Den Grundstein für die Thönnissen-Gruppe, einen Familienbetrieb in dritter Generation, legten vor 75 Jahren die Großeltern der heutigen 100-prozentigen Gesellschafterin Corinne Kraus. Seit drei Jahren leitet der 44-jährige Alexander Müller als Geschäftsführer das Sanitätshaus Thönnissen mit 28 Beschäftigten.
OT: Hatten Sie bereits vor den Gesprächen mit Walter Borchard über eine Betriebsübernahme nachgedacht?
Alexander Müller: Tatsächlich trugen wir uns bereits vor den Verhandlungen mit dem Gedanken an den Kauf eines OT-Betriebes. Das Sanitätshaus Thönnissen ist bereits 75 Jahre in Koblenz auf dem Markt. In und um Koblenz ist der Wettbewerb stark vertreten. Um Thönnissen fit für die Zukunft
zu machen, wollten wir daher den guten Namen unseres Hauses über die Region hinaustragen. Um mir einen Überblick über den Markt zu verschaffen, war ich zunächst auf verschiedenen Plattformen im Internet unterwegs.
OT: Wie kamen die Gespräche zur Übernahme des Sanitätshauses Borchard in Gang?
Müller: Auf der Plattform Nexxt Change* fand ich vor knapp zwei Jahren eine interessante Anzeige, die genau zu unserem strategischen Ziel passte: Ein OT-Betrieb in Lahnstein suchte eine Nachfolgelösung. Im Februar 2020 hatte ich erstmals Kontakt mit Walter Borchard. Wir waren uns beide einig, dass die Chemie stimmen müsste, um eine Übernahme zu verhandeln und umzusetzen. Deshalb trafen wir uns im Mai persönlich, um zu sehen, ob unsere Chemie funktioniert und um uns über Zielsetzungen beider Seiten auszutauschen. Nach dem Treffen hatten beide Seiten das Gefühl: passt!
Berater und Anwälte verstärken Verhandlungsteams
OT: Welche professionelle Unterstützung haben Sie sich für Verhandlung und Umsetzung dazu geholt?
Müller: Walter Borchard hatte von Anfang an einen Unternehmensberater an seiner Seite. Wir setzten zunächst auf die Unterstützung unserer Steuerkanzlei PKF Egermann, Balingen. Im Laufe der Verhandlungen haben wir zusätzlich eine Fachanwältin für Arbeitsrecht sowie einen Fachanwalt für Gesellschafterrecht hinzugezogen.
OT: Warum zogen Sie diese Fachanwält:innen hinzu?
Müller: Einen Fachanwalt für Gesellschafterrecht benötigten wir für die Ausarbeitung und Formulierungen für den Kaufvertrag, um keine Fehler in der Haftungsübernahme oder bei Garantien für beide Seiten einzubauen. Zudem wollten wir die acht Mitarbeiter:innen des Sanitätshauses übernehmen bzw. ihnen das Angebot machen, dass wir sie weiter beschäftigen, daher die Fachanwältin für Arbeitsrecht. Das war auch Walter Borchard wichtig. Nach 26 Jahren legte er Wert darauf, dass seine Mitarbeiter:innen eine Perspektive haben. Zum Glück haben sich alle für eine Weiterbeschäftigung entschieden. Außerdem war es Walter Borchard wichtig, dass der Standort mit seinem guten Namen – also die Tradition des Hauses – erhalten bleibt. Deshalb haben wir beschlossen, dass die Marke Borchard nicht verschwindet. Zumindest in den kommenden Jahren wird der Markenauftritt beide Namen beinhalten.
Personal und Standort von Bedeutung
OT: Worauf haben Sie bei der Übernahme besonders viel Wert gelegt?
Müller: Für uns waren die beiden Kriterien Weiterbeschäftigung des Personals und Weiterführung des Standortes entscheidend. Gleichzeitig war es Teil der Lebensplanung von Walter Borchard, zum 31.12.2021 einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Damit das funktioniert, hat er etwa zwei Jahre vor dem geplanten Termin mit der Suche nach einer Nachfolge begonnen. Diesen Zeitrahmen braucht
man auch, zumindest haben wir den gebraucht.
OT: Wo liegen Risiken bzw. Fallstricke bei der Übernahme von anderen Betrieben?
Müller: In der Unruhe. Wenn sie früh Verhandlungen führen, ist das größte Risiko, dass etwas darüber durchdringt. Solche Gerüchte führen zu Unruhe bei Mitarbeiter:innen, Kund:innen und Lieferant:innen. Es muss gelingen, diskret und vertrauensvoll bis zur Unterschrift miteinander zu sprechen, ohne dass Dritte etwas erfahren. Dennoch ist es wichtig, die Mitarbeiter:innen frühzeitig mit ins Boot zu holen. Anfang September, also zwei Monate vor der geplanten Schlüsselübergabe, haben wir alle Mitarbeiter:innen über die Übernahme informiert. Das ist die wahrscheinlich größte Herausforderung: Die Kommunikation mit dem Personal nicht zu früh und dennoch rechtzeitig zu starten.
Langwieriger Übergangsprozess
OT: Wie haben Sie den Übergabe-/Übernahme-Prozess gestaltet?
Müller: Wir haben uns darauf geeinigt, dass alle zum Zeitpunkt der Übergabe offenen Aufträge über Thönnissen abgerechnet werden. Dazu mussten wir eine ganze Reihe von Regularien beachten, wie die Präqualizierung für das übernommene Haus klären oder in die bestehenden Kassenverträge einsteigen. Das sind aber alles Dinge, die erfahrene Sanitätshaus-Manager relativ schnell erledigen können. Komplizierter ist die Implementierung unserer IT. Dafür werden wir etwa drei Monate inklusive der Schulung des Personals für unsere Systeme benötigen. Zum 1. Januar 2022 sollte das aber abgeschlossen sein. Um den Prozess zu erleichtern, arbeitet eine unserer Thönnissen-Mitarbeiterinnen, Esther Bernard, seit Anfang September in Lahnstein. Sie ist bereits seit 20 Jahren unter anderem als Expertin für Kompressionsbekleidung für uns im Einsatz. Parallel unterstützt Walter Borchard das Zusammenwachsen noch einige Monate als fachlicher Leiter der Werkstatt. Insgesamt rechne ich mit einem Jahr, bis wir alle – persönlich wie technisch – eine Einheit bilden.
OT: Wie waren die ersten Reaktionen der Borchard-Kund:innen nach der Übernahme am 2. November?
Müller: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Nach dem Motto: „Da bleibt ja alles, wie es ist.“ Es gibt aber auch Kund:innen unseres Koblenzer Stammhauses, die sich freuen, ab jetzt eine Alternative in Lahnstein zu haben, da das näher zu ihrem Wohnort liegt als Koblenz.
OT: Haben Sie weitere Ausbaupläne?
Müller: Aber ja! Wir können uns gut vorstellen, Betriebe mit Schwerpunkten zu übernehmen, die bei uns bisher nicht so stark ausgeprägt waren.
Verständigung dank externer Vermittlung
OT: Haben Sie Tipps für Unternehmer:innen zum Thema Nachfolge?
Müller: Wir sind sehr gut damit gefahren, ein Projektteam für die Übernahme zu erstellen. Hierzu gehörten interne Mitarbeiter:innen ebenso wie externe Berater:innen. Als Geschäftsführer:in oder Inhaber:in können Sie die damit verbundenen vielfältigen Aufgaben gar nicht neben dem Tagesgeschäft leisten. Jedes Detail, das Sie nicht auf dem Schirm haben, führt zu Verzögerungen. Da braucht es ein Team. Außerdem kann ich nur das Hinzuziehen von Coaches für die interne Kommunikation empfehlen. Schon unabhängig von Expansionsplänen betreuen uns zwei externe Coaches – mit psychologischem Hintergrund – bei der internen Kommunikation. Unsere Mitarbeiter:innen können sich mit beruichen wie persönlichen Themen vertrauensvoll an sie wenden. Die Coaches vermitteln mir dann die Fragen oder Probleme, ohne die Grenze der Vertraulichkeit zu überschreiten, sodass ich die jeweiligen Positionen besser verstehen kann. Das hilft auch mir ungemein. So können wir Konikte frühzeitig lösen oder sogar ganz vermeiden. Das ist ein hervorragendes Instrument auch in Bezug auf die oben bereits erwähnte rechtzeitige, aber nicht zu frühe Kommunikation von Übernahmen.
OT: Ihre Verhandlungen fanden parallel zur Corona-Pandemie statt. Inwieweit hat Sie das beeinflusst?
Müller: Die Corona-Pandemie hat uns natürlich stark beschäftigt und die Frage aufgeworfen, ob es richtig ist, ein Investment zu tätigen oder lieber Geld für die Unwägbarkeiten der Pandemie zurückzustellen. Zum Glück waren wir trotz der pandemisch-bedingten Unsicherheiten mutig genug, den Übernahmeprozess voranzutreiben und ihn zum Abschluss zu bringen.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
*Nexxt-change.org ist eine Internetplattform des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, der KfW Bankengruppe, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands in Zusammenarbeit mit den Partnern der Aktion „nexxt“. Zu den Regionalpartnern gehören u. a. die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.
Betriebsübergabe: Was Arno Eschbach über den langen Weg vom Entschluss, die Eschbach Orthopädie Schuhtechnik abzugeben, bis zur endgültigen Übergabe berichtet, lesen Sie hier.
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