Die semi­sta­tio­nä­re Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on – Eine ers­te Ana­ly­se eines neu­en Kon­zep­tes zur Reha­bi­li­ta­ti­on ampu­tier­ter Patienten

I. Matthes, K. Thielemann, A. Ekkernkamp
Nach der Amputation der unteren Extremität richtet sich der Fokus der Betroffenen häufig auf die Qualität des Überlebens. Die Rehabilitation und deren Einfluss auf die subjektive Lebensqualität nimmt nun einen wichtigen Stellenwert ein. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Rehabilitation von Versicherten mit Amputationen der unteren Extremitäten wird der Fragestellung nachgegangen, ob sich durch die Rehabilitation die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die Mobilität der Versicherten im Vergleich zum Ausgangswert verbessern lässt. Seit Beginn der Prothesenrehabilitation im Mai 2010 nahmen 69 Patienten mit Zustand nach traumatischer Amputation der unteren Extremität an der speziellen Rehabilitationsmaßnahme im Unfallkrankenhaus Berlin teil. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten wurde der EQ-5D, der TAPES sowie der Oberschenkel-Ampu-Score nach Thoele/Boltze administriert. Durch die Rehabilitation konnten positive Effekte erzielt werden. Sowohl die gesundheitsbezogene Lebensqualität als auch die Mobilität der Versicherten konnte positiv beeinflusst werden.

Ein­lei­tung

Die Reha­bi­li­ta­ti­on trau­ma­ti­scher Ampu­ta­ti­on nach Arbeits- oder Wege­un­fäl­len stellt Pati­en­ten und Behand­ler vor gro­ße Herausforderungen.

Wer eine trau­ma­ti­sche Ampu­ta­ti­on erlei­det, den trifft dies meist aus völ­li­ger Gesund­heit und Arbeits­fä­hig­keit. Die Pati­en­ten sind häu­fig jung und stel­len an ihre Reha­bi­li­ta­ti­on und pro­the­ti­sche Ver­sor­gung hohe Ansprü­che, sie möch­ten so schnell wie mög­lich nach dem Trau­ma an ihr bis­he­ri­ges Leben anknüp­fen. Der Wunsch zur Rück­kehr in den Beruf und die sozia­le Reha­bi­li­ta­ti­on im Fami­li­en- und Freun­des­kreis mit einer regel­recht sit­zen­den Pro­the­se, die eine grösst mög­li­che Mobi­li­tät erlaubt, steht dabei im Vor­der­grund. Der Weg dort­hin ist aller­dings für vie­le Pati­en­ten schwie­rig, denn neben der Ampu­ta­ti­on gibt es viel­fach wei­te­re Ver­let­zun­gen, die im Rah­men des Trau­mas auf­ge­tre­ten sind. Die Ver­ar­bei­tung des Trau­mas und die Anpas­sung an die neue Situa­ti­on kön­nen von den meis­ten Pati­en­ten nicht ohne Hil­fe­stel­lung bewäl­tigt wer­den. In vie­len Fäl­len sind klas­si­sche Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen, sowohl ambu­lant als auch sta­tio­när, mit ampu­tier­ten Pati­en­ten und ihren Bedürf­nis­sen überfordert.

In unse­rer spe­zi­el­len Pro­the­sen­sprech­stun­de, die sowohl regel­mä­ßig im Unfall­kran­ken­haus Ber­lin (ukb) als auch in der Unfall­be­hand­lungs­stel­le Ber­lin (UBS) statt­fin­det, sehen wir jähr­lich mehr als 150 trau­ma­tisch ampu­tier­te Pati­en­ten, die gesetz­lich unfall­ver­si­chert sind. Neben eige­nen Pati­en­ten, die wir nach dem sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt betreu­en, wer­den uns regel­mä­ßig durch nie­der­ge­las­se­ne Ärz­te, Kli­ni­ken oder die zustän­di­gen Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger Betrof­fe­ne in allen Pha­sen der Reha­bi­li­ta­ti­on vor­ge­stellt. Hier­bei ist viel­fach zu kon­sta­tie­ren, dass Pati­en­ten zwar eine hoch­mo­der­ne Ver­sor­gung, z. B. mit com­pu­ter­ge­stütz­ten Exo­pro­the­sen, erhal­ten, deren tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten aller­dings im All­tag nicht oder nur unvoll­stän­dig umge­setzt wer­den kön­nen. Neben einer inad­äqua­ten Ver­sor­gung kön­nen hier beglei­ten­de kör­per­li­che und/oder psy­chi­sche Lei­den des Ampu­tier­ten ursäch­lich sein.

Basie­rend auf die­ser Erkennt­nis wur­de in unse­rer Kli­nik eine spe­zi­el­le Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me kon­zi­piert, die alle Teil­aspek­te der Wie­der­ein­glie­de­rung eines Ampu­tier­ten beach­tet. Ziel ist es, medi­zi­ni­sche, psy­cho­lo­gi­sche und tech­ni­sche Kom­pe­tenz an einem Ort und im Rah­men einer Reha­bi­li­ta­ti­on abge­stimmt auf die Bedürf­nis­se der ampu­tier­ten Pati­en­ten anzu­bie­ten. Das Ange­bot der spe­zi­el­len Reha­bi­li­ta­ti­on im Unfall­kran­ken­haus Ber­lin rich­tet sich in ers­ter Linie an gesetz­lich unfall­ver­si­cher­te (Berufs­ge­nos­sen­schaf­ten und Unfall­kas­sen) und trau­ma­tisch ampu­tier­te Patienten.

Das Kon­zept

Seit Mai 2010 wer­den ampu­tier­te Pati­en­ten in klei­nen Grup­pen (max. 5 Teil­neh­mer) vom Abschluss der Inte­rims­ver­sor­gung über alle wei­te­ren Stu­fen für einen Zeit­raum von drei Wochen reha­bi­li­tiert. Die Indi­ka­tio­nen für eine Reha­bi­li­ta­ti­on ampu­tier­ter Pati­en­ten, im Fol­gen­den kurz „Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on“ genannt, sind:

  • frisch ampu­tier­te Pati­en­ten mit ­Inte­rims­ver­sor­gung der unte­ren Extremität,
  • Pati­en­ten mit Gang- und Balanceunsicherheiten,
  • Pati­en­ten mit einem neu­en Pro­the­sen­sys­tem (z. B. MAS-Schaft, C‑Leg),
  • Pati­en­ten mit Stumpfproblemen,
  • Pati­en­ten mit chro­ni­schen Schmer­zen (z. B. Rücken­schmer­zen) oder Phantomschmerzen.

Es han­delt sich um eine semi­sta­tio­nä­re Reha­bi­li­ta­ti­on. Die Teil­neh­mer wer­den in einem der bei­den Gäs­te­häu­ser des Unfall­kran­ken­hau­ses Ber­lin unter­ge­bracht. Die Mahl­zei­ten wer­den in der Cafe­te­ria ein­ge­nom­men, die Stre­cken zu den ein­zel­nen Anwen­dun­gen und Maß­nah­men legen die Pati­en­ten eigen­stän­dig zurück. Grund­vor­aus­set­zung ist daher, dass Teil­neh­mer eine gewis­se Selbst­stän­dig­keit und Mobi­li­tät auf­wei­sen. Zie­le der Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on sind:

  • Sicher­stel­lung einer regel­rech­ten pro­the­ti­schen Versorgung,
  • Wie­der­her­stel­lung oder Ver­bes­se­rung der Mobi­li­tät des Amputierten,
  • sozia­le und beruf­li­che Rehabilitation,
  • Ver­mei­dung einer Pflegebedürftigkeit,
  • Bil­dung von per­sön­li­chen Netzwerken.

Ärzt­li­che und ortho­pä­die­tech­ni­sche Betreuung

Zu Beginn der Reha-Maß­nah­me stellt sich der Pati­ent in der Ein­gangs­un­ter­su­chung vor. Hier wer­den neben der ärzt­lich kör­per­li­chen Unter­su­chung des Pati­en­ten auch die Funk­ti­on, der Sitz sowie die Akzep­tanz der Pro­the­se durch den anwe­sen­den Ortho­pä­die-Tech­ni­ker geprüft. Des Wei­te­ren wird der Sta­tus der Mobi­li­tät durch den eben­falls anwe­sen­den Gangschultrainer/Physiotherapeuten erfasst. Gemein­sam mit dem Pati­en­ten wer­den die indi­vi­du­el­len Zie­le der Reha­bi­li­ta­ti­on erar­bei­tet. Wäh­rend der Reha wird in zwei­mal wöchent­lich statt­fin­de­nen Reha-Visi­ten die Ent­wick­lung des Pati­en­ten doku­men­tiert, ggf. wer­den die Zie­le neu ange­passt. Für den Erfolg der Reha ist es wesent­lich, ein kom­plet­tes Bild über den Pati­en­ten zu erhal­ten, da wei­te­re Ver­let­zun­gen, post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen oder chro­ni­sche Erkran­kun­gen wie Dia­be­tes mel­li­tus oder pAVK das Ergeb­nis der Reha­bi­li­ta­ti­on beein­träch­ti­gen kön­nen. Falls nötig, wer­den wei­te­re Fach­dis­zi­pli­nen wie etwa die Psy­cho­trau­ma­to­lo­gie, Inne­re Medi­zin oder Schmerz­the­ra­pie kon­si­lia­risch hinzugezogen.

Mit der Ortho­pä­die-Tech­nik-Fir­ma Epi­the­tik Pro­the­tik Orthe­tik Tech­nik (Epro­Tec), die sich auf dem Gelän­de des ukb befin­det, besteht eine enge Koope­ra­ti­on. Schon im Rah­men der Ein­gangs­un­ter­su­chung erfolgt eine tech­ni­sche Beur­tei­lung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung durch die Fach­leu­te. Bei Bedarf wer­den umge­hend Nach­bes­se­run­gen vor­ge­nom­men, evtl. kann auch eine Neu­ver­sor­gung initi­iert wer­den. Die Pati­en­ten kön­nen so wäh­rend der gesam­ten Reha auf kur­zem Weg Modi­fi­ka­tio­nen an der Pro­the­se vor­neh­men las­sen, ohne dass Ver­zö­ge­run­gen entstehen.

Das Abschluss­ge­spräch fin­det wie­der­um mit allen Betei­lig­ten statt. Hier wer­den wei­te­re ambu­lan­te ärzt­li­che und phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men, not­wen­di­ge Hilfs­mit­tel­ver­sor­gun­gen sowie wich­ti­ge Schrit­te zur beruf­li­chen Reha­bi­li­ta­ti­on festgelegt.

Gang­schu­le

Ele­men­ta­rer Bestand­teil der Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on ist die Gang­schu­lung. Zwei­mal täg­lich wird den Pati­en­ten im Grup­pen­un­ter­richt unter Anlei­tung eines Phy­sio­the­ra­peu­ten ein siche­res und gutes Gang­bild ver­mit­telt (Abb. 1). Es hat sich hier­bei gezeigt, dass gemisch­te Grup­pen aus Teil­neh­mern ver­schie­de­ner Reha­bi­li­ta­ti­ons­sta­di­en durch­aus hilf­reich sind: „Tipps und Tricks“ wer­den leich­ter über­mit­telt, die Pati­en­ten moti­vie­ren sich gegenseitig.

Auch beim All­tags­trai­ning auf dem Kran­ken­haus­ge­län­de oder im öffent­li­chen Raum geben die erfah­re­nen Pati­en­ten ihre Kennt­nis­se wei­ter. Die Gang­schu­le wird spie­le­risch durch sport­li­ches Trai­ning wie bei­spiels­wei­se Fuß­ball, Bas­ket­ball, Tisch­ten­nis ergänzt, regel­mä­ßig kommt zum Balance­trai­ning auch das Kick-Board zum Ein­satz. Trep­pen­lau­fen (Abb. 2) wird eben­so trai­niert wie das kor­rek­te Fal­len und Aufstehen.

Sport­the­ra­pie

Für eine erfolg­rei­che sozia­le und beruf­li­che Reha­bi­li­ta­ti­on ist eine gute all­ge­mei­ne Fit­ness wich­tig. Die Teil­neh­mer wer­den im Ver­lauf der Reha­bi­li­ta­ti­on an ver­schie­de­ne Sport­ar­ten her­an­ge­führt. Dadurch sol­len sie moti­viert wer­den, sport­lich aktiv zu sein – auch oder gera­de nach einer Amputation.

Neben der medi­zi­ni­schen Trai­nings­the­ra­pie an Sport­ge­rä­ten ist das Schwim­men ein fes­ter Bestand­teil. Die Pati­en­ten agie­ren im Was­ser ohne zusätz­li­che Pro­the­sen­last und trai­nie­ren dabei die Rumpf- und Rücken­mus­ku­la­tur. Eine – eben­falls von einer Ampu­ta­ti­on – Betrof­fe­ne unter­stützt die Teil­neh­mer beim ers­ten Schwimm­trai­ning und gibt indi­vi­du­el­le Hilfestellung.

Wei­te­re Bestand­tei­le der Sport­the­ra­pie sind außer­dem Pila­tes und Rücken­schu­le zur Ver­mei­dung von Haltungsschäden.

Ent­span­nungs­the­ra­pie

Als Ergän­zung zu den sport­li­chen Akti­vi­tä­ten wer­den im Rah­men der Ent­span­nungs­the­ra­pie Tech­ni­ken der Pro­gres­si­ven Mus­kel­re­la­xa­ti­on und des Auto­ge­nen Trai­nings ver­mit­telt. Das Qi Gong Trai­ning dient sowohl als Balan­ce- und Bewe­gungs­trai­ning als auch zur Ent­span­nung. Zusätz­lich wur­de Rei­ki in das Reha-Pro­gramm inte­griert 1. Mit den Anwen­dun­gen sol­len die Selbst­hei­lungs­kräf­te des Pati­en­ten akti­viert wer­den. Die genann­ten The­ra­pie­for­men fin­den bei den Teil­neh­mern gro­ßen Anklang.

Schu­lung und Vorträge

Die Pati­en­ten wer­den durch eine Ampu­ta­ti­on mit neu­en Fra­gen und Pro­ble­men kon­fron­tiert. Die­se rei­chen vom Umgang mit der Pro­the­se, den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung, all­ge­mei­nen Fra­gen zur Nut­zung der Pro­the­se bis hin zum Umgang mit sozia­len, beruf­li­chen, ver­si­che­rungs­recht­li­chen und behörd­li­chen Pro­ble­men. In ver­schie­de­nen Vor­trä­gen, die von den Ärz­ten, Ortho­pä­die-Tech­ni­kern und Sozi­al­ar­bei­tern gehal­ten wer­den, kommt es zum kon­struk­ti­ven Mei­nungs­aus­tausch. Wei­ter­hin wer­den den Teil­neh­mern in Work­shops Grund­la­gen der gesun­den Ernäh­rung näher gebracht und die­se auch prak­tisch in einer Lern­kü­che umgesetzt.

Ein wei­te­rer fes­ter Bestand­teil des Reha­bi­li­ta­ti­ons-Pro­gramms ist die Betreu­ung der Pati­en­ten durch eben­falls ampu­tier­te Bot­schaf­ter der Stif­tung „myhan­di­cap“ (www.myhandi cap.de). Den Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern wird so die Mög­lich­keit gege­ben, ihre eige­ne Situa­ti­on „auf Augen­hö­he“ zu bespre­chen, Hil­fe­stel­lun­gen und Anre­gun­gen kön­nen so leich­ter ange­nom­men werden.

Psy­cho­trau­ma­to­lo­gi­sche Betreuung

Bei Ampu­tier­ten besteht ein erhöh­tes Risi­ko für das Auf­tre­ten von Angst­er­kran­kun­gen und Depres­sio­nen. Letz­te­re Erkran­kung fin­det sich bei 16 % der Nor­mal­be­völ­ke­rung, hin­ge­gen bei Pati­en­ten mit Ampu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät in 21–35 % der Fäl­le 2. Eine psy­chi­sche Erkran­kung kann den Hei­lungs­ver­lauf nach einer Ampu­ta­ti­on nach­hal­tig beein­träch­ti­gen, die Reha­bi­li­ta­ti­on erschwe­ren oder sogar unmög­lich machen. Aus die­sem Grund wird ver­sucht, zu Beginn der Maß­nah­me psy­chi­sche Erkran­kun­gen zu dia­gnos­ti­zie­ren und ent­spre­chen­de the­ra­peu­ti­sche Schrit­te ein­zu­lei­ten. Bei Bedarf wird eine ambu­lan­te, ggf. auch sta­tio­nä­re The­ra­pie aus der Reha­bi­li­ta­ti­on her­aus eingeleitet.

Wis­sen­schaft­li­che Begleitung

Von Beginn an wird die Pro­the­sen-Reha­bi­li­ta­ti­on wis­sen­schaft­lich beglei­tet. Im Rah­men der Ein­gangs­un­ter­su­chung wer­den zahl­rei­che Para­me­ter wie Alter, Geschlecht, Ampu­ta­ti­ons­hö­he und Zeit­punkt der Ampu­ta­ti­on sowie Begleit­ver­let­zun­gen und Neben­er­kran­kun­gen erfasst. Zusätz­lich kom­men eta­blier­te Scores und Fra­ge­bö­gen zum Ein­satz, die den Mobi­li­täts­grad der Pati­en­ten sowie deren Lebens­qua­li­tät abbil­den. Die­se Befra­gun­gen wer­den nach der Erst­un­ter­su­chung im Ver­lauf zu defi­nier­ten Zeit­punk­ten wie­der­holt, um so einen Effekt der Reha­bi­li­ta­ti­ons-Maß­nah­me zu doku­men­tie­ren. Fol­gen­de Mess­in­stru­men­te wer­den verwendet:

Ampu­ta­ti­ons-Score zur Ein­tei­lung in die Mobi­li­täts­klas­sen 1–5

Ein ermit­tel­ter Punkt­wert gibt Aus­kunft über den Mobi­li­täts­grad. Der resul­tie­ren­de Akti­vi­täts­grad reicht von „nicht geh­fä­hig“ (Mobi­li­täts­klas­se 1) bis „unein­ge­schränk­ter Außen­be­reichs­ge­her mit beson­ders hohen Ansprü­chen“ (Mobi­li­täts­klas­se 5) 3.

TAPES („Tri­ni­ty ampu­ta­ti­on and pro­sthe­sis expe­ri­ence scales“)

Die­ser Fra­ge­bo­gen beschäf­tigt sich spe­zi­ell mit dem Ver­lust der unte­ren Extre­mi­tät. Dabei erhält man durch die Abfra­ge der Dimensionen

  • Psy­cho­lo­gi­sche Anpas­sung (TAPES 1),
  • Akti­vi­täts­ein­schrän­kung (TAPES 2),
  • Zufrie­den­heit mit der Pro­the­se (TAPES 3),

ein umfas­sen­des Bild über die psy­cho­so­zia­le Anpas­sung des Pati­en­ten an die ver­än­der­te Lebens­si­tua­ti­on 4.

EQ-5D der EuroQol-Gruppe

Der von der Euro­Qol-Grup­pe ent­wi­ckel­te EQ-5D ist ein Gesund­heits­fra­ge­bo­gen zur Abbil­dung der Lebens­qua­li­tät. Der aktu­el­le Gesund­heits­zu­stand wird anhand der fünf Dimensionen

  • Beweg­lich­keit,
  • selbst­stän­di­ge Versorgung,
  • all­ge­mei­ne Tätigkeiten,
  • Schmer­zen / kör­per­li­che Beschwerden,
  • Angst und Niedergeschlagenheit,

abge­bil­det. Zusätz­lich schätzt der Pati­ent sei­nen Gesund­heits­zu­stand auf einer Sca­la von 1–100 ein. Die Ant­wor­ten auf die fünf Fra­gen des EQ-5D ermög­li­chen die Zusam­men­fas­sung der Ergeb­nis­se zu einem Index­wert, wel­cher gesund­heits­öko­no­misch rele­van­te Bewer­tun­gen der ver­schie­de­nen Gesund­heits­zu­stän­de mög­lich macht 5.

Bei der Auf­nah­me wur­den der Ampu­ta­ti­ons-Score, der EQ-5D sowie der TAPES erho­ben. Am Ent­las­sungs­tag wur­de von den Teil­neh­mern erneut der TAPES und der EQ-5D aus­ge­füllt. Wei­ter­hin wur­den min­des­tens 6 Wochen nach Been­di­gung der Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me der Ampu­ta­ti­ons-Score sowie der EQ-5D neu­er­lich erfasst (Abb. 3) 2.

Ers­te Ergebnisse

Im Zeit­raum von Mai 2010 bis April 2012 haben 69 (63 männ­lich, 6 weib­lich) Betrof­fe­ne an der semi­sta­tio­nä­ren Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on des ukb teil­ge­nom­men. Das mitt­le­re Alter lag bei 53,5 Jah­ren (18 – 80 Jah­re). Bei 64 Pati­en­ten war ein Trau­ma im Rah­men eines Arbeits- oder Wege­un­falls die Ursa­che für eine pri­mär durch­ge­führ­te Ampu­ta­ti­on, 4 Pati­en­ten erlit­ten wäh­rend des Krank­heits­ver­lau­fes eine Osteo­mye­li­tis, auf­grund derer die Ampu­ta­ti­on erfolg­te. Ein Pati­ent muss­te wegen eines Plat­ten­epi­thel-Kar­zi­noms, deren Ent­ste­hung auf eine berufs­be­ding­te Noxe zurück­zu­füh­ren war, ampu­tiert werden.

Bei 8 Pati­en­ten bestand eine Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on. Im Ein­zel­nen fan­den sich 2 Pati­en­ten mit Hüft­ge­lenks­exar­ti­ku­la­ti­on, 31 Pati­en­ten mit Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on, 5 Knie­ge­lenks­exar­ti­ku­lier­te, 29 Pati­en­ten mit Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on und 10 Pati­en­ten mit Ampu­ta­ti­on des Vor- oder Mittelfußes.

Bei 23 Teil­neh­mern lag die Ampu­ta­ti­on weni­ger als ein Jahr zurück, bei 46 mehr als ein Jahr. Zu Beginn der Reha­bi­li­ta­ti­on waren 12 Pati­en­ten mit einer Inte­rims­ver­sor­gung aus­ge­stat­tet, die übri­gen 57 Pati­en­ten waren bereits defi­ni­tiv mit einer Pro­the­se versorgt.

Für 14 Pati­en­ten war die Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on im ukb die ers­te (semi)-stationäre Reha­maß­nah­me nach der Ampu­ta­ti­on, bei 28 Pati­en­ten wur­de die Reha zur Ver­bes­se­rung des Gang­bil­des bei schon län­ger bestehen­der Pro­the­sen­ver­sor­gung durch­ge­führt. 18 Pati­en­ten tra­ten die Reha­bi­li­ta­ti­on mit einer Neu­ver­sor­gung an, bei 8 Pati­en­ten wur­de die Ver­sor­gung durch ein Pass­teil (C‑Leg, MAS-Schaft) ergänzt. 2 Pati­en­ten führ­ten die Reha­maß­nah­me mit dem Ziel der Ver­mei­dung von Pfle­ge­be­dürf­tig­keit durch.

66 der 69 Pati­en­ten, die an der Pro­the­sen­re­ha teil­nah­men, waren gesetz­lich unfall­ver­si­chert. Die Pri­va­te Kran­ken­ver­si­che­rung über­nahm bei 2 Pati­en­ten die Kos­ten, die Ren­ten­ver­si­che­rung war nach vor­he­ri­ger Ein­zel­fall­prü­fung der Kos­ten­trä­ger für einen Pati­en­ten zuständig.

Ampu­ta­ti­ons-Score

Bei der Erhe­bung des Ampu­ta­ti­ons­scores zeig­te sich zu Beginn der Reha­maß­nah­me ein mitt­le­rer Mobi­li­täts­grad von 2,94. Zum Katam­ne­se­zeit­punkt konn­te der mitt­le­re Mobi­li­täts­wert auf 3,22 ver­bes­sert wer­den (Abb. 4).

TAPES

Erreicht man beim TAPES 1 (psy­cho­so­zia­le Anpas­sung) einen hohen Punkt­wert (maxi­mal 51 Punk­te mög­lich), so ist von einer guten psy­cho­so­zia­len Anpas­sung aus­zu­ge­hen. Bei der Ein­gangs­un­ter­su­chung wur­de ein mitt­le­rer Wert von 47,09 Punk­ten ermit­telt, am Ende der Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on von 44,35 Punk­ten. Zwar ist damit nomi­nell ein schlech­te­rer Punkt­wert fest­ge­stellt wor­den, jedoch sind die­se Ergeb­nis­se bei noch gerin­ger Fall­zahl nicht als end­gül­tig anzu­se­hen. Mehr noch bedingt die­ser ver­gleichs­wei­se gerin­ge Unter­schied kei­nen signi­fi­kan­ten Unter­schied in der psy­cho­so­zia­len Anpassung.

Bei der Ermitt­lung der Akti­vi­täts­ein­schrän­kung (TAPES 2) bedeu­tet ein hoher Punkt­wert (24 Punk­te) eine deut­li­che Ein­schrän­kung der Akti­vi­tät für den Pati­en­ten. Von kei­ner Ein­schrän­kung der Akti­vi­tät kann man aus­ge­hen, wenn der Pati­ent bei der Beant­wor­tung der Fra­gen 0 Punk­te erreicht. Zu Beginn der Reha­bi­li­ta­ti­on lag die­ser Wert bei unse­rem Pati­en­ten­gut bei mitt­le­ren 10,98 Punk­ten und redu­zier­te sich zum Ende auf mitt­le­re 8,82 Punkte.

In Bezug auf den TAPES 3 bedeu­tet eine hohe Punkt­zahl (50 Punk­te) eine gute Zufrie­den­heit mit der Pro­the­se. Unse­re Ergeb­nis­se zu Beginn (Mit­tel­wert 31,80 Punk­te) und Aus­gang (Mit­tel­wert 29,60 Punk­te) der Reha­bi­li­ta­ti­on zeig­ten eben­falls ähn­li­che Wer­te. Für die erho­be­nen Wer­te konn­ten kei­ner­lei Signi­fi­kan­zen ermit­telt wer­den. Die ermit­tel­ten TAPES-Wer­te wer­den zum jet­zi­gen Zeit­punkt als Trends gewer­tet (Abb. 5).

EQ-5D-Index

Der Aus­gangs­wert des EQ-5D-Index wur­de im Mit­tel mit 72 Punk­ten ermit­telt und stei­ger­te sich zum Ende der Reha­bi­li­ta­ti­on auf mitt­le­re 74 Punk­te. Min­des­tens 6 Wochen nach dem Rehaen­de fiel der Wert auf 73 ab, was aller­dings wei­ter­hin über dem ermit­tel­ten Wert bei der Ein­gangs­un­ter­su­chung der Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on lag. Der höchst­mög­li­che EQ-5D-Index­wert, wel­cher für den best­mög­li­chen Gesund­heits­zu­stand steht, ist 100 (Abb. 6).

Zusam­men­fas­sung

Die Behand­lung und Reha­bi­li­ta­ti­on von Pati­en­ten mit einer trau­ma­ti­schen Ampu­ta­ti­on ist umfang­reich und anspruchs­voll. Die Über­zahl der Betrof­fe­nen ist jung, sport­lich und beruf­lich aktiv. Neben medi­zi­ni­schen und ortho­pä­die­tech­ni­schen Aspek­ten sind auch eine geziel­te psy­cho­lo­gi­sche und sozia­le Betreu­ung von hoher Wich­tig­keit – ins­be­son­de­re im Rah­men der Reha­bi­li­ta­ti­on. Bis zum heu­ti­gen Zeit­punkt exis­tier­te kei­ne spe­zi­fi­sche Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me für trau­ma­tisch ampu­tier­te Pati­en­ten. Eine ver­län­ger­te Krank­heits­dau­er und oft unbe­frie­di­gen­de Reha­bi­li­ta­ti­ons­er­geb­nis­se waren die Folge.

Mit der semi­sta­tio­nä­ren Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on im Unfall­kran­ken­haus Ber­lin wur­de eine inno­va­ti­ve Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me ent­wi­ckelt, die es ermög­licht, in einem umschrie­be­nen Zeit­rah­men und unter Nut­zung eines abge­stimm­ten Kon­zep­tes mit inter­dis­zi­pli­nä­rer Betei­li­gung, die­se Lücke zu schlie­ßen. Ers­te wis­sen­schaft­li­che Ergeb­nis­se sind viel versprechend.

Für die Autoren:
Insa Matthes
Unfall­kran­ken­haus Berlin
Ver­ein für Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­che Heil­be­hand­lung e. V.
Ware­n­er Str. 7
12683 Ber­lin
Insa.Matthes@ukb.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Matthes I, Thie­le­mann K, Ekkern­kamp A. Die semi­sta­tio­nä­re Pro­the­sen­re­ha­bi­li­ta­ti­on – Eine ers­te Ana­ly­se eines neu­en Kon­zep­tes zur Reha­bi­li­ta­ti­on ampu­tier­ter Pati­en­ten. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (2): 46–50
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  2. Grei­ner W, Claes C. Der EQ-5D der Euro­Qol-Grup­pe. In: Schöff­ski O, Graf von der Schu­len­burg JM (Hrsg.) Gesund­heits­öko­no­mi­sche Eva­lua­ti­on, 3. Auf­la­ge, Sprin­ger, Ber­lin, Hei­del­berg, 2007
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  4. Gal­lag­her P, MacLach­lan M. Deve­lo­p­ment and psy­cho­me­tric eva­lua­ti­on of the
    tri­ni­ty ampu­ta­ti­on and pro­sthe­sis expe­ri­ence sca­les (TAPES). Reha­bil Psy­chol 2000; 45 (2): 130–154
  5. Thie­le­mann K. Eva­lua­ti­on der Reha­bi­li­ta­ti­on – Eine empi­ri­sche Ana­ly­se der Aus­wir­kun­gen der Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men auf Reha­bi­li­tan­den mit Ampu­ta­tio­nen der unte­ren Extre­mi­tä­ten. Mas­ter­ar­beit an der Ali­ce-Salo­mon-Hoch­schu­le Ber­lin, 2011
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