OT: Warum haben Sie sich auf die Versorgung von Kindern spezialisiert?
Benjamin Born: Auslöser war meine Begegnung mit Yannic, damals 10 Jahre alt, vor neun Jahren. Er benötigte eine Unterschenkelprothese. Durch ihn wurde mir erstmals bewusst, wie viele Dinge bei der Versorgung von Kindern mit Amputationen zu beachten sind und dass sich Orthopädietechniker viel Zeit nehmen sollten, um die Bedürfnisse der Kinder herauszufinden. Nur so kann die Prothese im wörtlichen wie übertragenen Sinne passgenau sein. Übrigens ist Yannic heute mein Lehrling und steht kurz vor der Gesellenprüfung zum Orthopädietechniker. Passt!
OT: Was ist bei Kindern anders als bei Erwachsenen?
Born: Der Bewegungsdrang ist im Kindesalter enorm. Die wollen nicht gemütlich spazieren gehen, sondern laufen, toben und ins Wasser springen. Taucht eine Pfütze vor ihnen auf, springen sie hinein, wie jedes andere Kind. Da wird nicht groß überlegt oder erst zu einer Schwimmprothese gewechselt. Kinder brauchen daher eine robuste Alltagsprothese, die alles mitmacht, auch den Sprung ins Wasser!
OT: Welche Versorgungsoptionen bietet die Industrie?
Born: Das hängt stark vom Alter ab. Je kleiner und leichter die Kinder sind, desto weniger Passteile stehen zur Verfügung. Bei Kleinkindern gibt es noch immer viel zu viele Gummifüße in Hautfarbe mit wenig Funktionen. Hier sind nur wenig gute Fuß- und Kniegelenke im Angebot. Das hängt sicher mit der geringen Bauhöhe zusammen, die bei Kleinkindern möglich ist, aber auch mit der Marktsituation. Für eine kleine Zielgruppe lohnen sich die Investitionen in Forschung und Entwicklung weniger als für die große Zielgruppe der Erwachsenen. Für Kindergartenkinder ist die Auswahl an Passteilen schon größer. Ab dem Alter von 13 oder 14 sind bereits viele Passteile nutzbar, die für Erwachsene entwickelt wurden.
OT: Wie gehen Sie mit Passteil-Lücken um?
Born: Dafür bin ich Orthopädietechniker! Wir alle in den OT-Werkstätten füllen solche Lücken mit der Marke Eigenbau, dazu gehören inzwischen ebenfalls Digitale Fertigungen. Seit zwei, drei Jahren arbeiten wir hier in der Niederlassung Mittelrhein-Bonn eng mit der Firma Mecuris zusammen, die einen Vollprothesenfuß im 3D-Druck herstellt. Das ist aus meiner Sicht ein riesiger Fortschritt, weil die Kinder die Prothesencover individuell mitgestalten können. Denn das erhöht die Akzeptanz der Prothese durch die Kinder selbst und ihren Freundeskreis enorm. Was immer das Kind gerade cool findet – ob Dinosaurier oder Bibi und Tina, welche Lieblingsfarbe es gerade hat – alles ist möglich. Damit macht die gemeinschaftliche Arbeit an der Prothese allen Seiten großen Spaß. Einziger Nachteil: Das Material könnte vor allem für Kinder haltbarer sein. In die Materialforschung sollte daher weiterhin investiert werden.
OT: Wie bringen Sie die Kinder voller Bewegungsdrang zum geduldigen Anprobieren?
Born: Die Anprobe ist in der Tat ganz entscheidend für die Passgenauigkeit der Prothese. Hier verfolge ich zwei Ansätze. Zum einen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kinder sehr wohl Geduld aufbringen. Man muss ihnen nur erklären, dass sie mit einer passenden Prothese viel besser spielen, laufen oder Laufrad fahren können. Zweitens setze ich auf spielerische Situationen, die zudem von unserem Werkstatthund begleitet werden. Er beruhigt die Kinder und lenkt sie ab.
OT: Welche Erfahrungen haben Sie im Hinblick auf die Kostenübernahmen durch die Kostenträger?
Born: Ich habe bisher keine einzige Ablehnung der Kostenübernahme von einer Krankenkasse für die Versorgung eines Kindes mit Prothesen erhalten. Da wir uns nicht zuletzt für die Dokumentation der geplanten Versorgung viel Zeit nehmen, wissen die Mitarbeiter bei den Kostenträgern genau, was wir vorhaben. Diese Mehrarbeit von unserer Seite wird letztlich von den Kindern belohnt.
OT: Gerade bei der Versorgung von Kindern spielen die Eltern sicher eine große Rolle. Wie binden Sie diese ein?
Born: Ehrlich gesagt, Eltern sind schwierig. Während die Kinder mit Amputationen ebenso offen und mutig sind wie ihre Altersgenossen, neigen ihre Eltern zu großer Vorsicht, teils Ängstlichkeit. Deshalb holen wir zu manchen Elterngesprächen erfahrene Mütter oder Väter mit dazu, die wiederum untereinander sehr gut vernetzt sind. Natürlich nehmen wir uns die Zeit für intensive Gespräche mit der Familie des zu versorgenden Kindes. So sensibilisieren wir sie für die Wachstumsphasen ihrer Kinder. Wir trainieren quasi das Auge der Eltern, damit sie lieber einmal zu oft zur Kontrolle in die Werkstatt kommen. Kleinkinder brauchen durchschnittlich zwei Mal im Jahr eine neue Prothese, später reicht meist eine neue Versorgung pro Jahr.
OT: Was empfehlen Sie Betrieben, die neu in die Versorgung von Kindern mit Amputation einsteigen wollen?
Born: Raus aus dem Abarbeiten und rein ins Zeitnehmen – das ist das A und O bei der Betreuung junger Patienten. Dazu gehört neben vielen Gesprächen und guten Erklärungen unbedingt die Einbindung der Kinder in die Gestaltung der Prothesen und der Eltern in den gesamten Versorgungsprozess. Das ist mein Rezept für eine erfolgreiche Versorgung.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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