Das Credo: „die bestmögliche medizinische Versorgung für die Ärmsten der Welt“, vor allem auch für die Quechua-Indianer, eine der ärmsten Gruppen der Peruaner und Opfer ethnischer Verfolgung und gesellschaftlicher Diskriminierung. Ebenso wie die Projektgründer treibt auch das Ehepaar Haupt die christliche Nächstenliebe an. Daher kündigte der 32-jährige Göttinger nach fast 14 Jahren bei Ottobock seinen festen Arbeitsvertrag, um drei Jahre lang ehrenamtlich beim Diospi-Suyana-Projekt anzupacken. An der angegliederten Diospi-Suyana-Schule wird parallel Ehefrau Christina unterrichten. Der Arbeitseinsatz der beiden wird ausschließlich über Spenden von Freunden und Unterstützer finanziert. Ein Projekt, das wie auf den Orthopädietechnik-Meister und die angehende Spanisch- und Biologielehrerin zugeschnitten ist. Im OT-Interview berichtet Christian Haupt über die glückliche Fügung, ein Orthopädietechnik-Projekt mit Schule im spanischsprachigen Ausland gefunden zu haben, über sein gefordertes Improvisationstalent, landestypische Besonderheiten bei der Patientenversorgung und Entwicklungshilfe im digitalen Zeitalter.
OT: Wie sind Sie auf das Entwicklungshilfeprojekt aufmerksam geworden?
Christian Haupt: Schon als wir zusammenkamen, war es unser Gedanke, Medizin und Bildung irgendwann einmal gemeinsam an einem Brennpunkt dieser Welt einzusetzen. Dann kamen die Kinder und der Gedanke war erst einmal weg. Inzwischen ist Benjamin zwei Jahre alt und Mia wird vier. Jetzt auf einmal ist die Tür wieder aufgegangen und es reihen sich viele Fügungen aneinander. Auf das Entwicklungshilfeprojekt in Peru bin ich über einen Freund aufmerksam geworden, der auch im Entwicklungshilfebereich tätig ist und ein Projekt in Albanien begleitet hat. Als wir uns als Familie überlegt haben, dass es eine gute Zeit ist, mit den Kindern genau jetzt ins Ausland zu gehen, bin ich mit ihm in Kontakt getreten und habe ihn gefragt, ob er auch etwas Spanischsprachiges kennt, weil meine Frau Spanisch studiert hat. Er hat mir den Kontakt zu dem Orthopädietechniker vermittelt, der vor drei Jahren die OT-Werkstatt von Diospi Suyana in Peru aufgebaut hat. Zuvor hatte er als Entwicklungshelfer in Albanien gearbeitet, bis das Rehazentrum mit Orthopädietechnik Werkstatt dort autark lief und er mit seiner Familie für das nächste Entwicklungshilfeprojekt nach Peru ging.
OT: Welche Kriterien waren Voraussetzung, um das Ehrenamt antreten zu können?
Haupt: Zum einen mussten wir als Familie abklären, ob wir uns das zutrauen, diesen Schritt zu wagen mit Kindern und besonders auch in dieser Corona-Zeit. Auch der finanzielle Grundstock musste erst gesichert sein. Wir finanzieren unseren Arbeitseinsatz ausschließlich über Spenden. Wie alle internationalen Ärzte und Mitarbeiter am Krankenhaus bekommen wir kein Gehalt, sondern werden durch einen Spenderkreis unterstützt. Unsere Organisation, die Vereinigte Deutsche Missionshilfe, handhabt es so, dass man von seinem errechneten Grundbedarf 80 Prozent erreichen muss, um die Flüge buchen zu dürfen. Wir hatten am Anfang gedacht, dass es sich monatlich um einen dreistelligen Bereich handeln würde. Aber tatsächlich ist es deutlich mehr, weil wir neben den monatlichen Lebenshaltungskosten auch für Flüge, den Sprachkurs für mich und die Absicherung als Familie aufkommen müssen. Wir sind im deutschen Angestelltenverhältnis über die Organisation beschäftigt, das heißt wir bleiben im Rentensystem und berufsgenossenschaftlich versichert. Dazu kommen auch weitere Versicherungen für den Einsatz im Ausland. Unser erster Gedanke war: Wie soll man denn so viel Geld auftreiben? Aber da sich so viele Menschen hinter uns gestellt haben, können wir nun in dieses Abenteuer „Nächstenliebe“ starten.
Zum anderen musste meine Frau abklären, ob ihr Mastertitel ausreicht, um als Lehrerin in Peru anerkannt zu werden. Als feststand, dass im Ausland kein zusätzliches Referendariat erforderlich ist, waren alle Türen offen. Und mit meinem Meistertitel wurde ich mit Kusshand genommen.
Jetzt habe ich noch die sprachliche Komponente zu bewältigen: Nachdem ich in Deutschland schon das Spanisch-Level A1 absolviert habe, benötige ich nun für den beruflichen Einstieg das Level B1, um eine gute Patientenversorgung gewährleisten zu können.
OT: Wie groß ist das Projekt?
Haupt: Zurzeit arbeiten ca. 50 internationale und rund 200 peruanische Fachkräfte in diesem Projekt. In der OT-Werkstatt arbeiten wir aktuell zu zweit: Daniel Müller ist im März 2018 nach Peru/Curahuasi gereist und hat die Werkstatt zu dem Krankenhaus aufgebaut. Jetzt ist er – nach der Phase der Werkstatteinrichtung, Firmenaufbau, Kontakte schließen – an dem Punkt, das Team auszubauen: Ich bin die erste Erweiterung in der OT-Werkstatt. Wir werden nun schauen, was wir weiter gemeinsam aufbauen. Ich könnte mir vorstellen, in Zukunft auch ein Ausbildungszentrum zu integrieren.
OT: Welche Versorgungsschwerpunkte warten auf Sie vor Ort?
Haupt: Zum einen der klinische Alltag mit allem, was dort anfällt: Bandagenversorgung, Lagerungsschienen, Einlagenversorgung, Spreizhöschen bei Frühgeborenen. Zum anderen aber auch die orthopädische Versorgung für Menschen, die in die Sprechstunde kommen und vielleicht schon längere Zeit amputiert sind, aber noch keine Versorgung haben. Neuland sind für mich die Felder Orthetik und Reha im Klinikbereich, weil ich bisher immer im Bereich Prothetik eingesetzt war. In der Ausbildung habe ich diese Bereiche durchlaufen, daher wird es nicht komplett fremd, aber im Berufsalltag neu sein.
OT: Was reizt Sie beruflich an der neuen Herausforderung?
Haupt: Beruflich finde ich den Ansatz des Projekts total faszinierend: „die bestmögliche Technik für die Ärmsten der Welt“. Das heißt zudem auch, dass man es mit Menschen zu tun hat, die aus den ärmsten Verhältnissen stammen, die zuhause manchmal nicht einmal elektrischen Strom und wirklich noch eine Feuerstelle in ihren Lehmhüttchen in den Bergen haben. Aber die Patienten kommen tatsächlich aus allen Bundesstaaten Perus. Das hat sich so weit rumgesprochen, dass Menschen auch mehrere Tage unterwegs sind, bis sie zu der Versorgung kommen. Die Nächstenliebe auf diese Weise praktisch werden zu lassen, meinen Glauben mit meinem Beruf so eng verknüpfen zu können, das finde ich faszinierend.
OT: Wird in Peru auch Improvisationstalent in der OT-Werkstatt gefordert sein oder hält die Technik dem Vergleich zu Ihrem gewohnten Standard stand?
Haupt: Die ganzen Maschinen sind so, wie ich sie hier auch kenne. Manchmal sogar mehr. Es gibt auch einen 3D-Drucker und einen Scanner. So kann man sich auch direkt vor Ort in 3D-Gestaltung und der Umsetzung in dieser Fertigung ausprobieren. Aber es wird natürlich auch viel Improvisation hinzukommen, weil der Passteilbedarf, den man vor Ort hat, ein ganz anderer ist. Elektronische Kniegelenke zum Beispiel machen gar keinen Sinn, selbst wenn es finanziell möglich wäre, wenn jemand zu Hause keinen Strom hat. Abzuwägen, wie wir die bestmögliche Versorgung sicherstellen können, mit den Dingen, die wir vor Ort haben, das wird die Kreativität fordern. Man hat natürlich den Vorteil, dass es nicht so hohe bürokratische Ansprüche wie in Deutschland gibt, dadurch hat man ein bisschen mehr Handlungsspielraum. Es wird spannend sein, welche kreativen Lösungen sich trotzdem mit digitalen Fertigungstechniken finden lassen. Wer Interesse hat, sich dies im Urlaub live vor Ort anzuschauen oder per kurzem Videochat ein authentisches Bild zu bekommen, der kann mich gerne kontaktieren (christian.haupt@diospi-suyana.org). Ich denke da beispielsweise auch an Meisterschulen: Ich würde den Meisterschülern gerne einen Einblick geben, wie in unserer heutigen digitalen Welt Entwicklungshilfe aussehen kann.
OT: Gibt es landestypische Besonderheiten bei der Behandlung der Patienten zu beachten? Ist bei der Behandlung der Patienten eine besondere Sensibilität gefragt?
Haupt: Um die sprachliche Barriere gerade bei älteren Menschen, die wirklich nur Quechua können, überbrücken zu können, braucht man einen Dolmetscher bei der Versorgung. Auch in kultureller Hinsicht warten Herausforderungen, denn ein großer Punkt wird es sein, den Menschen psychologisch zu helfen: Ihr seid nicht Zweite-Klasse-Menschen und ihr habt genau das gleiche Recht wie alle anderen Peruaner auf eine Versorgung, mit der ihr bestmöglich wieder durch den Alltag gehen könnt. Da braucht es viel Sensibilität. Die Menschen dahingehend zu begleiten, dass sie offen werden für eine Versorgung, gerade dann, wenn sie schon seit vielen Jahren nicht versorgt wurden. Den ersten Schritt in Richtung einer Versorgung zu begleiten, das wird sehr spannend werden. Eine weitere landestypische Besonderheit: Was in Peru häufiger zu einer Amputation oder zu einer dramatischen Versorgungsnotwendigkeit führt, sind Verbrennungen gerade von Kleinkindern, weil die Menschen ihr Essen oft noch am offenen Feuer zubereiten. Und dabei gibt es leider viele Unfälle.
OT: Was wird die größte Herausforderung für Sie persönlich werden?
Haupt: Die größte Herausforderung für uns aktuell ist, in der Kultur und in dem Land anzukommen in so einer herausfordernden Zeit mit Corona. Dort ebbt gerade die dritte Welle ab, aber trotzdem sind noch viele Einschränkungen da. Das alles in Einklang zu bringen, sich als Familie gut einzuleben, anzukommen im Sprachlichen, Kontakte zu knüpfen mit den Einheimischen – so wie das in der Corona-Zeit halt möglich ist.
OT: Wie kann man Sie vor Ort unterstützen? Und was für Sachspenden werden noch benötigt?
Haupt: Wir sind total dankbar, dass wir unseren Grundbedarf schon über Spenden abgedeckt haben. Über alles, was darüber hinausgeht, sind wir natürlich auch dankbar, weil das noch weitere Sachen möglich macht – wie Projekte dort ins Leben zu rufen. Sei es noch einen Spielplatz zu integrieren oder einen Außenbereich zu konzipieren, wo Patienten auf unterschiedlichen Untergründen üben können. Es wäre schön, solche weiteren Dinge zu etablieren. Und für die Prothetik sind Kniegelenke, Fußpassteile und alles, was man für einen schönen Prothesenaufbau benötigt, als Sachspenden willkommen. Für die Orthetik sind es Polstermaterialien für Einlagenversorgungen oder auch Gelenke. Am besten wäre es, mit uns kurz in Kontakt zu treten, um gemeinsam zu schauen, was am dringendsten benötigt wird. Bei Diospi Suyana wird die bestmögliche Versorgung angestrebt und auch versucht, den aktuellen Qualitätsstandard der Orthopädie-Technik umzusetzen. Wir schauen, welche Fertigungsverfahren es gibt, die man auch vor Ort gut integrieren kann. Daher müssen wir bei neuen Anschaffungen abwägen, was umsetzbar ist und von den Menschen vor Ort eingesetzt werden kann.
OT: Sie haben drei Jahre in Peru eingeplant. Können Sie nach Ihrem Aufenthalt wieder in Ihre alte Anstellung einsteigen?
Haupt: Das ist noch komplett offen. Ich habe meine Meisterstelle gekündigt, jedoch sind wir da sehr freundschaftlich auseinander gegangen. Ich bin gespannt, in welchem Eck Deutschlands wir uns dann wiederfinden werden.
Die Fragen stellte Jana Sudhoff.
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