Doch statt Selbstmitleid oder Jammern schöpfte der Brite Kraft aus der Situation – auch dank moderner Hilfsmittelversorgung. Nur drei Jahre nach seinem Unfall stieg er ins Lauftraining ein. Bei seinem ersten internationalen Wettkampf, den Europameisterschaften des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) in Finnland, holte er 2005 Bronze im 200-Meter-Lauf. Dem folgten zahlreiche Medaillengewinne, darunter Silber für seine persönliche Bestzeit über 100 Meter von 12,70 Sekunden beim Internationalen Bayer-Leichtathletik-Wettbewerb in Leverkusen 2006. Zwei Weltmeistertitel holte er 2007 bei der World-Wheelchair-and-Amputee-Sports-Federation über 100 Meter und 200 Meter. 2008 trat er zudem für Großbritannien bei den Paralympics in Peking in der Klasse der Läufer mit Amputationen oberhalb des Knies an und brachte für seine Leistungen über 100 Meter Bronze mit nach Hause.
Auch beruflich ist John McFall durchgestartet: Seinem Sportstudium schloss er noch ein Medizinstudium an. Von 2014 bis 2016 arbeitete er als Foundation Doctor im britischen National Health Service in verschiedenen medizinischen und chirurgischen Fachbereichen in Südost-Wales. Danach absolvierte er bis 2018 eine chirurgische Grundausbildung in Allgemeinchirurgie, Urologie sowie Traumatologie und Orthopädie. Im Jahr 2018 sicherte er sich einen Platz im nationalen Trauma- und Orthopädie-Facharztausbildungsprogramm des Vereinigten Königreichs und ist heute Facharzt für Traumatologie und Orthopädie.
Nächstes Ziel: Die Eroberung des Weltraums
Dass er gerne außergewöhnliche Reisen unternimmt und dass es kaum Grenzen gibt, was er mit seiner Prothese erreichen kann, bewies McFall 2008: Nach den Paralympischen Spielen in Peking machte er sich zu Fuß auf den Heimweg ins Vereinigte Königreich. Nach den nächsten Zielen gefragt, sagte er damals, er wolle irgendwann die Sahara durchqueren, den Atlantik mit dem Ruderboot überqueren und eine Lizenz für den freien Fall erwerben. Seit Kurzem steht die Raumfahrt auf McFalls To-do-Liste: Im November 2022 wurde er als Mitglied der Astronautenreserve der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) ausgewählt, um an der Machbarkeitsstudie „Fly!“ teilzunehmen. Damit will die ESA Hindernisse für Astronaut:innen mit körperlichen Einschränkungen in der Raumfahrt verstehen und überwinden. Das Ziel dieser Studie ist es, sich auf McFalls vielfältiges Fachwissen zu stützen, um Möglichkeiten zu erforschen, wie Menschen mit körperlichen Behinderungen – insbesondere mit einer Amputation der unteren Gliedmaßen – als voll integrierte Mitglieder einer Astronautencrew während einer Langzeitmission zur Internationalen Raumstation (ISS) aufgenommen werden können. Mit der Ausschreibung hat die ESA anerkannt, dass es Menschen geben könnte, die geistig und mental für den Job qualifiziert sind, aber bisher aus medizinischen Gründen nicht ausgewählt worden wären. Für die Erforschung des Weltraums durch den Menschen bringt der mittlerweile 43-Jährige nicht nur den wissenschaftlichen und medizinischen Hintergrund sowie körperliche Fitness mit. Er eröffnet der ESA ganz neue Perspektiven und konnte gerade als Mensch mit einer körperlichen Beeinträchtigung schon sehr viele Hindernisse überwinden.
Außergewöhnliche Belastungen für Mensch und Prothese
Damit stellt sich John McFall nun gänzlich neuen Herausforderungen: ein Überlebenstraining auf der Ostsee, die Anprobe eines Raumanzugs, der Ein- und Ausstieg in eine Raumkapsel, Zentrifugen-Training. Gemeinsam mit dem Hersteller Ottobock unterzieht die ESA aktuell die Prothesentechnik intensiven Tests. Und in einem ZEIT-Interview danach gefragt, ob sein Handicap im All nicht sogar ein Vorteil wäre, antwortet McFall: „Im Weltraum ist jeder behindert. Jeder Mensch muss mit dieser Umgebung erst mal klarkommen.“
Auf seinen Motorradunfall angesprochen, sagte er zudem, es sei „in gewisser Weise das Beste gewesen, was mir je passiert ist. Er hat mir einen Fokus gegeben, einen Antrieb, jeder Tag ist eine neue Herausforderung. (…) Ich hatte immer eine Liste von Zielen und Wünschen, die sich nach meinem Unfall nicht geändert haben – sie haben nur die Richtung gewechselt. Der Verlust meines Beins hat mein Leben verändert, aber er hat nicht verändert, wer ich bin.“ Zur Eröffnung der OTWorld 2024 spricht John McFall am Dienstag, 14. Mai 2024, über seine „Mission Possible“.
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