20. ISPO-Welt­kon­gress in Stockholm

Vom 16. bis 19. Juni 2025 wurde Stockholm zum Zentrum der globalen Fachwelt für Prothetik, Orthetik und Rehabilitation. Der 20. Weltkongress der International Society for Prosthetics and Orthotics (ISPO) brachte rund 4.000 Fachleute aus mehr als 100 Ländern in die schwedische Hauptstadt – ein beeindruckendes Zeichen für die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit in der Hilfsmittelversorgung.

Nach einem Jahr­zehnt fand der ISPO-Kon­gress erst­mals wie­der in Euro­pa statt. Gast­ge­ber­län­der waren neben Schwe­den auch Nor­we­gen, Groß­bri­tan­ni­en und die Nie­der­lan­de – ein Zusam­men­schluss, der sich nicht nur orga­ni­sa­to­risch, son­dern auch visu­ell im Kon­gress­lo­go wider­spie­gel­te: Die Flag­gen der vier Län­der wur­den durch ein ver­bin­den­des Sym­bol – einen Leucht­turm – ver­eint. Ein Zei­chen für Ori­en­tie­rung, Zusam­men­halt und Aufbruch.

Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät im Mittelpunkt

Unter dem Mot­to „Sci­ence in Prac­ti­ce, Prac­ti­ce in ­Sci­ence: Col­la­bo­ra­ti­on and inno­va­ti­on towards sus­tainable reha­bi­li­ta­ti­on“ bot der Kon­gress eine Platt­form, die Wis­sen­schaft und Pra­xis kon­se­quent mit­ein­an­der ver­knüpf­te. In zahl­rei­chen Pro­gramm­punk­ten stan­den die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in der Pro­the­tik, Orthe­tik sowie der gesam­ten Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung im Fokus – stets mit Blick auf Nach­hal­tig­keit und inter­dis­zi­pli­nä­re Versorgungskonzepte.

Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter aus Ortho­pä­die-Tech­nik, Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin, Phy­sio­the­ra­pie, Ergo­the­ra­pie, Bio­me­cha­nik sowie Wis­sen­schaft und For­schung kamen zusam­men, um ihre Erfah­run­gen aus­zu­tau­schen, Best-Prac­ti­ce-Bei­spie­le zu dis­ku­tie­ren und gemein­sam Zukunfts­per­spek­ti­ven zu ent­wi­ckeln. Die wis­sen­schaft­li­chen Sit­zun­gen, pra­xis­ori­en­tier­ten Work­shops und der inter­ak­ti­ve Aus­tausch zeig­ten ein­mal mehr, wie wert­voll grenz- und fach­über­grei­fen­de Zusam­men­ar­beit ist.

Neue For­ma­te für neue Generationen

Mit neu­en Pro­gramm­punk­ten wie dem „Tech­ni­cal Track“ und der „3 Minu­te The­sis Stu­dent Com­pe­ti­ti­on“ setz­te der Kon­gress gezielt Impul­se für den Nach­wuchs in der Bran­che. Ziel war es, jun­ge Fach­kräf­te aktiv ein­zu­bin­den und pra­xis­na­he Inhal­te zu ver­mit­teln – ein Ansatz, der auf gro­ße Reso­nanz stieß. „Die­se For­ma­te haben es uns ermög­licht, fri­sche Per­spek­ti­ven ein­zu­brin­gen und gleich­zei­tig die Brü­cke zwi­schen Pra­xis­all­tag und For­schung zu schla­gen“, beton­te ISPO-Prä­si­dent David Con­stan­ti­ne, der als ers­ter Kon­gress­prä­si­dent selbst Roll­stuhl­nut­zer ist – ein star­kes Sym­bol für Inklu­si­on und geleb­te Viel­falt inner­halb der ISPO.

Spit­zen­for­schung trifft auf per­sön­li­che Geschichten

Ein wei­te­res High­light bil­de­ten die Key­notes fol­gen­der inter­na­tio­nal renom­mier­ter Fach­leu­te, die aktu­el­le For­schungs­er­geb­nis­se und Visio­nen vor­stell­ten. Prof. Han Hou­di­jk ist Pro­fes­sor für Kli­ni­sche Bewe­gungs­wis­sen­schaf­ten am Uni­ver­si­ty Medi­cal Cen­ter und an der Uni­ver­si­tät Gro­nin­gen (Nie­der­lan­de). In sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Arbeit befasst er sich vor­ran­gig mit der Wie­der­her­stel­lung der Geh­fä­hig­keit bei unter­schied­li­chen Pati­en­ten­grup­pen sowie mit dem geziel­ten Ein­satz von Hilfs­mit­teln. Als ehe­ma­li­ger Prä­si­dent der ISPO Nie­der­lan­de und Initia­tor der Pro­the­se Aca­de­mie enga­giert er sich seit Jah­ren für die pra­xis­na­he Wei­ter­ent­wick­lung der Versorgung.

Cha­pal Khas­na­bis, Ortho­pä­die­tech­ni­ker und Seni­or Advi­sor für Assis­ti­ve Tech­no­lo­gy bei der Asia­ti­schen Ent­wick­lungs­bank in Genf, präg­te über zwei Jahr­zehn­te hin­weg die glo­ba­le Ent­wick­lung im Bereich der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung. Wäh­rend sei­ner lang­jäh­ri­gen Tätig­keit bei der WHO (2003–2023) war er maß­geb­lich an der Ent­wick­lung inter­na­tio­na­ler Richt­li­ni­en, Aus­bil­dungs­stan­dards sowie glo­ba­ler Initia­ti­ven wie GATE (Glo­bal Coope­ra­ti­on on Assis­ti­ve Tech­no­lo­gy) betei­ligt. Heu­te setzt er sich ins­be­son­de­re für den Aus­bau der Hilfs­mit­tel­in­dus­trie in Asi­en und dar­über hin­aus ein.

Prof. Sil­ves­tro Mic­e­ra lehrt Bio­elek­tro­nik an der Scuo­la Supe­rio­re Sant’Anna in Pisa sowie an der Éco­le Poly­tech­ni­que Fédé­ra­le de Lau­sanne, wo er den Ber­tar­el­li Foun­dation Chair in Trans­la­tio­nal Neu­roen­gi­nee­ring inne­hat. Sein For­schungs­schwer­punkt liegt auf der Ent­wick­lung moder­ner Neu­ro­pro­the­sen, mit dem Ziel, sen­so­ri­sche und moto­ri­sche Funk­tio­nen bei Men­schen mit kör­per­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen wiederherzustellen.

Dr. Pau­la Rush­ton ist Asso­cia­te Pro­fes­sor und Direk­to­rin an der School of Occu­pa­tio­nal The­ra­py der Dal­housie Uni­ver­si­ty in Hali­fax (Kana­da). Ihre For­schung kon­zen­triert sich auf die Mobi­li­täts­för­de­rung von Roll­stuhl­nut­zern. In Zusam­men­ar­beit mit der Inter­na­tio­nal Socie­ty of Wheel­chair Pro­fes­sio­nals (ISWP) setzt sie sich dafür ein, das The­ma Roll­stuhl­ver­sor­gung nach­hal­tig in die Aus­bil­dungs­pro­gram­me von Gesund­heits­be­ru­fen welt­weit zu integrieren.

Ein beson­de­rer emo­tio­na­ler Moment war die Inspira­tional Lec­tu­re der IC2A, gehal­ten vom schwe­di­schen ­Unter­neh­mer und ehe­ma­li­gen Para­lym­pio­ni­ken ­Chris­toff­er Lind­he. Nach einem schwe­ren Unfall ver­lor er bei­de Bei­ne und einen Arm – und grün­de­te spä­ter sein eige­nes Pro­the­sen­un­ter­neh­men. Sei­ne ein­drucks­vol­le Lebens­ge­schich­te berühr­te das Publi­kum tief und er­innerte dar­an, was Moti­va­ti­on, Tech­nik und Mut gemein­sam bewir­ken können.

Rund 4.000 Fachleute aus über 100 Ländern trafen sich beim 20. ISPO-Weltkongress in Stockholm – mit Fokus auf Innovation, Interdisziplinarität und globale Zusammenarbeit in der Hilfsmittelversorgung. Foto: Leipziger Messe/Tom Schulze
Rund 4.000 Fach­leu­te aus über 100 Län­dern tra­fen sich beim 20. ISPO-Welt­kon­gress in Stock­holm – mit Fokus auf Inno­va­ti­on, Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät und glo­ba­le Zusam­men­ar­beit in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung. Foto: Leip­zi­ger Messe/Tom Schulze

Aus­stel­lung bie­tet glo­ba­len Überblick

Par­al­lel zum Fach­pro­gramm prä­sen­tier­te die internatio­nale Indus­trie­aus­stel­lung rund 150 Unter­neh­men aus mehr als 15 Län­dern, dar­un­ter sowohl Markt­füh­rer als auch Start-ups. Gezeigt wur­de die gan­ze Band­brei­te der moder­nen Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung: von Pro­the­sen und Orthe­sen über Roll­stuhl­tech­nik bis hin zu digi­ta­len Tools und Addi­ti­ver Fer­ti­gung. Die Aus­stel­lung ver­deut­lich­te ein­drucks­voll, wie stark der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt die Bran­che aktu­ell prägt, und wie wich­tig es ist, die­sen in Ver­sor­gungs­pro­zes­se und All­tags­pra­xis zu integrieren.

Nicht nur fach­lich, auch atmo­sphä­risch bot Stock­holm den idea­len Rah­men für die­sen Jubi­lä­ums­kon­gress. In der beson­de­ren Stim­mung der Mitt­som­mer­näch­te wur­de die Ver­an­stal­tung zu einem unver­gess­li­chen Erleb­nis. ­Lan­ge Tage, laue Näch­te und eine inspi­rie­ren­de Atmo­sphä­re beglei­te­ten den inten­si­ven Aus­tausch der ­inter­na­tio­na­len Com­mu­ni­ty. „Der Kon­gress war nicht nur ein Ort des Wis­sens­aus­tauschs, son­dern auch ein Raum für ech­te Begeg­nung“, resü­mier­te David Con­stan­ti­ne. „Wir haben gezeigt, wie Inno­va­ti­on, Zusam­men­ar­beit und Viel­falt die Zukunft der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung gestal­ten können.“

Nächs­ter Halt: Bangkok

Mit dem erfolg­rei­chen 20. ISPO-Welt­kon­gress hat die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft der Pro­the­tik- und Orthe­tik-Fach­welt ein star­kes Zei­chen für glo­ba­le Koope­ra­ti­on, inter­dis­zi­pli­nä­re Ver­sor­gung und eine nach­hal­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung der Bran­che gesetzt. Der Blick ist nun nach vorn gerich­tet: auf neue For­schungs­pro­jek­te, inter­na­tio­na­le Bil­dungs­in­itia­ti­ven und den nächs­ten ISPO-Weltkongress.

San­dra Ram­dial, neu gewähl­te Prä­si­den­tin der ISPO, gab im Rah­men der Abschluss­ver­an­stal­tung bekannt, dass der 21. ISPO-Welt­kon­gress vom 22. bis 25. März 2027 in Bang­kok, Thai­land, statt­fin­den wird. Die süd­ost­asia­ti­sche Me­tropole wird damit Aus­tra­gungs­ort für die nächs­te glo­ba­le Zusam­men­kunft der Fach­welt – und ver­spricht schon jetzt, neue Impul­se und Per­spek­ti­ven für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in einer dyna­misch wach­sen­den Regi­on zu setzen.

Tino Spre­kel­mey­er

 

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