachte Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Fischer, Berlin, die Teilnehmer:innen. Dabei legte er den Fokus auf die Lymphknotensonographie. Er sprach über Möglichkeiten und Grenzen des Ultraschalls (US) bei der Lymphknotendiagnostik. Er prognostizierte, dass in Zukunft auch in der bildgebenden Diagnostik die Künstliche Intelligenz (KI) eine immer wichtigere Rolle spielen werde. PD Dr. med. Claus C. Pieper, Bonn, übernahm dann den Teil II des Updates zur bildgebenden Diagnostik und gab einen Überblick zu den Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Lymphbildgebungstechniken, insbesondere der Magnetresonanztomographie.
Genetik – Lymphchirurgie
Einblicke in die Welt der Genetik präsentierte Dr. rer. nat. Dr. med. René Hägerling, Berlin. Sein Beitrag „Die Genetik des primären Lymphödems – ein Überblick über unsere gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten“ gab einen Überblick über die genetischen Ursachen von Lymphödemen. Priv. Doz. Dr. Christian Taeger, Regensburg, sprach danach über „Intraoperative Fluoreszenzangiographie in der Lymphchirurgie, Verlaufsstudie mittels 3D-Volumetrie“. Er fokussierte sich auf die mikrochirurgischen Therapieansätze des Lymphödems und ging auf die Lymphovenösen Anastomosen (LVA) und den freien vaskularisierten Lymphknotentransfer ein.
Prävention des Lymphödems nach Tumor – Lymphödem im Kopf-Hals-Bereich
Prof. Dr. med. Marcus Lehnhardt, Bochum, referierte zum Thema „Prävention des Lymphödems nach Tumor durch lympho-venöse Anastomosen“. Zusammen mit seinem Team ist Prof. Lehnhardt spezialisiert auf Weichteilsarkome, die selten und heterogen auftreten und die im Weichgewebe – zu über 60 Prozent im Bereich des Oberschenkels – wachsen. Nach Resektion solcher Sarkome mit teils erheblichen Volumina trete in 30 Prozent der Fälle ein Lymphödem auf, bei Resektionen im Bereich des Oberschenkels/der Leiste sogar in über 53 Prozent. Um die Bildung von sekundären Lymphödemen zu vermeiden, ergreife das Team um Prof. Lehnhardt prophylaktische Maßnahmen. Dass ein Lymphödem im Kopf-Hals-Bereich nicht nur eine äußerliche Schwellung sei, sondern häufig die Schwellung auch auf pharyngeale Strukturen wirke und relevante Probleme verursachen könne, berichtete anschließend Dr. med. Steffen Dommerich, Berlin, in seinem Vortrag „Lymphödem im Kopf-Hals-Bereich: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten“. Zwar seien primäre Lymphödeme im Kopf-Hals-Bereich eher selten, sekundäre Lymphödeme spielten aber vor allem nach Traumen, Operationen und Tumoren eine Rolle.
Covid-Pandemie – Fallbeispiele aus der Ödem-Therapie
„Klinisches Netzwerk und Therapie“ war Thema des abschließenden Round-Table-Gesprächs mit Simone Zahn, Ödem-Patientin und Vertreterin der Lymphselbsthilfe e. V., Bandagisten-Meisterin Christine Hemmann-Moll sowie den Medizinern Dr. med. Christine Schwedtke und Dr. med. Max Liebl aus der Charité Berlin. Es moderierte Dr. med. Anett Reißhauer. Als Resümee des Round-Table-Gesprächs, bei dem viele Fragen der Teilnehmer:innen beantwortet wurden, plant Dr. Reißhauer im Nachgang eine Fortbildungs- bzw. Informationsveranstaltung speziell für Ödem-Patient:innen im kommenden Jahr zu veranstalten.
Interview mit Dr. med. Anett Reißhauer
„Hemmschwellen werden abgebaut“
Neben einem attraktiven Programm zur Diagnostik und Therapie bei Lymphödem-Erkrankungen, Neuem aus der Kompressionstherapie, vorgetragen von Dr. Max Liebl, Berlin, gab es auch eine Geburtstagsüberraschung: Referenten aus den vergangenen Veranstaltungen schickten ihre Glückwünsche per Videobotschaft. Sehr zur Freude von der wissenschaftlichen Leiterin Dr. med. Anett Reißhauer, die von Anfang an das Symposium begleitet.
OT: Welches war vor neun Jahren Ihre Intention, sich für ein Symposium mit der Fokussierung auf die Lymphologie einzusetzen?
Dr. med. Anett Reißhauer: Die Lymphologie lag nahe, weil sie ein Schwerpunkt im Rahmen der Hochschulambulanz unserer Klinik ist. Wir sehen im Jahr eine hohe Anzahl von Patient:innen mit Ödemerkrankungen und bekommen zudem jeden Tag Anfragen bundesweit von Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen oder Betroffenen zu problematischen Fällen. Deshalb schien eine fachübergreifende, multidisziplinäre Fortbildung aus unserer Sicht sinnvoll, bei der gebündelt an einem Tag Informationen rund um das Krankheitsbild „Lymphödem“ transportiert werden.
OT: Es war die 10. Veranstaltung: Was war das für Sie, die Sie von Anfang an dabei waren, für ein Gefühl?
Dr. med. Reißhauer: Auf der einen Seite ein sehr schönes Gefühl, aber auf der anderen Seite natürlich für mich persönlich ein bisschen erschreckend, weil man plötzlich merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Aber rückblickend hat mich besonders gefreut, dass von Jahr zu Jahr die Teilnehmerzahlen gestiegen sind. Selbst eine Pandemie hat uns nicht ausgebremst. Im Gegenteil: Erstmals im letzten Jahr haben wir eine reine Online-Veranstaltung angeboten. Mit großer Teilnehmerzahl und – was uns besonders gefreut hat – mit zahlreichen Teilnehmer:innen aus anderen Ländern. Das zeigt uns, wie wichtig ein Austausch bei dieser zum Teil seltenen Erkrankung auch über Ländergrenzen und Berufsgruppen hinweg ist. Und die große Nachfrage auch in diesem Jahr – mit über 250 Teilnehmer:innen – bestärkt uns darin weiterzumachen. So viel Zuspruch hätten wir nicht, wenn das Konzept unserer Fortbildung nicht so gut ankäme. Dieses komprimierte Wissen an einem Tag, dafür müsste man normalerweise viele verschiedene Publikationen lesen. Dank unseres Hauptsponsors Juzo und dessen hochprofessioneller Unterstützung bleibt diese Tagesfortbildung somit ein fester Bestandteil unseres Veranstaltungskalenders.
OT: Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie die zehn Symposien Review passieren lassen? Haben die Inhalte oder Ergebnisse eine Entwicklung durchlaufen?
Dr. med. Reißhauer: Mir fällt als Erstes die breite Palette der unterschiedlichen Themenschwerpunkte ein: konservative Therapieoptionen, operative Behandlung von Lymphödemen, Schnittstelle Lip- und Lymphödem, diagnostische Verfahren, innovative Kompressionstherapien und ‑materialien und vieles mehr. Uns ging es immer darum, wissenschaftliche Arbeit mit Grundlagen der Anatomie bzw. Verfahrensweisen sowie praktischen Anwendungen zu verbinden. Dieses Konzept ist bewusst multidisziplinär und wurde von uns in den Jahren sehr gefördert. Es führt dazu, dass Hemmschwellen zwischen Therapeut:innen, Ärzt:innen und Patient:innen abgebaut werden. Auf diese Weise kann die Kommunikation berufsgruppenübergreifend gestärkt werden.
OT: Stichwort Selbstmanagement in der Lymphödemtherapie – Die Live-Versorgung bzw. Fallbeispiele waren und sind immer wieder ein Programmpunkt in den Symposien: Seit 2017 ist diese als 5. Therapiesäule der S2k-Leitlinie „Lymphödem“ verankert. Sehen Sie seitdem eine Entwicklung/Veränderung?
Dr. med. Reißhauer: Ich glaube, von einer Verankerung in einer Leitlinie werden Patient:innen selbst nicht aktiver, aber es stellt einen wichtigen Baustein dar, insofern, als alle Fachrichtungen diese Säule verstärkt bei den Patient:innen einfordern können. Mit der Berücksichtigung in der Leitlinie wird auf diesen Aspekt bei allen ein besonderes Augenmerk gelegt. Wir merken an den vermehrten Nachfragen, oftmals von den Patient:innen selbst, dass sie Verantwortung mehr und mehr übernehmen. Deshalb planen wir ab dem kommenden Jahr eine separate Veranstaltung für Patient:innen, bei der sie zu Wort kommen können und informiert werden.
OT: Ein Forschungspreis „Innovationspreis Lymphologie“ wurde anlässlich des 10. Geburtstags ausgerufen: Was hat es damit auf sich?
Dr. med. Reißhauer: Uwe Schettler, Geschäftsführer Julius Zorn GmbH, eröffnete die Möglichkeit, nun erstmals den Forschungspreis „Innovationspreis Lymphologie“ ausloben zu können. Mit diesem Preis sollen allgemein die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Lymphologie unterstützt werden.
OT: Wagen wir am Ende noch einen Blick in die Zukunft: Welche Vorträge könnten bei dem 30. Berliner Lymphologischen Symposium auf der Agenda stehen? Kompressionsstrümpfe aus dem 3D-Drucker und Vermessungen per Künstlicher Intelligenz?
Dr. med. Reißhauer: Ich denke, es ist gar nicht so unrealistisch, dass in Zukunft der Wunsch vieler Patient:innen und Behandler:innen erfüllt werden kann, dass es beispielsweise einen Kompressionsstrumpf geben wird, der den Druck anzeigen kann oder mit dem man sogar den Druck von außen steuern kann. Was spricht gegen die Vorstellung, dass irgendwann, wenn ein 3D-Drucker bei uns in der Klinik steht, Patient:innen kommen und mit 3D-gedruckten Kompressionsstrümpfen und passenden Gesichtsmasken gehen? Das folgt der heute schon spürbaren Entwicklung zu einer immer stärker geforderten Individualisierung in der Medizintechnik. Also warum nicht?
Die Fragen stellte Irene Mechsner.
Das nächste Berliner Lymphologische Symposium findet am 30. Mai 2022 als hybride Veranstaltung statt.
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