Einleitung
Der Begriff Rheuma umfasst zahlreiche Erscheinungsformen, die sich stark voneinander unterscheiden können. Unter den chronisch-entzündlichen rheumatischen Erkrankungen kommt die rheumatoide Arthritis mit chronischer Entzündung der Gelenkschleimhäute, Sehnenscheiden und Schleimbeuteln weltweit am häufigsten vor.
Der Verlauf ist meist schubweise voranschreitend. Beginnend mit schmerzhaften Schwellungen, Erwärmungen, Druckempfindlichkeit und Bewegungseinschränkung von Gelenken kann die rheumatoide Arthritis bis zur völligen Zerstörung von Sehnen und Gelenken führen. In der Regel sind Finger- und Handgelenke betroffen, oftmals auch mit symmetrischem Befall.
Die rheumatische Hand
Im Bereich der Hand kommt es bei rheumatischen Erkrankungen zu Lockerungen des Kapsel-Bandapparates, zur Zerstörung von Sehnen (Sehnenschwellungen, Sehnenrisse) und Knorpel bis hin zu Knochendestruktionen.
Dieser Prozess der Sehnen- und Gelenkfunktionsstörung führt bei fortschreitender Erkrankung zu den typischen deformierenden Veränderungen im Bereich der Hände mit einhergehendem Funktionsverlust.
Die häufigsten Deformitäten und Fehlstellungen sind:
- Ulnardeviation der Langfinger: Abdriften der Finger II‑V nach ulnar.
- Schwanenhalsdeformität: Überstreckung des Fingers im Fingermittelgelenk (PIP), verbunden mit einer Beugung im Fingerendglied (DIP).
- Knopflochdeformität der Langfinger: Beugefehlstellung im Fingermittelgelenk (PIP), verbunden mit einer Überstreckung im Fingerendgelenk (DIP).
- Knopflochdeformität des Daumens (90°/90°-Deformität): Beugung im Daumengrundgelenk und Überstreckung im Endgelenk.
- Caput-ulnae-Syndrom: Überbeweglichkeit des Ulnarköpfchens durch Subluxation und Abrutschen der Handwurzel nach ulnar.
Therapeutische Zielsetzung
Die optimale Therapie erfolgt in enger interdisziplinärer Abstimmung zwischen Arzt, Physio- und Ergotherapeut sowie einem Orthopädie-Techniker. Das Team wird unterstützt durch Sozialdienste und die Leistungen von Selbsthilfegruppen und Organisationen, wie z. B. der Rheuma-Liga.
Dabei muss es das Ziel sein, weitere drohende Funktionsverluste abzuwenden, die achsengerechte Position der beteiligten Gelenk- und Körperareale zu sichern und damit die Selbstständigkeit des Betroffenen bestmöglich aufrechtzuerhalten. Das geschieht durch gezieltes Training von Kompensationsmechanismen und begleitender orthetischer Versorgung. Diese sollte dabei möglichst frühzeitig in das interdisziplinäre Versorgungskonzept des Betroffenen mit einbezogen werden. Aufgabe der Orthese ist die Korrektur der Fehlstellung und die Stabilisierung der Gelenke in Ruhe wie auch in Bewegung. Gleichzeitig soll sie die Fingergelenkbeweglichkeit erhalten und verbessern sowie Kontrakturen und Atrophien vorbeugen, Schutz bieten vor Überdehnung und Rupturen der Sehnen sowie zur Schmerzlinderung beitragen.
Orthetische Versorgung
Sowohl in der Physio- und Ergotherapie als auch in der Orthopädie-Technik ist der Einsatz von Niedrigtemperatur-Thermoplast-Materialien (NTT) Versorgungsstandard. NTT-Materialien sind leicht und direkt auf dem betroffenen Körperareal anzuformen, unterliegen aber im Gebrauch und in der Haltbarkeit auf Dauer den Vorteilen anderer Materialien. Die geringe Stabilität und die vergleichsweise wenig ansprechende Optik des Materials führen dazu, dass diese Orthesen nicht selten nur nachts getragen werden. Den Betroffenen fehlt daraufhin tagsüber die notwendige Unterstützung, z. B. beim Greifen und Halten von Gegenständen.
Denkt man also über eine langfristige Versorgung nach, können die Vorteile alternativer Materialien insbesondere bei Funktion und Akzeptanz der Orthese überzeugen.
Für die in der Folge beschriebenen orthetischen Versorgungsbeispiele kamen HTV-Silikone, Sterlingsilber und eine Kobalt-Chrom-Legierung zum Einsatz.
Silikon
Die Vorteile von Silikon sind hinlänglich bekannt, wenn es um Verträglichkeit, Compliance und Pflege geht. Die mechanischen Eigenschaften führen zu langer Haltbarkeit und hoher Reißfestigkeit auch bei niedriger Materialstärke. Die dem Material inhärente Rückstellelastizität gewährleistet dauerhaft Form und Funktion der Orthese.
Indiziert ist der Einsatz von Silikonen bei der Versorgung von Degenerationen im Daumenend- und/oder Daumensattelgelenk (Abb. 1) sowie beim Caput-ulnae-Syndrom mit dem Ziel der Stabilisierung und gegebenenfalls Korrektur der betroffenen Gelenke.
Über die Positionierung verschiedener Silikonhärten wird hier partiell Stabilität erzeugt und andererseits Flexibilität zugelassen, was in sensiblen Bereichen und im Kantenverlauf weitere Entlastung schafft (Abb. 2). Im Bereich der Hand sprechen Feuchtigkeitsresistenz, Wasserbeständigkeit und hygienische Vorteile zusätzlich für das Material.
Die Fertigung der Orthese erfolgt dabei individuell nach Gipsmaßnahme. Über das Gipspositivmodell werden kalandrierte Silikonplatten gearbeitet, in die das Verschlusssystem integriert wird.
Kobalt-Chrom-Legierung
Die hier bei der Versorgung einer Knopflochdeformität (Abb. 3) verwendete Kobalt-Chrom-Legierung ist leicht, verschleißarm, korrodiert nicht und ist biokompatibel. Der Orthesenzuschnitt kann sehr gut an das Verlaufsstadium der rheumatoiden Arthritis angepasst werden, um so eine leichte und optisch ansprechende Orthesenversorgung (Abb. 4 u. 5) zu erhalten. Aufgabe dabei ist es, die Streckung im Fingermittelgelenk (PIP) zu ermöglichen und gleichzeitig eine Überstreckung im Fingerendgelenk (DIP) zu verhindern (Abb. 6 u. 7). Im verarbeiteten Zustand ist das Material extrem formstabil und kann daher nur limitiert nachverformt werden. Je nach notwendigem Wirkungsgrad bleibt das Gewicht der Orthese bei filigranem oder intensivem Materialeinsatz im Toleranzbereich zu alternativen Kunststoffen.
Die Herstellung erfolgt nach dem Prinzip der verlorenen Form auf der Basis einer passgerechten Probeorthese aus NTT-Material.
Sterlingsilber
Andere Vorteile bietet Silber (Sterlingsilber) bei der Versorgung der Knopflochdeformität. Es verfügt als hautfreundliches Metall mit seiner antibakteriellen Eigenschaft ebenfalls über hohe Formbeständigkeit, kann aber jederzeit nachverformt werden.
Schwanenhalsdeformität
Vom Vorteil der Nachverformbarkeit profitiert auch die Versorgung bei Schwanenhalsdeformität. Hier tragen Ringe zum Erhalt der Beuge- und Greiffunktion durch Korrektur der Beugefehlstellung im Fingermittelgelenk (PIP) bei (Abb. 8 u. 9). Sie ermöglichen dabei gleichzeitig die Streckung des Fingerendgelenks (DIP). Üblich ist hier bisher neben NTT-Materialien auch der Einsatz vorgefertigter Edelstahlringe, sogenannter Murphy-Ringe. Diese sind gegenüber NTT bereits deutlich stabiler, sitzen aber durch ihre standardisierten Ringgrößen selten passformgerecht und können nicht individuell nachgeformt werden. Zudem können in der Individualanfertigung zusätzlich medial und lateral Elemente im Gelenkbereich mit stabilisierender sowie korrigierender Funktion angebracht werden. Die Ringe werden aus Silberdraht und nach dem Prinzip der verlorenen Form gefertigt.
Schnappfinger
Die Versorgungen für den Schnappfinger (Abb. 10 bis 13) und die Ulnardeviation des Kleinfingers (Abb. 14 u. 15) sind weitere Beispiele für ein breites Spektrum an Versorgungsmöglichkeiten. Eine Antiulnardeviationsorthese (Abb. 16 u. 17) dient der achsgerechten Korrektur und Führung der Langfinger bei gleichzeitiger Berücksichtigung der uneingeschränkten Greifbewegung.
Die Verwendung von Silber und Kobalt-Chrom birgt einen weiteren Vorteil: Orthopädie-Techniker imitieren dabei eine Schmuck-Optik, was aus Erfahrung wesentlich zur besseren Akzeptanz und der erhöhten Tragedauer der Orthese beiträgt. Je nach Geschick kann man diese Optik handwerklich verfeinern und individualisieren.
Der vergleichsweise überdurchschnittlichen Gebrauchsdauer stehen die anfangs höheren Kosten in der Herstellung gegenüber. Nach bisheriger Erfahrung folgt der Kostenträger der Argumentation, dass sich die Aufwendungen aufgrund der deutlich längeren Gebrauchszeit schnell amortisieren.
Fazit
Die Versorgung der rheumatisch bedingten Veränderungen an der Hand sollte in der Regel individuell angefertigt werden. Dabei lohnt es sich, über das zu verwendende Material nachzudenken, um die Funktion, Langlebigkeit und Compliance der Orthese zu verbessern.
Bei den vorgestellten Versorgungen mag der Aufwand höher und spezieller sein, aber die Haltbarkeit, der individuelle Nutzen und die hohe Akzeptanz für den Patienten wiegen das auf. Für den erfolgreichen Einsatz von Silikon und Metallen auf diesem Gebiet bedarf es einiger Erfahrung und einen gewissen Umfang an speziellen Werkzeugen und Ausrüstung, in jedem Fall aber eine Affinität zu feinmechanisch-handwerklicher Arbeit.
Der Autor:
Frank Naumann
Orthovital GmbH
Magdeborner Straße 19
04416 Markkleeberg
naumann@ortho-vital.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
[1] Assoziation für orthopädische Rheumatologie (ARO) (Hrsg.). Rheumaorthopädie. Darmstadt: Steinkopff, 2005
[2] Koesling C, Bollinger Herzka T. Ergotherapie in Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie. Stuttgart: Thieme, 2008
[3] Miehle W. Rheumatologie in Praxis und Klinik. Stuttgart: Thieme, 2000
[4] Schröder B. Handtherapie. Stuttgart: Thieme, 2007
Naumann F. Alternative Materialien für die orthetische Versorgung. Orthopädie Technik, 2013; 64 (9): 60–63
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