3. Mehr­kos­ten­be­richt des GKV-Spitzenverbandes

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) zum 12.04.2017 hat der GKV-Spitzenverband gemäß § 302 Absatz 5 SGB V den Auftrag erhalten, jährlich jeweils zum 30.06. einen nach Produktgruppen differenzierten Bericht über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen für Versorgungen mit Hilfsmittelleistungen zu veröffentlichen. Der Bericht informiert ohne Versicherten- oder Einrichtungsbezug insbesondere über die Zahl der abgeschlossenen Mehrkostenvereinbarungen und die durchschnittliche Höhe der mit ihnen verbundenen Mehrkosten der Versicherten. Zum Halbjahreswechsel legte der GKV-Spitzenverband nun den 3. Bericht vor.

Mit dem Mehr­kos­ten­be­richt hat der Gesetz­ge­ber den Spit­zen­ver­band der Kran­ken­kas­sen damit beauf­tragt, Trans­pa­renz zu schaf­fen, wann Ver­si­cher­te sich pri­vat dafür ent­schei­den, eine über das medi­zi­nisch Not­wen­di­ge hin­aus­ge­hen­de Aus­stat­tung zu wäh­len. Es geht dem Gesetz­ge­ber um die Siche­rung des Sach­leis­tungs­prin­zips – und damit um die genaue Abgren­zung zwi­schen Zuzah­lung und Auf­zah­lung bei den ver­schie­de­nen Ver­sor­gungs­ge­bie­ten, sprich Produktgruppen.

Daten­qua­li­tät 1:  Unter­schei­dung von Zuzah­lung und Auf­zah­lung nicht sicher möglich

In die­ser Hin­sicht muss auch der drit­te Bericht ver­mel­den, dass die Daten­qua­li­tät min­des­tens auch für das Berichts­jahr 2020 sei­nen Zweck ver­fehlt. Waren 2019 schon auf­grund der tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten Auf- und Zuzah­lung nicht sicher und vali­de abzu­gren­zen, so kommt der Bericht ein wei­te­res Mal zu dem Urteil: „Wie in der Ver­gan­gen­heit kann auch für den drit­ten Bericht nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass in ein­zel­nen Abrech­nun­gen fälsch­li­cher­wei­se die gesetz­li­che Zuzah­lung oder aber von den Ver­si­cher­ten zu tra­gen­de Eigen­an­tei­le als Mehr­kos­ten aus­ge­wie­sen wurden.“

Daten­qua­li­tät 2: Tech­ni­sche Pro­ble­me und fal­sche Zuord­nung der Versorgungsbereiche

Neben den tech­ni­schen Pro­ble­men erbt der Mehr­kos­ten­be­richt wie­der­holt die struk­tu­rel­len Pro­ble­me des über­ar­bei­te­ten Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses, in dem aus ver­schie­de­nen Grün­den Pro­dukt­grup­pen umgrup­piert wur­den: „Dar­über hin­aus hat die vom GKV-Spit­zen­ver­band auf­grund des Heil- und Hilfs­mit­tel­ver­sor­gungs­ge­set­zes bis Ende 2018 durch­ge­führ­te Gesamt­fort­schrei­bung des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses in eini­gen Pro­dukt­be­rei­chen zu erheb­li­chen struk­tu­rel­len Ände­run­gen geführt.“ Daher ver­merkt der Bericht auch zu Recht her­vor­ge­ho­ben: „Auf­grund von Struk­tur­ver­än­de­run­gen des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses ist eine Ver­gleich­bar­keit der Daten mit denen des Vor­jah­res­be­richts nicht immer möglich.“

Die Zuord­nung kann von den Leis­tungs­er­brin­gern (oder deren Abrech­nungs­zen­tren) noch nicht kor­rekt über­führt wer­den, da noch nicht alle Ver­trä­ge an die neue Struk­tur ange­passt wur­den: „Die not­wen­di­gen Anpas­sun­gen der Ver­trä­ge an die struk­tu­rel­len Ände­run­gen im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis erfol­gen suk­zes­si­ve, sodass Ver­än­de­run­gen der Mehr­kos­ten­da­ten in die­sen Pro­dukt­be­rei­chen auch auf hier­durch beding­te Ver­schie­bun­gen von Abrech­nun­gen zwi­schen den ver­schie­de­nen Pro­dukt­grup­pen zurück­zu­füh­ren sind.“ Über die­se Umgrup­pie­run­gen war es bereits in der Ver­gan­gen­heit in der Fol­ge mög­lich, dass Daten zu Mehr­kos­ten in Pro­dukt­grup­pen, die qua Ver­trag gar kei­ne Mehr­kos­ten zulas­sen, wie z. B. in der PG 24 (Bein­pro­the­sen), plötz­lich den Ein­druck erwe­cken, dass sich Ver­si­cher­te für die Über­nah­me von Mehr­kos­ten ent­schie­den haben. Auch der Bericht 2020 weist mehr als 20 Pro­zent Mehr­kos­ten in der PG 24 aus. Mit der über­aus schlech­ten Daten­qua­li­tät wird jede Aus­sa­ge­kraft hinfällig.

Daten­qua­li­tät 3: Fehl­ein­ga­ben höher als 1.000 Euro und 10.000 Euro

Die Ver­fäl­schun­gen der Daten­qua­li­tät berück­sich­tigt der Bericht, indem er auf sei­ne Kor­rek­tur­ver­su­che hin­weist: „Um Fehl­ein­ga­ben nicht in die Daten­aus­wer­tung einießen zu las­sen, wur­den aus Plau­si­bi­li­täts­grün­den und unter Berück­sich­ti­gung vor­lie­gen­der Erkennt­nis­se zu Abrech­nun­gen Anga­ben zu den Mehr­kos­ten von über 1.000 Euro je Ver­si­cher­ter bzw. je Ver­si­cher­tem extra aus­ge­wie­sen; bei Hör­hil­fen-Ver­sor­gun­gen wur­de die­ser Wert auf 10.000 Euro festgesetzt.“

Daten­qua­li­tät 4: Ein­ga­ben Leis­tungs­er­brin­ger bzw. Abrech­nungs­dienst­leis­ter nicht valide

Nach­dem der Bericht auf sei­ne eige­nen tech­ni­schen und struk­tu­rel­len Unschär­fen der Daten ver­weist und auch deut­lich dar­auf hin­weist, dass hier Abrech­nungs­dienst­leis­ter an Vor­ga­ben gebun­den sind, die nichts ande­res zulas­sen und daher die „Feh­ler“ wegen zugrun­de­lie­gen­der Ver­trags­pflich­ten der Leis­tungs­er­brin­ger nicht zu ver­mei­den sind, weist der Bericht dann auch noch dar­auf hin, dass auch Leis­tungs­er­brin­ger vor Feh­lern nicht gefeit sind: „Unab­hän­gig hier­von ist auch in Rech­nung zu stel­len, dass die dem Bericht zugrun­de­lie­gen­den Mehr­kos­ten­da­ten auf den Anga­ben der Leis­tungs­er­brin­ger (oder deren Abrech­nungs­dienst­leis­tern) im Rah­men der Abrech­nung gemäß § 302 Absatz 1 SGB V beru­hen und die Vali­di­tät der Daten damit von der voll­stän­di­gen und kor­rek­ten Mit­tei­lung durch die Leis­tungs­er­brin­ger abhän­gig ist.“

Sta­tis­ti­sche Berich­te und ihre Aus­sa­ge­kraft kön­nen nur so gut sein, wie die Daten, die ihnen zugrun­de lie­gen. Die Ein­schrän­kun­gen, die der GKV-Spit­zen­ver­band bezüg­lich der Daten­qua­li­tät im Bericht ver­merkt, ver­wei­sen dar­auf, dass hier grund­le­gen­de Män­gel vorliegen.

For­de­run­gen des Spit­zen­ver­ban­des nach noch mehr Daten ver­letzt Patientenrechte

Ver­ständ­lich, dass der GKV-Spit­zen­ver­band die Qua­li­tät des Mehr­kos­ten­be­richts selbst in sei­nen Stel­lung­nah­men immer wie­der kri­tisch kom­men­tiert. Statt zu Pro­to­koll zu geben, dass die Erhe­bung der Mehr­kos­ten bis­lang außer einem immensen büro­kra­ti­schen Auf­wand nur das Ergeb­nis gebracht hat, dass sich die über­wie­gen­de Mehr­heit der Ver­si­cher­ten im Rah­men der auf­zah­lungs­frei­en Ver­sor­gung bewegt und daher es durch­aus ver­tret­bar sei, den Sinn des Mehr­kos­ten­be­richts als Gan­zes in Fra­ge zu stel­len – for­dert der GKV-Spit­zen­ver­band regel­mä­ßig die Erhe­bung von noch mehr Daten. Die Inter­es­sens­ver­tre­tung der Kran­ken­kas­sen habe „sich mehr­fach dafür ein­ge­setzt, von den Leis­tungs­er­brin­gern wei­ter­ge­hen­de Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten, um den Mehr­kos­ten­be­rich­ten mehr Aus­sa­ge­kraft zu verleihen“.

So möch­te der Spit­zen­ver­band der Kran­ken­kas­sen ger­ne aus­ge­rech­net von den Leis­tungs­er­brin­gern die Erhe­bung der genaue­ren Grün­de für die Ent­schei­dung jener 20 Pro­zent, die sich laut Mehr­kos­ten­be­richt pri­vat und frei­wil­lig nach der ent­spre­chen­den Bera­tung für eine „höher­wer­ti­ge“ Ver­sor­gung entscheiden.

Der Inter­es­sen­ver­band äußert die­se For­de­rung immer wie­der – auch wenn ihm bewusst ist, dass der Gesetz­ge­ber hier kla­re Gren­zen zieht und hier die Pri­vat­au­to­no­mie der Ent­schei­dung eines Pati­en­ten, Mehr­kos­ten für eine höher­wer­ti­ge Ver­sor­gung zu tra­gen, ent­schie­den schützt. Leis­tungs­er­brin­ger sind im Gegen­teil dazu auf­ge­for­dert, ledig­lich not­wen­di­ge Daten zu erhe­ben, wie es im Bericht kor­rekt heißt: „Aller­dings sind die Leis­tungs­er­brin­ger gemäß § 302 Absatz 1 SGB V bei der Abrech­nung der Leis­tun­gen nur verpichtet, die Höhe der von den Ver­si­cher­ten gezahl­ten Mehr­kos­ten anzu­ge­ben, nicht aber auch die Grün­de hierfür.“

Fazit: Eine Bran­che unter dau­er­haf­tem Generalverdacht

Bereits der drit­te Mehr­kos­ten­be­richt stellt mit sei­ner Mischung aus – unter immensem Auf­wand erstell­ter – äußerst schlech­ter Daten­la­ge und For­de­rung nach noch mehr Daten nur eines klar: Es gibt eigent­lich kei­nen plau­si­blen Grund, den Mehr­kos­ten­be­richt fortzusetzen.

Er trägt damit nur zu einem bei: Hier wird eine gan­ze Bran­che unter den dau­er­haf­ten Gene­ral­ver­dacht gestellt, dass Leis­tungs­er­brin­ger Ver­si­cher­te nicht über ihre gesetz­li­chen Leis­tungs­an­sprü­che infor­mie­ren und sie zu Mehr­kos­ten drän­gen. Damit wer­den Ver­si­cher­te, die sich in frei­er Ent­schei­dung für eine höher­wer­ti­ge Ver­sor­gung aussprechen,
eben­so dis­kri­mi­niert und inno­va­ti­ve Gesund­heits­leis­tun­gen mit einem Mehr­wert für den Pati­en­ten ausgebremst.

Der „3. Bericht des GKV-Spit­zen­ver­ban­des über die Ent­wick­lung der Mehr­kos­ten­ver­ein­ba­run­gen für Ver­sor­gun­gen mit Hilfs­mit­tel­leis­tun­gen“ ist als Down­load verfügbar.

Daten­qua­li­tät
Laut Defi­ni­ti­on von „digi­tal­wi­ki“ kommt dem Begriff „Daten­qua­li­tät“ fol­gen­de Bedeu­tung zu: „Daten­qua­li­tät ist die Bewer­tung von Daten­be­stän­den hin­sicht­lich ihrer Eig­nung, einen bestimm­ten Zweck zu erfül­len (fit­ness for use). Als Kri­te­ri­en gel­ten dabei die Kor­rekt­heit, die Rele­vanz und die Ver­läss­lich­keit der Daten, sowie ihre Kon­sis­tenz und Ver­füg­bar­keit auf ver­schie­de­nen Systemen.“ 

 

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