Nur wenige Tage zuvor hatte das Ifo-Institut bekannt gegeben, dass in Ostdeutschland aktuell kaum mehr Menschen leben als 1905 — hervorgerufen durch die Teilung Deutschlands und der anschließenden Heimatflucht nach dem zweiten Weltkrieg, der fehlenden Zuwanderung junger Gastarbeiter in den 1960er- und 70er-Jahren sowie den Abwanderungsströmen nach der Wiedervereinigung. Dabei lässt sich die Geschichte des Unternehmens und der Familie Bauerfeind auf fesselnde Weise in die Chronik der Bundesrepublik einflechten, wie der Festakt in Zeulenroda in vielen Momenten offenbarte. Besonders auffällig: die mehrfache Verwendung des Begriffs „Mut“.
„Mut“ (Substantiv, maskulin)
1. „Fähigkeit, in einer gefährlichen/riskanten Situation seine Angst zu überwinden.
2. Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält.
Firmenchef in dritter Generation Prof. Hans B. Bauerfeind sprach in seiner Festrede von „jenen Mutigen, die 1989 in der DDR für ihre Freiheit auf die Straßen gegangen sind“. Der thüringische Ministerpräsident a. D., Dr. Bernhard Vogel wandte sich seinerseits an Prof. Bauerfeind mit den Worten: „Sie haben den Mut bewiesen, 1991 zu sagen: ‚Meine Firma ist aus Thüringen, und da muss sie auch wieder hin!‘“ – Damit verwies er auf die Rückkehr des Unternehmens nach der Wende an den Ort seines Entstehens. 1929 in Zeulenroda von Bruno Bauerfeind gegründet, verließen Sohn Rudolf und dessen Frau Käthe 1949 aus Angst vor der drohenden Enteignung ihre Heimat und verlagerten ihre Firma ins westdeutsche Darmstadt. Dass Hans B. Bauerfeind sich schließlich dazu entschloss, an die Geburtsstätte des Familienunternehmens zurückzukehren, wird ihm in der Region hoch angerechnet. „Du bist ein Patriot, der zurückgekommen ist, um Aufbauhilfe zu leisten“, bedankte sich Landrätin Martina Schweinsburg im Rahmen des Festakts noch einmal beim Firmenpatriarchen. Dieser ließ durchblicken, dass der Umzug beim besten Willen kein reibungsloser Akt gewesen sei: „Wir wollten hier einen richtigen Betrieb aufbauen – keine verlängerte Werkbank. Wir sind den harten Weg gegangen.“
Erfolgsgeschichte mit vielen Kapiteln
Aus der geografischen Ferne jenseits der thüringischen Landesgrenzen betrachtet, lässt sich die Erfolgsgeschichte der Marke Bauerfeind sicherlich an vielen Kapiteln ablesen: von Umsatzsteigerungen, über Expansionen ins Ausland bis hin zur Partnerschaft mit dem Internationalen Olympischen Komitee. Für die Menschen vor Ort zählen aber insbesondere die Investitionen in „Steine und Beine“, genauer gesagt in Infrastruktur und Arbeitsplätze. Wie ein Leuchtturm bestimmt das 2004 eröffnete Verwaltungsgebäude in Zeulenroda über die Stadtgrenzen hinaus die landschaftliche Szenerie. Hinzu kommt das 1999 von Hans. B. Bauerfeind persönlich initiierte Projekt des Bio-Seehotels als touristischer Anker der Umgebung. Diese besondere Episode der Bauerfeind-Chronik griff auch der Mediziner, Buchautor und Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen in seiner Festrede auf. „Andere Leute bauen sich einen Swimmingpool. Sie bauen ein Seehotel, damit auch andere schwimmen können“, verwies er auf die altruistischen Charakterzüge des Firmenchefs.
Dessen unternehmerisches Engagement zeigt auch in der Gegenwart spürbar Wirkung. Im unweit entfernten Gera entsteht aktuell eine neue Betriebsstätte, die bis 2021 rund 100 Arbeitsplätze schafft. Um Fachkräfte in Thüringen zu halten, bzw. sie aus anderen Gegenden anzuwerben, kooperiert das Unternehmen mit Schulen und Universitäten aus der Region, wie Beatrix Bauerfeind-Johnson ausführte. Als Tochter von Hans B. und Mitglied im Aufsichtsrat verkörpert sie die vierte Generation im Familienunternehmen. Angesprochen auf die gegenwärtigen Ziele betonte sie den Anspruch, in Deutschland in den Segmenten Orthesen und Bandagen die Marktführerschaft inne zu haben und gleichzeitig im Ausland weiter zu wachsen: „China und Russland sind die Märkte, die jetzt angegangen werden.“ Ihr Vater bestätigt: „Wir sind auf unserem Gebiet vorne und dabei soll es auch bleiben.“
Dass Erfolg letztlich oft eine Verknüpfung von Produktinnovation und Unternehmergeist ist, lässt sich im Falle von Bauerfeind am besten am Beispiel der
GenuTrain-Kompressionsbandage unterstreichen. Dessen Entwicklungsgeschichte erzählte in Zeulenroda Prof. Dr. Heinrich Hess in einer unterhaltsamen Rede. Der Orthopäde und langjährige Mannschaftsarzt der Fußball-Nationalmannschaft war Mitte der 1970er-Jahre auf der Suche nach einem Hilfsmittel-Partner zur Umsetzung der seinerzeit revolutionären Versorgungsmaßnahme einer Aktivierung anstatt einer Ruhigstellung für die Rehabilitation von Kniegelenk-Verletzungen. Im Zuge dessen kam er in Kontakt mit Hans B. Bauerfeind. „Er fertigte hässliche Bandagen, stellte sich aber als ein cleveres Kerlchen heraus“, führte Prof. Hess schmunzelnd zur Entstehung der wie er sagt „Mutter aller Kniebandagen“ aus. „Gemeinsam haben wir etwas geschaffen, das den Umgang mit Gelenkverletzungen revolutioniert hat und die frühfunktionelle Therapie zum Standard hat werden lassen.“
Es gehört zu den typischen Eigenschaften von Jubiläumsveranstaltungen, dass in Festreden viel und stolz auf das Erreichte zurückgeblickt wird. Die individuellen Redebeiträge von Prof. Dr. Hess, Dr. von Hirschhausen, Martina Schweinsburg, Dr. Vogel sowie das per Videobotschaft überreichte Grußwort des amtierenden thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow waren allerdings keinesfalls inhaltsleere Glückwunschbotschaften, sondern belegten in der Summe die Fundamente, die Bauerfeind als Unternehmen und in Person von Hans B. Bauerfeind sowohl in der globalen Hilfsmittelversorgung als auch in der regionalen Strukturentwicklung gelegt hat. In diesem Sinne schlossen sich alle Anwesenden den Worten von Dr. Bernhard Vogel an: „Glückwunsch für das Erreichte und Mut für die Zukunft!“
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