„Ghos­ting“ im Hand­werk – wenn der Azu­bi nicht erscheint

„Ghosting“ bezeichnet in der Arbeitswelt das Phänomen, wenn junge Leute zum Ausbildungsstart nicht erscheinen. Dr. Andrea Greilinger vom Ludwig-Fröhler-Institut München hat das Thema im Rahmen einer Studie genauer erforscht.

Es ist der 1. Sep­tem­ber. Aus­bil­dungs­start für vie­le jun­ge Men­schen im Hand­werk. Der Betrieb hat sich vor­be­rei­tet, pas­sen­de Arbeits­klei­dung bestellt, einen Plan auf­ge­stellt, wie der neue Mit­ar­bei­ten­de den Betrieb und die Kolleg:innen ken­nen­lernt und den Trans­fer zwi­schen Schu­le und Beruf meis­tert. Doch immer mehr Arbeit­geber war­ten ver­geb­lich. Kein Anruf, kei­ne Nach­richt, kei­ne Absa­ge. Die­ses Phä­no­men heißt unter Fach­leu­ten „Ghos­ting“ und sorgt für alles ande­re als Begeis­te­rung bei Arbeit­ge­bern. Auch in ande­ren Lebens­be­rei­chen ist die Exis­tenz die­ses Ver­hal­tens doku­men­tiert. Beim Bezie­hungs­auf­bau zwi­schen jun­gen Men­schen ist es fast schon gän­gi­ge ­Pra­xis, das unan­ge­neh­me Gespräch zu ver­mei­den und ein­fach den Kon­takt abzu­bre­chen. Die Über­tra­gung in die ­Berufs­welt ist da fast schon eine logi­sche Konsequenz.

Dr. Andrea Grei­lin­ger vom Lud­wig-Fröh­ler-Insti­tut Mün­chen und Prof. Dr. Tho­mas Zwick, Inha­ber des Lehr­stuhls für Per­so­nal und Orga­ni­sa­ti­on an der Juli­us-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Würz­burg, haben sich in einer For­schungs­ar­beit mit dem Ghos­ting beschäf­tigt. „Es war ein blin­der Fleck in der Sta­tis­tik“, erklärt Grei­lin­ger die Moti­va­ti­on für die­se Stu­die. Denn: In die Sta­tis­tik über den Abbruch von Aus­bil­dun­gen des Bun­des­in­sti­tuts für Berufs­bil­dung (BiBB) flie­ßen nur die Fäl­le ein, in denen die Aus­bil­dung auch tat­säch­lich ange­tre­ten wur­de. Im Fal­le des Ghos­tings schlie­ßen aber Bewerber:innen mit Betrie­ben einen gül­ti­gen Aus­bil­dungs­ver­trag, haben also auch das Aus­wahl­ver­fah­ren durch­lau­fen, und tre­ten dann ohne eine Absa­ge die Stel­le nicht an. Ein Abbruch vor dem Start sozusagen.

Die­ses Ver­hal­ten ist in Deutsch­land – in dem Umfang – rela­tiv neu, vor allem aber in den USA ist Ghos­ting fast schon üblich. Jeder fünf­te geschlos­se­ne Arbeits­ver­trag in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten wird mit einem Nicht-Auf­tau­chen des Arbeit­neh­mers zum Start der Tätig­keit been­det. Fast jedes Unter­neh­men und auch eine Viel­zahl der Arbeitnehmer:innen waren des­halb schon ein­mal in so einen Fall invol­viert. Eine Stu­die der Job­bör­se Inde­ed aus dem Jahr 2020 belegt dies auch mit wei­te­ren Zah­len: So wur­den mehr als zwei Drit­tel der befrag­ten Unter­neh­men in den zwölf Mona­ten vor der Befra­gung von einem Job­suchenden geghostet.

3 von 100 Aus­zu­bil­den­den erschei­nen nicht

Grei­lin­ger und Zwick haben also nach einer Mög­lich­keit gesucht, wie sie die­se Fäl­le des Ghos­tings im deut­schen Hand­werk sicht­bar machen kön­nen. Dafür haben sie eine umfang­rei­che Daten­ana­ly­se betrie­ben, denn die nöti­gen Zah­len schlum­mer­ten bei den Hand­werks­kam­mern bereits. Die Wis­sen­schaft­ler unter­such­ten die Lehr­lings­rol­len und fan­den dabei die Fäl­le, bei denen die Betrie­be bereits die Aus­zu­bil­den­den bei der jewei­li­gen Kam­mer ange­mel­det haben, wel­che dann aber nicht den Dienst antra­ten. Da die Betrie­be eini­ge Daten wie Alter, Geschlecht, Schul­ab­schluss oder Natio­na­li­tät der Aus­zu­bil­den­den in der Rol­le hin­ter­leg­ten, konn­ten Grei­lin­ger und Zwick aus die­sen Daten noch eini­ge wei­te­re Erkennt­nis­se ablei­ten. So fan­den die Forscher:innen her­aus, dass älte­re Bewerber:innen grund­sätz­lich eher zum Ghos­ting nei­gen als jun­ge Aus­zu­bil­den­de. Die Daten erga­ben auch, dass mehr Frau­en als Män­ner nicht erschei­nen. Wei­te­re Fak­to­ren, die die Chan­cen auf ein Ghos­ting beein­flus­sen, sind die Natio­na­li­tät und Schul­bil­dung. Ins­ge­samt ergab die Aus­wer­tung der Zah­len der Hand­werks­kam­mer Pfalz, das zwi­schen zwei und drei Pro­zent aller Aus­zu­bil­den­den nicht zum Aus­bil­dungs­start erschei­nen. Die­se Quo­te wur­de Grei­lin­ger auch von ande­ren Hand­werks­kam­mern bestätigt.

Mitt­le­re Betrie­be blei­ben meist verschont

Die Forscher:innen nah­men aber nicht nur die Aus­zu­bil­den­den unter die Lupe, son­dern klas­si­fi­zier­ten auch die betrof­fe­nen Betrie­be und Bran­chen. Dabei kam her­aus, dass sowohl klei­ne­re Betrie­be mit bis zu neun Mit­ar­bei­ten­den und grö­ße­re Betrie­be mit mehr als 50 Mit­ar­bei­ten­den am häu­figs­ten vom Ghos­ting betrof­fen sind. Über die Grün­de lässt sich nur spe­ku­lie­ren. Das For­schungs­duo ver­mu­tet, dass klei­ne­re Betrie­be für Aus­zu­bil­den­de unat­trak­tiv sind, weil dort viel­leicht die Arbeits­be­din­gun­gen nicht so gut erschei­nen wie in grö­ße­ren Unter­neh­men. Außer­dem kön­nen Gehalt und Auf­ga­ben eine Rol­le spie­len. Grö­ße­re Unter­neh­men wer­den dage­gen eher geg­hos­tet, weil die Bewerber:innen anneh­men, dass sich sowie­so schon genug Kandidat:innen auf die Stel­le bewor­ben haben und des­halb kei­ne Rück­mel­dung nötig ist.

Eine inter­es­san­te Beob­ach­tung, die Dr. Andrea Grei­lin­ger über­rasch­te, ist, dass Betrie­be in den soge­nann­ten Man­gel­be­ru­fen – zu denen auch die Ortho­pä­die-Tech­nik-Bran­che gehört – eher vom Ghos­ting ver­schont blei­ben. Auch hier ist über die Grün­de nichts Kon­kre­tes bekannt, die Ver­mu­tung liegt aber nahe, dass sich Bewerber:innen in Nischen-Beru­fen im Vor­feld inten­si­ver mit der Bran­che, dem Arbeit­ge­ber und den Auf­ga­ben aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Sobald die Ent­schei­dung für einen Beruf in die­sem Bereich gefal­len ist, bleibt es mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit auch dabei.

Zwei­te Stu­die soll Grün­de für das Ghos­ting liefern

Nach­dem die Aus­wer­tung der gesam­mel­ten Daten im Rah­men der Stu­die eini­ge inter­es­san­te Aus­sa­gen zu Tage för­der­te, ent­schied sich Grei­lin­ger, noch tie­fer in die Mate­rie ein­zu­drin­gen. Denn: Bis­her waren es vor allem Ver­mu­tun­gen über die Moti­ve des Ghos­tings. In einer Fol­ge­stu­die, die Grei­lin­ger zusam­men mit Kat­ja Gra­ser, Stu­die­ren­de im Mas­ter Wirt­schafts­päd­ago­gik an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Mün­chen, durch­führ­te, ging es dar­um, die Hin­ter­grün­de für das Ghos­ting her­aus­zu­fin­den. In Form von Inter­views – also ein qua­li­ta­ti­ver For­schungs­an­satz statt eines quan­ti­ta­ti­ven, wie in der ers­ten Stu­die – soll­ten Aus­zu­bil­den­de, die ihren mög­li­chen Arbeit­ge­ber geg­hos­tet haben, nach ihren Beweg­grün­den befragt wer­den. „Das war natür­lich alles ande­re als ein­fach“, erklär­te Grei­lin­ger. Das Haupt­pro­blem lag dar­in, dass sich nur weni­ge Stu­di­en­teil­neh­men­de fin­den lie­ßen – ins­ge­samt waren es ledig­lich fünf. „Wer einen Aus­bil­dungs­ver­trag unter­schreibt und anschlie­ßend ohne eine Absa­ge nicht zum ver­ein­bar­ten Ter­min auf­taucht, der ist auch nicht so ein­fach für eine Stu­die zu gewin­nen“, so Grei­lin­ger wei­ter. Man­che wür­den sich dafür schä­men, dass sie ein­fach ohne abzu­sa­gen nicht auf­ge­taucht sind, ande­re wol­len grund­sätz­lich nicht dar­über reden. Die Befrag­ten, die sich zur Teil­nah­me ent­schlos­sen, ermög­lich­ten aller­dings tie­fe Ein­bli­cke in den Pro­zess des Ghos­tings. Zum Bei­spiel unter­schrie­ben eini­ge von ­ihnen den Aus­bil­dungs­ver­trag, obwohl sie par­al­lel noch mit einem ande­ren Arbeit­ge­ber oder für einen ande­ren Beruf in Bewer­bungs­ge­sprä­chen waren. Aber haben ist bes­ser als brau­chen – und nach die­sem Grund­satz sicher­ten sich die Per­so­nen zunächst einen Aus­bil­dungs­platz, in der Hoff­nung, eigent­lich woan­ders unter­zu­kom­men. Außer­dem fehl­te den Jugend­li­chen nach dem Bewer­bungs­pro­zess die Bin­dung zu dem Unter­neh­men, was es ein­fa­cher mach­te, sich nicht zu melden.

Maß­nah­men ergrei­fen: Frü­her onboar­den, mehr Gehalt

Was sind also die Leh­ren aus den Stu­di­en? Die ers­te liegt auf der Hand. „Einer­seits kann eine über­durch­schnitt­li­che Ver­gü­tung dazu füh­ren, dass man das Risi­ko von Ghos­ting mini­miert“, so Grei­lin­ger. Die Aus­sicht auf ein über­durch­schnitt­li­ches Gehalt und die damit ver­bun­de­nen Mög­lich­kei­ten, auch die eige­ne Frei­zeit und Zukunft zu gestal­ten, sor­gen dafür, dass die jun­gen Men­schen ziem­lich sicher den Arbeits­platz antre­ten. Was aber tun, wenn mehr Gehalt nicht mög­lich oder auch nicht gewünscht ist? Im Bereich der Ortho­pä­die-Tech­nik wird der Markt durch Ver­trä­ge mit den Kran­ken­kas­sen größ­ten­teils gere­gelt – Spiel­räu­me wer­den da häu­fig ver­geb­lich gesucht. Auch ein eta­blier­tes Gehalts­ge­fü­ge zu zer­stö­ren, um einen Aus­zu­bil­den­den für sich zu gewin­nen, ist lang­fris­tig kein Erfolgs­mo­dell. Grei­lin­ger rät den Betrie­ben statt­des­sen, schon vor dem Aus­bil­dungs­start die Aus­zu­bil­den­den an sich zu bin­den. „Das kann man zum Bei­spiel mit einem Onboar­ding vor dem eigent­li­chen Beschäf­ti­gungs­be­ginn errei­chen“, erklärt Grei­lin­ger. Wer in den Mona­ten nach dem Bewer­bungs­pro­zess den Kon­takt auf­recht erhält, die Aus­zu­bil­den­den viel­leicht auch regel­mä­ßig in den Betrieb ein­lädt, der ist vor bösen Über­ra­schun­gen zum Aus­bil­dungs­start wahr­schein­lich geschützt.

Neu­es Phä­no­men oder bekann­tes Problem?

„Ghos­ting ist kein neu­es Phä­no­men“, zu die­sem Fazit kommt Dr. Andrea Grei­lin­ger. War­um? Auch wenn es sta­tis­tisch ein blin­der Fleck war, so ist der Abbruch zu Beginn einer Aus­bil­dung genau das: ein Abbruch. „Die Wahr­schein­lich­keit, dass der Aus­zu­bil­den­de im Lau­fe sei­ner Aus­bil­dung sowie­so vor­zei­tig abge­bro­chen hät­te, ist sehr hoch. Es ist eigent­lich nur eine zeit­li­che Ver­schie­bung an den Anfang“, erklärt Grei­lin­ger. Dies sorgt den­noch für Frust bei den Per­so­nal­ver­ant­wort­li­chen in den Betrie­ben. Grei­lin­ger wirbt aber dafür, sich durch Ghos­ting-Fäl­le nicht vom Aus­bil­den abhal­ten zu las­sen. Denn trotz des ­Ärgers über die ver­ta­ne Chan­ce sei es unbe­dingt wich­tig, wei­ter­hin Handwerker:innen aus­zu­bil­den, um dem Fach­kräf­te­man­gel zu begegnen.

 

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