Am 6. März fand dazu in der Orthopädischen Uniklinik Heidelberg ein hochkarätig besetzter Workshop mit den Protagonisten und beteiligten Verbundpartnern aus in Baden-Württemberg ansässigen OT-Betrieben und weiteren nationalen Interessierten statt. Im Rahmen des protokollarischen Auftakts und im Anschluss an die Begrüßung der Teilnehmer:innen durch den ärztlichen Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, betonte Gastgeber Prof. Dr. Sebastian Wolf, dass das Ziel des vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekts nicht explizit ein Prothesen‑, sondern viel mehr ein Patientenregister sei. Details dazu sollten im Verlauf des Tages folgen. Dr. med. Urs Schneider vom Fraunhofer IPA zeigte sich sowohl von der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe als auch von der professionsübergreifenden Expertise der Workshop-Teilnehmer:innen angetan.
Handwerk und Hochschule
In Deutschland sei die Versorgung von Menschen mit einer Amputation noch handwerklich geprägt, international dagegen sehr akademisiert, stellte Merkur Alimusaj, Leiter der Technischen Orthopädie am Heidelberger Uniklinikum heraus, und bemerkte in Richtung Auditorium gerichtet: „Wir brauchen beides!“ Dieter Jüptner, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes für Menschen mit Arm- oder Beinamputation, begrüßt als Interessenvertreter von Betroffenen das auf den Weg gebrachte „AMP-Register“. Als Referatsleiterin im Landesgesundheitsministerium hat Dr. Annette Heckmann zwar ein großes Augenmerk auf die Datensicherheit, unterstützt aber gleichermaßen das vorgestellte Pilotprojekt: „Der Datenschutz ist nicht der Feind der Forschung.“ Eine ähnliche Haltung vertrat auch Maximilian Funke-Kaiser, MdB und Digitalpolitischer Sprecher der FDP und stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. Die Etablierung der elektronischen Patientenakte („ePA“) böte seines Erachtens eine Reihe von Potenzialen in der Gesundheitsversorgung, wie etwa die Auswertung von Daten aus Wearable-Trackern. Bei aller angemessenen Bedeutung von Datensicherheit und Datenschutz sei für eine erfolgreiche Digitalisierung von Gesundheitsdaten die Nutzerfreundlichkeit nicht zu vernachlässigen. BIV-OT-Präsident Alf Reuter begrüßt seinerseits im Namen des Bundesinnungsverbands die laufenden Anstrengungen zur Förderung einer evidenzbasierten Versorgung und animierte in seinem Grußwort die Projektverantwortlichen dazu, noch weiter zu denken: „Gehen Sie aus der Registererstellung den Schritt in die Registerforschung.“
Pilotprojekt
Nach den morgendlichen Impuls-Beiträgen leitete der Workshop zum konkreten Pilot-Projekt über, das Merkur Alimusaj und Julia Block (ebenfalls Universitätsklinik Heidelberg) sowie Duc Nguyen (Fraunhofer IPA) in jeweils eigenen Vorträgen präsentierten. Merkur Alimusaj verwies auf das hohe Maß an Individualität in der Patientenversorgung und sieht vor dem Hintergrund der interdisziplinären Zielsetzung die klinischen Anamnesebögen als geeigneten Ausgangspunkt für die Entwicklung von Erhebungsbögen von Prothesenträger:innen: „Ein Amputationsregister schafft eine fundierte Datengrundlage für die internen Prozess- und Versorgungsplanungen und weiterführenden Schnittstellenanalysen.“ Eine standardisierte Form der Datenerfassung erleichtere nicht nur die Zusammenarbeit im Versorgungsteam, sondern auch die Kommunikation mit Politik, Verbänden und Kostenträgern, so Alimusaj weiter. Anschließend gab Julia Block einen spannenden Einblick in die bisher gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse. Zu den gesammelten Informationen gehören u. a. Angaben zur Mobilität und Aktivität, die Rückschlüsse auf die Compliance und Bewegungspotenziale zuließen, aber auch eine Abfrage der Zufriedenheit mit der eigenen Prothese und dem eigenen Schaft. Der Mehrwert eines Amputationsregisters für Sanitätshäuser liegt laut Duc Nguyen auf der Hand. Eine einheitliche Erhebung versorgungsrelevanter Daten führe nicht nur zu einer Klinischen Bewertung, sondern ebenso zu einer Übersicht aller behandelter Patient:innen und deren individueller Langzeitverläufe.
Ob die gewünschten Daten bereits in den Kliniken systematisch erfasst werden oder erst in den Sanitätshäusern, war einer der Diskussionspunkte im Rahmen des Heidelberger Workshops. Die anwesenden Expert:innen waren am Nachmittag eingeladen, in der gemeinsamen Interaktion ihre Ansichten zu spezifischen Fragestellungen einfließen zu lassen. Als inspirierender Impuls dafür diente der hochkarätige Gastbeitrag von Prof. Kenton Kaufman. Dieser gilt als Pionier und Mitinitiator des US-amerikanischen Amputationsregisters, das aktuell Daten von rund 44.000 Patient:innen enthält. Zu dessen Realisierung trügen Patient:innen, Krankenhäuser, Kliniker:innen, Kostenträger, Hersteller und Regierungsstellen gleichermaßen bei. Zu den wichtigsten erfassten Angaben zählt Kaufman etwa Informationen zu Komorbiditäten, Amputationshöhen aber auch das Alter des oder der Patient:in. Im Ergebnis erwartet er einen Erkenntnisgewinn für künftige Operationen, den Rehabilitationsprozess, die Prothesenversorgung sowie eine effizientere Kostenstruktur. An das Publikum gerichtet, forderte er dazu auf: „Nutzen Sie die Daten zur Abwägung der Versorgungsoptionen und für realistische Zielsetzungen.“ Zur Abrundung seines Vortrags ging Prof. Kaufman schließlich noch auf das Thema Datenmanagement ein, mit dem wichtigen Hinweis, dass in den Vereinigten Staaten kein am Prozess beteiligter Akteur Zugriff auf die gesamten Informationen zu einer individuellen Person habe.
Erweiterungen möglich
Zum Ende der Veranstaltung in Heidelberg bekamen die Teilnehmer:innen noch in zwei Vorträge Anwendungsfelder aufgezeigt, die das derzeitige Konzept des Registers am Beispiel der Beinamputation noch erweitern könnten. OSM Jürgen Stumpf schlug zunächst die Brücke zur Schuhversorgung, wo z. B. der OST-Beratungsausschuss in der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) einen standardisierten Verordnungsbogen zur Einlagenversorgung erarbeitet hat, der als Erfahrungs- und Ideengeber zu Rate gezogen werden könne. Neutralität, Digitalisierung und eine gesicherte Finanzierung seien nach Ansicht von Stumpf elementare Grundpfeiler für ein erfolgreiches Rollout des Register-Projekts. Dr. med. Jennifer Ernst brachte die Vision einer Registererweiterung im Kontext der Osseointegration ins Spiel. Die Leiterin für Innovative Amputationsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover verspricht sich von einer umfangreicheren und qualitativ besseren Datenlage etwa einen Mehrwert für die Entscheidung zur individuell geeigneten Prothesenversorgung im Anschluss an eine Amputation. Ihres Erachtens sind u. a. die 2021 von der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO) definierten und veröffentlichten Versorgungsziele im Bereich der Prothetik der unteren Extremität als vorbildlich für die Etablierung eines Registers in diesem Bereich zu sehen. Der Workshop in Heidelberg hat gezeigt, dass der Pfad zur Erstellung eines Amputationsregisters in Deutschland bereits eingeschlagen ist, es aber noch ein beachtlicher und auch in vielfältiger Weise anspruchsvoller Weg zur Realisierung sein wird. Hier sind nicht zuletzt auch die OT und die OST-Betriebe gefragt, ihr Know-how einzubringen und sich ihrer künftige Rolle im Prozessmanagement bewusst zu machen.
Michael Blatt