Kom­ple­xe Extremitätenre­konstruktion mit fabri­zier­ten Chimärenlappen

G. A. Giessler, H. Engel
Die plastisch-chirurgische Rekonstruktion der Extremitäten basiert seit Langem auf der Verwendung freier mikrovaskulär transplantierter Gewebe. Die Planung der Integument- und Skelettrekonstruktion berücksichtigt sowohl die Prinzipien der eskalierenden Komplexität als auch interdisziplinäre Techniken. In Einzelfällen reichen allerdings einzelne Lappen nicht aus: Mehrere Gewebearten müssen transplantiert oder sehr große Wunden gedeckt werden. Hier hat sich die Verwendung modul­artig mikrovaskulär zusammengesetzter Lappensysteme, sogenannter fabrizierter Chimärenlappen, bewährt. Bei hoher mikrochirurgischer Routine und vorausschauender Planung können damit auch die schwierigsten Anforderungen der Rekonstruktion der oberen und unteren Extremität erfolgreich bewältigt werden.

Ein­lei­tung

Aus­ge­dehn­te Defek­te der Extre­mi­tä­ten nach schwe­ren mecha­ni­schen oder ther­mi­schen Trau­ma­ta und nach Tumor­re­sek­tio­nen wer­den heu­te meist in einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Ansatz gelöst, um eine idea­le, für den Pati­en­ten maß­ge­schnei­der­te Rekon­struk­ti­ons­lö­sung anbie­ten zu kön­nen. Früh­zei­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on, gemein­sa­me Pla­nung und das Wis­sen um die Mög­lich­kei­ten und Limi­ta­tio­nen der ver­schie­de­nen Ver­fah­ren der betei­lig­ten Dis­zi­pli­nen sind dabei Voraussetzung.

Eine gro­ße Zahl der Defek­te bedarf eines frei­en mikro­vas­ku­lä­ren Gewe­be­trans­fers, da mit orts­stän­di­gem Gewe­be oder avas­ku­lä­ren Trans­plan­ta­ten (z. B. Spalt­haut) kei­ne oder nur eine unbe­frie­di­gen­de Lösung zu erzie­len ist. Die Grund­prin­zi­pi­en der eska­lie­ren­den Kom­ple­xi­tät (soge­nann­te rekon­struktive Lei­ter 1) füh­ren somit auto­ma­tisch zu Ver­fah­ren, bei denen meh­re­re Gewe­be­ar­ten in zusam­men­hän­gen­der Form (Com­pound-Lap­pen­plas­ti­ken) oder an ver­schie­de­nen Gefäß­stie­len (Chi­mä­ren­lap­pen­plas­ti­ken 2) trans­plan­tiert wer­den. Oft kann man mit die­sen Trans­plan­ta­ten aus den drei klas­si­schen Ent­nah­me­re­gio­nen (Tab. 1) die rekon­struk­ti­ven Pro­ble­me suf­fi­zi­ent lösen 3 4 5.

In beson­de­ren Fäl­len sind die rekon­struk­ti­ven Anfor­de­run­gen jedoch so hoch, dass sich die mikro­chir­ur­gi­sche Kon­struk­ti­on pri­mär nicht zusam­men­hän­gen­der Gewe­be­tei­le anbie­tet. Die­se soge­nann­ten fabri­zier­ten Chi­mä­ren­lap­pen haben in fol­gen­den Fäl­len Vorteile:

  1. wenn die ein­zel­nen Gewe­be­ar­ten inner­halb eines vas­ku­lä­ren Strom­ge­bie­tes nicht opti­mal zur Defekt­geo­me­trie und ‑grö­ße passen,
  2. wenn der Defekt extrem groß ist,
  3. wenn eine Knapp­heit vor­han­de­ner oder prä­pa­rier­ba­rer Anschluss­ge­fä­ße vorliegt,
  4. wenn es Pro­ble­me beim Hebe­stel­len­ver­schluss geben könn­te, sofern alle Kom­po­nen­ten aus einer Regi­on (s. Tab. 1) ent­nom­men werden,
  5. wenn eine sekun­dä­re wei­te­re Lap­pen­trans­plan­ta­ti­on extrem schwie­rig oder unmög­lich ist oder
  6. wenn die Ein­zel­kom­po­nen­ten mög­lichst unab­hän­gig plat­ziert wer­den müs­sen 6.

Im Fol­gen­den wer­den vier Fall­bei­spie­le zur Illus­tra­ti­on die­ser kli­ni­schen Stra­te­gie zur indi­vi­dua­li­sier­ten Defekt­re­kon­struk­ti­on dar­ge­stellt und die Erfah­run­gen der Ver­fas­ser diskutiert.

Fall 1

Nach einem kind­li­chen Trau­ma ent­wi­ckel­te ein 36-jäh­ri­ger Mann eine chro­ni­sche Tibi­a­schaft­os­tei­tis mit gro­ßer Defekt­wun­de. Die Sanie­rung der ­Sta­phy­lo­coc­cus-aureus-posi­ti­ven Oste­itis erfolg­te durch unfall­chir­ur­gi­sche seri­el­le Debri­de­ments der Kno­chen und Weich­tei­le (Abb. 1a) und durch loka­le und sys­te­mi­sche Anti­bio­ti­ka­ga­be. Nach drei­fach nega­ti­ven Abstri­chen wur­den die durch die Mark­raum­aus­frä­sung ent­stan­de­nen Tibia­de­fek­te (Abb. 1b) mit einer an der A. tibia­lis pos­te­ri­or vas­ku­la­ri­sier­ten, seg­men­tier­ten Fibu­la (Abb. 1c) rekon­stru­iert. Um den Inte­gu­ment­de­fekt neben der Fibula­mo­ni­tor­insel und die frei­lie­gen­de Tibia kom­plet­tie­rend zu decken, wur­de an das dista­le Ende der A. fibu­la­ris des Kno­chen­trans­plan­tats ein frei­er M.-gracilis-Muskellappen ange­schlos­sen; die Fibu­la dien­te somit als Durch­fluss­lap­pen­plas­tik (Abb. 1d). Die Kno­chen­trans­plan­ta­te wur­den mit Ein­zel­schrau­ben­os­teo­syn­the­sen gesi­chert und zei­gen zehn Wochen post­ope­ra­tiv bereits Zei­chen einer knö­cher­nen Ein­hei­lung (Abb. 1e). Der Hei­lungs­ver­lauf der Inte­gu­ment­re­kon­struk­ti­on gestal­te­te sich eben­falls unauf­fäl­lig (Abb. 1f). Nach drei­mo­na­ti­ger Ent­las­tung an Unter­arm­geh­stüt­zen und sechs­mo­na­ti­ger Kom­pres­si­ons­strumpf­the­ra­pie geht der Pati­ent inzwi­schen voll­las­tig ohne Gehhilfen.

Fall 2

Ein 28-jäh­ri­ger Motor­rad­fah­rer kol­li­dier­te mit einem Pkw und erlitt eine Defekt­frak­tur der lin­ken pro­xi­ma­len Fibu­la und einen Ver­lust der late­ra­len Femur­kon­dyle inklu­si­ve des late­ra­len Band­ap­pa­ra­tes unter einem extrem gro­ßen Weich­teil­de­fekt (Abb. 2a u. b). Nach mul­ti­plen aus­wär­ti­gen Debri­de­ments wur­de nach Zuwei­sung ins eige­ne Haus inter­dis­zi­pli­när bespro­chen, die Extre­mi­tät mit einer Knie­gelenkprothese und einer plas­tisch-chir­ur­gi­schen Defekt­de­ckung zu erhal­ten. In einem ers­ten Schritt wur­de ein kon­tra­la­te­ra­ler Tensor-fasciae-latae-(TFL-) Lap­pen umschnit­ten („flap delay“), um ihn in sei­ner gesam­ten Län­ge vom Becken­kamm bis zum Knie heben zu kön­nen. Eine Woche spä­ter erfolg­te die Kon­struk­ti­on der fabri­zier­ten Chi­mär­lap­pen­plas­tik durch Hebung des oste­ofas­zio­ku­ta­nen TFL-Trans­plan­tats inklu­si­ve eines vas­ku­la­ri­sier­ten Becken­kamm­blocks und der mikro­vas­ku­lä­re Anschluss End-zu-End an den Ser­ra­tus­ab­gang der A. tho­ra­co­dor­sa­lis des rech­ten mus­ku­lo­ku­ta­nen M.-latissimus-dorsi-Lappens (Abb. 2c). Die­ses sehr gro­ße zwei­blätt­ri­ge Lap­pen­mo­dul wur­de anschlie­ßend End-zu-End an die Vasa gas­tro­c­ne­mia late­ra­lis anas­to­mo­siert und die vas­ku­la­ri­sier­ten Ein­zel­kom­po­nen­ten wie folgt ver­teilt: Der Becken­kamm­block fun­gier­te als late­ra­le Kon­dylen­aug­men­ta­ti­on, um den Sitz einer spä­te­ren Knie­en­do­pro­the­se zu opti­mie­ren; die Fas­zia lata wur­de zur Sta­bi­li­sie­rung von die­sem Block tran­sossär an die ver­blei­ben­de Fibu­la und das late­ra­le Tibia­mas­siv genäht (Abb. 2d). Die aus­ge­dehn­ten Lap­pen­plas­ti­ken dien­ten zum Defekt­ver­schluss, gemein­sam mit zusätz­li­chen Spalt­haut­trans­plan­ta­ten (Abb. 2e). Nach sechs­wö­chi­ger Abhei­lung im Fix­a­teur exter­ne erfolg­ten der Umschu­lungs­be­ginn und die Mobi­li­sa­ti­on an Unter­arm­geh­stüt­zen mit Fußsohlenteilkontakt.

Sechs Mona­te spä­ter konn­te bei soli­de ein­ge­heil­tem Kno­chen­block (Abb. 2f) eine teil­ge­kop­pel­te Knie­gelenkprothese implan­tiert wer­den, deren Bede­ckung in der Fol­ge durch die aus­rei­chend dimen­sio­nier­ten Lap­pen­plas­ti­ken unpro­ble­ma­tisch war (Abb. 2g u. h). Der Pati­ent erziel­te nach Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men eine voll­stän­di­ge Belas­tungs­fä­hig­keit bei frei­er Knie­ge­lenk­be­weg­lich­keit und soli­de ver­heil­tem Inte­gu­ment (Abb. 2i u. j).

Fall 3

Ein poly­trau­ma­ti­sier­ter Mann erlitt eine Ulna­frak­tur mit einem Kom­part­ment­syn­drom an sei­nem lin­ken Unter­arm. Auf­grund der lebens­be­droh­li­chen ande­ren Dia­gno­sen und daher sekun­där prio­ri­sier­ter Kom­part­ment­spal­tung ver­lor er suk­zes­si­ve sei­ne gesam­te Beu­ge­mus­ku­la­tur an die­ser Hand. Nach Sta­bi­li­sie­rung der Kli­nik des Pati­en­ten resul­tier­te schließ­lich ein aus­ge­dehn­ter uln­a­rer Weich­teil­de­fekt mit inzwi­schen osteo­syn­the­ti­sier­ter, jedoch frei­lie­gen­der Ulna und stark ver­narb­ten Weich­tei­len (Abb. 3a). Die Gefä­ße am Unter­arm waren tech­nisch nicht mehr prä­pa­rier­bar. Die­ses rekon­struk­ti­ve Pro­blem konn­te nicht mit einem ein­zel­nen Trans­plan­tat gelöst wer­den. Daher wur­de ein fabri­zier­ter Chi­mä­ren­lap­pen aus einem gro­ßen Ober­schen­kel­lap­pen (ALT-Lap­pen) und einem funk­tio­nel­len M.-gracilis-Lappen zusam­men­ge­setzt (Abb. 3b) und als Modul in der Ellen­beu­ge rea­nas­to­mo­siert. Der als Durch­fluss­lap­pen die­nen­de ALT-Lap­pen ver­schloss die Uln­ar­se­i­te des Unter­arms und bedeck­te den Kno­chen. Der an die Gefä­ße des M. rec­tus femo­ris der A. cir­cum­fle­xa femo­ris late­ra­lis anas­to­mo­sier­te mus­ku­lo­ku­ta­ne Gra­cil­is­lap­pen dage­gen wur­de in die Beu­ge­seh­nen der Fin­ger ein­ge­floch­ten und mit sei­nem moto­ri­schen Nerv an den noch prä­pa­rier­ba­ren moto­ri­schen Nerv der absen­ten M.-flexor-digitorum-profundus-Muskulatur (Abb. 3c, ellen­bo­gen­na­he blaue Mar­kie­rung) koap­tiert. Im Zeit­raum eines Drei­vier­tel­jah­res bes­ser­ten sich Kraft und Beweg­lich­keit der Fin­ger und des Dau­mens, sodass der Pati­ent einen kraft­vol­len Haken­griff aller Fin­ger ent­wi­ckeln konn­te (Abb. 3d). Inten­si­ve Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie sowie ange­pass­te dyna­mi­sche Beu­ge- und Streck­kor­rek­tur­schie­nen wur­den sta­tio­när begon­nen und ambu­lant fort­ge­führt. Ein vol­ler Faust­schluss war auf­grund der kom­ple­xen Vor­ge­schich­te und des kli­ni­schen Gesamt­bil­des aller­dings nicht mehr mög­lich. Das Ziel des funk­tio­nel­len Extre­mi­tä­ten­er­halts wur­de jedoch erreicht (Abb. 3e).

Fall 4

Ein 21-jäh­ri­ger Motor­rad­fah­rer erlitt eine kom­ple­xe dritt­gra­di­ge Unter­schen­kel­frak­tur mit einem 9 cm lan­gen pro­xi­ma­len Tibia­de­fekt und gro­ßer Inte­gu­ment­wun­de (Abb. 4a). Auf­grund mul­ti­pler Vor­ope­ra­tio­nen bis zur Keim­frei­heit nach stark ver­schmutz­ter Wun­de und der erheb­li­chen vas­ku­lä­ren Kom­pro­mit­tie­rung des Unter­schen­kels nach dem Unfall konn­te ein vas­ku­lä­rer Anschluss für die Defekt­deckung nur über eine intra­ope­ra­tiv ange­leg­te tem­po­rä­re AV-Schlin­ge an die Femo­ra­lis­ge­fä­ße im Adduk­to­ren­ka­nal erfol­gen (Abb. 4b). Nach Auf­tren­nen die­ser Schlin­ge in einen venö­sen und einen arte­ri­el­len Schen­kel konn­te ein late­ra­ler Ober­schen­kel­lap­pen („ante­ro­la­te­ral thigh“; ALT) mikro­vas­ku­lär ange­schlos­sen wer­den. An das dista­le Ende des R. des­cen­dens der A. cir­cum­fle­xa femo­ris late­ra­lis an ein ver­sor­gen­des Gefäß des ALT-Lap­pens wur­de eine seg­men­tier­te freie oste­ofas­zio­ku­ta­ne Fibu­la (Abb. 4c) ange­schlos­sen und im Dou­ble-Strut-Prin­zip in den knö­cher­nen Defekt ein­ge­setzt (Abb. 4d u. e). Eine Wund­hei­lungs­stö­rung im kra­nio­la­te­ra­len Bereich wur­de durch ein drit­tes frei­es Trans­plan­tat (Paras­ka­pu­lar­lap­pen) bedeckt (Abb. 4f u. g). Der Anschluss erfolg­te an die Pop­li­te­al­ge­fä­ße. Der nach­fol­gen­de Hei­lungs­ver­lauf war unge­stört. Eine indi­vi­dua­li­sier­te Kom­pres­si­ons­be­strump­fung fand für sechs Mona­te statt.

Dis­kus­si­on

Im Zuge einer indi­vi­dua­li­sier­ten Ex­tremitätenrekonstruktion ist auch die pri­mä­re Ver­wen­dung frei­er Lap­pen­plas­ti­ken indi­ziert, wenn dadurch Ope­ra­tio­nen ein­ge­spart wer­den kön­nen und ein für den Pati­en­ten opti­ma­les Ergeb­nis erzie­len wer­den kann. Da man die „ein­fa­che­ren“ Ope­ra­ti­ons­ver­fah­ren damit über­springt, spricht man in die­sen Fäl­len vom „rekon­struktiven Fahr­stuhl“ 7. Wer­den die Anfor­de­run­gen noch kom­ple­xer, kann man mit der beschrie­be­nen Tech­nik der Chi­mä­ren­lap­pen­fa­bri­ka­ti­on sogar die Ein­zel­kom­po­nen­ten der Trans­plan­ta­te aus­wäh­len. Die­se sehr spe­zi­el­le Stra­te­gie wird auch als „recon­s­truc­ti­ve rocket“ bezeich­net, weil damit für den Pati­en­ten gleich­sam sämt­li­che Regis­ter der moder­nen plas­ti­schen Chir­ur­gie gezo­gen wer­den und sogar pro­the­ti­sche Kom­po­nen­ten mit in die Lap­pen­plas­ti­ken ein­ge­baut wer­den kön­nen 8.

Die in der Ein­lei­tung und in Tabel­le  2 beschrie­be­nen Vor­tei­le die­ser Tech­nik sind aller­dings mit inhä­ren­ten Risi­ken ver­bun­den, die im Ein­zel­fall sorg­fäl­tig abge­wo­gen wer­den müssen:

  • Bei der Ent­nah­me der Trans­plan­ta­te an zwei oder mehr Stel­len am Kör­per sind eine Hebe­stel­len­mor­bi­di­tät und Nar­ben an die­sen Stel­len zu beden­ken. Oft jedoch ist der Hebe­stel­len­ver­schluss an sepa­ra­ten Regio­nen ein­fa­cher, als wenn an einer Regi­on eine sehr gro­ße Lap­pen­plas­tik ent­nom­men wer­den würde.
  • Die pri­mä­re Ope­ra­ti­on einer fabri­zier­ten Chi­mä­ren­lap­pen­plas­tik kann län­ger dau­ern, da zwei Hebe­stel­len vor­lie­gen und die Ein­zel­lap­pen mit­ein­an­der rea­nas­to­mo­siert wer­den müs­sen. Es ist jedoch auch mög­lich, dass dadurch letzt­end­lich Fol­ge­ope­ra­tio­nen ein­ge­spart wer­den. Zudem ist oft­mals die ein­zei­ti­ge Defekt­re­kon­struk­ti­on ein­fa­cher und siche­rer, als wenn z. B. unter einen bereits trans­plan­tier­ten Weich­teil­lap­pen spä­ter ein frei­es Kno­chen­trans­plan­tat gesetzt wer­den muss.
  • Es besteht das Risi­ko einer Ver­let­zung des Lap­pen­pe­di­kels des ers­ten Lap­pens, es lie­gen Ver­nar­bun­gen vor, oder eine zwei­te Empfängergefäß­region ist gar nicht mehr vor­han­den. In beeng­ten Ver­hält­nis­sen kann auch der häu­fi­ge Vor­teil der lan­gen Gefäß­stie­le zwi­schen den Lap­pen pro­ble­ma­tisch sein, da die­se kin­king- und tor­si­ons­frei „ver­legt“ wer­den müs­sen 6.

Die mikro­vas­ku­lä­re Ver­bin­dung der Chi­mä­ren­lap­pen­mo­du­le kann ent­we­der End-zu-End („sequen­ti­al“) oder End-zu-Seit („inter­nal“) erfol­gen 2. In bei­den Fäl­len besteht das Risi­ko einer throm­bo­ti­schen Kom­pli­ka­ti­on und damit eines Lap­pen­ver­lus­tes: bei den sequen­zi­el­len Lap­pen für den nach­ge­schal­te­ten Lap­pen, bei den End-zu-Seit-Kon­struk­ten sogar für bei­de Lap­pen. Des­halb emp­fiehlt es sich, jeden Lap­pen ein­zeln zu über­wa­chen, z. B. über eine Moni­tor­insel oder eine implan­tier­ba­re Dopp­ler­son­de. Tat­säch­lich ist jedoch die Ver­lust­ra­te fabri­zier­ter Lap­pen ver­gleich­bar mit Ein­zel­lap­pen­trans­plan­ta­ten, sofern eine adäqua­te mikro­chir­ur­gi­sche Rou­ti­ne vor­liegt 9 10 11 12. Nach eige­ner Erfah­rung der Ver­fas­ser ist bis­her kein ein­zi­ges Trans­plan­tat von 15 fabri­zier­ten Chi­mä­ren­lap­pen­sys­te­men, bestehend aus jeweils zwei Ein­zel­kom­po­nen­ten, verlorengegangen.

Fabri­zier­te Chi­mä­ren­lap­pen sind auf­grund ihres Auf­wan­des defi­ni­tiv kein Instru­ment für die meis­ten Extre­mi­tä­ten­re­kon­struk­tio­nen. Jedoch spielt gera­de in der ske­letta­len Rekon­struk­ti­on die Aus­wahl eines geeig­ne­ten vas­ku­la­ri­sier­ten Kno­chen­trans­plan­ta­tes eine ent­schei­den­de Rol­le, um zu unfall­chir­ur­gi­schen bzw. ortho­pä­di­schen Tech­ni­ken kon­gru­en­te oder zusätz­li­che Optio­nen anbie­ten zu kön­nen. Defekt­grö­ße und ‑geo­me­trie, Ver­hält­nis zu Spon­gio­sa und Kor­ti­ka­lis, pri­mä­re Belast­bar­keit und osteo­ge­ne Potenz unter­schei­den sich doch teil­wei­se erheb­lich. Die Not­wen­dig­keit einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on kann des­halb nicht oft genug betont wer­den, um bei­spiels­wei­se sinn­lo­se sekun­dä­re avas­ku­lä­re Spon­gio­sa­trans­plan­ta­tio­nen unter einen frei­en Lap­pen zu ver­hin­dern, der zusam­men mit einem vas­ku­la­ri­sier­ten Kno­chen­span das Rekon­struk­ti­ons­pro­blem gleich pri­mär und mit schnel­ler ein­hei­len­dem Kno­chen gelöst hät­te. Ins­be­son­de­re Fall 2 zeigt daher auch, dass bei gemein­sa­mer Pla­nung ein her­vor­ra­gen­des Ergeb­nis für den Pati­en­ten erzielt wer­den kann.

Fazit

Mikro­chir­ur­gi­sche Rekonstruktions­methoden sind aus dem plas­tisch-­chir­ur­gi­schen Teil der inter­dis­zi­pli­nä­ren Extre­mi­tä­ten­wie­der­her­stel­lung nicht mehr weg­zu­den­ken. Die meis­ten Anfor­de­run­gen kön­nen mit sin­gu­lä­ren Lappen‑, Com­pound- oder Chi­mä­ren­trans­plan­ta­ten bewäl­tigt wer­den. In Ein­zel­fäl­len sind jedoch zusam­men­ge­setz­te fabri­zier­te Lap­pen­mo­dul­sys­te­me von Vor­teil, um mit einem Opti­mum an Gewe­be­men­ge und ‑art in maxi­ma­ler Plat­zie­rungs­frei­heit eine kom­pro­miss­lo­se Defekt­re­kon­struk­ti­on zu erzie­len. Bei ent­spre­chen­der mikro­chir­ur­gi­scher Rou­ti­ne sind die Kom­pli­ka­ti­ons­ra­ten gegen­über „nor­ma­len“ mikro­vas­ku­lä­ren Trans­plan­ta­ten zwar nicht erhöht, jedoch müs­sen zwei oder mehr Hebe­stel­len in Kauf genom­men wer­den. Einen beson­de­ren Vor­teil haben fabri­zier­te Chi­mä­ren­lap­pen bei vas­ku­lär kom­pro­mit­tier­ten und ver­narb­ten Wun­den, da nur eine vas­ku­lä­re Spen­der­re­gi­on für meh­re­re Trans­plan­ta­te benö­tigt wird.

Für die Autoren:
Prof. Dr. med. Goetz A. Giessler
Direk­tor der Kli­nik für Plas­tischre­kon­struk­ti­ve, Aesthetische
und Hand­chir­ur­gie
Kli­ni­kum Kassel
Mön­che­berg­stra­ße 41–43
34125 Kas­sel
goetz.giessler@klinikum-kassel.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Giess­ler GA, Engel H. Kom­ple­xe Extre­mi­tä­ten­re­kon­struk­ti­on mit fabri­zier­ten Chi­mä­ren­lap­pen. Ortho­pä­die Tech­nik. 2018; 69 (8): 42–47
Vas­ku­lä­res Stromgebiet
Mög­li­che Lappenplastiken
A. sub­sca­pu­la­ris

  • Paras­ca­pu­lar­lap­pen

  • Sca­pul­al­ap­pen

  • M. latis­si­mus dorsi

  • M. ser­ra­tus (par­ti­ell)

  • Ser­ra­tus­fas­zi­en­lap­pen

  • late­ra­ler Scapula-Knochenlappen

  • vas­ku­la­ri­sier­te Rip­pen­seg­men­te 13

A. cir­cum­fle­xa femo­ris lateralis

  • ante­ro­la­te­ra­ler Ober­schen­kel­lap­pen (ALT, bis zu 3 Stück)

  • Ten­sor-fasciae-latae-Lap­pen (TFL)

  • M. vas­tus lateralis

  • vas­ku­la­ri­sier­ter Becken­kamm­kno­chen 14

A. fibu­la­ris

  • oste­ofas­zio­ku­ta­ner Fibu­la­kno­chen­lap­pen mit 1 bis 3 Hautinseln

  • Erwei­te­rung um 3 Muskelkomponenten:

  • M. flex­or hal­lu­cis longus

  • M. soleus (OPAC) 15

  • M. pero­neus bre­vis (auch funk­tio­nell 16)

Tab. 1 Über­sicht über die drei klas­si­schen Ent­nah­me­re­gio­nen für Lap­pen­plas­ti­ken, die aus meh­re­ren Gewe­be­ar­ten als Com­pound- oder Chi­mä­ren­lap­pen bestehen. Die wich­tigs­ten Arten wer­den auf­ge­zählt. Eine voll­stän­di­ge Nen­nung aller Optio­nen ist aus Platz­grün­den nicht möglich.
Vor­tei­leNach­tei­le

  • exakt pas­sen­des Gewe­be wird zusam­men­ge­stellt („recon­s­truct like with like“)

  • Ver­mei­dung von Sekundär-OPs

  • bes­se­rer Pri­mär­ver­schluss der Hebe­stel­len möglich

  • kein zwei­ter mikro­chir­ur­gi­scher Anschluss im Wund­bett nötig

  • grö­ße­rer Plat­zie­rungs­ra­di­us der Ein­zel­kom­po­nen­ten (Flä­chen­be­darf, kom­ple­xe 3D-Defektgeometrie)


  • meh­re­re Spenderstellen

  • zusätz­li­che Anastomosen

    • Zeit

    • ggf. erhöh­tes Risiko?


  • lan­ge Pedi­kel (Kin­king- und Torsionsgefahr)
Tab. 2 Über­sicht über Vor- und Nach­tei­le der Ver­wen­dung mikro­chir­ur­gisch fabri­zier­ter Chimärenlappen.
  1. Levin LS. The recon­s­truc­ti­ve lad­der. An ortho­pla­s­tic approach. Orthop Clin North Am, 1993; 24: 393–409
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  3. Engel H, Lin CH, Wei FC. Role of micro­sur­gery in lower extre­mi­ty recon­s­truc­tion. Plast Recon­str Surg, 2011; 127 Sup­pl 1: 228S–238S
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