Ange­bo­re­ne Fehl­bil­dun­gen der obe­ren Extre­mi­tät – Behand­lungs­stra­te­gien aus fach­ärzt­li­cher Sicht

F. v. Stillfried
Bei angeborenen Veränderungen und Deformitäten der Hand und der oberen Extremität bei Kindern können verschiedene Funktionen beeinträchtigt sein. Bei der Behandlung steht eine fundierte Beratung der Eltern an erster Stelle. Für die Therapieplanung müssen die zu erwartenden Auswirkungen und Funktionseinschränkungen im Kindes- und Erwachsenenalter sowie während des Wachstums auftretende Veränderungen berücksichtigt werden. Zu welchem Zeitpunkt eine Behandlung oder auch Operation sinnvoll ist, muss festgelegt und Therapieziele klar formuliert werden.

Ein­lei­tung

Die obe­re Extre­mi­tät und die Hand haben für den Men­schen in jedem Lebens­al­ter eine Schlüs­sel­funk­ti­on: Sie ermög­li­chen uns das Grei­fen und Begrei­fen, sind ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug und unter­stüt­zen den Aus­druck unse­rer Gefüh­le. Bei ange­bo­re­nen Ver­än­de­run­gen und Defor­mi­tä­ten kön­nen die ver­schie­de­nen Funk­tio­nen der Hand beein­träch­tigt sein.

Bera­tung der Eltern von Kin­dern mit ange­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen und Therapieplanung

Im Rah­men einer ers­ten hand­chir­ur­gi­schen Bera­tung liegt die Geburt häu­fig erst weni­ge Wochen oder Mona­te zurück. Für die Eltern betrof­fe­ner Kin­der ste­hen vie­le, zum Teil unaus­ge­spro­che­ne Fra­gen im Raum. Gibt es eine Ursa­che? Haben wir etwas falsch gemacht? Unter Umstän­den gibt es stil­le Vor­wür­fe zwi­schen den Eltern, die mit einer fun­dier­ten Bera­tung über die Ursa­chen einer Dys­me­lie auf­ge­klärt und besei­tigt wer­den kön­nen. Ist die Defor­mi­tät ver­erb­bar? Wenn der Ver­dacht auf eine syn­droma­le Erkran­kung vor­liegt, wird gege­be­nen­falls eine gene­ti­sche Bera­tung emp­foh­len. Häu­fig han­delt es sich jedoch um spon­ta­ne Ver­än­de­run­gen in der intrau­te­ri­nen Ent­wick­lung ohne gene­ti­sche Disposition.

Was ist im Rah­men der wei­te­ren Ent­wick­lung des Kin­des und der Defor­mi­tät zu erwar­ten? Wie wer­den die Fähig­kei­ten des Kin­des sein? Was wird es kön­nen? Wel­che Ein­schrän­kun­gen sind zu erwar­ten? Was wird es nicht kön­nen? Auf all die­se Fra­gen soll­te im Rah­men einer fach­ärzt­li­chen Bera­tung eine Ant­wort gefun­den wer­den. Den Eltern soll­te ver­mit­telt wer­den, dass ihr Kind eine ange­bo­re­ne Ver­än­de­rung hat, die es ein Leben lang beglei­ten wird. Ob und wel­che Bedeu­tung dies für das Kind und sein Umfeld hat, soll­te im Gespräch ver­deut­licht werden.

Zunächst stellt sich die Fra­ge, ob eine The­ra­pie über­haupt erfor­der­lich ist. Wenn ja, wird als Nächs­tes das Ziel einer The­ra­pie for­mu­liert und der erfor­der­li­che Auf­wand bespro­chen. Dazu gehö­ren die ver­schie­de­nen The­ra­pie­op­tio­nen wie Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie, regel­mä­ßi­ge Ver­sor­gung mit Orthe­sen oder Pro­the­sen im Wachs­tum sowie Ope­ra­tio­nen. Vor­sicht ist immer dann gebo­ten, wenn deut­lich wird, dass von Sei­ten der Ange­hö­ri­gen der Wunsch besteht, nur „irgend­et­was“ zu tun. Die­ser Aktio­nis­mus beru­higt zwar gege­be­nen­falls die Ange­hö­ri­gen eines Kin­des mit Dys­me­lie, da er eine akti­ve Hil­fe für das Kind sug­ge­riert. Es müs­sen aber das Kind und sei­ne Funk­ti­ons­ein­schrän­kung im Mit­tel­punkt ste­hen und eine The­ra­pie mit Aus­sicht auf kon­kre­te Funk­ti­ons­ver­bes­se­rung vor­han­den sein, bevor ent­spre­chen­de Maß­nah­men initi­iert werden.

Umgang mit einer Deformität

Das Umfeld der Betrof­fe­nen soll­te die Erkran­kung samt The­ra­pie nicht in den Lebens­mit­tel­punkt stel­len – das Kind ist wich­ti­ger als die Defor­mi­tät. Das Kind kann von sei­nen Eltern erfah­ren, dass es etwas Beson­de­res ist – nicht schlech­ter und nicht bes­ser. Dadurch hat es die Mög­lich­keit, selbst­bewusst mit sich und sei­ner Umwelt umzu­ge­hen. Denn auch im Kin­der­gar­ten und in der Schu­le wird es mit sei­ner Ver­än­de­rung kon­fron­tiert und gege­be­nen­falls geär­gert wer­den, aber es wird selbst genau­so ande­re Kin­der ärgern.

Ein Aus­blick auf lang­fris­ti­ge Aus­wir­kun­gen bis ins Erwach­se­nen­al­ter ist in die­sem Zusam­men­hang hilf­reich: Anhand von Lang­zeit­er­geb­nis­sen zu Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen bei Pati­en­ten mit Arth­ro­gry­po­sis mul­ti­plex con­ge­ni­ta (AMC) 1 zeigt sich bei­spiels­wei­se, dass dabei eher Pro­ble­me an der unte­ren und nicht an der obe­ren Extre­mi­tät im Vor­der­grund ste­hen. Die All­tags­funk­tio­nen sind posi­tiv zu bewer­ten, da häu­fig eine adäqua­te Adapt­a­ti­on der Defor­mi­tä­ten der obe­ren Extre­mi­tät ein­tritt. Vie­le Pati­en­ten mit AMC blei­ben zwar auf die Unter­stüt­zung Drit­ter ange­wie­sen, das Aus­maß der benö­tig­ten Hil­fe ist jedoch unab­hän­gig von der Schwe­re der Gelenk­de­for­mi­tät – die erreich­te Selbst­stän­dig­keit kor­re­liert eher mit der Per­sön­lich­keit, der Bil­dung und den erlern­ten Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien der Betroffenen.

Cha­rak­te­ris­ti­ka einer dys­melen Extremität

Bei ange­bo­re­nen Defor­mi­tä­ten lie­gen meist kei­ne Ver­nar­bun­gen vor. Es tre­ten kei­ne Stumpf- oder Phan­tom­schmer­zen auf, und die dys­melen Extre­mi­tä­ten ver­fü­gen über eine voll­stän­di­ge Sen­si­bi­li­tät. Für die Betrof­fe­nen han­delt es sich nicht um den Ver­lust einer zuvor vor­han­de­nen Extre­mi­tät oder Funk­ti­on, da die­se nie exis­tent gewe­sen ist.

Es stellt sich in die­sem Zusam­men­hang die Fra­ge, ob auch die kor­ti­ka­le Abbil­dung im Gehirn fehlt. Mit Hil­fe moder­ner Bild­ge­bungs­ver­fah­ren konn­te gezeigt wer­den, dass die Reprä­sen­ta­ti­on der Hand im soma­to­sen­so­ri­schen Kor­tex bei Pati­en­ten mit Dys­me­lie zwar klei­ner ist, die Ver­klei­ne­rung ist jedoch nicht pro­por­tio­nal zur Anzahl der feh­len­den Fin­ger 2. Die Reprä­sen­ta­ti­on der Hand ist eher von der Nut­zung abhän­gig und weni­ger durch die Defor­mi­tät beein­flusst. Die enor­me Plas­ti­zi­tät des Gehirns im soma­to­sen­so­ri­schen Kor­tex ist bei­spiels­wei­se in Bezug auf Ver­än­de­run­gen der frei­en Finger­beweglichkeit inner­halb von Minu­ten bis Stun­den mess­bar 3, was für die Rekon­struk­ti­ve Chir­ur­gie z. B. bei der Schaf­fung neu­er Fin­ger- und Hand­funk­tio­nen durch Ver­la­ge­rung von Mus­keln oder Gelen­ken eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung ist.

All­ge­mei­nes Ziel der Behand­lung soll­te das Errei­chen einer mög­lichst hohen Selbst­stän­dig­keit der Pati­en­ten sein, sowohl in Bezug auf die Mobi­li­tät als auch hin­sicht­lich der Nah­rungs­auf­nah­me und der Toi­let­ten­hy­gie­ne. Dies soll durch den Erhalt oder die Ver­bes­se­rung der akti­ven und pas­si­ven Beweg­lich­keit an Hand und Arm erreicht wer­den. Eine Maxi­mie­rung der Funk­ti­on sowie eine Ver­bes­se­rung der Stel­lung von Kno­chen und Gelen­ken soll­ten ange­strebt wer­den. Aller­dings muss eine ver­bes­ser­te Stel­lung nicht mit einer ver­bes­ser­ten Funk­ti­on ein­her­ge­hen, wenn es z. B. durch die Stel­lungs­kor­rek­tur gleich­zei­tig zu einer Kraft­min­de­rung oder Bewe­gungs­ein­schrän­kung kommt.

Aus hand­chir­ur­gi­scher Sicht muss schließ­lich geprüft wer­den, ob eine Ope­ra­ti­on indi­ziert ist. Dazu muss die Gesamt­si­tua­ti­on betrach­tet wer­den. Sind z. B. wei­te­re Fehl­bil­dun­gen an ande­ren Glied­ma­ßen oder Orga­nen vor­han­den? Wie dring­lich ist die Ver­sor­gung der ande­ren Fehl­bil­dun­gen? Vor­ran­gig ist stets die Behand­lung lebens­wich­ti­ger Orga­ne wie z. B. des Her­zens oder der Spei­se­röh­re durch die ent­spre­chen­den Fach­dis­zi­pli­nen. Wei­ter­hin wird geprüft, ob eine Mit­ar­beit des Kin­des wäh­rend der post­ope­ra­ti­ven Nach­be­hand­lung erfor­der­lich ist. Die­se ist gege­be­nen­falls erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt moto­risch und von sei­ner geis­ti­gen Ent­wick­lung her mög­lich. Sind Ein­grif­fe am Ske­lett­sys­tem erfor­der­lich, soll­ten die­se kei­ne Wachs­tums­stö­run­gen her­vor­ru­fen. Der natür­li­che Ver­lauf mit mög­li­cher Adapt­a­ti­on soll­te immer gegen­über einer ope­ra­ti­ven Behand­lung abge­wo­gen wer­den, denn Kin­der ler­nen in der Regel spon­tan ihre Finger‑, Hand- und Arm­de­for­mi­tät funk­tio­nell ein­zu­set­zen. Betrof­fe­ne Pati­en­ten ent­wi­ckeln häu­fig eine gro­ße Geschick­lich­keit trotz vor­han­de­ner Fehl­stel­lung (Abb. 1). Für eine ästhe­ti­sche Kor­rek­tur darf kei­ne Funk­ti­on ver­schlech­tert wer­den 4.

Frü­her vs. spä­ter Zeit­punkt für eine Operation

Um eine Ant­wort auf die Fra­ge nach dem geeig­ne­ten Zeit­punkt einer Ope­ra­ti­on geben zu kön­nen, soll­te unter ande­rem der zu erwar­ten­de Ver­lauf der Defor­mi­tät inner­halb des Wachs­tums berück­sich­tigt wer­den. Ist im Lau­fe des Wachs­tums eine Zunah­me der Defor­mi­tät, eine Ver­schlech­te­rung der Funk­ti­on oder ein Kor­rek­tur­ver­lust zu erwar­ten? Wird durch die Defor­mi­tät oder durch eine Ope­ra­ti­on das Ex­tremitätenwachstum redu­ziert sein? Sind Achs­de­via­tio­nen oder Gelenk­de­for­mi­tä­ten mit Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen bis hin zu Gelenk­kon­trak­tu­ren vor­her­zu­se­hen? Ist der Zeit­punkt einer Ver­schlech­te­rung vor­her­seh­bar? Häu­fig tre­ten die­se im Rah­men eines natür­li­chen Wachs­tums­schubs auf, wenn das Ske­lett­sys­tem schnell wächst und die Defor­mi­tät nicht in glei­chem Maße mit­wach­sen kann. Ein schnel­les Wachs­tum fin­det bis zu einem Alter von etwa 5 Jah­ren und spä­ter in der Puber­tät statt. Die­se Pha­se reicht bei Mäd­chen etwa vom 11. bis zum 13. und bei Jun­gen vom 13. bis zum 15. Lebens­jahr. Das soll­te bei der Kon­troll­fre­quenz berück­sich­tigt und in die­sen Zeit­räu­men häu­fi­ger das Auf­tre­ten einer Ver­schlech­te­rung geprüft werden.

Kri­te­ri­en für die Bestim­mung des geeig­ne­ten OP-Zeitpunkts

Zunächst ist zu klä­ren, ob ein ein­zel­ner Ein­griff aus­reicht oder ob meh­re­re Ope­ra­tio­nen erfor­der­lich sind und wel­cher zeit­li­che Abstand dazwi­schen lie­gen müss­te. Wenn mög­lich, soll­te z. B. die Behand­lung vor dem Kin­der­gar­ten- oder Schul­al­ter abge­schlos­sen sein. Für eine früh­zei­ti­ge Kor­rek­tur spricht zudem, dass sich dadurch ana­to­mi­sche Struk­tu­ren in der wei­te­ren Ent­wick­lung anpas­sen kön­nen. Aller­dings muss dem­ge­gen­über das Risi­ko eines Rezi­divs im Wachs­tum bei früh­zei­ti­ger Kor­rek­tur geprüft wer­den. Unter­liegt ein spä­ter OP-Zeit­punkt dem Risi­ko einer schlech­te­ren Aus­gangs­si­tua­ti­on, und wird der Ein­griff dann kom­ple­xer? Leicht­gra­di­ge Fehl­bil­dun­gen wie eine Poly- oder Syn­d­ak­ty­lie, die kei­ne spon­ta­ne Bes­se­rung erwar­ten las­sen, kön­nen auch im frü­hen Kin­des­al­ter ope­ra­tiv kor­ri­giert wer­den 4. Sofern Stu­di­en­ergeb­nis­se bezüg­lich des OP-Zeit­punkts zu ein­zel­nen Erkran­kungs­bil­dern vor­lie­gen, soll­ten die­se berück­sich­tigt wer­den. So zeig­ten sich z. B. für die Kor­rek­tur am Hand­ge­lenk bei Arth­ro­gry­po­sis mul­ti­plex con­ge­ni­ta (AMC) deut­lich bes­se­re Ergeb­nis­se bei einer Ope­ra­ti­on ab dem 7. Geburts­tag 5.

Anzu­stre­ben­de The­ra­pie­zie­le in Bezug auf die Hand

Die Greif­funk­ti­on soll­te mög­lichst früh rea­li­siert und damit die Selbst­stän­dig­keit des Kin­des geför­dert wer­den. Das Grei­fen und Begrei­fen der Umwelt unter­stützt die geis­ti­ge Ent­wick­lung von Klein­kin­dern. Liegt eine Dys­me­lie nur ein­sei­tig vor, kann z. B. ein geziel­tes Trai­ning der Greif­fä­hig­keit mit geziel­ter Nut­zung der fehl­ge­bil­de­ten Extre­mi­tät durch­ge­führt wer­den. Sobald die Kin­der eige­ne Wün­sche zur Ver­bes­se­rung for­mu­lie­ren kön­nen, soll­ten die­se unbe­dingt berück­sich­tigt werden.

Kon­ser­va­ti­ve Therapieoptionen

Unter­stüt­zung bie­tet einer­seits die Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie und ande­rer­seits die Ortho­pä­die-Tech­nik. Es kön­nen z. B. Deh­nungs­übun­gen zur Ver­mei­dung oder Ver­bes­se­rung bestehen­der Kon­trak­tu­ren durch­ge­führt und die Eltern dazu ange­lei­tet wer­den. Die Anpas­sung von Schie­nen und Orthe­sen kann im Wachs­tum häu­fig erfor­der­lich sein, da die­se schnell zu klein wer­den. Die Hilfs­mit­tel soll­ten jedoch die Akti­vi­tät des Kin­des nicht ein­schrän­ken. Auch kom­ple­xe Greif­hil­fen und Hand­pro­the­sen kön­nen im Klein­kind­al­ter ein­ge­setzt wer­den und ermög­li­chen ein beid­hän­di­ges Arbei­ten 6.

Im Vor­feld der Fest­le­gung eines The­ra­pie­ziels muss zunächst die Hand und ihre Greif­funk­ti­on betrach­tet und Ver­än­de­run­gen dia­gnos­ti­ziert wer­den. Wie vie­le Fin­ger­strah­len und Fin­ger­glie­der sind vor­han­den? Phy­sio­lo­gisch ist eine fünf­strah­li­ge Hand mit zwei­glied­ri­gem Dau­men und drei­glied­ri­gen Lang­fin­gern. Ist ein voll­stän­di­ger Faust­schluss mög­lich? Wie sind die Bewe­gungs­aus­ma­ße der ein­zel­nen Finger­gelenke, des Hand­ge­lenks und der Unter­arm-Umwen­dung? Ver­än­de­run­gen an den Fin­ger­ge­len­ken wer­den als Beu­ge- oder Streck­de­fi­zit notiert, Ein­schrän­kun­gen der Hand­ge­lenks­exten­si­on und ‑fle­xi­on, der Radi­al- und Ulnard­uk­ti­on und der Unter­arm-Umwen­dung alter­na­tiv nach der Neu­tral-Null-Metho­de. Die Hand­span­ne von der Dau­men- zur Zei­ge­fin­ger­kup­pe kann gemes­sen und mit der Gegen­sei­te ver­gli­chen wer­den. Ver­schie­de­ne Greif­for­men kön­nen betrach­tet wer­den; dazu gehö­ren der Spitz­griff, der Schlüs­sel­griff, der 3‑Punkt-Griff, der sphä­ri­sche Griff zum Hal­ten von Kugeln und der Grobgriff.

Am Ellen­bo­gen wird die akti­ve und pas­si­ve Beu­ge- und Streck­fä­hig­keit beur­teilt und die Unter­arm-Umwen­dung im pro­xi­ma­len Radio-Ulnar­ge­lenk geprüft. Bei einer Ellen­bo­gen­a­pla­sie kann die Bewe­gung am Ellen­bo­gen auf­ge­ho­ben, aber ein voll­stän­di­ger Faust­schluss mög­lich sein (Abb. 2a–c). Die Greif­funk­ti­on bei einer Sym­brac­hydak­ty­lie vom Spalt­hand-Typ kann auch mit zwei aktiv beweg­li­chen Fin­gern, die auf­ein­an­der aus­ge­rich­tet sind, für einen 2‑Punkt-Griff sehr gut geeig­net sein (Abb. 3a u. b). Bei einer Pero­me­lie (Abb. 4) kann eine Trans­plan­ta­ti­on von zwei Zehen zur Schaf­fung eines Spitz­griffs 7 füh­ren. Wird dies nicht gewünscht, kann eine (myo­elek­tri­sche) Pro­the­sen­ver­sor­gung mit den Eltern bespro­chen wer­den. Ein The­ra­pie­ziel kann die Schaf­fung einer fünf­strah­li­gen Hand sein, z. B. bei nume­ri­schen Fehl­bil­dun­gen wie einer Hexad­ak­ty­lie (Abb. 5) oder einer Dop­pel­dau­men-Anla­ge. Ein wei­te­res wich­ti­ges The­ra­pie­ziel ist die Schmerz­re­duk­ti­on. Bei einem Schnür­fur­chen-Syn­drom kön­nen im Wachs­tum Schmer­zen auf­tre­ten; es besteht die Gefahr einer knö­cher­nen Durch­spie­ßung (Abb. 6).

Im Fol­gen­den wird anhand zwei­er ange­bo­re­ner Fehl­bil­dun­gen – der radia­len Klump­hand und der Dau­men­hy­pop­la­sie – ein mög­li­ches Vor­ge­hen kon­kre­ter erläutert.

Fall 1: Radia­le Klumphand

Beim Auf­tre­ten einer radia­len Klump­hand besteht ein Radi­us­de­fekt: Durch die Radi­us­hy­pop­la­sie fehlt die radia­le Abstüt­zung der Hand­wur­zel­kno­chen, und es kommt zur Achs­ab­wei­chung im Hand­ge­lenk nach radi­al. Eine Klump­hand tritt meist spon­tan auf, kann aber auch im Rah­men einer syn­droma­len Erkran­kung wie z. B. der soge­nann­ten VAC­TERL-Asso­zia­ti­on vor­lie­gen, bei der ver­schie­de­ne kom­ple­xe Fehl­bil­dun­gen in Kom­bi­na­ti­on auf­tre­ten. Sofern wei­te­re Begleit­erkran­kun­gen es zulas­sen, kann bereits bei einem Neu­ge­bo­re­nen eine Lage­rungs­schie­ne aus Neo­pren zur Kon­trak­tur­ver­mei­dung ange­passt wer­den (Abb. 7a u. b). Auch bei wei­chem Neo­pren muss dabei aller­dings kon­se­quent auf die Ver­mei­dung von Druck­stel­len auf der emp­find­li­chen Haut geach­tet werden.

Eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung vor einer ope­ra­ti­ven Kor­rek­tur der radia­len Klump­hand ist die Prü­fung der Ellen­bo­gen­be­weg­lich­keit (Abb. 8). Ist die­se nicht gege­ben, kann nach Kor­rek­tur gege­be­nen­falls der Mund zur Nah­rungs­auf­nah­me nicht mehr erreicht wer­den. Bei Vor­han­den­sein einer Kon­trak­tur wird zunächst ein Fix­a­teur exter­ne zur radia­len Deh­nung und schritt­wei­sen Dis­trak­ti­on ange­legt. Es folgt die eigent­li­che Ope­ra­ti­on mit Zen­tra­li­sa­ti­on der Hand­wur­zel über der Ulna, unter­stützt von einem Kirsch­ner-Draht, der nach eini­gen Mona­ten wie­der ent­fernt wird. Eine Cast- und spä­ter eine Lage­rungs­schie­ne wer­den ange­passt, um das Rezi­div­ri­si­ko zu ver­min­dern (Abb. 9a–e).

Fall 2: Daumenhypoplasie

Der Schwe­re­grad einer Daumen­hypoplasie wird nach Blau­th 8 und Mans­ke 9 in fünf Typen ein­ge­teilt, bis hin zur voll­stän­di­gen Dau­mena­pla­sie (Abb. 10). Sie kann wie eine radia­le Klump­hand im Rah­men einer syn­droma­len Erkran­kung auf­tre­ten. Bei der Betrach­tung eines hypop­las­ti­schen Dau­mens zeigt sich die­ser kür­zer, schma­ler und schlan­ker. Ent­spre­chend der vor­han­de­nen Patho­lo­gie kom­men ver­schie­de­ne ope­ra­ti­ve The­ra­pie­op­tio­nen in Betracht, unter ande­rem Mus­kel­ver­la­ge­run­gen (Abb. 11) und Gelenk­sta­bi­li­sie­run­gen bis hin zur Schaf­fung eines neu­en Dau­mens aus dem Zei­ge­fin­ger, die soge­nann­te Pol­li­zi­sa­ti­on (Abb. 12).

Fazit

Bei Kin­dern mit ange­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen an der obe­ren Extre­mi­tät ist eine fun­dier­te Bera­tung der Eltern essen­ti­ell. Es soll­te aber die Erkran­kung samt The­ra­pie nicht zum Lebens­mit­tel­punkt gemacht wer­den. Ziel einer The­ra­pie ist stets, eine mög­lichst hohe Selbst­stän­dig­keit der betrof­fe­nen Pati­en­ten zu errei­chen. Der im Wachs­tum zu erwar­ten­de Ver­lauf der Defor­mi­tät muss bei der The­ra­pie­pla­nung berück­sich­tigt und dabei sowohl kon­ser­va­ti­ve als auch ope­ra­ti­ve Optio­nen genutzt wer­den. Sofern vor­han­den, soll­ten Rekon­struk­ti­ons­mög­lich­kei­ten zur Funk­ti­ons­ver­bes­se­rung ein­ge­setzt werden.

Der Autor:
Dr. Fal­ko von Stillfried
Kli­nik für Rekon­struk­ti­ve und Plas­ti­sche Chir­ur­gie, Handchirurgie
Sankt Vin­cen­ti­us Krankenhaus
Holz­str. 4a
67346 Spey­er
f.stillfried@vincentius-speyer.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Still­fried F. v. Ange­bo­re­ne Fehl­bil­dun­gen der obe­ren Extre­mi­tät – Behand­lungs­stra­te­gien aus fach­ärzt­li­cher Sicht. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (1): 20–24

 

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