Auch wenn das Thema orthopädischer Arbeitssicherheitsschuh auf den ersten Blick kompliziert erscheint, so ergeben sich auf der anderen Seite große unternehmerische Chancen für den Leistungserbringer. Immer mehr Unternehmen achten auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter (Stichwort Fachkräftemangel), und orthopädische Fußprobleme machen vor den Werkstoren nicht halt. Daher ist zu erwarten, dass die Versorgungszahlen in den nächsten Jahren deutlich ansteigen werden.
Rechtliche Grundlagen
Die DGUV 112–191 regelt das Inverkehrbringen persönlicher Schutzausrüstungen (PSA) im Bereich des Fußschutzes und setzt an bei einer EG-Baumusterprüfung durch akkreditierte und notifizierte Prüfstellen nach harmonisierten Normen mit Anbringung des CE-Zeichens. Bei industriell gefertigtem Fußschutz werden für die Baumusterprüfung bis zu drei Paar Schuhe zerstörend geprüft, bevor die Freigabe für die Serie erfolgt. Dieses Verfahren ist logischerweise für individuellen Fußschutz nicht durchführbar. Daher werden anpassbare Baukastensysteme (Abb. 1) entwickelt und die eingesetzten Materialien und Fertigungsschritte zertifiziert. Der Ablauf sei hier kurz dargestellt:
- Der Hersteller konzipiert eine Fertigungsanweisung.
- Der Hersteller fertigt danach Prototypen für das Baumusterprüfverfahren.
- Es erfolgt die Einreichung zur Prüfung mit allen Unterlagen (technische Dokumentation, Materialbeschreibung, Herstellerinformation) bei der Prüfstelle.
- Danach gibt es die Freigabe nach EN-/DIN-Norm durch die Prüfstelle mit entsprechendem Zertifikat.
- Die Endfertigung des Schuhs oder die Zurichtung bzw. Einlagenversorgung im Fachbetrieb erfolgt nach Erlaubnis und Anleitung des Herstellers mit Kennzeichnung und Herstellerinfo.
In der DGUV 112–191 werden die Details zu verschiedenen Schuhausführungen in Anhang 2, Abschnitt 4.2 unter dem Oberbegriff „Sonderschuharten“ spezifiziert. Unterschieden wird dabei zwischen Schuhen für lose Einlagen (Abb. 2) inklusive der dazu passenden Einlagensysteme (Abb. 3) sowie dem orthopädischen Fußschutz, der sich wiederum in die Unterpunkte „handwerkliche Herstellung eines neuen Schuhes“ sowie „orthopädische Änderung (Zurichtung) eines industriell gefertigten Schuhes“ gliedert.
Schuhzurichtung und Einlagenversorgung an konfektionierten Sicherheitsschuhen
Am Markt sind zahlreiche unterschiedliche konfektionierte Modelle für lose Einlagen vertreten (z. B. Elten, Atlas, Uvex, Orthotech, Thanner etc.). Diese konfektionierten Schuhe verfügen über eine Baumusterprüfung und ein CE- Kennzeichen. Die entsprechenden Hersteller schreiben zudem die zu verwendenden baumustergeprüften Materialien und die Fertigungsanweisung vor, denn alle Materialien einschließlich des Klebers sind streng nach Baumusterprüfung festgelegt. Nur wenn diese Vorgaben genau eingehalten werden, bleibt die Baumusterprüfung bestehen. Mittlerweile gibt es darüber hinaus einen großen Markt an Zulieferern für Materialien, Einlagenrohlinge und Bezüge (Mander-Malms, Orthotech, Hartmann etc.).
Problematisch wird es, wenn der Kunde einen konfektionierten Sicherheitsschuh beibringt, der auf den ersten Blick nicht marktüblich ist. Viele dieser Modelle gibt es beispielsweise bei verschiedenen Discountern. Hier muss geprüft werden, ob es überhaupt eine Fertigungsanweisung des Herstellers gibt. Auf rein telefonische Auskünfte des Herstellers – wenn überhaupt auffindbar – oder des Kunden sollte man sich nicht verlassen. In letzter Konsequenz muss der Auftrag aus haftungsrechtlichen Gründen abgelehnt und der Kunde darüber aufgeklärt werden. Bei Schuhzurichtungen ist das weniger problematisch als bei Einlagen. Als Fachbetrieb sollte man auf jeden Fall immer eine schriftliche Gebrauchsanweisung mitgeben und sich diese auch vom Kunden quittieren lassen. Darin muss zwingend der Hinweis stehen, dass orthopädische Einlagen für normale Konfektionsschuhe nicht in Sicherheitsschuhen getragen werden dürfen. Zu beachten ist, dass handelsübliche orthopädische Einlagen auf Kassenrezept ohne Baumusterprüfung niemals in Sicherheitsschuhen getragen werden dürfen – einerseits aus Haftungsgründen, andererseits auch aus Gründen der Kostenübernahme, da im Bereich der beruflichen Rehabilitation andere Kostenträger zuständig sind.
Orthopädischer Maßsicherheitsschuh
Wird ein orthopädischer Maßsicherheitsschuh produziert, so muss der Fachbetrieb den gesamten Baukasten (baumustergeprüfte Materialien) eines Herstellers einkaufen und konsequent entsprechend der Fertigungsanweisung vorgehen. Das betrifft alle Materialien – auch Kleber und sonstige Hilfsstoffe. Nach Fertigstellung wird der Schuh entsprechend mit Herstellerhinweisen und Prüfnummer gekennzeichnet. Ein Abweichen von den Herstellervorgaben kann im Ernstfall zu erheblichen Haftungsrisiken führen.
Welche Kostenträger sind zuständig?
Im Gegensatz zur Abrechnung von Einlagenversorgungen mit den gesetzlichen Krankenkassen ist es im Alltagsgeschäft nicht immer ganz einfach, den zuständigen Kostenträger zu ermitteln. Generell gehört die Bereitstellung der PSA zu den Pflichten des Arbeitgebers: Er muss im Einzelfall den Mitarbeitern in den entsprechenden Arbeitsumgebungen u. a. Sicherheitsschuhe zur Verfügung stellen. Nicht zuständig ist der Arbeitgeber jedoch für notwendige orthopädische Module – diese fallen in den Bereich der beruflichen Rehabilitation.
Anhand des Prüfschemas in Abbildung 4 lässt sich für die meisten Versorgungen der Kostenträger schnell ermitteln. Daneben gibt es noch die Sozial- und Integrationsämter und andere kommunale Träger und Einrichtungen. In über 90 % der Fälle ist der Kostenträger jedoch die Deutsche Rentenversicherung. Lässt sich der Kostenträger nicht so leicht ermitteln, so kann ein beliebiger Kostenträger in Anspruch genommen werden. Denn dieser ist verpflichtet, den Antrag zu prüfen und an die entsprechende Stelle weiterzuleiten.
Ablauf und Anträge
Wer sich bereits einmal mit den bürokratischen Anforderungen der Deutschen Rentenversicherung beschäftigen musste, der weiß: Das Antragsverfahren, unterteilt in Erstantrag und Folgeantrag, ist aufwendig (Abb. 5–7). Der Versicherte ist häufig damit völlig überfordert, und so zieht mancher Kunde den Auftrag zurück oder lässt sich „Kasseneinlagen“ verordnen. An dieser Stelle nochmals der Hinweis: „Keine Kasseneinlage in Sicherheitsschuhen!“
Gut organisierte Fachbetriebe jedoch helfen dem Kunden als Dienstleistung bei der Antragstellung. Die notwendigen Anträge gibt es von der Rentenversicherung auch im Internet. Diese Dienstleistung setzt zwar sehr gut geschultes Personal sowie Disziplin und Übersicht beim Ablauf voraus, bietet aber den Vorteil der gesamten Kontrolle über die Versorgung und ist ein perfekter Service am Kunden.
Sollte der Antrag abgelehnt werden, muss der Versicherte selbst Widerspruch einlegen. Besonders aufmerksam muss man beim erforderlichen ärztlichen Befundbericht sein: Dieser muss sehr ausführlich sein und einen besonderen Hinweis darauf enthalten, dass z. B. ohne orthopädische Einlagen der Beruf nicht ausgeübt werden kann. Beispielsweise reicht der alleinige Hinweis auf einen Knick- Senk-Fuß nicht aus. Eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenkasse ist keine Behinderung im Sinne der beruflichen Rehabilitation. Die Abrechnung mit der DGUV sieht zwingend einen Beitritt zum bundesweiten Vertrag vor.
Vergütung und Preislisten
Im Gegensatz zu den Krankenkassen mit ihren bundesweiten oder länderspezifischen Preislisten und Festbeträgen gibt es bei DRV und BA keine einheitlichen Preisvereinbarungen. Einige Bundesländer, u. a. Hessen und Bayern, verfügen zwar über Vergütungsvereinbarungen für orthopädische Schuhzurichtungen und orthopädische Einlagen. In vielen anderen Bundesländern gibt es diese jedoch nicht. Die DRV und besonders die BA beginnen damit, von mehreren Fachbetrieben Kostenvoranschläge einzuholen. In diesen Fällen sollte unbedingt Rücksprache mit der Landesinnung oder dem Bundesinnungsverband genommen werden. Bei der Herstellung orthopädischer Maßsicherheitsschuhe empfiehlt es sich, als Referenzliste die Vergütungsvereinbarung mit der DGUV zu konsultieren.
Fazit
Trotz des größeren Aufwands und rechtlicher Auflagen bietet die Versorgung mit Zurichtungen und Einlagen an Arbeitssicherheitsschuhen den Fachbetrieben ein zusätzliches, wirtschaftlich interessantes Betätigungsfeld. Der demografische Wandel und die erhöhte Sensibilität der Firmen gegenüber ihren Mitarbeitern, gesundheitlich aktiv zu werden, sorgen für zusätzlichen Input.
Für den Fachbetrieb hat dies den Vorteil, allen Kunden die bekannte Versorgungsqualität im Freizeit‑, Alltags- oder Sportbereich und auch im Arbeitsleben bieten zu können. Kompetenzerfahrung und Kundenbindung erhöhen sich. Es entstehen neue Netzwerke mit Firmenkunden, Handelspartnern und anderen Institutionen.
Der Autor:
Gerold Elkemann
Geschäftsführer der Landesinnung Bayern
für Orthopädie-Schuhtechnik
Ungsteiner Str. 27
81539 München
elkemann@liostbayern.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Elkemann G. Einlagenversorgung in Arbeitssicherheitsschuhen — Rechtliche Grundlagen, Verfahren, Abrechnung. Orthopädie Technik, 2017; 68 (1): 40–42
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