Welt-Sto­ma-Tag: ILCO stellt sani­tä­re Situa­ti­on auf den Prüfstand

Zum zehnten Mal fand am 2. Oktober 2021 der „Welt-Stoma-Tag“ statt und vereinte alle Stomaträger:innen auf der ganzen Welt, um für mehr Aufmerksamkeit und Aufklärung in der Gesellschaft zu werben. Rund um den „Welt-Stoma-Tag“ laden Vereine und Gruppen wie zum Beispiel die Deutsche ILCO e. V., die Selbsthilfevereinigung für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs sowie deren Angehörige, zu Aktivitäten und Veranstaltungen ein, um für die Situation der Menschen mit künstlichem Darm- oder Blasenausgang zu sensibilisieren.

Seit 1993 orga­ni­siert die IOA (Inter­na­tio­nal Ost­omy Asso­cia­ti­on) alle drei Jah­re, jeweils am ers­ten Sams­tag im Okto­ber, den welt­wei­ten Akti­ons­tag – in die­sem Jahr unter dem Mot­to „Die Rech­te von Sto­ma­trä­gern sind Men­schen­rech­te – immer und über­all“. Die OT-Redak­ti­on sprach mit Erich Groh­mann, 1. Vor­sit­zen­der des Bun­des­ver­ban­des der Deut­schen ILCO, über die Ziel­set­zung des Akti­ons­ta­ges, das Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al in der Sto­ma-Ver­sor­gung, die Fall­stri­cke in der sani­tä­ren Infra­struk­tur und über das anste­hen­de 50-jäh­ri­ge Jubi­lä­um der ILCO.

Anzei­ge

OT: „Die Rech­te von Sto­ma­trä­gern sind Men­schen­rech­te – immer und über­all!“: War­um wur­de die­ses Mot­to zum dies­jäh­ri­gen Welt-Sto­ma-Tag gewählt?

Erich Groh­mann: Die­se Rech­te ste­hen in den ver­schie­de­nen poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen auf unter­schied­li­chen Ebe­nen und die Umset­zung der Rech­te ist unter­schied­lich aus­ge­prägt. Pro­ble­me gibt es aber nicht nur in den „ande­ren Län­dern“, auch bei uns stellt sich da so man­che Fra­ge. In der Char­ta der Rech­te von Sto­ma­trä­gern wur­de 1993 fest­ge­schrie­ben, „dass es das Recht des Betrof­fe­nen ist, ein gut ange­leg­tes, rich­tig plat­zier­tes Sto­ma zu erhal­ten, unter vol­ler und ange­mes­se­ner Berück­sich­ti­gung des Wohl­erge­hens des Patienten“.

Das beinhal­tet, dass vor der OP die best­mög­li­che Plat­zie­rung des Sto­mas ermit­telt und ange­zeich­net wird. Das soll­te von einem kom­pe­ten­ten Fach­per­so­nal vor­ge­nom­men wer­den. Das wur­de bei den durch die Deut­sche Krebs­ge­sell­schaft (Onko­zert) zer­ti­fi­zier­ten Kli­ni­ken mit beauf­lagt. In allen ande­ren Kli­ni­ken, die sol­che Ope­ra­tio­nen durch­füh­ren, ist das nicht bin­dend fest­ge­schrie­ben. Ich kann mir vor­stel­len, dass die Anzahl der Revi­si­ons­ope­ra­tio­nen redu­ziert wer­den könn­te, wenn man gene­rell das vor­he­ri­ge Anzeich­nen durch geschul­tes Fach­per­so­nal (z. B. Sto­ma­the­ra­peu­ten) umsetzt.

„Man muss sich Zeit nehmen“

OT: In wel­chen Berei­chen ist noch Luft nach oben?

Groh­mann: Zwei­fels­frei haben wir eine gute Ver­sor­gung. Zu wün­schen lässt die Infor­ma­ti­on der Betrof­fe­nen über ihre Rech­te und das Anler­nen bei der rich­ti­gen Ver­sor­gung des Sto­mas. Bei einer Lie­ge­zeit von bis zu zehn Tagen, ein­schließ­lich der Ope­ra­ti­on, sieht der Pati­ent den Sto­ma­the­ra­peu­ten im Schnitt zwei­mal in die­ser Zeit. Es bedarf in den ers­ten Mona­ten jedoch einer eng­ma­schi­gen Betreu­ung der Betrof­fe­nen und der Ange­hö­ri­gen durch die The­ra­peu­ten. Man muss beden­ken, dass mehr als 50% der Sto­ma­an­la­gen bei Men­schen ange­legt wer­den, die über 70 Jah­re alt sind. Vie­le haben bereits über einen län­ge­ren Zeit­raum ande­re chro­ni­sche Erkran­kun­gen und einen höhe­ren Bedarf an Unter­stüt­zung. Das gilt natür­lich beson­ders, wenn es zu Kom­pli­ka­tio­nen am Sto­ma kommt. Sehen wir uns den beson­de­ren Fall an, der lei­der kei­ne Sel­ten­heit ist: Der Pati­ent wird am Frei­tag­nach­mit­tag ent­las­sen. Ihm wird Ver­sor­gungs­ma­te­ri­al für zwei Tage mit­ge­ge­ben (drei Beu­tel und eine Grund­plat­te). Bei der Fahrt nach Hau­se löst sich die Grund­plat­te. Man­geln­des Wis­sen und Kön­nen des Pati­en­ten beim Wech­sel kann zur Fol­ge haben, dass die gewech­sel­te Grund­plat­te wie­der nicht hält. Der Dienst­leis­ter hat noch nicht gelie­fert und ist am Wochen­en­de nicht erreich­bar. Es gibt vie­le Ein­zel­maß­nah­men, die man anspre­chen muss. So der Bedarf an Ver­sor­gungs­ma­te­ri­al, der zu Beginn höher ist. Hier muss nie­der­schwel­lig ver­sorgt wer­den. Rich­ti­ges Anler­nen des Betrof­fe­nen bedarf natür­lich Zeit. Die muss man sich nehmen.

OT: Was kön­nen Leis­tungs­er­brin­ger optimieren?

Groh­mann: Hier will ich nur sagen, die Neu­be­trof­fe­nen sind oft in einem fort­ge­schrit­te­nen Alter. Sie brau­chen län­ger, um sicher bei dem Ver­sor­gungs­wech­sel zu sein. Man muss es ihnen mehr­mals erklä­ren und auf alle Details auf­merk­sam machen. Es gilt, nicht über den Pati­en­ten zu bestim­men, son­dern gemein­sam nach einer guten Lösung zu suchen. Hier haben aber nicht nur die Ver­sor­ger eine Pflicht, son­dern auch die Kran­ken­kas­sen. Sie sind Ver­trags­part­ner der Ver­sor­ger und müs­sen kon­trol­lie­ren, ob die Ver­trä­ge auch ein­ge­hal­ten werden.

OT: Äußer­lich ist Stomaträger:innen die Behin­de­rung nicht anzu­se­hen. Inwie­fern sind sie den­noch Dis­kri­mi­nie­run­gen ausgesetzt?

Groh­mann: Dis­kri­mi­nie­rung, wo fängt sie an? Wenn Sie mit einem Sto­ma in ein Schwimm­bad oder eine Sau­na gehen, kommt es vor, dass das Fach­per­so­nal Sie nicht in das Schwimm­be­cken lässt. Wenn Sie berufs­tä­tig sind, dann brau­chen sie eine Toi­let­te, wo man auch ein­mal unge­stört den Wech­sel der Ver­sor­gung durch­füh­ren kann. Abge­hen­de Win­de kann man nicht anhal­ten, und geräusch­los sind die­se auch sel­ten. Das sind vie­le klei­ne Din­ge im Leben, die es schwer machen kön­nen. Die Dich­te der Behin­der­ten­toi­let­ten und deren Aus­stat­tung sind da ein wei­te­rer Schwerpunkt.

Ein­heit­li­che Min­dest­an­for­de­run­gen für Behin­der­ten­toi­let­te gefordert

OT: Die Deut­sche ILCO nimmt den dies­jäh­ri­gen Welt-Sto­ma-Tag zum Anlass, durch ihre Mit­glie­der die sani­tä­re Situa­ti­on an vie­len Orten über­prü­fen zu las­sen und zu bewer­ten. Auf wel­che Hür­den tref­fen Stomaträger:innen in der sani­tä­ren Infra­struk­tur? Was pla­nen Sie mit den Ergeb­nis­sen die­ser Unter­su­chung? Wie erhof­fen Sie eine Ver­bes­se­rung zu erreichen?

Groh­mann: Behin­der­ten­toi­let­ten haben nur weni­ge genorm­te Anfor­de­run­gen, die sich auf das Sicher­heits­sys­tem bezie­hen und die Mög­lich­kei­ten der Nut­zung durch einen Roll­stuhl­fah­rer. Beim Wasch­be­cken fan­gen die Pro­ble­me schon an. Hat es die rich­ti­ge Höhe, sodass es von allen genutzt wer­den kann? Hat es einen Spie­gel und geht der bis in die rich­ti­ge Ebe­ne? Dem Roll­stuhl­fah­rer nutzt es nicht viel, wenn die­ser auf der gewohn­ten Augen­hö­he hängt. Aber er muss auch so ange­bracht sein, dass der Betrof­fe­ne beim Ver­sor­gungs­wech­sel das Sto­ma im Spie­gel sehen kann. Es ist also wich­tig, dass der Spie­gel bis zur Wasch­be­cken­ober­kan­te geht.

Wei­te­re Bedin­gun­gen sind: Gibt es Abla­gen für die Mate­ria­li­en für den Ver­sor­gungs­wech­sel? Haben Män­ner­toi­let­ten auch einen Abfall­be­häl­ter für Vor­la­gen, wie sie oft von Betrof­fe­nen mit Sto­marück­ver­la­ge­rung genutzt wer­den? Gibt es einen Klei­der­ha­ken? Und dann das Zei­chen für Behin­de­rung, der Roll­stuhl. Das sym­bo­li­siert für die meis­ten: Die­se Toi­let­te ist nur für Roll­stuhl­fah­rer gedacht. Es kommt nicht sel­ten zu beläs­ti­gen­den Anspie­lun­gen vor der Toi­let­te, wenn ein Mensch ohne offen sicht­ba­re Behin­de­rung die­se benut­zen möch­te. Hier ist Hand­lungs­be­darf. Es soll­ten euro­pa­weit ein­heit­li­che Min­dest­an­for­de­run­gen für die Aus­stat­tung von Toi­let­ten und im Spe­zi­el­len von Behin­der­ten­toi­let­ten geschaf­fen werden.

Wir wol­len erst ein­mal erfas­sen, wie eine Behin­der­ten­toi­let­te aus­ge­stat­tet sein soll­te. Das wol­len wir auch zu den ILCO-Ver­bän­den außer­halb Deutsch­lands tra­gen. Danach müs­sen wir ermit­teln, wer für die Umset­zung zustän­dig ist. Dazu müs­sen wir uns auch Ver­bün­de­te holen: Pati­en­ten­für­spre­cher, Behin­der­ten­be­auf­trag­te auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne, Kom­mu­nal­po­li­ti­ker, aber auch Abge­ord­ne­te auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne, ja auch auf euro­päi­scher Ebe­ne. Wenn wir etwas errei­chen wol­len, dür­fen wir kei­nen in sei­ner Pflicht auslassen.

OT: Wel­che wei­te­ren Aktio­nen gab es anläss­lich des Aktionstages?

Groh­mann: In den Grup­pen gibt es unter­schied­li­che Ein­zel­maß­nah­men. In Rhein­land-Pfalz wur­den die Behin­der­ten­toi­let­ten in den Fokus gerückt. An ande­rer Stel­le hat man Sto­ma­beu­tel künst­le­risch gestal­tet und beab­sich­tigt, eine Wan­der­aus­stel­lung in Kli­ni­ken ein­zu­rich­ten, um auf die heu­ti­ge, moder­ne und tech­nisch immer wei­ter ver­voll­komm­ne­te Ver­sor­gung auf­merk­sam zu machen. Dies soll hel­fen, Ängs­te vor einem Sto­ma abzubauen.

Öffent­li­che Mei­nung ist weit von der Rea­li­tät entfernt

OT: Wel­ches Fazit zie­hen Sie zum dies­jäh­ri­gen Welt-Sto­ma-Tag? Wie erreicht man durch den Welt-Sto­ma-Tag die öffent­li­che Aufmerksamkeit?

Groh­mann: Die Bemü­hun­gen, Auf­merk­sam­keit zu errei­chen, waren in die­sem Jahr durch Coro­na ein­ge­schränkt, ja fast unmög­lich. Es wird jetzt schritt­wei­se nach­ge­holt. Ein Welt-Sto­ma-Tag ist ja auch kei­ne Moment­auf­nah­me, son­dern ein Höhe­punkt, den wir nun ver­zö­gert aus­le­ben. Dabei wer­den Mög­lich­kei­ten öffent­li­cher Ver­an­stal­tun­gen genutzt. Infor­ma­tio­nen in den Pfle­ge­schu­len sind ein ande­rer Weg. Die zukünf­ti­gen Pfle­ge­fach­kräf­te sol­len sich in einen Betrof­fe­nen hin­ein­ver­set­zen kön­nen. Dann wer­den sie mit dem Betrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen fin­den und nicht über ihn ent­schei­den. Das angeb­li­che Wis­sen der ande­ren über das, was uns Betrof­fe­nen gut tut, das Han­deln über uns, das ist eine schlim­me Form der Diskriminierung.

Krank­hei­ten, die sich mit Pro­ble­men unter­halb der Gür­tel­li­nie beschäf­ti­gen und dann noch mit Kör­per­aus­schei­dun­gen, sind nicht gera­de zur Leser­ge­win­nung geeig­net. Selbst­hil­fe wird in einem ver­staub­ten Man­tel gese­hen und die öffent­li­che Mei­nung ist weit von der Rea­li­tät ent­fernt. Öffent­lich­keits­ar­beit mit Unter­stüt­zung der Pres­se, des Rund­funks oder gar des Fern­se­hens sind da eher sel­ten. Sie ste­hen oft in Ver­bin­dung mit Außer­ge­wöhn­li­chem: einem Berg­stei­ger mit Sto­ma, der einen 5.000er besteigt, oder ein Rad­renn­fah­rer. Hört man etwas von Schau­spie­lern oder Poli­ti­kern, die einen künst­li­chen Kör­per­aus­gang haben?

Aus­bau der Digi­ta­li­sie­rung in der Selbsthilfe

OT: Bei Ihnen steht im nächs­ten Jahr bereits das nächs­te  Jubi­lä­um an. Was haben Sie zum 50-jäh­ri­gen Bestehen  der ILCO geplant?

Groh­mann: 50 Jah­re Deut­sche ILCO, wir wol­len auf uns auf­merk­sam machen. Blau/weiß sind die Far­ben der ILCO. Also haben wir uns ein Blu­men­meer blau und weiß blü­hend vor­ge­stellt. Den Blu­men­sa­men dazu ver­sen­den wir mit unse­rer Mit­glie­der­zeit­schrift. Wir rufen alle Koope­ra­ti­ons­part­ner auf, sich uns anzu­schlie­ßen. Vor­gär­ten vor unse­ren Häu­sern, Blu­men­käs­ten auf dem Bal­kon. Unse­re ILCO-Tage, die wir alle drei Jah­re bege­hen, wer­den im Sep­tem­ber in Mann­heim nicht nur den fach­li­chen Teil haben, son­dern auch eine Fei­er­stun­de. Es gehört nicht nur das Leben danach – also nach der OP und Sto­ma­an­la­ge – zu unse­ren Auf­ga­ben, auch die Prä­ven­ti­on hal­ten wir für wich­tig. Wenn wir hel­fen kön­nen, Erkran­kun­gen zu ver­hin­dern und damit auch die Fol­gen, dann haben wir eine wich­ti­ge Auf­ga­be erfüllt: Gesund­heit erhal­ten. Da sind wir in ver­schie­de­nen Lan­des­ver­bän­den aktiv. In NRW ist es die Kam­pa­gne „1000 muti­ge Män­ner für NRW“ (Mit die­sem Slo­gan wer­ben Darm­krebs­be­trof­fe­ne der ILCO für die Sinn­haf­tig­keit der Darm­krebs­vor­sor­ge, Anm. d. Red.)

Der Aus­bau der Digi­ta­li­sie­rung in der Selbst­hil­fe und die Erwei­te­rung des Besuchs­diens­tes bei Neu­be­trof­fe­nen in den Akut- und Reha­kli­ni­ken sind wei­te­re wich­ti­ge Schrit­te. Die Digi­ta­li­sie­rung ermög­licht es, welt­weit die Men­schen anzu­spre­chen, ihnen Infor­ma­tio­nen von Betrof­fe­nen für Betrof­fe­ne rund um die Uhr anzubieten.

Die Fra­gen stell­te Jana Sudhoff.

 

 

 

 

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