OT: Wie kam es zur Gründung der Össur Academy DACH?
Till Blickwede: International setzt Össur schon sehr lange auf interne und externe Schulungsangebote, die durch die globale Össur Academy auch in Deutschland angeboten wurden. Dann bekamen wir Anfang 2017 nicht zuletzt aufgrund der großen Nachfrage aus dem Markt die tolle Möglichkeit eine Össur Academy für DACH aufzubauen. Wobei wir nicht bei Null anfangen mussten, da wir mit unserer bestehenden Abteilung Technischer Service bereits ein Team von erfahrenen Orthopädie-Technikern an Bord hatten, die Anwender und Techniker in technischen Fragen schon lange begleiteten. Diese Abteilung ist der Academy zugeordnet worden. Durch die Integration der Firma Touch Bionics im Jahr 2016 konnten wir deren Standort Heidelberg nutzen und ihn zum Össur-Academy-DACH-Standort für Schulungen und Seminare erweitern. Das Schulungsteam von Touch Bionics, bestehend aus Orthopädie-Technikern, Physio- und Ergotherapeuten wurde ebenfalls Bestandteil der Academy. Derzeit sind 14 Orthopädie-Techniker sowie Physio- und Ergotherapeuten für uns im Einsatz.
OT: Welche Schulungslücke wollen Sie mit der 2017 gegründeten Akademie schließen?
Blickwede: „Lücken“ sehen wir in Deutschland tatsächlich beim Anwendertraining in den Bereichen Prothetik obere und untere Extremität. In den meisten Krankenhäusern fehlt es an fachkundigem Personal zum Thema Prothetik. Wenn ein Orthopädie-Techniker in der Klinik mit dem frisch amputierten Patienten erste Geh- oder Greifversuche mit den von ihm angepassten Prothesen unternimmt, steht ihm zwar ein Physio- oder Ergotherapeut der Klinik zur Seite, ob er ihm aber auch fachlich eine Hilfe sein kann, ist keineswegs sicher. Deshalb ist es uns ein Anliegen, Orthopädie-Technikern zumindest die Grundlagen für die Bewegungsabläufe zu vermitteln. So kann vermieden werden, dass sich die Anwender fehlerhafte Bewegungsabläufe angewöhnen, die später nur sehr schwer wieder korrigiert werden können. Gleichzeitig wollen wir Physio- und Ergotherapeuten fit machen für die Zusammenarbeit mit Anwendern und Orthopädie-Technikern im Team. Anwender wiederum informieren sich heute viel mehr über den Nutzen von Produkten und sind sich stärker der Eigenverantwortung für ihren Körper bewusst. Beides sind gesellschaftliche Phänomene, die wir auch in anderen Segmenten und Ländern beobachten. Es ist dieses Zusammenspiel, das unsere Össur Academy DACH ausmacht: Orthopädie-Techniker, Physio- und Ergotherapeuten sowie Anwender lernen gemeinsam. In anderen Bereichen sehen wir unsere Schulungsangebote eher als Ergänzung zu bestehenden Programmen, Seminaren sowie spezielle Trainingseinheiten zu unseren Produkten.
Übrigens haben wir auch Össur ‑Akademien in weiteren Ländern bzw. Regionen gegründet, etwa in Frankreich, Großbritannien und Skandinavien.
OT: Welche Seminare und Workshops bieten Sie konkret für die einzelnen Zielgruppen an?
Blickwede: Für Orthopädie-Techniker bieten wir Zertifizierungen für alle bionischen Prothetik-Produkte der oberen und unteren Extremität an. Zum Beispiel für den im Januar neu eingeführten „ProPrio-Foot“ der neusten Generation, dem „RheoKnee“ oder „RheoKnee XC“ sowie zum „i‑limb quantum“ und „i‑digits quantum“. Generell können aber auch Seminare und Workshops besucht werden, in denen wir auf Schaftgestaltung, Biomechanik, Statik und nicht zuletzt auch das so wichtige Training der Anwender eingehen. Schließlich kann ein hochfunktionelles Produkt für Anwender nur seinen vollen Nutzen entfalten, wenn es dieser optimal nutzen kann. In vielen Seminaren und Zertifizierungen gehören Physio- bzw. Ergotherapeuten zum Referententeam. Gerade diese Kombination wird von den Zielgruppen auch sehr oft nachgefragt.
Ergänzt wird das Angebot für Orthopädie-Techniker durch individuell gestaltbare Produktseminare und Trainings sowie Weiterbildungen zu speziellen Themen.
Für Physio- und Ergotherapeuten bieten wir Trainings und Zertifizierungen getrennt nach Prothetik obere und untere Extremität an. In diesen vermitteln wir das notwendige Grundwissen über die Produkte, sind aber sehr praxisorientiert – das Training mit Anwendern vor Ort steht im Vordergrund, egal ob für junge Therapeuten am Anfang ihrer Tätigkeit oder als vertieftes Angebot für erfahrene Kollegen.
Für Anwender bieten wir spezielle Anwendertrainings, von der Gehschule für die untere Extremität bis hin zur Ergotherapie für Anwender mit „i‑limb“- oder „i‑digits“-Produkten.
OT: Ihre Werbeunterlagen für das Anwendertraining richten sich in der Ansprache direkt an die Anwender. Warum?
Blickwede: Natürlich setzen wir sehr stark auf unsere Partner in der Orthopädie-Technik und auch in der Physio- und Ergotherapie. Allerdings wenden sich Anwender in den letzten Jahren verstärkt direkt an uns, auch mit dem Wunsch, andere Anwender kennenzulernen, sich mit diesen zu vernetzen und sich – gerne auch mal „ohne Orthopädie-Techniker“ – unter Betroffenen auszutauschen. Deshalb sprechen wir inzwischen auch direkt Anwender an, zusätzlich zu unserer Kommunikation mit und über unsere Partner im Handel, Werkstatt und Praxis. Auf der OTWorld sieht man diesen Wandel in den letzten Jahren deutlich. Dieser Anwendercommunity, wir nennen sie die „Össurfamily“, möchten wir mit Anwendertagen zu verschiedenen Themen – von Kochkurs bis zur Gehschule – die Möglichkeit geben, sich auszutauschen.
Selbstverständlich sind Orthopädie-Techniker bei unseren Gehschultrainings für Anwender immer willkommen. Wir wissen sehr wohl, dass ein eintägiges Training nur wenig therapeutischen Erfolg bringen kann, da es um die Änderungen von Bewegungsmustern geht. Durch das Involvieren aller Beteiligten können wir sicherstellen, dass zwischen Anwendern und Orthopädie-Technikern die Thematik des Gehschultrainings noch bewusster wird und sich im besten Fall beide weiterbilden und gegenseitig „coachen“. So ist das Training nachhaltig.
Die meisten Anwendertrainings – was unsere Kunden zu schätzen wissen – finden aber nach wie vor vor Ort im Sanitätshaus, statt. Hierzu zählen Veranstaltungen wie die Bionic-Days oder Gehschulen sowie „Aktiv mit Prothese“-Events.
OT: Wie sieht Ihre Bilanz nach den ersten beiden Jahren aus?
Blickwede: Wir sehen, dass die Angebote unserer Össur Academy DACH bisher sehr gut angenommen werden und wollen diese in der nächsten Zeit weiter ausbauen.
Wir wollen den Anwendern gemäß unserer aktuellen Kampagne „#lifewithoutlimitations“ auch weiterhin ein Leben ohne Einschränkungen ermöglichen und gemeinsam mit dem interdisziplinären Team bestmögliche Versorgungsergebnisse erzielen.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
- Das Handwerk trauert um Werner Dierolf — 28. September 2024
- Die OTWorld und das große Rauschen — 16. Mai 2024
- OT an die Welt – Die OTWorld 2024 ist in Leipzig gelandet — 14. Mai 2024