Einleitung
Die Baumrainklinik des Helios-Rehazentrums Bad Berleburg ist eine Rehabilitationsklinik mit drei Schwerpunkten: konservative Orthopädie und Traumatologie mit technischer Orthopädie, Innere Medizin und Kardiologie sowie Hörstörungen, Tinnitus, Schwindel und Rehabilitation nach Cochlea-Implantation.
Dr. Christoph Grabe, der Leiter des Gesundheitsamtes des Kreises Siegen-Wittgenstein, gründete 2003 das MRSA-Netzwerk Siegen-Wittgenstein. Dieses Netzwerk ist ein freiwilliger Zusammenschluss der acht Akutkrankenhäuser der Grund- und Maximalversorgung (Gesamtbettenzahl 2.047) sowie einer Kinderklinik und neun Rehabilitationskliniken mit unterschiedlicher Spezialisierung (Gesamtbettenzahl 1.819) im Kreisgebiet.
Ziel war und ist die Entwicklung einer Strategie, um eine Verbreitung multiresistenter Erreger zu vermindern. Weiterhin sollte eine Übertragung der Keime zwischen den Gesundheitseinrichtungen (Kliniken, Altenheime, Pflegeheime, ärztliche Praxen, Krankentransporte etc.) eingedämmt sowie der Weg einer eventuellen Streuung zwischen den vernetzten Gesundheitsinstitutionen festgestellt werden.
Diese Strategie sollte diskutiert, erarbeitet, etabliert und kreisweit implementiert sowie in regelmäßigen Sitzungen überarbeitet werden.
Die Baumrainklinik ist seit 2003 Mitglied des MRSA-Netzwerkes Siegen-Wittgenstein und beteiligt sich regelmäßig an kreisweiten Treffen und an Euregio-weiten Studien unter der Leitung des mikrobiologischen Instituts der Universität Münster und der medizinischen Hochschule in Groningen (NL).
Vorstudien
Im Jahre 2008 beteiligte sich die Baumrainklinik an einem einmonatigen MRSA-Screening (Nasen-Rachen-Abstrich bei Aufnahme und Entlassung), an dem alle acht Akutkrankenhäuser und alle neun Rehakliniken des Landkreises Siegen-Wittgenstein beteilig waren (Grabe, Burkhard). Die MRSA-Last in der Baumrainklinik lag bei 1,59 %. In der Studie wurden 364 Patienten im Durchschnittsalter von 63,7 Jahren untersucht, es gab 7.379 Behandlungstage, die durchschnittliche Verweildauer lag bei 21,1 Tagen.
Aufgeschlüsselt auf Akutkliniken und Reha-Einrichtungen war die MRSA-Prävalenz fast verdoppelt: 1,2 % versus 2,1 %. Damals konstatierten Grabe und Burkhard: Es bleibt „unklar, welche Art von Reha-Behandlung die höchste MRSA-Last birgt und welche Hygienemaßnahmen in der Rehabilitation angebracht sind“.
Im Jahre 2010 führte die Baumrainklinik im Rahmen des Euregio-MRSA-net eine Drei-Monats-Studie (beidseitiger Nasen-Rachen-Abstrich bei Aufnahme und Entlassung) über alle drei Rehabilitationsindikationen durch, um die Prävalenz des MRSA in der Rehabilitation festzustellen.
Dabei wurden 1.006 Patienten untersucht bei einer Screeningrate von 99,8 %: 124 Patienten davon hatten einen Diabetes mellitus (12,32 %). Insgesamt wurden 22.057 Behandlungstage verzeichnet, anteilig dabei die Behandlungstage der Diabetiker mit 2.542 Tagen. Durchschnittlich lag die Verweildauer aller Patienten bei 21,92 Tagen, in den Abteilungen HNO 30,35 Tage, Innere Medizin 22,42 Tage und Orthopädie/Traumatologie 19,78 Tage. Das durchschnittliche Alter der Patienten lag bei 63,49 Jahren (HNO 50,62 Jahre, Innere 53,48 Jahre, Orthopädie/Traumatologie 67,63 Jahre).
Eine MRSA-Besiedlung bei Aufnahme wurde bei elf Patienten (MRSA-Prävalenz 1,19 %) festgestellt. Alle elf Patienten (100 %) wurden erfolgreich dekolonisiert. In der Klinik haben fünf Patienten (0,49 %) einen MRSA erworben, somit waren bei der Entlassung fünf Patienten (0,49 %) MRSA-positiv.
Aktuelle Studie
Aufgrund der immer wieder geäußerten Behauptung, Patienten mit Diabetes mellitus hätten eine gesteigerte Bereitschaft, an Keimen zu erkranken, da sie ein eventuell nicht immunkompetentes Abwehrsystem haben, entschieden sich die Autoren 2010/2011, eine prospektive Ein-Jahres-Studie an Patienten mit Diabetes mellitus durchzuführen. Es wurden alle Diabetiker über alle Rehabilitations-Indikationen mit einem beidseitigen Nasen-Abstrich bei der Aufnahme und Entlassung gescreent. Die Studie begann am 16.8.2010.
Eine erste Auswertung von Teilergebnissen über einen Zeitraum von sieben Monaten wurde im April 2011 auf dem euprevent-Kongress in Maastricht (NL) präsentiert. Nach Abschluss der Ein-Jahres-Studie wurden erste unvollständige Ergebnisse in Dezember 2011 auf dem EurSafetyHealth-net Kongress in Groningen (NL) vorgestellt. Weitere Ergebnisse wurden auf dem internationalen Kongress für Orthopädie + Reha-Technik im Mai 2012 in Leipzig in Poster-Form dargestellt.
Ergebnisse
Im Zeitraum vom 16.8.2010 bis 15.8.2011 wurden 3.679 Patienten stationär aufgenommen – davon hatten 569 Patienten (15,46 %) einen Diabetes mellitus – bei einem weiteren Patienten wurde der Diabetes mellitus erst während der Rehabilitation neu diagnostiziert.
Die Behandlungstage aller Patienten betrugen 80.928, davon 11.870 Behandlungstage bei den Diabetikern. Die mittlere Verweildauer aller Patienten lag bei 24,25 Tagen (in den Abteilungen HNO 26,97 Tage, Innere Medizin 21,66 Tage, Orthopädie 20,32 Tage). Die mittlere Verweildauer der Diabetiker betrug 20,92 Tage über alle Indikationen.
Im Durchschnitt waren die Patienten 59,12 Jahre alt, in den Abteilungen HNO 56,73 Jahre, Innere Medizin 63,80 Jahre und Orthopädie 71,03 Jahre. Das Durchschnittsalter der Diabetiker lag bei 69,39 Jahren über alle Indikationen. Bei 569 Diabetikern erreichte die Screeningrate 100 %. Die Anzahl MRSA kam bei insgesamt 17 Diabetikern vor (2,98 % oder 0,46 % der Gesamtpopulation).
Zum Zeitpunkt der Aufnahme lag bei 13 Diabetikern (2,28 %) eine MRSA-Besiedlung vor, das sind 0,35 % aller stationär behandelten Rehabilitanden. Elf Patienten (1,93 %) hatten eine orthopädische Grunderkrankung – vier Patienten (0,70 %) wurden wegen eines Diabetischen Fußsyndroms an der unteren Extremität amputiert (zwei Oberschenkel‑, zwei Unterschenkelamputationen). Je ein Patient wurde wegen Erkrankungen auf dem Gebiet der Inneren Medizin sowie auf dem Gebiet der HNO rehabilitiert.
Die Behandlungstage dieser 13 Diabetiker betrugen 271. Die mittlere Verweildauer lag bei 20,84 Tagen. Durchschnittlich waren die Patienten 70,63 Jahre alt.
Bei allen 13 Patienten (2,28 %), die den MRSA mitgebracht hatten, wurde dieser erfolgreich eradiziert (100 %). Bei der Entlassung zeigten vier Diabetiker (0,70 %) – entsprechend 0,11 % der Gesamtkohorte – eine in der Klinik erworbene Besiedlung der Nase mit MRSA. Alle vier Personen waren orthopädische Patienten, davon zwei (0,35 %) mit einer Unterschenkelamputation wegen eines Diabetischen Fußsyndroms.
Behandelt wurden acht Diabetiker an 87 Tagen. Die mittlere Verweildauer betrug 21,75 Tage, das durchschnittliche Alter 62,26 Jahre.
Diskussion
Ausgangspunkt dieser Studie ist die bisher nie wissenschaftlich belegte Behauptung, Patienten mit Diabetes mellitus hätten eine weitaus höhere Prävalenz für eine Besiedlung/Infektion mit Krankheitserregern – im Speziellen mit MRSA – als Patienten ohne Zuckerstoffwechselerkrankung. Statistiken oder exakte Zahlen sind bis heute in der Literatur nicht zu finden.
Die Autoren haben sich dieses Themas angenommen und sich zu einer prospektiven Ein-Jahres-Studie entschlossen, da in der von ihnen geführten Klinik mit 292 Betten und drei Rehabilitations-Indikationen ein ausreichendes Patientenklientel zur Verfügung steht, um eine wissenschaftliche Aussage zu treffen. Ferner gilt es zu vermerken, dass Patienten in einer Rehabilitationsklinik weitaus länger stationär behandelt werden als in einem Akutkrankenhaus: In einem Akuthaus beträgt die mittlere Verweildauer 7,9 Tage über alle Indikationen (siehe www.destatis.de), in der Baumrainklinik: 24,25. Die Übertragung von MRSA wäre in einer Rehabilitationsklinik um ein Vielfaches häufiger anzutreffen. Einschränkung bei dieser Studie: Eine vollständige Ein-Jahres-Studie mit beidseitigem Nasenabstrich aller 3.679 zur Rehabilitation aufgenommenen Patienten bei der Aufnahme und Entlassung hätte den ökonomischen, zeitlichen und personellen Rahmen gesprengt.
Die Autoren halten einen Vergleich mit der Drei-Monatsstudie aus dem Jahr 2010 für statistisch gerechtfertigt (Tab. 1 u. 2), da in diese Studie alle 1.006 Patienten unabhängig von der zur Rehabilitation führenden Diagnose über alle drei Indikationen eingeschlossen wurden. Von den 16 MRSA-besiedelten Patienten (1,59 %) waren fünf Diabetiker, also 0,49 % der Gesamtkohorte. Vier Diabetiker (0,39 %) waren bei der Aufnahme MRSA-positiv und wurden erfolgreich behandelt – ein Diabetiker (0,10 %) hatte den MRSA in der Klinik erworben. Betrachtet man lediglich die Diabetiker, zeigt sich in der Drei-Monats-Studie eine Prävalenz für MRSA von 0,49 % in der Gesamt-Untersuchungsgruppe (Tab. 3).
In der Ein-Jahres-Studie konnte eine Prävalenz für MRSA bei Diabetikern von 2,98 % ermittelt werden. Damit ist das Risiko eines Patienten mit Diabetes mellitus für eine MRSA-Besiedelung um 2,38-fach höher als bei Nicht-Diabetikern.
Für die Autoren:
Dr. Matthias Jäger
Chefarzt der Abteilung Innere Medizin
Baumrainklinik – HELIOS Rehazentrum
Bad Berleburg
Lerchenweg 8
57319 Bad Berleburg
Matthias.jaeger@helios-kliniken.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Jäger M, Grünther R‑A. Höhere Prävalenz von MRSA bei Diabetikern. Orthopädie Technik, 2013; 64 (7): 25–27
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024