„Wir müssen das blaue ‚S‘ – für Sanitätshaus – nach oben halten wie andere ihr Apotheken‑A!“, so Ben Bake, Vorstandsvorsitzender der Sanitätshaus Aktuell AG, während des Live-Studiotalks „Werden wir wahrgenommen? Die Relevanz im System“. Die Coronakrise habe die Branche „ganz gewaltig aus der Komfortzone rausgezogen. Aber wir haben das auch genutzt“, konstatierte Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT). „Wir sind wahrgenommen worden, aber ich glaube, dass wir nicht laut genug sind.“ Dass sich die Branche insgesamt stärker durchsetzen muss im vielstimmigen Chor des Gesundheitswesens, dies wurde genauso auf der Podiumsdiskussion „Hilfsmittelversorgung #systemrelevant“ deutlich, die ebenfalls vom BIV-OT präsentiert wurde. Es habe noch nie eine so große Einigkeit gegeben. Die müsse man jetzt in der politischen Arbeit einsetzen. Jedes Unternehmen soll dabei mitziehen: Die Betriebe dürften sich nicht „verstecken“, sagte Stephan Jehring, Präsident des Zentralverbandes Orthopädieschuhtechnik (ZVOS): „Es ist wichtig, dass die Betriebe aus ihrem Schneckenhaus herauskommen und sichtbar werden.“ Gerade jetzt, wo sich im Zuge der steigenden Infektionszahlen die Arztpraxen wieder leeren, müssten die Firmen deutlich kommunizieren, dass die Kunden in den Geschäften sicher versorgt seien.
(Noch) mit einem blauen Auge davongekommen
„Wir haben Einbußen, kommen aber durch“ sagten mehr als 81 Prozent der Teilnehmer einer Schnellumfrage zu den Folgen der Coronakrise auf ihr Unternehmen während der Podiumsdiskussion „Hilfsmittelversorgung #systemrelevant“. Bislang sei die Branche mit einem blauen Auge durch die Krise gekommen, so auch das Fazit von Jens Sellhorn, Geschäftsführer der Rehavital Gesundheitsservice GmbH. Nicht zuletzt dank der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Coronakrise habe sich in den einzelnen Betrieben sowie den verschiedenen Produktbereichen unterschiedlich ausgewirkt: So habe es in der Medizintechnik, bei den Beatmungsgeräten, Umsatzsteigerungen geben können – sofern die Geräte auf dem Markt verfügbar waren. In den mit Reha/Orthopädie verbundenen Segmenten dagegen seien die Kunden in den ersten Monaten der Krise „zu 20 bis 30 Prozent“ nicht gekommen. „Bislang hatten wir die Hoffnung, dass wir leicht unter dem Vorjahr abschließen“, erklärte Sellhorn. „Wir haben aber Respekt davor, was jetzt passiert.“ Auch für die Industrie hoffe er nicht, dass nun wieder alles einbreche: „Wir sind weit weg von einer Normalisierung, weit weg von einer Aufholjagd. Wir brauchen eine Perspektive.“ Trotzdem gab er sich optimistisch: „Wir haben jetzt ein paar Bremsspuren – das hält uns aber nicht auf!“
Versorgungsqualität unter Druck
Viele Kostenträger versuchten allerdings, mit dem Argument Corona die Preise zu drücken, warnte BIV-OT-Präsident Reuter: „Es kann nicht sein, dass Krankenkassen dieses Argument nutzen, um uns in die Ecke zu drängen, sodass wir die Qualität reduzieren müssen! Wir handeln nicht mit ‚irgendwas’. Wir versorgen Menschen!“ Statt über den Preis müsse über einen Qualitätswettbewerb gesprochen werden, unterstrich Rehavital-Chef Sellhorn. Während in der Diskussion positiv hervorgehoben wurde, wie schnell und lösungsorientiert der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) unter Krisenbedingungen Entscheidungen über Verwaltungsvereinfachungen getroffen habe, wurde der fehlende finanzielle Ausgleich für den gestiegenen Aufwand für persönliche Schutzausrüstung (PSA) kritisiert. In dieser Hinsicht sei die Hilfsmittelversorgung bislang übersehen worden: „Wir haben deutlich steigende Kosten. Pro Behandlung eines Versicherten fallen sieben bis acht Euro für PSA an. Und der Versicherte kommt ja nicht nur einmal“, erklärte Dr. Axel Friehoff, Leiter Abteilung Vertragsmanagement/Kassenverträge bei der Einkaufsgenossenschaft EGROH eG. Auf diesen Zusatzkosten blieben die Betriebe bisher sitzen – im Gegensatz beispielsweise zu Heilmittelerbringern, Ärzten und Kliniken. „Wir müssen jetzt handeln, damit wir in den Lieferketten berücksichtigt, als systemrelevant eingestuft werden“, forderte Sanitätshaus-Aktuell-Vorstandschef Bake. Deshalb müsse auch von der OTWorld.connect das Signal ausgehen: „Wir sind #systemrelevant, eine systemrelevantes Glied in der Gesundheitskette!“ Jedes einzelne Haus solle dazu beitragen – nicht zuletzt über Social Media – und in seinem Umfeld zeigen: „Unsere DNA ist die wohnortnahe Versorgung, das müssen wir nach draußen tragen.“
Weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung
Im Bürokratieabbau und der Digitalisierung liegen große Chancen, die Betriebe zu entlasten: „Wir haben fast 400 Verträge zu verhandeln, die Verwaltungsabteilung in meinem Betrieb wächst und wird größer als die Werkstatt“, schilderte BIV-OT-Präsident Reuter. Dabei müsste der Fokus eigentlich auf dem liegen „was wir gelernt haben: auf der Versorgung von Menschen“. Bürokratieabbau sei ein Kernanliegen, betonte ebenso Ben Bake. So sollten alle Informationen, die digital erfasst werden können, auch digital versendbar sein: „Warum können Formulare nicht einheitlich gestaltet werden, warum wird die digitale Unterschrift nicht akzeptiert wie in anderen Branchen? Der Verwaltungsaufwand in unseren Häusern nimmt so exorbitant zu, das nimmt uns die Luft zum Atmen.“ Durch die Coronakrise sei die Digitalisierung vorangekommen. Eine Chance, so ZVOS-Präsident Jehring. Doch eines müsse klar sein: „Wenn der Anschluss an die Telematikinfrastruktur kommt, wenn das elektronische Rezept kommt, darf es keinen Medienbruch mehr geben, dann müssen wir weg vom Papier.“
Cathrin Günzel
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