OT: Herr Sigmund, was hat Sie seinerzeit dazu bewogen, eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker und Bandagisten zu absolvieren?
Axel Sigmund: Für mich stand fest, dass ich eine handwerkliche Arbeit ergreifen wollte. Bei der Orthopädie-Technik kamen noch Vielseitigkeit und die medizinische Komponente hinzu. Nach meiner Ausbildung habe ich fünf Jahrein Vollzeit in dem Beruf gearbeitet, ehe ich mich auf der Suche nach dem nächsten Schritt bei der Wahl zwischen Meister und Studium für das Studium entschieden habe.
OT: Welches handwerkliche Know-how war für Sie während Ihres Studiums des Mediziningenieurswesens von Nutzen?
Sigmund: In erster Linie waren sicherlich die Werkstoffgrundlagen und das medizinische Wissen eine gute Ausgangslage. Das Studium sollte mich für eine Stelle im Medizintechnikbereich eines Herstellers vorbereiten. Allerdings führte mich mein Werdegang dann zu einem Projektträger in Berlin. Im Auftrag von Bundesministerien, darunter Bildung und Forschung, Wirtschaft und Gesundheit, werden dort das Potential von Förderanträgen aus dem Forschungsbereich bewertet und Forschungsprojekte begleitet. Zu meinen Schwerpunkten gehörten die Felder Medizintechnik, AAL, Pflegetechnologie und körpernahe Sensorik. Parallel zum Studium unterrichtete ich in Hamburg Meister-Kurs ein den Fächern Fachmathematik und Werkstoffkunde.
OT: Wie nehmen Sie im Zuge Ihrer beruflichen Aufgaben den technologischen Fortschritt im Handwerk wahr?
Sigmund: So viel hat sich zunächst nicht verändert. Okay, es gibt inzwischen keine Prothesen aus Holz mehr. Aber die großen Innovationen erobern aktuell erst den Markt. Seit gut sechs bis acht Jahren werden neue Technologien in der Orthopädie-Technik sichtbarer. Eine Verfahrenstechnik wie die Additive Fertigung oder das computergestützte Fräsen etablieren sich verstärkt in den Werkstätten. In Bauteile wird immer mehr Elektronik integriert.
OT: Zu Ihren Aufgaben beim BIV-OT gehört die Unterstützung bei der Konzeption von Aus- und Fortbildungsverordnungen. Inwieweit wandelt sich das Handwerk im Zuge der Digitalisierung?
Sigmund: So wie sich die Welt der Orthopädie-Technik verändert, so muss auch die Aus- und Fortbildung stetig angepasst werden. Neue Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck,bzw. die computergestützte Modellierung werden im Ausbildungssystem eine größere Rolle spielen müssen.
OT: Wie können und müssen sich der Bundesinnungsverband,die Innungen und Landesinnungen zur Unterstützung ihrer Mitgliedsbetriebe für die Digitalisierung – Stichwort „Arbeitsplatz 4.0“ fit machen?
Sigmund: Eines vorweg: Die Digitalisierung ist kein Allheilmittel! Es gilt genau abzuwägen, wo die Umstellung auf digitale Prozesse zielführend ist. Gerade in einem Beruf wie dem des Orthopädie-Technikers. Nach meiner Überzeugung,und hier spreche ich auch für den BIV-OT, muss bei der Versorgung von Patienten auch in Zukunft der Mensch immer im Vordergrund stehen. Die Digitalisierung ist als Unterstützung zur Verbesserung von Prozessabläufen und der Produktqualität im Sinne einer optimalen Therapie zu verstehen. Seitens der Verbände gilt es, den Betrieben Orientierungshilfen zu geben, in welchen Bereichen der Einsatz digitaler Technologien die Arbeitsprozesse optimieren kann. So stellt der 3D-Scan in einigen Bereichen eine sinnvolle Alternative zum insbesondere den Patientenbelastenden Gipsabdruck dar.
OT: Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) muss ab Mai 2020 verbindlich angewendet werden. Welche Auswirkunghat die Verordnung auf das OT-Handwerk?
Sigmund: Dieser Frage geht seit 2018 auf Initiative des Bundesinnungsverbandeseine Arbeitsgruppe in der DGIHV (Deutsche Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung,Anm. d. Red.) nach, der ich gemeinsam mit Geschäftsführer Georg Blome und Helmut Martus, Leitung Wirtschaft & Verträge, im Namen des BIV-OT angehöre. In diesem Gremium wird im Moment u. a. anhand der PG 24 im Hilfsmittelverzeichnis ein Verfahren für Klinischen Bewertungen unter den Maßgaben der MDR exemplarisch erarbeitet. Zu meinen Aufgaben in der Arbeitsgruppe gehört hauptsächlich die inhaltliche Arbeit, aber auch die Abstimmung zwischen den in der Arbeitsgruppe beteiligten Verbänden und der Politik. Der Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte (NAKI), der sich aus Vertretern aus verschiedenen Bundesministerien, weiteren Behörden sowie Verbänden aus dem Gesundheitswesen zusammensetzt,ist aktuell damit beschäftigt, die komplexen Aspekte der MDR umfassend zu bewerten.
OT: Zu Ihren weiteren Aufgaben im BIV-OT gehört die Analyse von Förderungs-und Entwicklungspotenzialen zukunftsweisender Versorgungsprozesse im Handwerk. Wo setzt ihre Arbeit an?
Sigmund: Ich analysiere die derzeitige Förderungslandschaft und bewerte sie dahingehend, in wieweit Bekanntmachungen und Förderangebote für das OT-Handwerk relevant sind und ob es Ideen und Möglichkeiten für den BIV-OT oder seine Mitglieder gibt, sich daran zu beteiligen
OT: Angenommen, Sie kehren für einen Tag als Orthopädie-Techniker in die Werkstatt zurück – welche Versorgung würden Sie am liebsten durchführen?
Sigmund: Für mich war und ist die Versorgung von brandverletzten Kindern immer noch eine sehr herausfordernde Versorgung. Einerseits müssen Kompressionsprodukte und verschiedenste Orthesen unter medizinischen und handwerklichen Aspekten kombiniert werden. Andererseits spielt hier der individuelle psychologische Aspekt, wieso oft in unserem Beruf, eine sehr große Bedeutung.
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