Anwen­dungs­be­rei­che von RTV-Sili­ko­nen in der Prothetik

O. Pape, F. Senelle, T. Stein, S. Reimitz
Die Basis für eine indikationsgerechte Versorgung ist ein optimal sitzender Prothesenschaft. Er stellt die direkte Verbindung zu den Passteilen und weiter zur Bodenunterstützungsfläche dar. Ist er nicht maximal kongruent mit dem zu versorgenden Stumpf, gehen Hebelkräfte verloren; Druckspitzen und Hautirritationen können sich bilden. Nur ein Vollkontakt zum Schaft trägt zur notwendigen Blut- und Flüssigkeitszirkulation im Stumpf bei und fördert ein gesundes Hautbild. Gerade stark konische, knöcherne oder auch Stümpfe mit starken Narbeneinziehungen stehen in Konflikt mit einer formschlüssigen Schaftkontur. Um die genannten Herausforderungen zu meistern und den Anforderungen des Patienten gerecht zu werden, kann ein individuell hergestellter Silikonliner Abhilfe schaffen. Knöcherne Areale werden dadurch gebettet, einem Narbenrelief kann individuell gefolgt werden, und die Verbindung vom Schaft an den Stumpf wird mittels eines distalen Anschlusses oder per Druckdifferenz realisiert.

Ein­lei­tung

Laut Defi­ni­ti­on der ISO 1 (Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Nor­mung) muss ein Pro­the­sen­schaft haupt­säch­lich fol­gen­de drei Auf­ga­ben erfül­len: Über­nah­me der Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te („sup­port“), Über­tra­gung aller hori­zon­ta­len Kräf­te zur Steue­rung („sta­bi­li­sa­ti­on“) und Haf­tung des Schaf­tes am Stumpf („sus­pen­si­on“). Bei der Ver­sor­gung von Ampu­ta­ti­ons­stümp­fen hat sich die Anwen­dung kon­fek­tio­nier­ter Liner seit Jahr­zehn­ten bewährt. Unter­schied­lichs­te Bau­for­men, Mate­ria­li­en und Anbin­dungs­sys­te­me kom­men zum Ein­satz. Aller­dings deckt jeder kon­fek­tio­nier­te Liner immer nur ein gewis­ses Spek­trum von Stumpf­vor­aus­set­zun­gen ab. Beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen bil­den aber häu­fig nar­bi­ge Ein­zie­hun­gen, Mesh­graft, Ver­bren­nungs­nar­ben, gro­ße Dif­fe­ren­zen in den Umfangs­ma­ßen, spit­ze Kon­tu­ren im dista­len Bereich und Kurz­stümp­fe. Auf­tre­ten­de Kom­pli­ka­tio­nen kön­nen dann Luft­ein­schlüs­se, ver­mehr­te Schweiß­bil­dung bis hin zum Haf­tungs­ver­lust, Haut­ir­ri­ta­tio­nen durch Scher­be­we­gun­gen und Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen sein. Durch den geziel­ten Ein­satz von RTV-Sili­ko­nen zum Bau von Maß­li­nern, Zwi­schen­li­nern oder Distal Cups kön­nen in vie­len die­ser Fäl­le erheb­li­che Ver­bes­se­run­gen erzielt wer­den. Der Bei­trag geht auf die Indi­ka­tio­nen, die Fer­ti­gungs­tech­nik und die zu erwar­ten­den Ergeb­nis­se ein.

Sili­kon ist nicht gleich Silikon

Im ers­ten Schritt ist grund­sätz­lich zwi­schen Sili­ko­nen aus der Bau­bran­che und jenen für den medi­zi­ni­schen Ein­satz zu unter­schei­den. Im Gegen­satz zu „Bau­si­li­ko­nen“ muss bei den Sili­ko­nen für die Ver­sor­gung von Pati­en­ten auf Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät geach­tet wer­den (DIN ISO 10993 „Bio­lo­gi­sche Beur­tei­lung von Medi­zin­pro­duk­ten“). In den Fokus gera­ten hier vor allem die ein­kom­po­nen­ti­gen her­kömm­li­chen „Sani­tär­si­li­ko­ne“, wel­che auf einen sau­ren Aus­här­tungs­pro­zess aus­ge­legt sind und dabei den typi­schen „Essig­ge­ruch“ frei­set­zen. Bei der Ver­ar­bei­tung zwei­kom­po­nen­ti­ger Flüs­sig­si­li­ko­ne in der Medi­zin­bran­che wird meist ein für den Haut­kon­takt unpro­ble­ma­ti­scher Kata­ly­sa­tor auf Pla­tin­ba­sis ein­ge­setzt. Die genann­ten hoch­wer­ti­gen Inhalts­stof­fe und erfor­der­li­chen Prü­fun­gen an unab­hän­gi­gen Insti­tu­ten wir­ken sich auf das Preis­ni­veau aus.

Zwei Sili­kon­ty­pen ste­hen dem Ortho­pä­die-Tech­ni­ker zur Ver­fü­gung: HTV-Sili­kon (hoch­tem­pe­ra­tur­ver­net­zend, Aus­här­tung ab 80 bis 120 °C im Ofen) und RTV-Sili­kon (raum­tem­pe­ra­tur­ver­net­zend, Aus­här­tung bei 18 bis 20 °C). Bei einem wachs­ar­ti­gen HTV-Sili­kon, wel­ches aus Kom­po­nen­te A und B im exakt glei­chen Mischungs­ver­hält­nis besteht, wird die Mate­ri­al­stär­ke mit Hil­fe eines Kal­and­ers bestimmt. Bei Ver­wen­dung spe­zi­el­ler Werk­zeu­ge wird im Umle­ge­ver­fah­ren das gewalz­te und homo­ge­ni­sier­te Mate­ri­al schritt­wei­se auf das Gips­po­si­tiv plat­ziert und modelliert.

Mit Blick auf die Fer­ti­gungs­tech­nik und das End­pro­dukt kommt jedoch nur RTV-Sili­kon in Fra­ge. Das flüs­si­ge in Dop­pel­kam­mer­kar­tu­schen abge­füll­te Sili­kon wird benut­zer­freund­lich durch mit­ge­lie­fer­te Sta­tik­mi­xer in das rich­ti­ge Ver­hält­nis gebracht. Durch vor­for­mu­lier­te Shore-Här­ten kann indi­vi­du­ell und repro­du­zier­bar im Sin­ne der Mate­ri­al­stär­ke und Bet­tungs­ei­gen­schaf­ten auf die Stumpf­kon­di­tio­nen ein­ge­gan­gen wer­den. Da in die­sem Fall kei­ne maschi­nel­len Inves­ti­tio­nen für eine ortho­pä­die­tech­ni­sche Werk­statt not­wen­dig sind, ist die Hür­de zum Erst­ver­such eher niedrig.

Zu beach­ten sind dabei jedoch unkon­trol­lier­ba­re Inhi­bi­to­ren, wel­che sich mas­siv auf das End­pro­dukt aus­wir­ken kön­nen. Als Bei­spie­le sind Latex, Gum­mi, Sekun­den­kle­ber und Schwe­fel zu nen­nen. Die­se kön­nen im Zwei­fel eine Ver­net­zung ver­hin­dern. Es ist daher erfor­der­lich, mit einer gewis­sen Sorg­falt und ent­spre­chen­der Raum­aus­wahl zu arbei­ten. Ein Gieß­harz­raum soll­te nicht gewählt wer­den, da hier die meis­ten Inhi­bi­to­ren auf­ein­an­der­tref­fen. Die täg­li­che Rei­ni­gung eines jeden Sili­kon­liners durch den Pati­en­ten mit einer pH-neu­tra­len Sei­fe ist als Pro­phy­la­xe gegen Pilz- und Bak­te­ri­en­be­fall sehr wich­tig. Grund­sätz­lich sind medi­zi­ni­sche Sili­ko­ne phy­sio­lo­gisch inert und bio­kom­pa­ti­bel. Den­noch kön­nen sich durch man­geln­de Pfle­ge und inten­si­ve Bean­spru­chung Rück­stän­de am Sili­kon sam­meln. Im Fal­le einer sub­op­ti­ma­len Hygie­ne­si­tua­ti­on des Hilfs­mit­tels kön­nen selbst Sili­ko­ne kei­nen Schutz vor Haut­ir­ri­ta­tio­nen garantieren.

Ausgangssituation/Indikation

Jeder Ampu­ta­ti­ons­stumpf ist indi­vi­du­ell. Heu­ti­ge kon­fek­tio­nier­te Liner kön­nen einen Groß­teil die­ser Indi­vi­dua­li­tät gut abde­cken. Schwie­rig wird es jedoch, wenn der Liner der Stumpf­ober­flä­che nicht in allen Area­len fol­gen kann oder wenn das Anle­gen des Liners zu par­ti­ell erhöh­ter Span­nung am Stumpf führt. Der­ma­to­lo­gi­sche Pro­ble­me bei mit Pro­the­sen ver­sorg­ten Stümp­fen resul­tie­ren meist aus phy­si­ko­che­mi­schen Ein­flüs­sen wie Scher- und Rota­ti­ons­kräf­ten, Druck und Rei­bung, die die Pro­the­se auf die Stumpf­haut aus­übt, sowie aus der erhöh­ten Feuch­tig­keit. Dabei spie­len häu­fig loka­le Über- oder Unter­drü­cke eine ent­schei­den­de Rol­le. Ver­mehr­te Feuch­tig­keit begüns­tigt Infek­tio­nen im Stumpf­be­reich, sodass ver­mehrt bak­te­ri­el­le Infek­tio­nen wie Fol­li­ku­lit­i­den oder Myko­sen auf­tre­ten kön­nen 2. Kon­tra­in­di­ka­tio­nen für Ver­sor­gun­gen mit kon­fek­tio­nier­ten Linern sind unter ande­rem ungüns­ti­ge Nar­ben­si­tua­ti­on (Schweiß­bil­dung, All­er­gie­ge­fahr) und Nar­ben­ein­zie­hun­gen (Abb. 1) 3. Auch zu bewe­gungs­hem­men­den Span­nun­gen kann es kom­men. Letz­te­res tritt beson­ders bei Unter­schen­kel­am­pu­ta­tio­nen dann auf, wenn der Stumpf­um­fang distal erheb­lich gerin­ger ist als im Knie­be­reich oder am Ober­schen­kel (Abb. 2). Noch schwer­wie­gen­de­re Fol­gen haben Luft­ein­schlüs­se zwi­schen Stumpf und Liner. Die­se ent­ste­hen immer dann, wenn der Liner nicht über­all flä­chig an der Stumpf­ober­flä­che anliegt. Nar­bi­ge Ein­zie­hun­gen oder Stumpf­kon­tu­ren mit deut­li­chen Kon­ka­vi­tä­ten, wel­che durch den Liner über­spannt wer­den, sind die Ursa­che. Das Haupt­pro­blem bezüg­lich der Luft­ein­schlüs­se besteht in der Tat­sa­che, dass sich die­se mit Schweiß fül­len. Zum einen kann der Schweiß zu Mazer­a­tio­nen der Haut füh­ren, zum ande­ren wird die Adhä­si­on des Liners in die­sem Bereich dras­tisch her­ab­ge­setzt. Scher­be­we­gun­gen, man­geln­de Pro­the­sen­steue­rung und Haf­tungs­ver­lust unter Bewe­gung sind die Fol­ge. Dabei kommt im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes erschwe­rend hin­zu, dass kom­plet­te moder­ne Ober­schen­kel-Pro­the­sen­sys­te­me mit elek­tro­ni­schen Bau­tei­len nicht sel­ten mehr als 4 Kilo­gramm wiegen.

Wei­ter­hin stel­len auch pro­mi­nen­te Kno­chen­vor­sprün­ge für jeden Tech­ni­ker eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung dar, da der Liner sowohl wäh­rend des Gips­ab­dru­ckes als auch beim Tra­gen der Pro­the­se hier mit erhöh­ter Span­nung anliegt. Selbst eine Mikro­ent­las­tung durch den Schaft besei­tigt die per­ma­nen­te erhöh­te Span­nung durch den Liner nicht. Ein wei­te­rer inter­es­san­ter Punkt trat wäh­rend der Test­ver­sor­gun­gen in Erschei­nung: Eine Anwen­de­rin berich­te­te, dass ihr Unter­schen­kel­stumpf seit der Anwen­dung des Maß­li­ners weni­ger zur Ödem­bil­dung nei­ge, was den Anzieh­vor­gang der Pro­the­se am Mor­gen erleich­te­re. Die­ser Effekt dürf­te auf die gleich­mä­ßi­ge Druck­ver­tei­lung am Stumpf, auch in kon­ka­ven Berei­chen und wäh­rend der Schwung­pha­se sowie beim Sit­zen, zurück­zu­füh­ren sein.

Um den erschwer­ten Bedin­gun­gen der beson­de­ren Stumpf­for­men Rech­nung zu tra­gen, kann es not­wen­dig sein, Liner nach indi­vi­du­el­lem Gips­ab­druck zu fer­ti­gen. Anwen­dungs­be­rei­che für RTV-Sili­ko­ne sind alle Ampu­ta­ti­ons­stümp­fe, wel­che sich auf­grund ihrer Kon­tur oder Umfangs­ma­ße nicht zufrie­den­stel­lend mit kon­fek­tio­nier­ten Linern ver­sor­gen las­sen. Hier­zu zäh­len ins­be­son­de­re auch trans­ra­dia­le Ver­sor­gun­gen und Lösun­gen für die Kinderprothetik.

Fer­ti­gungs­op­tio­nen mit RTV-Silikonen

  • Maß­li­ner mit oder ohne Pin, ggf. mit Tex­til­co­ver als Wendehilfe
  • indi­vi­du­el­ler Zwi­schen­li­ner in Ver­bin­dung mit kon­fek­tio­nier­tem Liner
  • indi­vi­du­el­les Distal Cup
  • indi­vi­du­el­le Pads

Anfor­de­run­gen an die Versorgungstechnik

  • Der Maßliner/Zwischenliner/Distal Cup muss sicher vom Anwen­der zu posi­tio­nie­ren sein.
  • Luft­ein­schlüs­se beim Anle­gen sind auszuschließen.
  • Auf gleich­mä­ßi­ge Kom­pres­si­on in allen Berei­chen ist zu achten.
  • Die Mate­ri­al­stär­ke soll den loka­len mecha­ni­schen Ansprü­chen entsprechen.

Begriffs­er­läu­te­run­gen

  • Maß­li­ner: meist zwei­schich­ti­ger RTV-Sili­kon­li­ner nach indi­vi­du­el­lem Gips­ab­druck, je nach Bedarf mit Matrix, Pin und Textilcover;
  • Zwi­schen­li­ner: Liner als Form­aus­gleich aus ein­schich­ti­gem RTV-Sili­kon nach indi­vi­du­el­lem Gips­ab­druck, wel­cher unter einem kon­fek­tio­nier­ten Liner getra­gen wird;
  • Distal Cup: Aus­gleichs­form für das Stump­fen­de aus ein­schich­ti­gem RTV-Sili­kon nach indi­vi­du­el­lem Gips­ab­druck zur Anglei­chung des Umfan­ges bezie­hungs­wei­se der Stump­fend­form, wel­che unter einem kon­fek­tio­nier­ten Liner getra­gen wird;
  • Pads: RTV-Sili­kon­kis­sen, die vor dem Anle­gen des kon­fek­tio­nier­ten Liners auf den Stumpf auf­ge­legt werden.

Fer­ti­gungs­tech­nik Maßliner

Die Ver­ar­bei­tung der RTV-Sili­ko­ne erfor­dert kei­ne beson­de­ren Räum­lich­kei­ten oder Appa­ra­tu­ren, auch ist der Tech­ni­ker nicht auf Dienst­leis­tun­gen Drit­ter ange­wie­sen. Die Sili­ko­ne kön­nen sowohl in Injek­ti­ons­tech­nik als auch im Gieß­ver­fah­ren unter einer PVA-Folie oder in Kom­bi­na­ti­on der bei­den Ver­fah­ren ver­ar­bei­tet wer­den. Auch das Auf­fül­len einer offe­nen, belie­bi­gen Form ist mög­lich. Da jedes Pro­dukt mit unter­schied­li­chen Shore-Här­ten oder in Kom­bi­na­ti­on ver­schie­de­ner Shore-Här­ten her­ge­stellt wer­den kann, kann der Tech­ni­ker sehr gut auf indi­vi­du­el­le Stumpf­ge­ge­ben­hei­ten reagie­ren. Dem Gips­ab­druck als Start­punkt der indi­vi­du­el­len Ver­sor­gung kommt natur­ge­mäß eine zen­tra­le Bedeu­tung zu. Die­ser muss span­nungs­frei und unter Berück­sich­ti­gung aller kon­ve­xen und kon­ka­ven Kon­tu­ren durch­ge­führt wer­den. Zunächst wird direkt auf der Stumpf­haut ein Gips­ab­druck in Longuet­ten­tech­nik genom­men (Abb. 3). Senk­rech­te Longuet­ten wer­den dabei an einem zir­ku­lä­ren Becken­wi­ckel fixiert und for­men den kom­plet­ten trans­fe­mo­ra­len Stumpf ohne Zweck­form ab. Dabei wer­den die Longuet­ten so weit in die Nar­ben gedrückt, wie es spä­ter auch der Liner tun soll. Bei Unter­schen­kel­ver­sor­gun­gen ist es rat­sam, mit einer Knief­le­xi­on von 30° zu gip­sen, da dies die spä­te­re Fal­ten­bil­dung des Liners im Knie­keh­len­be­reich beim Sit­zen, Fahr­rad­fah­ren und ähn­li­chen Akti­vi­tä­ten erheb­lich redu­ziert. Die Model­lier­ar­bei­ten am Posi­tiv beschrän­ken sich auf das form­kon­gru­en­te Redu­zie­ren um 5 bis 10 Pro­zent. Dabei wird die kom­plet­te Stumpf­ober­flä­che zur Redu­zie­rung her­an­ge­zo­gen, auch knö­cher­ne Berei­che. Ande­ren­falls könn­te der Liner kei­ne gleich­mä­ßi­ge Span­nung auf­bau­en und wür­de sich in Rich­tung der Berei­che ver­schie­ben, in denen am meis­ten redu­ziert wur­de. Auch eine Kon­takt­flä­che zur Fixie­rung der spä­te­ren Außen­form für die Injek­ti­ons­tech­nik muss erstellt wer­den. Anschlie­ßend wird eine Distanz­schicht aus nicht kom­pres­si­blem Mate­ri­al wie zum Bei­spiel Kork auf­ge­tra­gen, wel­che die Ver­tie­fun­gen des Posi­tiv­mo­dells aus­gleicht und die spä­te­re Liner­stär­ke reprä­sen­tiert. Soll­te eine unter­schied­li­che Liner­stär­ke gewünscht sein, so lässt sich das in die­sem Arbeits­schritt durch Auf­tra­gen einer Extra­lage Kork etwa an der Tibi­a­kan­te oder am Fibu­la­kopf leicht rea­li­sie­ren (Abb. 4).

Ande­rer­seits hat es sich bewährt, die Liner­stär­ke dor­sal im Bereich der Knie­beu­ge und des Mus­cu­lus gas­tro­c­ne­mi­us auf weni­ger als 2 mm zu redu­zie­ren, um größt­mög­li­che Bewe­gungs­frei­heit zu gewähr­leis­ten. Im nächs­ten Schritt wird die Außen­form aus PETG tief­ge­zo­gen. Nach­dem die Außen­form ent­fernt und auch das Distanz­ma­te­ri­al wie­der abge­nom­men wur­de, wird die­se wie­der ange­setzt. In den so ent­stan­de­nen Hohl­raum wird nun das RTV-Sili­kon der Shore-Här­te A5 inji­ziert. Nach 90-minü­ti­ger Aus­här­te­zeit ist die stumpf­sei­ti­ge, wei­che­re Sili­kon­schicht des zwei­schich­ti­gen Liners fer­tig. Im nächs­ten Arbeits­schritt wer­den die Tas­se und die dazu­ge­hö­ri­ge Matrix in gewünsch­ter Grö­ße und Län­ge auf die inne­re Sili­kon­la­ge auf­ge­legt und unter einem PVAF-oli­en­schlauch mit fes­te­rem RTV-Sili­kon ange­gos­sen. Die­se äuße­re RTV-Sili­kon­la­ge der Shore-Här­te A22 ver­bin­det sich dau­er­haft mit der inne­ren Lage und sorgt sowohl für eine robus­te Außen­sei­te des Liners als auch für eine dau­er­haf­te, siche­re Anbin­dung der Tas­se und der Matrix. Ist eine zusätz­li­che Weich­bet­tung gewünscht, so kann die­se aus einem RTV-Sili­kon mit Shore-Här­te 00–30 oder 00–40 zwi­schen der inne­ren und der äuße­ren RTV-Sili­kon­schicht ein­ge­bet­tet wer­den. Schließ­lich wird das Tex­til­co­ver als Wen­de­hil­fe mit einem Sili­kon­kle­ber auf­ge­bracht (Abb. 5).

Fer­ti­gungs­tech­nik Zwischenliner

Die Fer­ti­gung eines Zwi­schen­li­ners hat sich für tie­fe und groß­flä­chi­ge Ver­nar­bun­gen im Ober­schen­kel­be­reich und als äußerst wirk­sa­mer Form­aus­gleich im Knie­ex­be­reich bewährt. Übli­che Ver­sor­gun­gen mit Soft­so­ckets füh­ren hier durch die Kom­pres­si­on des Pols­ter­ma­te­ri­als häu­fig zu Pump­be­we­gun­gen im Schaft und somit zu Scher­kräf­ten an den emp­find­li­chen Kon­dylen. Ver­su­che, Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­ons­stümp­fe mit Dicht­lip­pen­li­nern zu ver­sor­gen, gelin­gen nur dann zufrie­den­stel­lend, wenn die Dif­fe­renz zwi­schen dem M‑L-Maß kon­dy­lär und supra­kon­dy­lär nicht zu groß ist 4. Ande­ren­falls kön­nen Liner und Schaft der Stumpf­kon­tur supra­kon­dy­lär medi­al, late­ral und dor­sal nicht aus­rei­chend fol­gen; der Druck ist folg­lich beim Ansteu­ern des Schaf­tes kon­dy­lär deut­lich höher als erwünscht. Bei der Anwen­dung eines Zwi­schen­li­ners (Abb. 6) bei Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­on ist beson­ders die Mög­lich­keit her­vor­zu­he­ben, den Zwi­schen­li­ner mit kon­fek­tio­nier­ten Dicht­lip­pen­li­nern zu kom­bi­nie­ren (Abb. 7), da die­se die unge­wünsch­ten Hub­be­we­gun­gen wei­ter redu­zie­ren kön­nen 5. Das Ergeb­nis die­ser sinn­vol­len Kom­bi­na­ti­on ist ein Liner­sys­tem mit sehr guter Druck­ver­tei­lung, sowohl inter- als auch supra­kon­dy­lär, in Ver­bin­dung mit einer maxi­ma­len Hub­ver­mei­dung. Das Anle­gen die­ses Zwi­schen­li­ners geschieht denk­bar ein­fach, denn er wird weder gerollt, umge­stülpt noch gar mit Flüs­sig­kei­ten ein­ge­sprüht: Er glei­tet ein­fach auf dem Luft­pols­ter, wel­ches sich beim Anset­zen im Zwi­schen­li­ner bil­det, unter leich­tem Druck auf den Stumpf.

Ein oder meh­re­re iden­ti­sche Zwi­schen­li­ner kön­nen durch erneu­tes Inji­zie­ren des RTV-Sili­kons in bestehen­de For­men her­ge­stellt wer­den. Soll­ten sich die Stumpf­vor­aus­set­zun­gen ändern, kann dies am Gips­mo­dell aktua­li­siert wer­den. Der dann erstell­te neue Zwi­schen­li­ner oder auch Maß­li­ner ist wei­ter­hin kom­pa­ti­bel zum bis­he­ri­gen Schaft. Dies gibt dem Tech­ni­ker die Mög­lich­keit, auf Ver­än­de­run­gen ein­zu­ge­hen oder Nach­bes­se­run­gen durch­zu­füh­ren. Die Fer­ti­gung von Zwi­schen­li­nern erfolgt ana­log zur Fer­ti­gung von Maß­li­nern, jedoch endet der Vor­gang nach der Injek­ti­on des RTV-Sili­kons der Shore-Här­te A5.

Fer­ti­gungs­tech­nik indi­vi­du­el­les Distal Cup

Die Fer­ti­gung eines indi­vi­du­el­len Distal Cups gestal­tet sich im Prin­zip wie die Fer­ti­gung eines Zwi­schen­li­ners. Aller­dings ist die Her­stel­lung der Distanz­schicht auf dem Gips­po­si­tiv ein­fa­cher: Das Posi­tiv wird mit Fett­creme iso­liert und mit dem Stump­fen­de nach oben ein­ge­spannt. Eine dün­ne PE-Ver­scha­lung wird zir­ku­lär um das Modell gelegt und fixiert. Danach wird die Form mit Gips bis zur gewünsch­ten Höhe aus­ge­gos­sen und nach dem Aus­här­ten am Ende abge­run­det. Über die­se Gips­plom­be wird die PETG-Außen­form tief­ge­zo­gen. Anschlie­ßend lässt sie sich ein­fach abneh­men und der ent­stan­de­ne Hohl­raum durch den Gips­dum­my mit RTV befüllen.

Fazit

Alle Anwen­der pro­fi­tier­ten deut­lich vom Ein­satz des RTV-Sili­kons, in ers­ter Linie durch die form­kon­gru­en­te Stumpf­bet­tung. Die­se führ­te in letz­ter Kon­se­quenz zu weni­ger Stumpf­be­schwer­den und einer kom­for­ta­ble­ren und siche­re­ren Anwen­dung der Prothese.

Die beschrie­be­nen Ver­sor­gungs­tech­ni­ken unter Ver­wen­dung von RTV-Sili­ko­nen stel­len eine Erwei­te­rung des Ver­sor­gungs­spek­trums für Ortho­pä­die-Tech­ni­ker dar. Die ein­zel­nen erfor­der­li­chen Arbeits­schrit­te sind grund­sätz­lich bekannt und in jeder Ortho­pä­die-Werk­statt durch­führ­bar. Qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Stumpf­ver­sor­gun­gen las­sen sich so mit ver­tret­ba­rem Auf­wand rea­li­sie­ren und wei­ter optimieren.

Dank­sa­gung an die unter­stüt­zen­den Firmen:
Fa. Bahr, Kiel
Fa. Hoff­meis­ter, Braunschweig
Fa. Oes­ter­reich Ortho­pä­die­tech­nik, Bremen
Fa. OT Kiel, Kiel

Für die Autoren:
Oli­ver Pape
Medi GmbH & Co. KG
Medi­cus­stra­ße 1
95448 Bay­reuth
o.pape@medi.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Pape O, Senel­le F, Stein T, Reimitz S. Anwen­dungs­be­rei­che von RTV-Sili­ko­nen in der Pro­the­tik. Ortho­pä­die Tech­nik, 2015; 66 (11): 36–40
  1. ISO 13405–1:2015–01-31. Pro­sthe­tics and ortho­tics. Clas­si­fi­ca­ti­on and descrip­ti­on of pro­sthe­tic com­pon­ents. Clas­si­fi­ca­ti­on of pro­sthe­tic com­pon­ents. Ber­lin: Beuth, 2015
  2. Eber­lein B. Haut­pro­ble­me bei pro­the­ti­scher Ver­sor­gung von Ampu­tier­ten. Ortho­pä­die Tech­nik, 2010; 61 (1): 34–36
  3. Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik. Schaft­sys­te­me, Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le, Mate­ria­li­en. Dort­mund: BUFA, 2007
  4. Koke­gei D. Pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Knie­ex­ar­ti­ku­la­ti­on. Meis­ter­lehr­gang Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die­tech­nik. Dort­mund: BUFA, 1999
  5. Wühr J et al. Schaft­sys­te­me im Ver­gleich. Ortho­pä­die Tech­nik, 2010; 61 (7): 506–511
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